Keine Koalition ohne Mitgliedervotum!

Die SPÖ hat bei den Wahlen mehr verloren als die ÖVP, die besser abgeschnitten hat als erwartet. Links der Mitte haben überhaupt nur 40 Prozent gewählt, es gibt eine breite rechte Mehrheit im Nationalrat. Die SPÖ steht mit dem Rücken zur Wand. Um ihre Verhandlungsposition zu verbessern soll die Partei es der SPD gleichtun und ein Mitgliedervotum zum Koalitionspakt abhalten.

Nikolaus Kowall

„Die SPÖ hat ihr schwächstes Ergebnis erreicht, seit es freie Wahlen gibt.“ Das war der erste Satz meiner Analyse am Blog der Sektion 8 im Oktober 2008 und diese Einleitung kann einfach stehen bleiben. Seit 1919 lag die SPÖ noch nie bei 26,9 Prozent, die Partei ist beinahe nur noch halb so groß ist wie bei ihrem Rekordergebnis von 51 Prozent im Jahr 1979.

Wahl1

Die Parteien links der Mitte (SPÖ, Grüne, KPÖ) haben ihr schlechtestes Resultat in der zweiten Republik eingefahren, nur noch 40,1 Prozent haben links gestimmt. Die Parteien rechts der Mitte (ÖVP, FPÖ, BZÖ und Stronach) erreichen mit 53,8 hingegen einen der höchsten Werte seit 1945. Der Abstand zwischen SPÖ und ÖVP hat sich auch noch verringert. Damit wird ein Ergebnis, das 2008 aus sozialdemokratischer Sicht als katastrophal empfunden wurde, nochmals unterboten. Weil wir uns an neue Verhältnisse rasch gewöhnen, weil die Umfragen diesen Umstand lange vorausgesagt haben und weil die SPÖ auf Grund der Fragmentierung der österreichischen Rechtsparteien immer noch Erster ist, wird das Resultat nicht als Niederlage gedeutet. Es ist zu befürchten, dass sich die SPÖ in falscher Sicherheit wiegt.

Wahl2

Die ÖVP empfindet sich als Steigbügelhalterin einer sozialdemokratisch dominierten Regierung, was mit Blick auf die politisch doch recht erfreuliche Bilanz dieser Bundesregierung nicht ganz unberechtigt ist. Die ÖVP hat die Republik ein Jahrzehnt lang, von 2000 bis 2010, politisch klar dominiert. In den Regierungen Schüssel, Gusenbauer und am Beginn der Periode Faymann war sie tonangebend. Mit dem Stimmungswechsel der durch die Krise verursacht wurde und mit der Wende der SPÖ Richtung Verteilungsgerechtigkeit, konnte diese Dominanz durchbrochen werden. Vermögensbezogene Steuern, Ausbau der Sozial- und Gesundheitsleistungen, Wertsicherung der öffentlichen Pensionen und Konjunkturpaket 2013 – das alles ist sozialdemokratische Handschrift. Wie sehr die ÖVP es verabscheut diese Handschrift mittragen zu müssen hat sich im Wahlkampf gezeigt. Nicht nur die Aussage von Christoph Leitl, dass Österreich „abgesandelt“ sei, deutet darauf hin, sondern auch das zunehmend aggressive und feindselige Auftreten von Michael Spindelegger und Karl Heinz Kopf. Das kann man der ÖVP nicht verübeln, unser Zorn auf Alfreds Gusenbauer ÖVP-dominierte Politik war damals ebenfalls groß.

