Sicherheit in unserer zusammenwachsenden Welt hat letztlich die Voraussetzung, dass sich alle als Mitbesitzer eines gemeinsamen Gutes, aber auch als von gemeinsamen Drohungen Betroffene fühlen. Fehlt dieses Bewusstsein, und/oder entbehrt dieses Bewusstsein einer materiellen Grundlage, dann kann auf lange Frist traditionelle Sicherheitspolitik ( und vor allem auch die militärische Sicherheitspolitik ) diese Vakuum nicht kompensieren. So wie der Zusammenhalt eines Staates durch eine weite Kluft zwischen Arm und Reich gefährdet ist, so ist auch der Zusammenhalt der Welt durch das Auseinanderklaffen zwischen den armen und reichen Staaten bedroht.
Von Thomas Nowotny*
Nicht nur moralische und wirtschaftliche, sondern auch solche handfeste sicherheitspolitische Interessen haben also die reicheren, und durch bestehende Strukturen ohnehin privilegierten Staaten dazu veranlasst, Anstrengungen zur Überwindung dieser Kluft zu unternehmen. Ein Instrument dafür war die Offizielle Entwicklungshilfe ( ODA ). Seit dem Beginn der 70er Jahre war Österreich in diese Bemühungen eingebunden; ja es hat unter Bundeskanzler Bruno Kreisky hier sogar gelegentlich eine Themenführerschaft übernommen: „Nord/Süd Dialog“; „Marshallplan für die Dritte Welt“; Cancun Gipfelkonferenz; etc.
Einem ideellen und politischen Engagement hat aber schon in der Ära Kreisky kein gleichwertiges österreichisches Engagement in tatsächlich geleisteter Entwicklungshilfe entsprochen. Vor allem wurde ihr damals auch keine starke politische und administrative Grundlage geschaffen. An dieser „Erbsünde“ (politikwissenschaftlich : „path dependence“) leidet die österreichische Entwicklungshilfe bis heute.
Politisch / administrativ ist die österreichische Offizielle Entwicklungshilfe – ODA – nirgendwo fest verankert. Unter Kreisky hat der damalige Staatsekretär Adolf Nussbaumer neben vielen anderen Aufgaben auch jene, die Entwicklungshilfeleistungen der verschieden Ministerien und anderer offiziellere Stellen zu koordinieren. In der Folge wechselte diese Verantwortung dann zwischen Bundeskanzleramt und Außenministerium hin und her. Heute ist das formelle Mandat zur Koordinierung der Entwicklungshilfe wieder beim Außenamt (korrekt: beim Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten – BMEIA ) angesiedelt. Wieder zählt das auch dort, neben vielen anderen, zu den Aufgaben eines Staatssekretärs; zur Zeit des Staatssekretär Lopatka (ÖVP). Instrument der Koordinierung der österreichischen Entwicklungshilfe ist ein Drei – Jahresprogramm welches in jedem Jahr seiner Laufzeit, den Gegebenheiten entsprechend, adjustiert wird.
Seit 2003 wurde die operative Durchführung für Entwicklungshilfe vom Außenministerium an die Austrian Development Agency ( ADA ) ausgelagert. Lässt man Humanitäre – und Katastrophenhilfe unberücksichtigt, so verfügt die ADA aber nur über 10% des gesamte österreichischen ODA Volumens. Die ADA wickelt zwar zusätzlich auch EU Projekte ab, die von der EU finanziert werden. Das Volumen dieser von der ADA verwalteten EU Projekte belief sich auf bisher insgesamt etwa 60 Millionen €. Dem steht allerdings gegenüber, dass Österreich der EU seinerseits eine viel höhere Summe für Entwicklungshilfe zur Verfügung gestellt hat.
Neben dem Außenministerium gewähren und administrieren mindestens acht andere österreichische Ministerien Entwicklungshilfe. Diese agieren recht selbstständig1 und stellen dem Außenministerium im Wesentlichen nur die Zahlen für Übersichten und Projektionen zur Verfügung.
Eine effektive Koordination besteht nur zwischen dem Außenministerium (Sektion VII) und dem Bundesministerium für Finanzen, welches den weitaus größeren Teil der offiziellen österreichischen Entwicklungshilfe ( im Jahre 2010 65% der gesamten österreichischen ODA ) verwaltet; nämlich jenen Teil, der im Wege über die Internationalen Finanz Institute, wie die Weltbank oder über regionale Entwicklungsbanken wie etwa der Afrikanische Entwicklungsbank, abgewickelt wird2.
