Links der Woche – KW 16

Diese Woche in den Links der Woche: Das Leben der Roma und Sinti in Europa, steigende globale Ungleichheit, sowie der Fall Jan Böhmermann. Außerdem: die Diskussion um ein Verbot sexistischer Werbung in Deutschland, wie Österreichs Rechte die Straßen erobern und vieles mehr. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen!

Inhalt

Europa

Am 8. April war der internationale Tag der Sinti und Roma. An diesem Datum fand 1971 der erste Welt-Roma-Kongress in London statt, ein Meilenstein für die Emanzipation der Roma, auf dem sich die Delegierten einmütig für die Selbstbezeichnung Roma aussprachen, sowie sich auf ihre gemeinsame Flagge und eine Hymne einigten (Quelle). Laura Meschede hat die Romni Antoneta, die im mazedonischen Shutka lebt, einige Monate begleitet und einen berührenden Text darüber auf ihrem Blog geschrieben.

Christine Bell von der University of Edinburgh analysiert die Folgen eines Brexits auf Nordirland, und auf die Beziehungen zwischen der Republik Irland und dem Norden. In ihrem Blogbeitrag arbeitet sie vier mögliche Auswirkungen aus, u.a. auf den fragilen Frieden im Norden durch das Abhandenkommen des einenden Faktors EU-Mitgliedschaft bzw. Europäische Werte, eine neue EU-Außengrenze, die die Insel durchziehen würde, und die Frage, was aus der Friedensfinanzierung durch die sog. PEACE programmes (seit 1995 1.3 Milliarden Euro umfassend) wird, sollte Nordirland mit Großbritannien die EU verlassen. Opendemocracy hat eine Brexit 2016 Seite auf der die linken Argumente für und gegen Brexit durchzulesen sind. Von besonderem Belang könnte für Interessierte die Serie des Gründers von Opendemocracy, Anthony Barnett, „Blimey, it could be Brexit!“ sein (hier die Einleitung – derzeit sind Kapitel 1 bis 3 online).

Ungleichheit und Ökonomie

Die deutsche Mainstream-Ökonomie entdeckt die Ungleichheit: Der Ökonom Marcel Fratzscher bestätigt im Standard-Interview, dass der soziale Aufstieg in Deutschland (und auch in Österreich) immer schwieriger wird. Leider sind die Empfehlungen aus dieser „neuen“ Erkenntnis aber (großteils) ein alter Hut – mehr als bessere Bildung für alle und Chancengerechtigkeit fällt Fratzscher als Lösung des Ungleichheits- und Verteilungsproblems nicht ein, man wolle ja keine „Neiddebatte“ schüren. Außerdem sagt er: „Es darf aber nicht nur um den Streit gehen, wer wie viel [vom Kuchen] abbekommt, sondern darum, ihn zu vergrößern. Dann bekommen alle mehr.“ Sorry, aber progressiv klingt anders.

Die globale Ungleichheit steigt, wie allseits bekannt ist: 1% der Weltbevölkerung haben laut den Zahlen von Oxfam soviel Vermögen wie der ganze Rest zusammen. Bei genauerer Betrachtung steht es aber noch um einiges schlimmer, wie Jason Hickel im Guardian vorrechnet. Nimmt man nämlich nicht Vermögens-, sondern Einkommensungleichheit mittels Gini Index, und rechnet nicht mit den relativen Anstiegen, sondern den absoluten, kommt man zu anderen Ergebnissen: nicht nur ist die globale individuelle Ungleichheit krass angestiegen, auch die Kluft zwischen den Ländern ist explodiert. Damit ist die Theorie des Aufholeffekts falsifiziert, die besagt, dass arme Volkswirtschaften schneller wachsen als reiche und die Kluft damit zwangsläufig kleiner werden muss. Genau das Gegenteil ist nämlich der Fall: „Using data from the Maddison Project, we see that in 1960, at the end of colonialism, people living in the world’s richest country were 33 times richer than people living in the poorest country. That’s quite a substantial gap. But then by 2000, after neoliberal globalisation had run its course, they were a shocking 134 times richer.“

Die deutsche CDU macht im Moment vor allem durch Pöbelei auf sich aufmerksam. Ihr derzeitiges Lieblingsopfer ist Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank. Obwohl die Schaffung einer unabhängigen Europäischen Zentralbank maßgeblich auf Deutschland zurückzuführen ist (sie wurde nämlich nach dem Vorbild der deutschen Bundesbank geschaffen), wird nun kritisiert, dass die EZB eigenständig handle (siehe zum Beispiel hier). Laut Wolfgang Schäuble, dem deutschen Finanzminister, sei Draghi sogar am Erfolg der AfD in Deutschland Schuld (siehe hier), der Mann hat wohl Superkräfte! Spaß beiseite – der Herdentrieb-Blog der Zeit entkräftet die populistische CDU-Attacke und erklärt die derzeitige Situation der europäischen Geldpolitik.

Sozialdemokratie

„Die SPD kommt nicht aus dem Umfragekeller. Das ist ungerecht, aber wenig überraschend. Es fehlt ein übergeordnetes Framing, das emotionalisiert, mobilisiert und aus vielen Einzelmaßnahmen erst ein konsistentes Ganzes macht. Dabei verfügt die Partei eigentlich über Werte und Zielvorstellungen, die mehr sind als abstrakte, zusammenhanglose Politslogans. Daraus ließe sich etwas machen“, meint Leonard Novy auf CARTA.