Wieso hat die ÖVP das alles mitgemacht? Weil wir in Österreich trotz 30 Jahren Neoliberalismus immer noch eine sozialdemokratische Hegemonie haben. Nicht bei den Eliten – Medien, Wissenschaft, Wirtschaftskapitäne und Raiffeisen-Analysten präsentieren uns immer noch einen neoliberalen Einheitsbrei aus Spartugend, Pensionshysterie und Standortwettbewerb. Dieses Gemisch ist jedoch im Großteil der Bevölkerung genauso wenig Mainstream, wie die antifaschistischen Empörungen. Der antifaschistische Neoliberalismus ist die Ideologie der heimischen Eliten, beides sind große Themen in jener kleinen Blase aus Politik, Wissenschaft, Medien und PR-Welt, die wir regelmäßig als politmedialen Komplex bezeichnen. Das ist im Falle des Antifaschismus schade, weil die pathetisch-betroffenen Kundgebungen von Staat und Zivilgesellschaft oftmals selbstreferentiell sind und keine Krone-Forum-PosterInnen in ihrem Alltagsfaschismus zum Nachdenken bringen. (Einen belehrungsfreien Antifaschismus für außerhalb der Blase zu entwickeln ist eines der lohnendsten Aufgabenfelder für fortschrittliche Menschen und es gibt bereits jetzt erfreuliche kleinere Projekte, die das Zusammenkommen und Verständnis verschiedener Kulturen nicht nur beschwören, sondern real umsetzen). Zurück zur sozialdemokratischen Hegemonie: Ich behaupte, dass für den Großteil der Menschen in Österreich sozialer Zusammenhalt, Verteilungsgerechtigkeit, Arbeitnehmerrechte und ein starker fürsorglicher Staat immens wichtig sind. Damit haben die Menschen aus meiner Sicht völlig Recht, weil die Angst um die Existenz der größtmögliche Angriff auf die Lebensqualität ist und Gesellschaften, die so unglaublich reich sind wie die unsere, diese Existenzangst schon künstlich simulieren müssen. Ich glaube der Neoliberalismus ist eine große Simulation archaischer Gesellschaften, weshalb es sich auch um eine archaische Ideologie handelt. Die ÖsterreicherInnen pfeifen auf solche Simulationen.

Ist Österreich ein rechtes Land?

Die Links-Rechts Einteilung die ich oben vorgenommen habe kann man deshalb auch nicht als scharfe Trennlinie betrachten. In diesem Wahlkampf hat vor allem die FPÖ eine abenteuerliche sozialpopulistische Agenda vorgelegt. Da wird das populäre des Liberalismus (Steuerentlastung, Verwaltungsreform, Nulldefizit), mit dem populären des Sozialdemokratismus (Pensionserhöhungen, Mindestlohn, Vollbeschäftigung) gnadenlos fusioniert. Außerdem hat Strache betont, dass bei einer Verwaltungsreform drei Mrd. ohne eine einzige Entlassung eingespart werden können, also Sparen ja, aber es darf niemandem wehtun. Das ist natürlich sachlich ein gewaltiger Unfug – große Steuerentlastungen, ein substantieller Ausbau von Sozialleistungen und das Nulldefizit sind schlicht nicht kombinierbar. Ungeachtet dessen wird ein sozial“demokratischer“ Diskurs bedient, wenn Strache gegen Banken und Spekulanten polemisiert und sich mit Werner Faymann einen Wettlauf um Pensionserhöhungen und Mindestlohn liefert, respektive wenn der FPÖ-Sozialsprecher Kickl mitten im Wahlkampf die Erhöhung von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe fordert. Die rassistische Flanke der FPÖ-Sozialpolitik, die eigene Krankenkassen für MigrantInnen möchte oder Sozialleistungen für straffällige AsylwerberInnen streichen möchte, soll an dieser Stelle keinesfalls unerwähnt bleiben. Ungeachtet dessen ist der sozipolitische Diskurs der FPÖ Wasser auf die Mühlen gewisser sozialdemokratischer Überzeugungen, etwa was die Legitimität von Eingriffen in den Markt betrifft oder die positive Besetzung des Wohlfahrtsstaates. Ziehen wir die Trennlinie entlang dieser Fragen dann stimmten bei dieser Wahl vereinfacht gesagt 61% für Staatsingriffe (SPÖ, FPÖ, Grüne, KPÖ) und 38% (ÖVP, BZÖ, NEOS, Stronach) dagegen. Österreich ist gesellschaftspolitisch eher rechts und wirtschaftspolitisch eher links, also ziemlich das genaue Gegenteil von Deutschland.

