Wir müss(t)en nur wollen – Wahlrecht im europäischen Vergleich

Die Legitimation politischer Entscheidung hängt nicht nur maßgeblich davon ab, ob und welche Möglichkeiten es zur Teilhabe an politischen Prozessen gibt, sondern vor allem davon, WER daran teilhaben darf. Dabei verfolgen verschiedene europäische Länder durchaus unterschiedliche Ansätze, von denen sich auch Österreich für die hiesige Integrationsdebatte das eine oder andere abschauen könnte. Mit unserer Kampagne „24 aus 24“ wollen wir darauf aufmerksam machen, dass im Jahr 2015 noch immer fast ein Viertel der Wiener Bevölkerung nicht wahlberechtigt ist.

Andrea Schmidt* & Jakob Haug**

Hinweis: Das Wahlrecht ist auf Bundesebene geregelt, weshalb sich der Beitrag vorwiegend auf die gesamtösterreichische Situation bezieht.

Inhalt

Restriktives Österreich

Wie war das noch einmal mit der berühmten „Integrationswilligkeit”? Wo keine Möglichkeiten sich zu engagieren, wird es schwierig, in der Fremde Fuß zu fassen. Was die Gelegenheit zur Mitbestimmung durch das Abgeben einer Wählerstimme angeht, stellt Österreich im internationalen Vergleich ein besonders restriktives Beispiel dar. Beim Migrationsindex MIPEX ist Österreich das Schlusslicht der EU-15 in der Dimension Politische Partizipation (Gesamtrang: 20 von 38 Ländern). Die Regelungen für eine Einbürgerung sind hier sehr streng, zugleich ist die Einbürgerung aber Voraussetzung um das Wahlrecht zu erhalten („exklusiver Ansatz“). Damit reiht sich Österreich mit Staaten wie etwa Lettland, Polen, Rumänien oder die Arabischen Emirate auf gleicher Höhe ein. Ein interessantes Detail am Rande ist, dass etwa die Gründung von Vereinen oder die Mitgliedschaft in einer Partei in Österreich äußerst liberal gehandhabt werden. Zivilgesellschaftliches und politisches Engagement werden jedoch ad absurdum geführt, wenn keine Möglichkeit besteht, auch selbst bei Wahlen mitzubestimmen. Einen ähnlichen Zugang zu sozialer Inklusion wie Österreich verfolgen übrigens auch Frankreich, Deutschland und Kroatien. In diesen Ländern wird das Erfüllen aller Kriterien für die Einbürgerung mit dem Erhalt aller Partizipations- und Bürgerrechte belohnt („Vollbürgerschaft“). Hier sei angemerkt, dass ja leider auch hierzulande häufig der Eindruck entsteht, dass die Staatsbürgerschaft eher als „Zuckerl“ für jene vergeben wird, die „mehr im Börserl“ haben und weniger als Ergebnis eines objektiv nachvollziehbaren Integrationsprozesses.

Es geht auch anders!

Doch es ginge auch anders. Länder wie Schweden, ebenso wie Finnland oder die Niederlande, ermöglichen MigrantInnen relativ rasch Zugang zu Bürgerrechten. Partizipation in Form des Wahlrechts wird dabei als ein Schritt auf dem Weg zur erfolgreichen (politischen) Inklusion verstanden, die Einbürgerung steht eher am Ende dieses Integrationsprozesses („inklusiver Ansatz“). Und siehe da, alle dieser drei Länder erzielen im Gesamtergebnis des Migrationsindex MIPEX die beste Beurteilung, das Klima für Integration wird als „günstig“ beurteilt. Der Index umfasst freilich noch zahlreiche weitere Dimensionen, wie Bildung, Familienzusammenführung, Arbeitsmarkt, Regelungen zum dauerhaften Aufenthalt, und Antidiskriminierung. Doch auch hier, insbesondere im Bereich Bildung, schneidet Österreich bekanntermaßen eher mäßig ab.

In anderen Ländern, darunter auch so unterschiedliche Staaten wie Dänemark und Ungarn, werden zugewanderte Personen den StaatsbürgerInnen des Aufenthaltslandes in Partizipation und Bürgerrechten weitaus gleich gestellt – eine Einbürgerung wird allerdings nicht als per se erstrebenswert dargestellt, und zumeist dürfen MigrantInnen auch nicht bei Wahlen auf allen politischen Ebenen an die Urnen treten („Wohnbürgerschaft“).

Bisherige Reformansätze eher enttäuschend

Der Grund, warum das Thema Wahlrecht für Nicht-ÖsterreicherInnen bisher relativ wenig mediale Aufmerksamkeit bekommen hat, lässt sich recht schnell finden. In Themen, die von der FPÖ mit dem Label Ausländerpolitik belegt wurden, geraten die alteingessenen Parteien schnell ins Schwanken oder versuchen sich vergeblich an der Falsifizierung der These, dass man die FPÖ nicht von rechts überholen kann – bis vor dem Sommer galt in Wien noch, nur ja nicht an dem Thema anzustreifen. Erfreulicherweise hat sich dies inzwischen geändert, wozu auch die Wiener Zivilbevölkerung das Ihre beigetragen hat. Allerdings ist in der geplanten Asylgesetznovelle beispielsweise eine weitere Erschwerung des Familiennachzugs vorgesehen, bereits im Mai war es zu einer Verschärfung etwa durch die Einschränkung der Grundversorgung gekommen. Anstatt das Momentum der breiten Solidaritätserklärungen also zu nutzen, um Migration in allen Formen sinnvoll zu reformieren, soll die prekäre Lage Flüchtender weiter verschärft werden. Jenen, die sich in der so genannten „Integrationsdebatte” in den Haaren liegen, sei jedoch gesagt, dass das Recht auf politische Teilhabe in Form des Wahlrechts keine Entschädigung für den steinigen Weg zur Einbürgerung sein sollte, sondern vielmehr als Mittel zum Zweck einen wichtigen Beitrag leisten kann, soziale Inklusion erfolgreich zu gestalten.

* Andrea Schmidt lebt und arbeitet als Sozialwissenschafterin in Wien
** Jakob Haug studiert und arbeitet in Wien

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One Response to Wir müss(t)en nur wollen – Wahlrecht im europäischen Vergleich

  1. punto 10. Oktober 2015 at 06:26 #

    Hier stimmt die Reihenfolge nicht. Erst integrieren und dann, sobald einer integer ist, kommt das Recht auf Mitbestimmung in Frage.

    Nur weil einer hier wählen darf ist er noch lange nicht integriert, man kann nicht einmal seine Integrationsbereitschaft mit Sicherheit annehmen.

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