VIE-BXL (3): „Mehr Europa wagen?“ – Wider die defensiven Europa-Kampagnen

VIE-BXL ist eine Serie von Beiträgen am Blog 8 im Vorfeld der Europawahlen 2014.

Eugen Pfister

Anlässlich der anstehenden Europawahl 2014 wird endlich etwas ausführlicher über Fragen der europäischen Integration berichtet. Zwar haben die Medien weiterhin hauptsächlich „österreichische Vertreter“ im Fokus – aber eben nicht nur: Auch „überzeugte Europäer“ – zumeist sind es ältere Herren aus der Politik – kommen nun vermehrt zu Wort. Ihre Interviews, Presseaussendungen und Leserbriefen sind flammende Appelle für die Europäische Union – was grundsätzlich sympathisch ist. Ich verstehe ihre Motivation und teile ihre Ziele.

Und doch hinterlassen viele dieser Rufe nach „Mehr Europa“ einen staubigen und altväterischen Nachgeschmack. Zum einen wiederholen sie mantra-artig immer wieder dieselben Argumente. Fast schon gequält klingt beispielsweise die xte Erinnerung, dass nur die EU Europa Frieden gebracht habe und brächte, weil ein paar Unverbesserliche es scheinbar noch immer nicht begriffen haben. (Und auch wenn ich – gerade als Historiker – den Friedensaspekt der EU im 20. Jahrhundert als immanent wichtig einschätze, frage ich mich doch, ob dieses Argument heute alleine noch ausreicht.) Zum anderen wird hier versucht, von oben herab den LeserInnen und ZuseherInnen die komplizierte Welt der EU mithilfe simplifizierender Metaphern näherzubringen. Nur selten werden aber die politischen Mechanismen erklärt. Die komplizierte Wahrheit scheint nicht zumutbar.

Gut gemeint vs. gut

Ich wage also zu behaupten, dass solch gutgemeinten, aber auch immer belehrenden Europa-Appelle nicht weniger schädlich für die „europäische Sache“ sind als so manche ultranationalistischen Angriffe gegen das „Bürokratiemonster Brüssel“. Die Ironie an der Sache ist, dass sowohl EU-Kritiker als auch EU-Befürworter bei den LeserInnen oft einen ähnlichen Eindruck hinterlassen. In beiden Fällen wird das Bild eines schwer fassbaren und wenig ansprechenden politischen Gebildes gezeichnet.

Ein Beispiel für solch eine gut gemeinte aber zuletzt doch abschreckende Argumentation: Trotz einiger aufklärender Berichte – erklären noch immer viele Europa-Befürworter, dass bereits jetzt 60-80% unserer Gesetze in Brüssel verabschiedet werden, und dass dieser Prozentsatz in Zukunft vermutlich noch größer sein wird. Die Schlussfolgerung, die sie daraus ziehen, ist an sich nicht falsch: Wir sollten spätestens jetzt vermehrt Einfluss in Brüssel nehmen, um über uns selbst bestimmen zu können. Abgesehen davon, dass die Zahl viel zu hoch gegriffen ist, kann eine solch defensive Sicht der Dinge aber bei den WählerInnen keine positiven Erwartungen erwecken. Man darf mich hier nicht missverstehen: Die Schlussfolgerung – nämlich ein stärkeres EU-Parlament mit mehr demokratischen Rechten zu fordern – ist richtig. Die WählerInnen dazu aufzurufen eines ihrer demokratischen Grundrechte – nämlich mehr Mitbestimmungsrecht – einzufordern ist  ohne Widerspruch zu unterstützen.

Pathologisch defensiv

Es geht mir mehr um die Frage, wie argumentiert wird: Was oft damit nämlich im Grunde gesagt wird, ist, dass bereits jetzt in Brüssel über unsere Köpfe hinweg entschieden wird – was so nicht richtig ist. Und darauf basierend wird der Schluss gezogen, dass wir ab jetzt auch „ein wenig mehr“ mitbestimmen wollen. Solche Forderungen sind viel zu schüchtern. Diese Argumentation ist zu defensiv und verfehlt so meiner Meinung nach den Zweck. Wenn wir schon mehr Europa fordern, dann dürfen wir nicht zögerlich und vorsichtig argumentieren.