War die schwarzblaue Bundesregierung nicht der Beweis dafür, dass die sozialpolitischen Diskurse des dritten Lagers nur Chimäre sind? Diese Frage würde ich nicht klar mit Ja beantworten. Während ausgerechnet die rot-grüne Bundesregierung in Deutschland zeitgleich das Rentensystem teilprivatisiert, den Spitzensteuersatz drastisch reduziert und die Position der ArbeitnehmerInnen am Arbeitsmarkt völlig durchlöchert hat, war die schwarzblaue Agenda relativ moderat. Das lag neben der starken Sozialpartnerschaft und der Angst vor einer kantigen SPÖ in Opposition auch an der FPÖ. Es war nicht zuletzt Jörg Haider der nach den massiven Protesten gegen die Pensionsreform 2003 dem Gesetzesvorschlag publikumswirksam noch ein paar Giftzähne zog. Der sozialpopulistische Einschlag der FPÖ, der rhetorisch offenkundig und in den Handlungen partiell vorhanden ist, kann wohl auch das Wahlverhalten im rot-blauen Segment erklären. Während sich 2008 GFK und SORA noch gestritten haben, wer bei den Arbeitern Erste wurde, ist der Befund 2013 eindeutig. In dieser Gruppe haben 34 Prozent FPÖ und nur noch 25 Prozent SPÖ gewählt. Bei den Angestellten ist die FPÖ mit 25 Prozent der SPÖ mit 27 Prozent dicht auf den Fersen. Bei den Unter-30-jährigen ist die insgesamt FPÖ Erste, überdurchschnittlich ist die SPÖ nur noch bei den PensionistInnen.

Das Drama dieser Wahlen ist, dass die SPÖ ihre Kernzielgruppen endgültig verloren hat. Wenn genauso viele Angestellte und weniger ArbeiterInnen SPÖ wählen als im Bevölkerungsschnitt, dann haben wir als Partei der Arbeit ein veritables Glaubwürdigkeitsproblem. Spätestens mit diesen Wahlen ist endgültig klar, dass alle Anrufungen der arbeitenden Bevölkerung nur noch Folklore sind. Das ist einerseits schade, weil die SPÖ-Spitze die Verteilungsfrage mit dem Thema Vermögenssteuer und ganz zuletzt mit dem Mindestlohn aktiv aufgegriffen hatte. Ein noch größerer Stimmenverlust wäre ein fatales Signal gewesen und hätte diesen Strategiewechsel in Frage gestellt – dabei war das Thematisieren der Verteilungsfrage der Grund, weshalb wir überhaupt noch auf Platz 1 gelandet sind. Meine Interpretation geht folglich in die gegenteilige Richtung: Wir haben nicht deshalb das schlechteste Ergebnis in der Parteigeschichte, weil wir auf Verteilungsfragen gesetzt haben, sondern weil wir das – so wie bei allem was die SPÖ macht – nur ausgesprochen halbherzig verfolgt haben. Dafür sehe ich dreierlei Ursachen:

  1. Wir haben nicht ausreichend erklärt was wir gut gemacht haben

Ich kann mich nicht erinnern, dass Werner Faymann in diesem Wahlkampf einmal aufgezählt hat, was die SPÖ konkret weitergebracht hat. Das wäre aus meiner Sicht wesentlich seriöser und substantieller als nur über den Beitrag der Vermögenden oder über die niedrigste Arbeitslosigkeit zu sprechen. Ich habe selbst so eine Aufzählung vorgenommen und die Liste an Leistungen ist recht beeindruckend: Die Krankenkassen wurden ohne Leistungskürzungen saniert und das zu 60 Prozent über Einsparungen, die eingeführten Steuern auf Veräußerungsgewinne von Immobilien und Aktien, die Bankenabgabe sowie eine Reihe an kleineren Verschärfungen von bringen 2 Mrd. ins Budget. Dabei werden ausschließlich Vermögende, Konzerne und Stiftungen zu einem höheren Steuerbeitrag verpflichtet, weitere Sozialeinschnitte konnten damit ebenso verhindert werden wie Massensteuern. Einführung der Mindestsicherung, Verringerung der Maklerprovision, eingetragene Partnerschaft und Ortstafellösung – von alldem habe ich kaum je etwas gehört. Ich glaube es liegt daran, dass die SPÖ-Spitze glaubt, die meisten Menschen fänden die Details zu kompliziert. Das ist nicht ganz unrichtig, aber man erreicht trotzdem drei Dinge wenn man konkret wird: Erstens, jene die sich politisch interessieren nehmen die Argumente ernster. Zweitens, für jene, die sich so halb interessieren, hat es einen aufklärerischen Effekt. Drittens, jene sie sich politisch wenig interessieren sehen, dass man die Schlagworte zumindest begründen und mit Beispielen unterlegen kann.

