Sonder-Links der Woche: Brexit Spezial

Nach dem überraschenden Ergebnis des Brexit-Referendums am 23. Juni haben wir nun wie angekündigt ein paar lesenswerte Artikel, Meinungen und Analysen für euch zusammengestellt.

Inhalt

Abstimmungsverhalten

Wie auf New Statesman nachzulesen ist zeigt das Brexit-Referendum zeigt ähnliche Trennlinien quer durch die traditionelle Wählerschaft der Linken wie z.B. bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich: „The EU referendum exposed a gaping fault line in our society – and it’s not between left and right.“

Die Süddeutsche schreibt über die Alterstrennlinie: „Briten jenseits der 50 haben sich mehrheitlich für einen Brexit entschieden, bei den über 65-Jährigen sind es 61 Prozent. Sie haben das Land aus der Union geführt, wohl auch in dem Wunsch, die große britische Vergangenheit aufleben zu lassen. Die Älteren haben somit über die Zukunft der Jungen bestimmt – ein Phänomen, dass in allen überalterten Gesellschaften zum Problem werden kann.“

Owen Jones hat im Guardian ebenfalls eine sehr kluge Wahlanalyse abgeliefert.

Diese Grafik erklärt was in Europa derzeit los ist. Die Bevölkerungsgruppen die sich abgehängt fühlen und mangels europäischer potenter Sozialdemokratie ihre Interessen nicht vertreten sehen revoltieren eben national.

Und hier noch ein schöner Artikel zum problematischen Demokratieverständnis „My vote – I didn’t think was going to matter too much because I thought we were just going to remain.“ Oder: nachdem man gelernt hat, dass Wählen nichts mehr bringt, ist man nun natürlich verwundert, wenn Großbritannien tatsächlich aus der EU austritt: “Bregret”, im Independent.

Laurie Penny hat einen Kommentar im New Statesman geschrieben.

Noch eine intelligente Nachwahlanalyse im Guardian, die die sozioökonomischen Umstände thematisiert: „Brexit is about more than the EU: it’s about class, inequality, and voters feeling excluded from politics. So how do we even begin to put Britain the right way up?“

Spannend waren auch die auf Google getätigten Suchanfragen in Britannien am Morgen nach der Abstimmung, wie zum Beispiel hier oder hier nachzulesen ist.

Ursachen und Folgen für Großbritannien

Für die Süddeutsche ist das Brexit-Ergebnis „eine Antwort aus dem falschen Jahrhundert“. Außerdem in der Süddeutschen eine Einschätzung was das für die Wirtschaft bedeutet: „George Osborne, Schatzkanzler des Vereinigten Königreichs, hat das vorsorglich ausgerechnet. 201 Seiten hat die Studie des Finanzministeriums, der entscheidende Satz lautet: Großbritannien geht es nach einem EU-Austritt auf Dauer schlechter, und zwar um 4300 Pfund im Jahr für jeden Haushalt. Die Briten haben keinen kostenlosen Zugang mehr zum Binnenmarkt. Das trifft fast alle Branchen – und kostet Arbeitsplätze.“

Der Guardian diskutiert die Rolle, die die Yellow Press beim Brexit gespielt hat.

„Großbritannien wird regiert von Männern, die in wenigen elitären Schulen und sämtlich an den Universitäten Oxford und Cambridge ausgebildet worden sind. Sie teilen ein Weltbild, haben dieselben Maßstäbe und Rezepte für Erfolg. David Cameron ist mit den Regeln des Oxforder Debattierclubs groß geworden, nach denen es nicht darauf ankommt, selbst Überzeugungen zu haben, sondern darauf, andere zu überzeugen. (…) Boris Johnson, der prominenteste Fürsprecher des Brexits, hat dieselbe Schule und dieselbe Universität besucht und spielt das gleiche Spiel. Der Streit um ein Thema, das das Leben der Briten auf Jahrzehnte verändern wird, war ein frivoler Wettstreit zweier blendender Rhetoriker.“ Die Zeit über die schädliche Privatschul-Oxbridge-Elite.

Our democracy is broken. Caroline Lucas im Guardian.

Eines scheint in den letzten drei Jahren, zwei Referenden und zwei Parlamentswahlen in Schottland/UK offensichtlich geworden zu sein: Nicola Sturgeon, Ruth Davidson, Leanne Woods, Caroline Lucas – Frauen in der britischen Politik sind Spitze und so viel besser als die meisten männlichen Politiker. Hier First Minister Sturgeon’s Statement zu Brexit.

Was ist los mit dem Camp Lexit? „European integration has clearly been a left-wing corrective to British neoliberalism. Meanwhile, it was actually the UK that has pushed many of those developments in the EU that the left opposes.“ Die Gründe für das Befürworten des EU-Austritts unter den Linken sieht der Autor dieses Artikels in derselben Ignoranz über das institutionelle Set-up der EU, ihre Entscheidungsprozesse und ihre Auswirkungen auf Großbritannien, die auch unter den Rechten grassiert. „Any British left wingers thinking of voting to leave the EU over these issues should perhaps instead consider leaving Britain.“

Großbritannien stimmt unter der Tory Regierung für den EU Austritt und indirekt vermutlich für das eigene Ende, und was macht die Parliamentary Labour Party? Sie attackiert Jeremy Corbyn und zerfleischt die Partei, wie hier nachzulesen ist. Auch opendemocracy beschreibt wie die Labour Part nicht die Gunst der Stunde nutzt sondern sich lieber mit sich selbst beschäftigt. Noch einen Artikel über Labour gibt es hier.

