VIE-BXL ist eine Serie von Beiträgen am Blog 8 im Vorfeld der Europawahlen 2014.
Bernhard Schinwald*
Die europäische Außenpolitik hat ein Problem – eines, das sie mit der österreichischen Europapolitik teilt: Die politischen Akteure sind so sehr mit sich selbst beschäftigt und in ihrer Politik nach innen gerichtet, dass sie langfristig dafür sogar die eigene Bedeutungslosigkeit in Kauf nehmen.
Europa genoss über Jahrzehnte den Luxus, seine Sicherheit nach außen über Bündnisse garantiert zu wissen. Bis heute verlässt es sich dabei weitestgehend auf die NATO-Partner – allen voran die USA. Die Sicherheit Europas wurde damit gewissermaßen zur Selbstverständlichkeit. Dementsprechend gering scheint die Notwendigkeit ernsthafter und fundierter Auseinandersetzungen mit Ereignissen außerhalb des Kontinents und dementsprechend unterentwickelt ist die politische Kultur dafür. Die Außenpolitik dient heute meist nur als eine weitere Bühne für die Innenpolitik, um sich vor der eigenen Wählerschaft als Verfechter der guten Sache zu präsentieren: Hier mal in Peking die Redefreiheit einmahnen, da mal der Eröffnungsfeier einer sportlichen Großveranstaltung fernbleiben: Außenpolitik kann so einfach sein – wenn man keine Verantwortung zu tragen hat. Wo Weitsicht und Verantwortungsbewusstsein geboten wären, regieren heute Enthaltung und Selbstgefälligkeit. Diesen Luxus wird sich Europa allerdings nicht mehr lange leisten können.
In diesem Jahr endet in Afghanistan der letzte nennenswerte Einsatz der NATO. Damit wird auch die Frage nach ihrer Daseinsberechtigung wieder akut. Ihre Beantwortung wäre im Grunde schon vor der Mission überfällig gewesen und war mit den Anschlägen vom 11. September 2001 nur um 13 Jahre verzögert worden. Die USA verlagern ihren strategischen Schwerpunkt zusehends in den Pazifik. Europa wird künftig für seine Verteidigung auf sich selbst angewiesen sein. Dafür muss es sich endlich als geopolitischer Akteur begreifen.
Europa ist rein geografisch nichts mehr als der kleine Appendix der eurasischen Landfläche und gegen Osten und Süden gewissermaßen offen. Europa ist strategisch, entgegen der Eigenwahrnehmung, nicht unverwundbar. Ganz im Gegenteil: Es hat die Probleme förmlich vor der Haustür. Vom Hindukusch über den Mittleren und Nahen Osten, hinauf in den Kaukasus, von der Maghreb-Region und die Sahelzone bis zur afrikanischen Atlantikküste zieht sich ein einziger Streifen der politischen Instabilität, mit dem äußerst fragilen Nahen Osten im Zentrum.
Es droht ein Machtvakuum
Diese Ordnung wurde seit dem Ersten Weltkrieg jeweils nur durch die Präsenz von Weltmächten aufgrund geopolitischer und wirtschaftlicher Interessen aufrecht erhalten – ursprünglich von Frankreich und England, danach von den USA und der Sowjetunion, später von den USA allein. Mit ihrer Strategieverschiebung, der Kürzung ihres Verteidigungshaushalts und der Tatsache, als künftiger Öl-Nettoexporteur nicht mehr auf die Rohstoffe dieser Region angewiesen zu sein, werden die USA das Engagement nicht mehr in diesem Maße aufrecht halten. Es droht ein Machtvakuum zu entstehen, das die jetzige Ordnung ernsthaft gefährden könnte. Mit absehbaren Folgen: Humanitäre Katastrophen, Radikalisierungen jeder Art und massive Flüchtlingsströme, von denen Europa vor allen anderen betroffen sein würde.
Die Europäische Union wird diese Probleme nur dann in den Griff bekommen, wenn sie mehr ist als die Summe ihrer Mitgliedsländer. Eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik ist dafür unumgänglich. Die Union muss sich dabei in einem ersten Schritt die Frage stellen, welche Rolle sie in der Welt spielen will, die entsprechenden Ziele und Strategien einer gemeinsamen Außenpolitik definieren und in einem zweiten Schritt die notwendigen Mittel dafür bestimmen. Eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur mit einer handlungsfähigen Streitkraft, vermutlich auch Geheimdiensten sowie einem handlungsfähigeren diplomatischen Dienst wird unerlässlich sein.