2. Wir haben nicht ausreichend erklärt was wir noch Gutes machen wollen

gusi

Wofür die SPÖ Werbeagenturen bezahlt, ist mir schleierhaft, die Plakate sind seit dem Wahlkampf 2002 unverändert. Wäre es nicht einmal möglich konkrete Vorhaben zu plakatieren? Zum Beispiel:

  • Öffentliche Pensionen statt private Casinopension
  • Keine Pensionsanpassung unter der Inflationsrate
  • Solidarbeitrag von öffentlichen Spitzenpensionen über 4.000 Euro
  • Erhöhung der Mindestpension

Damit würde man Teile des Programms plakatieren und die Leute hätten konkrete Punkte über die sie diskutieren könnten. Auch in den Fernsehauftritten ist aufgefallen, dass Werner Faymann die richtigen Themen anreißt, aber sie oft nicht ausreichend erklärt. Zum Beispiel beim Thema Steuerpolitik. Erst musste sich Faymann von Spindelegger vorwerfen lassen, er wolle eine Steuerentlastung auf Pump finanzieren. Danach musste sich Faymann vorwerfen lassen, dass er mit neuen Steuern das Wachstum behindern würde. Faymann hat diesen Widerspruch angedeutet aber nicht offensiv aufgezeigt. Er hätte klarstellen können, dass die Abgabenquote im SPÖ-Plan genau gleich bleibt, dass die SPÖ also keine neuen Schulden macht, sondern nur im Bereich der Steuerstruktur Änderungen vornimmt. Es ist nämlich egal ob es 20 oder 25 Steuern gibt, wichtig ist wie viel man damit einnimmt. Diese Argumentation hätte man optimaler Weise strategisch vorbereiten müssen. Wieso haben wir als SPÖ nicht Anfang September ein Konzept für eine Steuerstukturreform vorgeschlagen, ausgearbeitet von Personen z.B. aus Wifo, AK und OECD. Ein aufkommensneutrales Modell, bei dem eine Entlastung des Faktors Arbeit 1:1 durch Vermögens- und Erbschaftssteuern gegenfinanziert wird?

Ebenso auffällig war, dass Faymann gut erklären kann, wieso etwas sozial gerecht ist, aber Spindelegger die Flanke offen lässt zu antworten: „Die Volkspartei ist eine Partei, die mit wirtschaftlichem Sachverstand und mit dem sozialen Ausgleich arbeitet.“ Faymann sagte zwar: „Was für die Menschen gut ist, ist für die Wirtschaft gut“, auf die Auseinandersetzung über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Mindestlohns lässt er sich im Detail aber lieber nicht ein. Das ist schade, der Mindestlohn von 1.500 Euro ist nämlich mindestens so ökonomisch sinnvoll wir sozial gerecht. Die Einkommensgruppe die 1.500 Euro verdient, spart nämlich überhaupt nichts und das Geld kommt sofort wieder in den Wirtschaftskreislauf. Wenn die Friseurin mehr hat kann sie beim Fleischhacker mehr kaufen, darauf kann sich dieser bei der Bäckerin mehr leisten und die geht dafür öfters zum Friseur. Das ist das Wunder der kapitalistischen Kreislaufwirtschaft und die positive Spirale geht so lange bis der Faktor Arbeit oder der Faktor natürliche Ressourcen knapp wird, aber letzteres ist eine andere große Diskussion, die wir unabhängig von Wahlen auch in der SPÖ noch dringend führen müssen. Wieso haben wir nicht AK und ÖGB ermutigt spätestens Anfang September einen Mindestlohn von 1.500 Euro zu verlangen, das politisch aufgegriffen und gleich auf die Plakate geschrieben? Genau wie bei der Steuerreform gab es keinen Grund erst ein paar Tage vor der Wahl damit rauszurücken.

