Gut vier Jahre nach Verabschiedung der US-Gesundheitsreform steht fest: Millionen Menschen sind zusätzlich krankenversichert
Vor gut vier Jahren habe ich auf diesem Blog „kommentierte Fakten zur US-Gesundheitsreform“ veröffentlicht und argumentiert, der Beschluss zeige dass progressive Politikprojekte möglich sind – gerade auch angesichts budgetärer Schwierigkeiten. Mein Fazit damals war, dass
[d]ie Gesundheitsreform jedenfalls ein großer Schritt in die richtige Richtung [ist], mit einer Reihe von Verbesserungen für breite Teile der US-Bevölkerung. Sowohl dass die Mehrzahl der neuen Leistungen GeringverdienerInnen zu Gute kommen werden als auch dass die Finanzierung der Verbesserung zu einem großen Teil über Steuern für SpitzenverdienerInnen erfolgen wird, machen die Gesundheitsreform auch zu einem der größten Umverteilungsprogramme der jüngeren Geschichte.
Seit der Beschlussfassung 2010 ist eine Menge passiert, was als „Mühen der Ebene“ nur ungenügend beschrieben werden kann:
- Die Republikaner fuhren mit einer von Lügen (z.B. mit Angstmache rund um vermeintliche „Deathpanels“) durchzogenen Kampagne gegen das als „Obamacare“ bezeichnet Gesetz einen Erdrutschsieg bei den Kongress- und Lokalwahlen im Herbst 2010 ein. Diese Mehrheit erlaubte ihnen in der Folge auch einen Neuzuschnitt von Wahlkreisen, sodass sie die Mehrheit im Repräsentantenhaus trotz geringerer Stimmenzahl im Jahr 2012 halten konnten.
- Das stark politisierte US-Höchstgericht, der Supreme Court, entschied in einer knappen 5:4 Entscheidung in National Federation of Independent Business v. Sebelius, dass das Kernstück der Gesundheitsreform – eine individuelle Versicherungspflicht – mit der US-Verfassung vereinbar ist. Den Ausschlag gab überraschenderweise die Stimme des konservativen Vorsitzenden des Höchstgerichts John Roberts.
- Im US-Präsidentschaftswahlkampf 2012 entschied Obama, sich den Kampfbegriff der Gegner der Gesundheitsreform – „Obamacare“ – zu eigen zu machen und wurde wiedergewählt. Nach der Wiederwahl Obamas blockierten die US-Republikaner die Verabschiedung eines Haushalts, um so Obamcare doch noch zu Fall zu bringen. Obama blieb hart und nahm einen zweiwöchigen Government Shutdown in Kauf, bis letztlich die Republikaner einlenken mussten.
- Im Jahr 2013 begann schließlich die Umsetzung eines bundesweiten Online-Versicherungsmarktplatzes HealthCare.gov, wo sich auch zuvor Unversicherte für eine Gesundheitsversicherung registrieren konnte. Allerdings war die Webseite zu Beginn voller Fehler, der Launch war ein PR-Desaster. Die anvisierten 7 Millionen Registrierungen auf Bundesebene wurden aber schließlich bis zum Ende der Frist am 31. März 2014 übertroffen. In einigen US-Bundesstaaten mit eigenen Online-Marktplätzen wie Kalifornien oder Connecticut verlief der Roll-out hingegen reibungslos.
- Das republikanisch dominierte Repräsentantenhaus stimmte in der Zwischenzeit ca. 50 (!) Mal dafür, die Gesundheitsreform rückgängig zu machen, was es aber wegen der fehlenden Mehrheit im US-Senat nicht einmal bis zum Schreibtisch Obamas und damit dessen Veto geschafft hat.
Diese Woche schließlich vermeldeten US-Medien, dass zwar immer noch keine genauen Zahlen vorliegen, aber an der grundsätzlichen Einschätzung hinsichtlich der Folgen der Gesundheitsreform kein Zweifel mehr besteht: Obamacare wirkt. Politico hat in einem Übersichtsartikel folgende vorläufige Daten zusammengetragen:
- Eine Studie des Commonwealth Fund spricht von 9,5 Millionen weniger unversicherten Erwachsenen.
- Die Urban Institute’s Health Reform Monitoring Survey geht von 8 Millionen weniger Unversicherten aus.
- Gallup-Healthways survey berichtet mit 13,4 Prozent von der niedrigsten Unversichertenquote seit Beginn der Messung 2008.
- Eine RAND-Studie ging bereits im April von 9,3 Millionen zusätzlich Versicherten aus.
Hinzu kommt, dass sich zahlreiche republikanisch regierte Bundesstaaten immer noch weigern, Bundesmittel für eine Ausdehnung der Gesundheitsversicherung für sozial Bedürftige („Medicaid„) anzunehmen (eine Verpflichtung dazu hatte der Supreme Court in seinem Urteil aufgehoben). Aber auch diese Front bröckelt zusehends und lässt die Zahl der Unversicherten weiter sinken. Und auch die unter Obamacare Versicherten sind einer Studie zufolge damit zufrieden, die Mehrheit (58% der Unversicherten, 52% der zuvor Versicherten) ist durch Obamacare besser dran als zuvor, nur eine kleine Minderheit berichtet von Verschlechterungen (9% der zuvor Unversicherten, 16% der zuvor bereits Versicherten) – und zwar quer über Parteigrenzen hinweg (siehe Abbildung).
Fazit
Schon die Verabschiedung der Gesundheitsreform war ein harter Kampf, nur Übertroffen von den Schwierigkeiten und Widerständen bei der Implementierung des Gesetzes. Aber die Ergebnisse können sich sehen lassen, die Ausdauer zahlt sich aus: Millionen von Menschen verfügen (endlich) über eine Krankenversicherung. Noch mehr Menschen verfügen über eine bessere Versicherung. Finanziert wurde dieser Fortschritt einerseits über Umverteilung (z.B. höhere Steuern für Spitzenverdiener/innen samt Sondersteuer auf Kapitaleinkünfte) und andererseits über Solidarität mittels Versicherungspflicht.
Das ist sehr gut: man kann in der Politik doch etwas bewirken (wenn man nur will). Das ginge auch schoen in unserer Regierung: die SPOe hat „sozial“ im Namen und die christliche OeVP sollte doch auch sozial sein. Woran hakt es also?
Offen gestanden interessiert mich die US-Sozialpolitik weit weniger als unsere, bei der Steuergeld, das wir dem Sozialwesen entziehen, für ein kontraproduktives Wirtschaftswachstum rausgeschmissen wird.