Präventive Maßnahmen
Es soll nicht darum gehen, dass die EU eine Invasionsmacht nach imperialistischem Vorbild wird, die um jeden Preis versucht, ihre Interessen zu sichern und ihr Einflussgebiet auszuweiten. Es muss jedoch darum gehen, geopolitische Gefahren abzusehen und ehest möglich darauf zu reagieren und damit drohende Gewalteskalationen zu vermeiden. Dazu braucht es einerseits präventive Maßnahmen: eine noch besser koordinierte Entwicklungshilfe, verstärktes Engagement an UN-Friedensmissionen, eine aktive gemeinsame Handelspolitik sowie die Unterstützung bei der Entwicklung von politischen Strukturen und Festigung der Institutionen in den entsprechenden Regionen. Dazu gehört andererseits aber auch ein gemeinsames Auftreten auf der internationalen Bühne, eine stärkere militärische Präsenz als Druckmittel sowie die Fähigkeit, in letzter Konsequenz militärisch eingreifen zu können.
Dass sich die Aufgabenverteilung zwischen den Armeen und die koordinierte Entwicklung der militärischen Kapazitäten für die Union und letztlich ihre Mitglieder auch finanziell als höchst vorteilhaft erweisen würde und eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik außerdem maßgebliche identitätsstiftende Funktion hat, sei hier nur am Rande erwähnt.
Eine gemeinsame Außenpolitik erfordert die Bereitschaft aller Länder – sowohl jener mit aktiver Außenpolitik als auch jener, die wenig bis gar kein internationales Engagement zeigen – an einer gemeinsamen europäischen Politik mitzuwirken beziehungsweise sich verstärkt zu engagieren. Deutschland, hat seine Politik der Zurückhaltung der letzten Jahrzehnte vor Kurzem für beendet erklärt. Gleichzeitig starteten der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein französischer Kollege Laurent Fabius die außenpolitischen Vorhaben ihrer beiden Länder verstärkt zu koordinieren. In den letzten Jahren wurde von Mitgliedsländern, wie Schweden, Polen und Italien auch wiederholt versucht, Debatten über die Strategie der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (CSDP) zu initiieren. Diese scheiterten jedoch bisher am Widerstand von Ländern wie Großbritannien und Frankreich, die sich als UN-Vetomächte weiterhin – vermeintlich – an den Hebeln der Weltpolitik sehen und nur wenig Interesse haben, ihre eigene Macht abzugeben. Sie scheiterten aber auch an Ländern, wie Österreich, die in der Außenpolitik eine Angelegenheit anderer sehen.
Weltpolitische Verantwortung
Der Abzug des österreichischen Bundesheers vom Golan war dafür beispielhaft. Das Bundesheer wurde in seiner Geschichte wohl noch nie so sehr gebraucht, wie zu diesem Zeitpunkt. Doch leider war in Österreich Wahlkampf und so ließen es sich Kanzler und Verteidigungsminister dann auch nicht nehmen, die heimkehrenden Soldaten höchstselbst, in der Erlöser-Pose in Schwechat zu empfangen und sich dafür vom Boulevard feiern zu lassen (womit die Außenpolitik als Bühne der Innenpolitik seinen Zweck wieder erfüllt hatte).
Keine Frage: 28 Einzelmeinungen unter einen Hut zu bringen, wird nicht einfach – noch weniger, wenn es um die Frage der Verteidigung, den ultimativen Ausweis nationaler Souveränität, geht. Und: Es ist natürlich leichter und politisch rentabler, bei internationalen Konflikten in nobler Pose an der Seitenlinie zu stehen und Haltungsnoten in Sachen Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte zu verteilen, als selbst mitzuspielen und zu versuchen mitzuentscheiden. Dennoch: die EU ist der größte Wirtschaftsblock der Welt – mit mehr Einwohnern als die USA und Russland zusammen. Sie hat eine weltpolitische Verantwortung. Aber vor allem hat sie die Verantwortung, für die eigene Sicherheit zu garantieren.
Die Zeiten der europäischen Enthaltung sind vorbei. Die EU muss sich endlich als unabhängige und handlungsfähige geopolitsche Akteurin verstehen. Das beginnt mit der Überwindung der Binnenfixierung der handelnden Akteure und ihrer Öffnung nach außen. Verändernde Realitäten lassen sich nicht einfach wegreden – in der internationalen Politik ebenso wenig, wie in der europäischen oder der österreichischen.
Nachsatz: Mustergültig für das mangelnde geopolitische Selbstverständnis der EU, hier aber unerwähnt, ist auch die aktuelle Krise in der Ukraine und die Komplikationen mit Moskau. Ich schrieb darüber bereits an anderer Stelle.
* Bernhard Schinwald lebt und arbeitet als freier Journalist in Wien mit Fokus auf europäische und internationale Politik.
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