3. Wir haben noch keine konsistente politische Agenda

Im Duell mit Michael Spindelegger erfreute Werner Faymann mit einem kleinen Seitenhieb auf die private Pensionsvorsorge, die für viele Menschen ein Verlustgeschäft geworden ist. Hier könnten wir noch wesentlich vehementer auftreten und das sofortige Ende der Subventionierung von privater Pensionsvorsorge fordern, was nur ein konsequenter Schritt aus der bisherigen SPÖ-Programmatik wäre. Die private Pension, die ihre Renditen am Kapitalmarkt erwirtschaftet kann nur dann wachsen, wenn Profite und Aktienkurse steigen. Die öffentliche Pension, die sich aus den Lohneinkommen speist, kann nur dann steigen, wenn die Löhne wachsen. Der Mindestlohn und der Einsatz für hohe Beschäftigung stabilisieren die Finanzierungsbasis der öffentlichen Pension. Gleichzeitig bedeuten höhere Löhne niedrigere Ausschüttungen von Profiten, aus denen sich die private Pension speist. Darum stand die private Pension in den 20 Jahren vor der Krise permanent besser da als die öffentliche, weil die Löhne nicht mehr mit der Produktivität gewachsen sind. Es kommt noch dicker: Die privaten Pensionsfonds sind einer der wichtigsten Akteure auf den internationalen Finanzmärkten. Jeder Euro, der in die private Vorsorge fließt, befeuert das Finanzcasino. Diese Zusammenhänge gehören erklärt und daraus muss man eine entsprechende politische Agenda ableiten und die lautet in diesem Fall: Ende der staatlichen Stützung der privaten Pensionsvorsorge. Um wirklich konsistent zu argumentieren, müssten wir überdies das Vokabel „Wettbewerbsfähigkeit“ und alle Ängste die mit dem Standortwettbewerb geschürt werden, endlich auf den Müllhaufen der Geschichte werfen und durch den Begriff „Produktivität“ ersetzen. Ebenso müssten wir den Leistungsträgerdiskurs viel radikaler von der Bemessung mittels Markteinkommen lösen und zu normativ wichtigen Arbeiten verlagern.

Langfristige strategische Planung schafft ebenso Vertrauen wie konkrete Forderungen und profunde Erklärungen. Wenn wir das berücksichtigen, werden die Menschen das Gefühl bekommen, dass wir sie ernst nehmen und nicht nur mit Schlagworten abspeisen möchten; und ich denke, dieses Gefühl hätten sie dann auch zu Recht. Die Verteilungsfrage auf dieser seriösen Basis zu stellen wäre meiner Ansicht nach erforderlich um bei den ArbeiterInnen und Angestellten wieder ganz klar Nummer 1 zu werden. Unabhängig von diesen Fragen der inhaltlichen und kommunikativen Positionierung, stehen jetzt unmittelbar aber mindestens ebenso wichtige Fragen rund um die Regierungsbildung an. Voraussetzung für bessere Chancen in der Zukunft, ist das Wahren von Glaubwürdigkeit in der Gegenwart.

Nicht noch einmal auf Gusi machen

Die ÖVP muss in einer Koalition entweder die SPÖ oder die FPÖ in Geiselhaft nehmen, um die von ihr immer noch gepredigte neoliberale Agenda auch umsetzen zu können, eine genuin pro-neoliberale Mehrheit hat es in Österreich nämlich noch nie gegeben. Natürlich richtet sich der Wirtschaftsliberalismus der ÖVP niemals gegen ihre eigene Klientel – Beamte und Bauern sind genauso stark auf den Staat angewiesen ist wie die BezieherInnen der Mindestsicherung. Alle anderen Bereiche sollen aber ‚entfesselt’ werden. Damit ist gemeint, dass staatliche Interventionen aufgeweicht werden und Marktkräfte zur Wirkung kommen sollen, vor allem im Steuersystem und am Arbeitsmarkt. Die SPÖ konnte aber seit 2010 eine Politik durchsetzen, die in die gegenteilige Richtung geht, wenn auch nur sehr zögerlich. Es wäre für die ÖVP ein Greul, die bisherige Regierungslinie weiter umzusetzen. Und das ist der Grund, weshalb die Situation für die SPÖ so brandgefährlich ist.

Die SPÖ hat sich keine andere Option als eine Koalition mit der ÖVP offen gelassen, während die ÖVP mehrere Alternativen hat. Das SPÖ-Spitzenpersonal möchte unbedingt regieren, niemand ist auf die Oppositionsrolle eingestellt, am wenigsten Werner Faymann. Der Kanzler ist auch nicht der geborene Oppositionsführer und würde ohne Regierungsbeteiligung womöglich überhaupt aus der Politik ausscheiden müssen. Dem neuen Klub werden auf Grund des schlechten Ergebnisses leider viele Leute nicht angehören, auf die wir in der Sektion 8 sehr große Stücke gesetzt hatten. Die erfahrenen Abgeordneten Sonja Ablinger und Jacky Maier werden es nicht schaffen. Es scheint als würden nur drei von 25 Leuten die unsere Initiative gegen das Bankgeheimnis unterstützt hatten, in den Nationalrat einziehen – wir hatten mit bis zu neun gerechnet. Auch wenn wir Markus Vogl, Daniela Holzinger und Philip Kucher das Allerbeste wünschen ist klar, dass sie sich als Frischlinge erst zur Recht finden müssen und wenig Möglichkeiten haben, den RegierungsverhandlerInnen Druck zu machen. Es gibt also augenscheinlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder die SPÖ verkauft Inhalte und Ressorts, oder es gibt eine rechte Koalition.

