Einlärmen der Regierung

Schritt für Schritt – vor, zurück – und dann noch mit Geschick.

In einem Buch las ich einmal den Begriff des „Einlärmens“. Damit beschrieben die Protagonist_innen eine dreiste aber clevere Art, ihre neuen Nachbarn an ein gewünschtes Lautstärkeniveau anzupassen. Die Taktik ist sehr simpel angewendet. Sowie man in eine neue Wohnung einzieht, dreht man seine Musikanlage viel zu laut auf. So laut wie man sie selbst gar nicht will. Wenn sich die Nachbarn beschweren, entschuldigt man sich, man wusste es ja nicht besser und dreht ein wenig zurück. Für die neuen Nachbarn zeigt man Einsicht, Rücksichtnahme und Entgegenkommen obwohl es eigentlich noch immer zu laut ist, die Nachbarn es noch immer hören können aber mit dem Gefühl fortan leben, dass die neuen Nachbarn zwar laut aber rücksichtsvoll sind.

Normalerweise hätte ich diese Wortkreation mit der Zeit wieder vergessen, doch der Begriff poppte immer mal wieder in meiner politischen Wahrnehmung auf. In den vergangenen Jahren war es alle paar Wochen oder Monate. Doch in den letzten Wochen musste ich durchgehend an diesen Begriff denken. Den Grund hierfür liefert die Arbeit der neuen Regierung.

von Jörg Schmidtberger*

Wir befinden uns in der Phase des „Einlärmens“ der neuen Regierung.

Fast täglich erfahren wir von neuen Vorhaben der schwarz-blauen Regierungsmaschinerie. Manche Ideen sind zu laut (Abschaffung der Notstandshilfe, „Konzentrierung“ von Flüchtlingen in Lagern am Stadtrand) und werden bei genügend Gegenwehr revidiert bzw. relativiert, manche dürften der Bevölkerung nicht laut genug sein (Studiengebühren für berufstätig Studierende, Abschaffung der Jugendsprecher in Betrieben, Umgestaltung der Finanzierung von Sozialleistungen weg von der Arbeitgeber_innenseite hin zu Arbeitnehmer_innenseite) um zu widersprechen. Je nachdem, wie Journalist_innen, die Twitter-Community oder das Volk darauf reagieren wird obiges Schema angewendet. Nach dem Aufschrei wird beruhigt, nach schweigender Zustimmung weiter ausgetestet, ob man nicht doch ein wenig lauter sein darf.

Die Frage die sich die Gesellschaft nun stellen muss ist: Bei welchen Themen nehmen wir den Lautstärkepegel hin, bei welchen wollen wir, dass zurückgedreht wird und bei welchen Themen ist es unsere gesellschaftliche Pflicht und die Verantwortung als Bürger_innen von Österreich, mit unserer erlebten Geschichte, diese Art der Musik zu verbieten?
Doch das eine kollektive Denken der Gesellschaft gibt es nicht. Unsere Gedanken sind nicht vernetzt und unsere Werte und Haltungen nicht synchronisiert. Aus diesem Grund ist es gerade jetzt wichtig, mit offenen Augen durch die Straßen zu gehen, kritisch die kleinen Veränderungen im Status Quo zu betrachten. Und bitte es nicht missverstehen. Damit ist nicht eine generelle Ablehnung der Regierungsarbeit gemeint. Vielmehr sind wir alle dazu aufgerufen, uns eine Meinung außerhalb von Facebook & Co. zu bilden. Außerhalb der Filterblasen, welche uns in Sozialen Medien eingefangen haben und uns durch unser Suchverhalten, unsere Likes und unseren Freundeskreis nur mit den für uns positiven Meldungen versorgt. Wieder Vertrauen in qualitativen Journalismus zu haben, welcher seine Aussagen objektiv und faktenbasierend uns präsentiert.

Was wir nicht dulden dürfen!

Auf keinen Fall dürfen wir rechtsextreme, antisemitische oder andere Hetze gegen Menschen, Religionen, Volksgruppen etc. dulden oder still hinnehmen. Das braune Grundrauschen der Regierung in Form von Liederbüchern aus Burschenschaften, freud´schen Versprechern bei Pressekonferenzen, diskriminierenden Plänen im Regierungsprogramm und und und ist nicht hinzunehmen. Die Gesellschaft darf es nicht hinnehmen, wenn Wiener Neustädter Burschen die siebente Million fordern und auch noch in Landesregierungsämter gewählt werden.

Gerade in einer Zeit, in der soziale Medien, Hetzmedien, Boulevard und Populisten versuchen, die Vernunft zu übertönen und mit ihren Botschaften ein Lied aus Hass und Angst kreieren, ist es unsere Aufgabe, mit einem gemeinsamen Gesang dagegen anzukämpfen.

* Jörg Schmidtberger arbeitet als Sozialarbeiter in Wien und engagiert sich in der Sektion 8 der SPÖ Alsergrund.

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