Das Finanzministerium verhandelt auch den Erlass von Rückzahlungen für Schulden aus offiziell an arme Entwicklungsländer gewährten Krediten. Diese Schuldentilgungen werden ebenfalls als Entwicklungshilfeleistungen anerkannt; was im spezifischen Fall Österreich die Bilanz der Entwicklungshilfe oft drastisch verschönt . So stieg die ODA Quote (Anteil der offiziellen Entwicklungshilfe am Nationaleinkommen ) im Jahre 2011 auf 0,41%. Ließe man den Schuldenerlass (in diesem Fall für den Sudan ) unberücksichtigt, so beliefe sich die Österreichische ODA – Quote auf magere 0,27% des Nationaleinkommens. In Europa müssen sich lediglich Italien und Griechenland für Leistungen schämen, die noch unter der niedrigen österreichischen Marke liegen.
Dadurch verletzt Österreich eine internationale Verpflichtung. Denn schon in den frühen 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte sich Österreich einem weltweiten Konsens angeschlossen und sich – so wie die anderen reichen Staaten – dazu verpflichtet, 0,7 Prozent seines Nationaleinkommens für offizielle Entwicklungshilfe zu verwenden3. Das Versprechen wurde seither in periodischen Abständen erneuert und ebenso regelmäßig gebrochen. Nämliches gilt für die Einhaltung des von der EU vorgegeben Zwischenziels, die Leistungen bis 2010 zumindest auf 0,51 % des Nationaleinkommens anzuheben, um den Pegelstand von 0,7% im Jahre 2015 zu erreichen.
Im Zuge der Welt – Wirtschafts- und Finanzkrise wurde das Volumen der bilateral gestaltbaren österreichischen Entwicklungshilfe (im wesentlichen = das Budget der ADA ) seit 2010 sogar laufend gekürzt. Über Initiative von Außenamtsstaatssekretär Lopatka – und mit der Zustimmung sozialdemokratischer Parlamentarier – wurde lediglich eine weitere, von Finanzministerin Fekter vorgesehene Kürzung storniert.
In ihrer inhaltlichen Gestaltung und programmatischen Ausrichtung war die internationale Entwicklungshilfe stark von wechselnden intellektuell / politischen „Moden“ geprägt; anfangs etwa durch die Annahme, dass Mangel an Kapital die wesentliche Ursache für wirtschaftliche Rückständigkeit wäre; und dass man also nur Kapital ( in realer Form von Maschinen; oder in Form von Valuten ) zur Verfügung stellen müsste, um in armen Staaten sozusagen den wirtschaftlichen „Urknall“ auszulösen, von dem ab die dortige Wirtschaft ohne weiteres Zutun und Hilfe von Außen, quasi automatisch ( „self sustaining growth“) weiter wachsen würde4. Diese Annahme spiegelt sich in dem seit Kreiskys Zeiten herumgeisternden Projekt eines „Marshall – Planes für die Dritte Welt5“. Spätere „Moden“ hielten jeweils andere Faktoren als Kapital für jene strategischen, welche durch Entwicklungshilfe bereit gestellt oder gefördert werden sollten: Erziehung; Industrie; Technologie; staatliche Institutionen; Infrastruktur; die Landwirtschaft; etc; etc.
Heute ist man ernüchtert und vorsichtiger geworden, nicht zuletzt auch wegen der oftmaligen Erfolgslosigkeit von Entwicklungshilfe. Man hat erkannt, dass es keine für alle Zeiten und alle Empfänger – Staaten gültige Formel gibt; und dass man aus vergangenen Erfolgen und Fehlern lernen muss. In der Tat hat sich dieser internationale Lernprozess durch immer präzisere Evaluierungen auch verfestigt.
Auch die österreichische Entwicklungshilfe hat von diesem Lernprozess profitiert, denn Anfangs war deren Qualität katastrophal. Die Interessen des Geberlandes Österreich standen damals im Vordergrund, oft mit dem Ziel, die offizielle Entwicklungshilfe als Hilfe für den österreichischen Export zu instrumentalisieren. Industrieruinen markieren diese Fehlentwicklung und dieses Ignorieren von Interessen und Gegebenheiten in jenen Staaten, die von solcher Hilfe Nutzen ziehen sollten; so etwa eine nie genutzte Raffinerie in Mauretanien; ein durch Explosion vernichtetes Zellstoffwerk in Kamerun; eine völlig verschwundene offizielle Fischereiflotte in Nigeria; etc. Oft wurde auch der einfache Grundsatz verletzt, dass nicht geboten werden sollte, um das ein Hilfe – Empfängerland nicht ausdrücklich gebeten hätte. Ursprünglich war auch ein Gutteil der österreichischen Entwicklungshilfe „gebunden“. Sie erfolgte also in Form von Sachleistungen österreichischer Unternehmen.