Was von der SPÖ-Spitze fordern? Eigentlich nur Eines: Die innere Bereitschaft prinzipiell auch in Opposition zu gehen. Aus der Opposition heraus kann man viel Einfluss ausüben, die Strache-FPÖ wird sich hüten soziale Einschnitte zu beschließen, wenn die SPÖ in der Opposition lauert. Jörg Haider hat seinerzeit aus der Opposition heraus sogar die Regierungsagenda maßgeblich beeinflusst. Entweder wir signalisieren die Bereitschaft zur Opposition klar und deutlich, oder die ÖVP wird uns wieder bis auf die Unterhose ausziehen. Es darf kein Bluff sein, wir müssen im Fall der Fälle wirklich dazu bereit sein zu gehen. Das ist die einzige Chance in den Verhandlungen auf Augenhöhe zu bleiben. Wie wir diese Bereitschaft verdeutlichen können, hat die SPD gerade vorgezeigt. Die deutsche Schwesterpartei hat ihre Verhandlungsmacht gegenüber der CDU drastisch erhöht, indem sie am Verhandlungsende ein Mitgliedervotum über das Koalitionsabkommen beschlossen hat. Die SPÖ-Führung soll es ihr gleichtun und sich damit selbst den Rücken stärken, andernfalls könnte ein desaströses Verhandlungsergebnis die Folge sein. Hoffentlich erinnert sich Werner Faymann, dass Alfred Gusenbauer den Ausverkauf aller SPÖ-Positionen keine anderthalb Jahre überlebt hat. Also, nicht nocheinmal auf Gusi machen, Mitgliedervotum jetzt ankündigen!

 

17 Responses to Keine Koalition ohne Mitgliedervotum!

  1. punto 13. Oktober 2013 at 15:56 #

    @ Helmut Wolff:
    Genau! Das Problem sind nicht die Pensionen, sondern die unzureichende Finanzierung. Ich finde, wir brauchen für die Finanzierung unseres Sozialsystems eine Wertschöpfungsabgabe, die alle in Österreich erwirtschafteten Einkommen erfasst.
    .
    DAS wäre ein Kriterium für die Auswahl eines Koalitionspartners.

  2. fuerrotschwarz 3. Oktober 2013 at 14:50 #

    Es kann nicht sein, dass Gewerkschaft, Wirtschaftskammer und Landwirtschaftskammer wieder ihre Pfründe verteilen und alle anderen Bevölkerungsgruppen (Asylwerber_innen, Arbeitslose, …) leer ausgehen. Die gegenwärtige Sozialpartnerschaft vertritt leider viele Bevölkerungsgruppen (Asylwerber_innen, Arbeitslose, Homosexuelle, Frauen, …) nicht.

    Ich wünsche mir eine neue rot-schwarze Regierung, die alle Bevölerungsgruppen in Österreich vertritt.

    Daher müssen in die Koalitiosnverhandlungen die Sozialpartner, die NGO´s, die Betroffenenorganisationen, Betroffene selbst (Asylwerber_innen, …), Expert_innen, usw. eingebunden werden und darüber hinaus von Rot-Schwarz während der ganzen Regierungsperiode eingebunden werden.

  3. Helmut Wolff 3. Oktober 2013 at 06:01 #

    Eine hervorragende Analyse.

    Zum Satz „Die öffentliche Pension, die sich aus den Lohneinkommen speist, kann nur dann steigen, wenn die Löhne wachsen.“ ist aber anzumerken, dass er kein Naturgesetz darstellt! Es ist nicht einzusehen, dass z.B. Zinseinkommen keinerlei Beitrag zur Sozialversicherung leisten. Gerade wenn sich die Verteilung der Einkommen – wie in den letzten Jahren geschehen – von Arbeitseinkommen zu leistungslosen Einkommen aus Vermögen, Zinsen, Vermietung etc. verschiebt, müsste man auch letztere zur Finanzierung der Sozialversicherungen heranziehen.

