Letzte Woche schrieb ich an dieser Stelle, warum man bei der SPÖ-Mitgliederbefragung zum Thema Asyl trotz aller Kritikpunkte mitmachen sollte. Nun wurden die Ergebnisse präsentiert. Sie sind gleichzeitig Ärgernis und Wegweiser für die Zukunft.
Eva Maltschnig*
Zuerst die harten Fakten: 11.000 Parteimitglieder haben an der Befragung teilgenommen. Der Link zur Umfrage wurde laut Medienberichten an 40.000 Personen ausgeschickt, von den restlichen rund 160.000 Parteimitgliedern hat die SPÖ-Bundesgeschäftsstelle keine Mail-Kontakte. Die, die geantwortet haben, unterstützten mit deutlicher Mehrheit die Position der Bundesregierung, wonach es eine Obergrenze für Flüchtlinge geben solle.
Alle Ergebnisse laut SPÖ-Bundesgeschäftsstelle:
Einige Medien schreiben, dass die Resultate der Befragung mager seien. Für mich ist eine Rücklaufquote von 27,5% sowie tausende zusätzliche Mails an die SPÖ von Mitgliedern, die kein Mail bekamen aber gerne eines gewollt hätten, spektakulär. Das gab’s noch nie – Mitglieder, die sich beschwerten, weil sie kein Mail von der SPÖ bekommen haben. Im Normalfall ärgert man sich immer nur über langweilige Newsletter und hier reißen sich Leute um einen Link. Das zeigt doch deutlich: Wenn es Befragungen zu kontroversen und aktuellen Themen gibt, interessiert das die Mitglieder natürlich. Darum sollten Mitgliederbefragungen viel öfter zum Einsatz kommen.
Aber das Wie ist entscheidend – Mitglieder-Beteiligung muss mit Qualität und Konsequenz geschehen. Das Projekt Parteireform.org, ein Gemeinschaftsprojekt verschiedener deutscher Parteistiftungen, hat sich Gedanken zur Zukunft der Parteiendemokratie gemacht. In einem Discussion-Paper wird zu Mitgliederbefragungen bemerkt: „Mitgliederbeteiligung ist nicht herrschaftsfrei, denn sie verändert und schafft Machtpotenziale. Dies gilt in erster Linie für diejenigen, die über ihren Einsatz und ihre konkrete Ausgestaltung entscheiden. Als Machtinstrument können Mitgliederbefragungen dazu dienen, bereits gefestigte Positionen zu legitimieren.“, später werden Qualitätsmerkmale von Befragungen vorgestellt:
- Zugänglichkeit
- sensible Repräsentativität (Anm.: Hier geht es um Maßnahmen, unterrepräsentierte Gruppen, etwa Personen ohne höhere Bildung, nicht durch die Befragungstechnik weiter in den Hintergrund zu drängen)
- klare Verfahrens- und Entscheidungsregeln
- Information, Transparenz und Dokumentation
- Ressourceneinsatz für gute Befragungen notwendig
- Anerkennung & Wertschätzung der Mitglieder
Die Asyl-Umfrage war ein reines Machtinstrument, bei dem es um die verspätete Rechtfertigung eines Positionsschwenks ging. Die oben beschriebenen Qualitätsmerkmale erreichte sie nicht, aber sie war ein Anfang. Ich möchte als Mitglied in Zukunft gerne öfter um meine Meinung gefragt werden, aber ich verlange Professionalität und Ernsthaftigkeit im Umgang mit diesem Instrument. Wenn es der SPÖ ernst ist mit der Organisationsreform, wäre die Wartung des eigenen Mailverteilers doch ein guter Start.
Das Ergebnis ist nicht „falsch“.
Auch bei perfekter organisatorischer und technischer Umsetzung der Mitgliederbefragung bin ich ziemlich sicher, dass die Obergrenze bei SPÖ-Mitgliedern mehrheitlich Zustimmung gefunden hätte. Der Anteil an Mitgliedern mit tendenziell rechter Einstellung in migrationspolitischen Fragen ist offensichtlich groß, aber nicht das einzige, woraus die SPÖ besteht – ein Drittel haben sich in der Umfrage gegen Obergrenzen ausgesprochen, das ist eine sichtbare und spürbare Minderheit. In der Tat war es gar nicht leicht, der suggestiven Fragestellung klug aus dem Weg zu gehen. Die SPÖ täte gut daran, weiterhin partizipative Elemente wie Mitgliederbefragungen und parteiöffentliche Debatten dem Thema Zuwanderung und Flucht zu widmen, schließlich bewegt uns das Thema alle. Eine Befragung als Rechtfertigung für etwas längst beschlossenes zu missbrauchen ist aber ein Witz.
