Die Mitgliederbefragung der SPÖ zu CETA war unklar im Hinblick auf die Konsequenzen, außerdem war – auf beiden Seiten der Skala – nicht das gesamte Meinungsspektrum innerhalb der SPÖ abgebildet. CETA eignet sich als Grundsatzentscheidung zum Thema Freihandel gut für Abstimmungen, aber schlecht für Kompromisse.
Die SPÖ-Mitgliederbefragung zu TTIP/CETA war die zweite in diesem Jahr. Im Februar wurden die Parteimitglieder um ihre Meinung zur Asylpolitik befragt, im September ging es um zwei Freihandelsabkommen. Obwohl dieses Mal deutlich mehr Aufwand in die Befragung gesteckt wurde, stolperte der Beteiligungsprozess über zwei hausgemachte Probleme.
Kurz hat die Entscheidung der SPÖ, ihre Parteimitglieder zu CETA zu befragen, für Euphorie gesorgt. Sogar Sven Giegold, streitbarer Grün-Abgeordneter im EU-Parlament, schaute anerkennend auf die SPÖ-Mitgliederbasis. Ausgerechnet die EU-Kommission, deren demokratische Legitimation ausgesprochen dünn ist, monierte, weshalb man das Ja oder Nein der SPÖ zu CETA den Mitgliedern überließe. Die Beteiligung unter den SPÖ-Mitgliedern war passabel, höher als zu den Obergrenzen im Februar (damals waren es 11.000, zu CETA beteiligten sich 14.400), zusätzlich machten über 9.000 Nicht-Mitglieder mit.
Das Unternehmen wies nichtsdestotrotz zwei erhebliche Defizite auf:
- Die Befragung hatte keinerlei klar definierte Konsequenz. Welche AkteurInnen werden sich auf Basis der Umfrageergebnisse wo wie verhalten? Werden die Abgeordneten gegen CETA stimmen? Wie verhalten sich die SPÖ-Regierungsmitglieder, was macht der Bundeskanzler im Europäischen Rat? Bis heute bleibt das unklar und darum ist die Entscheidung des SPÖ-Präsidiums frustrierend, CETA unter bestimmten Bedingungen zuzustimmen. Die große Mehrheit der teilnehmenden Personen hat sich gegen die vorläufige Anwendung gestellt, aber gerade die Antwort auf diese Frage wurde durch den Präsidiumsbeschluss ausgehebelt.
- Die Bandbreite von Meinungen innerhalb der SPÖ war in den fünf Fragen, die den Mitgliedern gestellt wurden, nicht abgebildet. Für Freihandels-BefürworterInnen gab es keine ernsthaften Antwortoptionen. Niemand ist gegen Transparenz, alle sind für hohe Standards, aber einige Leute finden Freihandelsabkommen grundsätzlich gut, andere nur unter bestimmten Bedingungen und andere wieder finden sie grundsätzlich schlecht. Das sind die eigentlichen Schattierungen, auch innerhalb der SPÖ. Im Prinzip konnte nur die Gruppe die “Freihandel unter Bedingungen goutiert” mit den gestellten Fragen glücklich werden, auch die kategorischen GegnerInnen weiterer Freihandelsabkommen konnten sich mit dieser Befragung nicht artikulieren. Überhaupt waren manche Fragen unnötigerweise suggestiv formuliert; etwas, das die Bedeutung jedes Ergebnisses unterminiert.
Nikolaus Kowall und Leonhard Dobusch haben die “Freihandelsabkommen? Nein, Danke”-Position bei uns am Blog ausgeführt. Sie bringen gute Argumente ins Treffen, warum auch das beste Freihandelsabkommen eine schlechte Idee ist. In seinem ausführlichen Erklärungs-Statement empfiehlt Christian Kern jenen, die “es eh immer schon gewusst haben” die Lektüre des CETA-Vertrags und der Zusatzerklärung. Das ist natürlich ein Schmäh. Niemand, der seine sieben Sinne beisammen hat, gibt sich freiwillig diese Dokumentenflut im Brüssler Bürokratensprech, und es ist auch nicht Voraussetzung für qualifizierte politische Meinungsbildung. Das Statement zeigt, dass die Möglichkeit, auch ein besseres – oder weniger schlechtes – Abkommen falsch zu finden, als Argument im Diskurs ausgelassen wird.