    P.S.: Im Übrigen hat die SPÖ bei der letzten Änderung im Pensionsrecht das Wort „PensionsKONTO“ auch für das Umlageverfahren einzementiert, sodass für oberflächliche Betrachter kein Unterschied zwischen Kapitaldeckungs- und Umlageverfahren mehr besteht.

  4. fuerrotschwarz 2. Oktober 2013 at 19:13 #

    Es hat einen Grund, warum der Großteil der sozial Benachteiligten und Arbeiter_innen FPÖ gewählt hat:

    Die SPÖ vertritt sie nicht.

    Die SPÖ macht Großteils Klientelpolitik für die Mittelschicht, der der der Großteil der SPÖ-Mitglieder angehört.

    Für die sozial Benachteiligten und Arbeiter_innen macht die SPÖ zu wenig.

    Im Wahlkampf gab es zum Beispiel kein umfassendes SPÖ-Programm, wie man die Armut in Österreich beenden soll. Wenn die SPÖ darauf entgegnet, dass es jetzt die Mindestsicherung gebe, muss ich mich ärgern. Die Mindestsicherung ist kein Meilenstein, wie die SPÖ behauptet, sondern eine Katastrophe (viel zu niedrig, viel zu bürokratisch, große Zugangshürden, man muss viel zu viele Daten Preis geben, …). Alle Mindestsicherungsbezieher_innen, die ich kenne, sagen das. Das interessiert die SPÖ aber nicht, da sie Politik für die Betroffenen, anstatt mit den Betroffenen macht.

    Für die Arbeitslosen macht die SPÖ auch kaum etwas. Ansonsten würde sie, z.B., die strengen Zumutbarkeitsregeln für Arbeitslose lockern. Wenn man in Österreich arbeitslos ist, MUSS man tatsächlich eine Teilzeitarbeit annehmen. Von dieser können aber die meisten nicht leben. Dann wird gesagt: „Ja, sie können ja als Ausgleich Mindestsicherung beziehen.“ Von der Mindestsicherung kann man aber auch nicht leben. Unzumutbar ist es auch, dass man dann noch weitersuchen muss, nach einer weiteren Teilzeitstelle. Zwei Teilzeitstellen sind viel, viel mehr Arbeitsbelastung als eine Vollzeitstelle. Es ist viel mehr Arbeitsbelastung, wenn ich insgesamt 40 h/ Woche bei zwei verschiedenen Unternehmen Teilzeit arbeite, als wenn ich 40 h bei einem Unternehmen arbeite. Wer so arbeiten muss, hat in Wahrheit keine 40-h-Woche. Ich fordere, dass in Österreich niemand mehr unfreiwillig Teilzeit oder Vollzeit arbeiten muss.

    Was ist mit den ganzen neuen Dienstverhältnissen (freier Dienstnehmer, ..)? Die gehören doch auch wieder zurückgenommen. Denn, wenn diese nicht zurückgenommen werden, dann werden diese, wenn ein Mindestlohn eingeführt wird, noch mehr werden, weil die meisten Unternehmen Wege suchen werden, die Mehrkosten durch den Mindestlohn durch die Hintertüre zu umgehen.

    Wenn die SPÖ die Arbeiter_innen und sozial Benachteiligten wieder einbindet und eine Politik in ihrem Interesse macht, wird, davon bin ich überzeugt, eine neue linke Bewegung in Österreich entstehen. Denn, die momentane SPÖ ist nicht links.

  5. fuerrotschwarz 2. Oktober 2013 at 17:46 #

    Die SPÖ soll drohen, mit den Grünen, dem Team Stronach und NEOS zusammenzugehen, wenn die ÖVP nicht bald ernsthafte Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ beginnt und sich gegen ein faires Koalitiosnübereinkommen sträubt, wo alle jeweils zur Hälfte ihr Programm durchsetzen können.

    Dem Beamtenflügel in der ÖVP ist Rot-Grün-Stronach-NEOS ein Gräuel. Wenn die SPÖ mit dieser Koalitionsveriante droht, wird die ÖVP ganz schnell ernsthaften Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ zustimmen und sich nicht gegen ein faires Regierungsübereinkommen sträuben, wo beide Parteien jeweils zur Hälfte ihr Programm umsetzen können.