Die Position der Parteispitze wirkt meinungsbildend. Sie nordet den politischen Kompass der Partei. Schwenkt die Meinung der Spitze nach rechts, verschiebt sich die Position der Mitte in der SPÖ – und natürlich auch in der Gesellschaft. Denn die Haltung der Sozialdemokratie zur den Fragen unserer Zeit hat einen Effekt darauf, wie die Bevölkerung als ganzes denkt.
In der SPÖ-Spitze herrscht in Asylfragen folgende Meinung vor: Ändert sich die Haltung der Bevölkerung (zum Beispiel, in dem sie findet dass die FPÖ die besten Antworten für ihre Probleme hat, und nicht mehr die SPÖ), ist etwas an der SPÖ-Position falsch, sie muss an die FPÖ angepasst werden wenn man weiterhin gewählt werden muss. Dass die Stimmung in der Bevölkerung gekippt sei, wird auch momentan als Erklärung für den Schwenk in der Asyl-Frage zitiert. Dabei geht das doch in beide Richtungen: Eine Partei muss sich an veränderte Umstände anpassen, aber sie verändert genauso die Umstände durch ihre Politik. Der soziale Zusammenhalt leidet, weil die SPÖ in diesem Punkt vergisst, dass sie über gesellschaftliche Gestaltungskraft verfügt.
Ausgerechnet mit der Gegenposition zur FPÖ in der Flüchtlingsfrage hat die Wiener SPÖ eine Wahl gewonnen. Und noch nie hat jemand die SPÖ gewählt, weil sie so ausländerfeindliche Positionen vertritt. Im Gegenteil: Wenn sogar die SPÖ die Menschenrechte nur noch für Einheimische anwenden will, ist es für Menschen die sich selbst am rechten Spektrum verorten nicht mehr weit bis zur Forderung der Grenzsicherung durch Schießbefehl.
Haben wir keine anderen Probleme?
Hannes Swoboda spricht im Profil-Interview eine weitere vergebene Chance der SPÖ an: „Fast mehr als die lächerliche Debatte über Obergrenzen stört mich, dass man all die Menschen, die sich für Flüchtlinge engagiert haben, so allein lässt. Dabei wäre das eine Riesenchance für eine Politisierung gewesen.“ Wie man diesen Ehrenamtlichen zur Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie einladen könnte, wäre eine brennende Frage für die SPÖ in Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise. Andere lauten: Wie integrieren sich viele Tausend anerkannte AsylwerberInnen in unsere Gesellschaft? Wo werden sie wohnen und arbeiten? Gelingt es dieses Mal besser, als mit den türkischen Gastarbeitern? Was können wir dafür tun? Gibt es noch sozialdemokratische außenpolitische Positionen, wenn ja, wie lauten die?
Stattdessen fragt uns die Bundespartei – im Nachhinein – ob wir ihren Schwenk eh unterstützen und ob wir auch der Meinung sind, dass uns die Ausländer keine Sozialkürzungen bescheren sollen. Ich wiederhole mich: Erstaunlich und ermutigend, dass sich so viele Mitglieder nach wie vor für die SPÖ interessieren. Dass sich mehr als 10.000 einbringen. Die SPÖ Mitglieder sind ein schlummernder Schatz – auch wenn sie mehrheitlich wohl einiges anders sehen, als ich. Noch kann man ihn heben. Wie das ginge? Da haben wir einige Ideen parat.
*Eva Maltschnig ist Vorsitzende der Sektion Acht.
Man braucht keine rechte Einstellung zu haben, wenn man fuer eine Obergrenze ist: die setzt naemlich die Natur, dh die begrenzte Erde. Die Frage ist nur, wie man eine vernuenftige Problemloesung erreicht – sicher nicht durch Zaeune oder hysterisches Geschrei.