Diese defensive Logik ist aber symptomatisch für den Europawahlkampf der meisten Großparteien in Europa. Europawahlkämpfe sind pathologisch defensiv. Es geht meist nur darum, Erreichtes zu verteidigen (Frieden und Wohlstand) und etwaige Gefahren abzuwehren (ein Rechtsruck in Europa, eine unbestimmte Angst vor einer chinesischen Hegemonie). In konservativen Parteien – wie zuletzt von Othmar Karas – hört man in dem Zusammenhang auch häufig das Argument, dass der wirtschaftliche Einfluss Europas in der Welt immer mehr zurückginge. Das weckt bei mir zuallererst Erinnerungen an Frankreich und Großbritannien, die noch in den späten 1950er Jahren nicht wahrhaben wollten, dass sie keine Großmächte mehr waren.  So lassen sich doch keine WählerInnen mobilisieren. Wo sind die politischen Ziele, wo sind die politischen Visionen? Ich würde ja meinen, dass man mit konkreten Zielen weitaus mehr Menschen dazu bringen kann wählen zu gehen als mit vagen Anrufungen Europas. Wir haben jetzt oft genug gehört, dass unser Einfluss in der Welt immer weiter schwindet, aber haben wir auch schon gehört, was wir mit diesem Einfluss überhaupt machen wollen? Was, frage ich, macht es für einen Sinn, in der oberen Liga mitzusprechen, wenn wir im Grunde gar nichts zu sagen haben?

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4 Responses to VIE-BXL (3): „Mehr Europa wagen?“ – Wider die defensiven Europa-Kampagnen

  1. rot 8. Februar 2014 at 20:11 #

    Der Satz oberhalb „Wenn die Sozialdemokratie die EU-Parlamentswahl gewinnen will, dann muss sie einen LEIDENSCHAFTLICHEN Wahlkampf für eine soziale, ökologische und liberale (gegen Überwachungsstaat, …) führen.“ soll korrekterweise „Wenn die Sozialdemokratie die EU-Parlamentswahl gewinnen will, dann muss sie einen LEIDENSCHAFTLICHEN Wahlkampf für eine soziale, ökologische und liberale (gegen Überwachungsstaat, …) EU führen.

  2. rot 8. Februar 2014 at 20:07 #

    Wenn die Sozialdemokratie die EU-Parlamentswahl gewinnen will, dann muss sie einen LEIDENSCHAFTLICHEN Wahlkampf für eine soziale, ökologische und liberale (gegen Überwachungsstaat, …) führen.

    Vor allem muss die Sozialdemokratie gegen TTIP und Wettbewerbspakt mobilisieren.

    Kommt TTIP und/oder Wettbewerbspakt, erleidet die Sozialdemokratie bei der EU-Parlamentswahl ein Debakel. Die Sozialdemokratie hat nämlich die Macht, beides zu verhindern (mittels Mobilisierung, …).

  3. punto 7. Februar 2014 at 19:30 #

    Am 30.1. hat ARD eine hoch interessante MONITOR-Sendung gebracht, in der das Freihandelsabkommen EU – USA kritisch betrachtet wurde:

    http://www.ardmediathek.de/das-erste/monitor/die-sendung-vom-30-januar-2014?documentId=19414266

    Ich glaube, vom ORF darf man einen solchen Bericht nicht erwarten.

  4. punto 1. Februar 2014 at 14:00 #

    @ „Wir sollten spätestens jetzt vermehrt Einfluss in Brüssel nehmen, um über uns selbst bestimmen zu können.“
    ——————

    Das ist genau richtig. Dafür brauchen wir aber zuerst eine konsequente Flurbegradigung der politischen Entscheidungsvorgänge in Brüssel.
    .
    Solange die gesamte EU im Ministerrat Beschlüsse fasst, die danach in Kommission und/oder EU-Parlament wieder in Frage gestellt werden, bedeutet „Mitreden“ nur „Luftschlichten“ oder einfach nur warme Luft. Diese dreifaltige Entscheidungsgewalt ist kontraproduktiv und muss ruckartig abgeschafft werden, auch wenn man dafür zugeben muss, dass das EU-Parlament von Anfang an eine nutzlose Geldvernichtungsmaschine war und ist.

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