Das Resultat als „revolt against alienation“ wie Adam Ramsey auf opendemocracy schreibt.

Und hier noch ein sehr persönlicher und berüherender Kommentar von Timothy G. Ash im Guardian: „It would, however, be quite wrong to blame it all on Them. Look in the mirror and say after me: we are also to blame. How did we, as educators, allow such a simplistic narrative to go unchallenged by good history and civics taught at school and university? How did we, as journalists, allow the Eurosceptic press to get away with it, setting the daily news agenda for radio and television as well? How can we pro-Europeans have so underrated the painful sense of losing out from Europeanisation that I encountered on the doorstep when canvassing for a vote to remain, and which now screams through the vote of the other half of England? (“Speak for yourself,” you may retort. I do, brother, I do.)“.

Der Independent diskutiert was nun mit Schottland und Nordirland passieren könnte. 9 Erklärungsversuche weshalb Schottland anders ist als England gibt er hier aufgelistet.

Anthony Barnett fragt auf opendemocracy: Wie können wir Brexit verstehen und wie kann verhindert werden, dass es ein Sieg der Rechten wird?

Die Süddeutsche hat Ulrike Guérot, Politologin und Vordenkerin einer Europäischen Republik, zu möglichen Folgen des Brexit interviewt.

Brexit hier aus einer postkolonialen Perspektive: „The run up to the EU referendum has shown Britain for what it is. Woodwork: the washed-up bracken of the British Empire, and the ugly flotsam of its legacy of racism. From this woodwork the Brexiters have emerged. They have long romanticised the days of Empire when Britannia ruled the waves and was defined by its racial and cultural superiority.“

The National hat Stimmen zusammengetragen über ein mögliches zweites Unabhängigkeitsreferendum Schottlands.

Mittlerweile scheint jedoch gar nicht mehr so sicher zu sein, ob die Brexiters ihr EU-Austrittsversprechen auch wahrmachen können oder wollen, wie hier geschrieben wird.

Was bedeutet der Brexit für das Projekt EU?

Der ehemalige französische Premierminister Michel Rocard hat die Briten bereits 2014 aufgefordert in Freundschaft zu gehen. Eine stärkere Integration sei an Großbritannien gescheitert, wie er hier schreibt.

Laut der Süddeutschen haben die Briten die EU nicht als politisches Projekt begriffen, niemand hat bei EU-Gipfel so so oft mit Nein gestimmt wie das Vereinigte Königreich. Bei einem knappen Remain würden die Europagegner im UK weiterhin Druck gegen eine weitere Integration der EU machen.

Paul DeGrauwe, Professor an der London School of Economics sorgte sich vor dem Referendum auf socialeurope um die feindselige Stimmung im Vereinigten Königreich und vor allem in großen Teilen der Presse gegen die EU. Würde das UK in der Union bleiben hätte man ein Trojanisches Pferd in den eigenen Reihen, das nur versuchen würde mehr Macht nach Westminister zurückzuholen

Foreign Policy über das Verhältnis von Britannien und der EU und zur Frage welche Folgen der Brexit für die EU haben könnte.

Eine kurze historische Perspektive bringt Michael Gehler in der Tiroler Tageszeitung.

Christoph Prantner im Standard: „Vielmehr ist es nötig, den verbleibenden 27 Mitgliedern vor Augen zu führen, dass die Union eine politische Solidargemeinschaft und kein Selbstbedienungsladen vaterländischer Marodeure ist. Begreifen müssen das allen voran Viktor Orbán und Konsorten, lässt der ungarische Premier in Budapest doch die Losung vom Freiheitskampf gegen Brüssel ausgeben, während er für die Milliardensubventionen der EU gerne beide Hände aufhält. Nach dem Brexit sollten alle begreifen, dass dieses Verhalten keine Option mehr ist.“

Auf den nachdenkseiten gibt es einen Audio-Podcast „über den Brexit als die vielleicht letzte Chance von Europa“ nachzuhören.

Einer der besten Texte über mögliche Auswirkungen ist hier erschienen.

Gertrude Lübbe-Wolff mancht drauf aufmerksam, dass nicht die direkte Demokratie Schuld am Brexit ist, sondern dass die BürgerInnen v.a. zu Beginn (und später ja auch viel zu selten) demokratisch zu Europa befragt wurden.

Gleich nach dem Abstimmungsergebnis meldete sich wenig überraschend Marie Le Pen zu Wort, wie auf politico nachzulesen ist.

Spaßiges

What would other countries call their exit from the EU?

Fox News has breaking news.

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