    Rot-Grün-Stronach-NEOS muss die SPÖ als ernsthafte Alternative sehen. Mit dieser Regierungsform kann man zwar im Vermögenssteuerbereich kaum bis gar nichts machen (Erbschafts- und Schenkungssteuer liese sich in dieser Koalition aber, glaube ich, schon einführen! Auch die Grundsteuer könnte in dieser Koalition wahrscheinlich erhöht werden!) -, im Bildungsbereich könnte man aber mit dieser Koalition große Reformen angehen. Auch wird diese Koalition einen Willen haben, dass es keine Armut in Österreich mehr gibt.

  6. princeps 2. Oktober 2013 at 15:22 #

    stehe als liberaler nicht gerade im verdacht, ihre ideologie zu teilen, aber ihrer analyse kann ich mit einigen einschränkungen durchaus etwas abgewinnen. unter anderem müsste man die links-rechts einordnung der parteien noch weiter differenzieren. und was ich auch nicht ganz nachvollziehen kann: wie kommen sie darauf, dass die övp eine neoliberale partei wäre? unter schwarz-blau hatten wir die höchste abgabenquote der geschichte und die schwarzen sind seit 1986 in der regierung und wir sind im weltweiten vergleich bei abgaben- und staatsquote im absoluten spitzenfeld. die övp ist wie die spö eine klientelpartei mit anderen vorzeichen.

    der niedergang der großparteien hat ganz andere hintergründe: in der nachkriegszeit haben sich övp und spö den staat, die pfründe, die jobs und alle annehmlichkeiten aufgeteilt und damit ihre anhänger versorgt. solange man alle klientelgruppen halbwegs vernünftig versorgen konnte, hatten die beiden parteien mehr als 90 %. seit den wirtschaftlichen änderungen in den 80ern schaffen die beiden parteien nicht mehr, ihre jeweiligen klientelgruppen zu versorgen, weshalb diese scharenweise zu haider übergelaufen sind. man muss einmal die gesellschaftlichen realitäten anerkennen: der gut verdienende industriearbeiter, der nach wie vor spö wählt, gehört nicht mehr zur unterschicht, und die freien dienstnehmer etc. kann die spö mit dieser politik nicht ansprechen, genau so wie die övp zwar nach wie vor von etablierten unternehmern gewählt wird, aber absolut keinen zugang zu den neuen unternehmern hat. industriearbeiter und etablierte groß- und mittelunternehmer sind halt nur eine minderheit.

    solange die ehemaligen großparteien nicht schnallen, dass man politik für die gesamtbevölkerung machen muss und nicht nur für die wenigen verbliebenen klientelgruppen (pensionisten, gewerkschaftlich organisierte, gut situierte privilegienritter) ist ihr untergang unaufhaltsam.

  7. Ex-SPÖlerin 2. Oktober 2013 at 15:08 #

    Tolle Analys! Ihr seid die Zukunft, dann wird die SPÖ auch wieder wählbar!

  8. woge 2. Oktober 2013 at 12:57 #

    Bin schwer beeindruckt von der klaren Analyse und den inhaltlichen Positionen, die in diesem Blog wirklich stark formuliert sind.
    Als traditioneller Grünwähler ist es auch für mich genau die Inhaltsleere, die mich bei der SPÖ und in den letzten Jahren auch zunehmend bei den Grünen abgestossen hat.
    Kritische Geister müssen gerade auch die eigenen Positionen immer wieder hinterfragen, an ursprüngliche Überzeugungen erinnern und allen Modernismen und Beliebigkeiten zum Trotz konsequent daran festhalten.
    Die postmoderne Beliebigkeit, die sich mittlerweile aller Parteien bemächtigt hat, ist der wahre Feind des Geistes.
    Wir brauchen kantige Positionen, an denen man sich auch reiben kann und die einen dazu bringen können, die eigene – vielleicht schon festgefahrene – Position zu überdenken.
    In diesem Sinne fühle ich mich Eurer Diskussionsplattform Blog 8 sehr verbunden, danke Euch für das inhaltliche Engagement und wünsche Euch viel Kampfkraft und vermehrtes Gehör in der Partei auf dass wir bald einmal wieder „ein Stück des Weges gemeinsam gehen.“

  9. flux 2. Oktober 2013 at 10:59 #

    etwas langatmig aber sehr gut analysiert!

    gäbs bloß mehr von euch!

  10. lila 2. Oktober 2013 at 02:47 #

    SPÖ, Grüne und KPÖ links der Mitte? Das trifft aber nur auf die KPÖ wirklich zu, oder?

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