Mit professionellem Pragmatismus wirbt Kern nun für das Erreichte, und dennoch folgen diesem Argument besonders jene, die sich schon lange gegen Freihandelsabkommen engagieren, nicht. Das liegt besonders bei SPÖ-Mitgliedern sicher nicht an einer Geringschätzung des Kompromisses als politisches Instrument. Wer den politischen Ausgleich für unredlich hält, engagiert sich ja eher nicht in der Sozialdemokratie. Der Kompromiss ist ein völlig legitimes Instrument, um einen kleinen Schritt in die richtige Richtung zu erreichen, oder um zu Junktimieren, also eine geringer bewertete Verschlechterung gegen eine höher bewertete Verbesserung abzutauschen. CETA wurde, so Kerns Statement, von der sicheren Verschlechterung zu einem bestenfalls neutralen Vertrag, bei dem die Entscheidung über problematische Punkte wie die Schiedsgerichtsbarkeit nach hinten verlegt wurde. Dafür eine starke Position mit möglicher Veto-Option aufzugeben, ist besonders für jene, die Freihandelsabkommen grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen, verständlicherweise zu wenig.
Einige Themen eignen sich nicht gut für Kompromisse (dafür bestens für Mitgliederbefragungen), während andere wiederum super in Kompromissen ausgearbeitet werden, und überhaupt kein Befragungsmaterial sind. Es käme niemand auf die Idee, die Mitglieder über den nächsten Finanzausgleich abstimmen zu lassen. Die Frage Wehrpflicht oder Berufsheer im Jahr 2013 war hingegen – unabhängig vom Ausgang – eine spannende Grundsatzentscheidung, die sich prinzipiell für Abstimmungen eignet. Die Details sind dabei weniger relevant als die prinzipielle Haltung zum Thema, CETA ist da ähnlich. Kerns Kritik, die Debatte bei der Mitgliederbefragung sei an der Oberfläche geblieben, teile ich deshalb nicht. Sie hätte sich nicht näher am Vertragstext, nicht konkreter an der Sache, sondern weiter entfernt davon ansiedeln sollen. “Freihandel – Fluch oder Segen?”, statt “welches CETA wollen wir?”. Das ist die richtige Flughöhe für Mitgliederentscheide.
Es ist erfreulich, dass sich die SPÖ bei TTIP/CETA über eine Mitgliederbefragung getraut hat. Bemerkenswert sind die in der Sache erzielten Verbesserungen und der spannende Diskurs, an dem die ausführlichen Erklärungen Kerns großen Anteil haben. In Sachen Mitbestimmung und Öffnung hat die SPÖ aber erst dann etwas erreicht, wenn Abstimmungen und Wahlen kompetitiv und verbindlich sind. Meinungen und Personen müssen dabei in Konkurrenz zueinander stehen, die Optionen unterscheidbar und die Konsequenzen deutlich sein. Mobilisierungs-, Diskurs- und Kampagnenfähigkeit sind willkommene Beiprodukte von Parteidemokratie. Sie ersetzen aber nicht ihren originären Zweck: Gemeinsam eine verbindliche Entscheidung zu treffen. Erst mit echter Parteidemokratie wird Mitgliedschaft und Engagement in einer großen Partei wieder attraktiv.
„Die Details sind dabei weniger relevant als die prinzipielle Haltung zum Thema, CETA ist da ähnlich.“
Echt? Wirtschaftspolitik ist also eine Frage der prinzipiellen Haltung, nicht der konkreten Details? War nicht irgendwann mal der Anspruch, evidenzbasiert Vor- und Nachteile von Politikalternativen abzuwägen unter besonderer Berücksichtigung dieser relevanten Details?
Nun reicht die richtige Haltung? Und zu der gelangen die Interessierten ohne sich mit Details zu beschäftigen, einfach durch… ja, wodurch eigentlich?
Im Wissen, dass man sich nicht traut das Ergebnis der Mitgliederbefragung umzusetzen, war diese ein Bauchfleck.