Am 16.4. war der Landesparteitag der Stadt Wien (unser Bericht hier). Der Sektion Acht Inserateantrag, der bereits im Vorfeld viel mediale Aufmerksamkeit bekam, wurde zugewiesen. Warum Delegierte für die Zuweisung gestimmt haben können wir nur mutmaßen. Einer der sich öffentlich dazu äußert ist Sebastian Bohrn Mena auf seinem Blog. Wir halten sein Argument jedoch nicht für legitim, wie ihr im Mythos 3 hier nachlesen könnt. Wir bleiben jedenfalls am Thema dran!

Medien- und Netzpolitik

Der Guardian hat aus den insgesamt 70 Millionen Kommentaren, die seit 2006 auf seiner Homepage hinterlassen wurden, ein riesiges Datenset gebastelt. Insbesondere die davon 2% blockierten Kommentare sind sehr aufschlussreich: „Of the 10 most abused writers eight are women, and the two men are black.“ Gut und übersichtlich aufbereitet sieht der Guardian diese Recherche auch als einen Beitrag zu einer besseren Netzkultur. „Even five years ago, online abuse and harassment were dismissed as no big deal. That is not true now. There is widespread public concern, and more support for anti-harassment proposals.“ Der Hass im Netz bringt eine Trendwende hin zur Einsicht: „abusive behaviour is neither normal nor inevitable. Where it exists, it is a cultural problem.“

Jan Böhmermann wird zum Problem zwischen der Türkei und Merkel, weil er den türkischen Staatschef beleidigt hat. ZDF hat das Video entfernt, hier kann man die Reime noch nachschauen. Die wesentlich spannendere Frage ist aber, was kann der Satire-Stil von Böhmermann? „Tatsächlich ist Böhmermann das neue Establishment, er ist das, was danach kommt“, kommentiert Antonia Baum in der FAZ. Böhmenmann und seine Fans sind stolz drauf, nicht stolz auf Deutschland zu sein, sind es aber zwangsläufig trotzdem, weswegen sie es kurzerhand ironisch sind. „Das Markieren von sozialen Unterschieden (häufig in den Kategorien intelligent/dumm) gehört zum Standard-Repertoire Böhmenmanns“, was per se noch nichts Schlechtes wäre, aber leider fehlt der sozioökonomische Konnex zur Gänze: „Denn die Gruppe (AfD-Fans, Pegida), die (von Böhmermann) abgewertet wird, bezieht ihren Antrieb ja auch daraus, dass sie das Gefühl hat, marginalisiert zu werden. Sie ist es, um deren Deutschland-Integration man sich in der Böhmermann-Logik wirklich Gedanken machen müsste.“ So bleibt der Restgeschmack, der auch den Hooligans gegen Satzbau und vielen anderen Versuchen, Rassismus komisch zu machen, anhaftet: Schaut mal, wie lustig, wie dumm die sind. Derartige Provokation muss unbedingt erlaubt sein, folgt aber einer ‚Bis einer weint‘ Logik, die sich vom Hass im Netz nicht mehr glaubwürdig distanzieren kann. Abwertung ist Abwertung, auch wenn sie in korrekt geschriebenen Sätzen daherkommt.

Der Fernsehsender Al Jazeera (= die Insel auf deutsch), das mediale Sprachrohr des arabischen Frühlings, steht unter finanziellem und politischem Druck wie die Wiener Zeitung berichtet.

Feminismus

Der deutsche Justizminister Heiko Maas will sexistische Werbung in Deutschland verbieten, was bereits jetzt hohe Wellen schlägt. Die Spiegel-Kolumnistin Margarete Stokowski wundert sich über die Aufregung und erklärt gewohnt trocken den Unterschied zwischen Sex, Erotik und Sexismus und was das mit Objektifizierung zu tun hat. Die Juristin Berit Völzmann hat über Verbotsmöglichkeiten sexistischer Werbung promoviert und das Justizministerium bei der Entwurfserstellung beraten. Hier erklärt sie welche Art von Diskriminierung das Verbot umfassen werden soll, warum die Werbeindustrie Geschlechterstereotype verbreitet und welchen Einfluss diese auf uns haben.

In unserem neuen Projekt „Linke Köpfe“ wollen wir euch alle 2 Wochen eine Person vorstellen, die uns inspiriert und beeinflusst. Zum 30. Todestag von Simone de Beauvoir starteten wir mit einem Porträt der berühmten Philosophin, Schriftstellerin und Feministin, das ihr hier nachlesen könnt.

Rechtsextremismus

Österreichs Rechte erobert die Straßen. Die Pegida-Aufmärsche treffen in allen Fällen auf den Widerstand von weit größeren antifaschistischen Demonstrationen und werden zumeist auch erfolgreich blockiert. Dennoch findet in diesen Wochen ein entscheidender Einschnitt statt: Österreichs Rechte marschieren öffentlich auf, ohne sich zum Beispiel unter den Schutz von FPÖ-Kundgebungen zu begeben. Das Vice Magazin berichtet.

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