Fragen und Antworten zum Erfolg der Piratenpartei in Berlin

Leonhard Dobusch

Bei der gestrigen Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus haben es die Piraten mit 8,9 Prozent und 15 Mandaten ins Landesparlament geschafft. Mehr wäre gar nicht möglich gewesen, weil die Piraten nur 15 KanditInnen aufgestellt hatten – nachnominieren ist nicht erlaubt. Im folgenden eine kurze Sammlung

von Fragen und Antworten zum Wahlerfolg der Piraten, quasi live aus Berlin.

Ist das Berliner Ergebnis ein regionaler Ausnahmefall?

Ja und Nein. Zwar gibt es einen kontinuierlichen Aufwärtstrend bei Lantagswahlen in Deutschland, bislang konnten die Piraten allerdings auch in Städten noch nicht mehr als 2,1 Prozent auf Landesebene erreichen (siehe Abbildung). Und nirgendwo sonst in Deutschland gibt es ein so großes Biotop studentisch-geprägter Netzkultur wie in Berlin.

Wahlergebnisse der Piratenpartei bei Landtagswahlen in Deutschland

Andererseits ist es so, dass die Piratenparteien in Deutschland und anderswo teil einer transnationalen sozialen Bewegung rund um Zugang zu digitalen Technologien und Reform von Immaterialgüterrechten ist (vgl. zum Thema transnationaler Mobilisierung). So gibt es mittlerweile in knapp 50 Ländern Piratenparteien, von denen die meisten auch Mitglied der internationalen Dachorganisation Pirate Party International sind.

Haben die Piraten inzwischen ihr „Frauenproblem“ gelöst?

Leider nein. Die Piratenpartei ist immer noch überwiegend männlich. Und zwar sowohl unter ihren AktivistInnen als auch hinsichtlich ihrer WählerInnen. Die Berliner Piraten sind dafür das beste Beispiel: Unter den 15 neugewählten MandatarInnen der Piratenpartei befindet sich nur eine einzige Frau.

Ist die Piratenpartei eine Ein-Themen-Partei?

Diese Frage haben die Piraten für sich selbst noch nicht endgültig entschieden. Innerhalb der Piraten gibt es zwei Flügel in dieser Frage (vgl. taz.de). Auf der einen Seite gibt es die vor allem in Süddeutschland dominanten „Kernis“, die eine Konzentration auf die Kernanliegen der Piratenpartei fordern. Auf anderen Seite gibt es die Verfechter der Entwicklung eines Vollprogramms, zu denen auch die Berliner Piratenpartei zählt. Der Wahlerfolg der Berliner Piraten dürfte aber jene Fraktion stärken, die für ein Vollprogramm eintritt.

Welche Themen jenseits von Netzpolitik haben die Piraten in Berlin kampagnisiert?

Neben ihren Kernanliegen wie transparente Verwaltung, Zugang zum Internet und Reform des Urheberrechts äußern sich die Piraten in ihrem Berliner Wahlprogramm auch zu Bildung, Stadtentwicklung, Verkehr und Drogenpolitik. In der Öffentlichkeit wurden dabei insbesondere folgenden Themen stark gemacht:

  • Gesetzlicher Mindestlohn
  • Bedingungsloses Grundeinkommen
  • Freier und kostenloser Zugang zu öffentlichen Nahverkehrsmitteln
  • Freier Bildungszugang, insbesondere auch die Ablehnung von Studiengebühren
  • Legalisierung sogenannter „weicher Drogen“ wie Cannabis

Einen guten Eindruck von der thematischen Gewichtung liefert der offizielle Wahlwerbespot:

Sind die Piraten jetzt links oder rechts?

Wie oft bei neuen Parteien ist eine Verortung im politischen Links-Rechts-Schema nicht ganz einfach, nicht zuletzt weil es auch starke regionale Unterschiede gibt. Zumindest in Berlin sind die Piraten eindeutig dem linken Spektrum zuzurechnen, sowohl was ihre Inhalte (siehe auch die vorhergehende Frage) als auch was ihre WählerInnen betrifft. Letztere kamen größtenteils von SPD, Linkspartei und Grünen sowie der Gruppe der NichtwählerInnen.

Allerdings ist es innerhalb der Partei auch eine starke, in der Hacker-Ethik begründete und sehr generelle Ablehnung des Staates weit verbreitet, die eher in einer libertären Tradition steht.

Was bedeutet der Erfolg der Berliner Piraten für linke Politik in Österreich?

Wie in diesem Blog schon nach der letzten Bundestagswahl in Deutschland geschrieben, ist das wichtigste aus Sicht der Sozialdemokratie, die Piraten zu umarmen, nicht zu bekämpfen – insbesondere in ihrem Kernthemenbereich, der Netzpolitik. Einen großen Schritt in die richtige Richtung bedeutet hier das jüngst von der SPÖ-Kultursprecherin im Nationalrat Sonja Ablinger veröffentlichte „Positionspapier für eine progressive Netzpolitik“  (vgl. auch help.orf.at – Disclaimer: ich war in den Erstellungsprozess dieses Papiers involviert). Wenn die SPÖ diese Positionen auch in tatsächliche Politik übersetzt, dann braucht sie sich vor österreichischen Wahlerfolgen der Piraten nicht zu fürchten.

Eine adaptierte, englischsprachige Version dieses Blogeintrags findet sich unter governance across borders.

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  1. Newsletter #33: | blog.sektionacht.at - 27. September 2011

    […] Leonhard Dobusch über den Erfolg der Piratenpartei in Berlin: “Fragen und Antworten zum Erfolg der Piratenpartei in Berlin“ […]

  2. Die Presse fragt: “Wo sind Österreichs ‘Piraten’?” | blog.sektionacht.at - 24. September 2011

    […] auf die Suche nach “Österreichs ‘Piraten’” (vgl. zu diesem Thema: “Fragen und Antworten zum Erfolg der Piratenpartei in Berlin“). Fündig wird Ulrike Weiser dabei zumindest teilweise auch bei der Sektion 8: In der […]

  3. Gekommen, um zu bleiben - 19. September 2011

    […] die Diskussionen im Netz. Doch wie ist das Ergebnis in Berlin nun zu beurteilen? Wie Leo Dobusch im Blog der Sektion Acht erklärt, sind die Piraten eine transnationale soziale Bewegung und kein Berliner Phänomen. […]

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