Hier hat es, wie uns ein Kontrollorgan, das DAC ( Development Assistance Committee der OECD ) bestätigt, im Laufe der Jahre eine Veränderung hin zu Besserem gegeben. Der weitaus überwiegende Teil der Hilfe ist nicht länger „gebunden“. Man konzentriert sich auf einen stets enger definierten Kreis von „ Schwerpunktländern“; und auch auf Projekte in Bereichen, auf denen man meint, international Kompetenz anbieten zu können – im jetzt vorgelegten ODA Drei -Jahresprogramm etwa auf die Gebiete: Wasser, Energie, und Ernährungssicherheit, und Menschenrechte.
Aus sozialdemokratischer Sicht ist, trotz der Verbesserung in der Qualität der österreichischen Entwicklungshilfe, die jetzige Situation kritikwürdig und verbesserungsbedürftig. Vordringlich wäre vor allem:
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So wie in den meisten anderen europäischen Staaten – politische Verantwortung bei einem ausschließlich für Entwicklungshilfe verantwortlichen Staatssekretär6 oder Minister .
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Separater, vom Außenministerium und Bundesministerium für Finanzen getrennter Budgetansatz, und Kategorisierung von Entwicklungshilfe nicht als Ermessensausgabe sondern als gesetzliche Verpflichtung
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Nämliches sollte auch gelten für sämtliche nur formell freiwillige, aber de – facto politisch zwingende Beiträge zu humanitären Internationalen Organisation und Programmen
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Rechtlich verbindlicher Zeitplan für den Erreich des 0.7% Zieles
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Operationelle Stärkung der ADA, so dass diese nicht nur Aufgaben wieder an andere Organisationen weiter delegieren muss, sondern selbst abwickeln kann.
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Stärkere Verschränkung der Entwicklungshilfe – Tätigkeit von BMF und BMEIA – ADA. Idealer Weise sollte der zu bestimmende, politisch für Entwicklungshilfe Verantwortliche für beide Bereiche – BMEIA und BMF zusammen – zuständig sein7
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Anbindung an private Investitionsprojekte mit dem Ziel, diese verstärkt entwicklungswirksam zu machen – etwa durch Aufbau einer lokalen Zu – Liefer Kette – supply chain
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Finanzieller, organisatorischer und ausrüstungsmäßiger Ausbau der österreichischen Humanitären Hilfe; insbesondere auch in Verbindung mit österreichischen Beteiligungen an Friedenserhaltenden Operationen der UN oder der EU
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* Wie bei allen Artikeln am Blog der Sektion 8 handelt es sich um die persönliche Meinung des Autors. Offizielle Standpunkte der Sektion finden Sie auf unserer Homepage.
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1 Was zum Teil dadurch bedingt ist, dass sie zu Internationalen Organisationen Beiträge leisten, bei denen Österreich quasi Zwangsmitglied ist, und die ihrerseits oft sehr stark in Entwicklungshilfe involviert sind ( wie etwa die vom österreichischen „Lebensministerium“ mitfinanzierte Food and Agricultural Organisation – FAO; oder die vom Unterrichtsministerium mitfinanzierte UNESCO.
2 Die Drift vom BMEIA zum BMF, von bilateraler zu multilateraler Entwicklungshilfe ist in sich nicht kritikwürdig, da Österreich schlichtwegs die Kapazitäten fehlen, in anderen Staaten als seinen wenigen „Entwicklungshilfe – Schwerpunktländern“, und in anderen Bereichen als denen seiner inhaltlichen Schwerpunktsetzung, aufwendige Programme auf die Beine zu stellen und abzuwickeln. Es ist daher vorteilhaft sich im Wege über internationale Institutionen, finanziell oder andersartig an Projekten zu beteiligen die nur von mehreren Staaten gemeinsam getragen werden können.
3 Also noch in der Ära Kreisky – einem der prominentesten Proponenten von Solidarität zwischen den armen und reicheren Staaten der Welt. Ich selbst habe im Kabinett des damaligen Bundeskanzlers gearbeitet und weiß, dass der Bundeskanzleramt – Staatsekretär Adolf Nußbaumer von Kreisky – und der gesamten Regierung – ermächtigt wurde, dieses österreichische Versprechen offiziell zu deponieren. Aber auch in den folgenden, langen Jahren der Ära Kreisky ist man der Erfüllung dieser Zusagte nie auch nur nahe gekommen
4 Das ist die Anwendung des stark vereinfachenden und daher irreführenden „Cobb – Douglas“ Wirtschaftsmodells, dem zu Folge es nur zwei „Produktionsfaktoren, nämlich „Arbeit“ und „Kapital“ gäbe, wobei sich diese beiden Faktoren in gewissen Rahmen füreinander substituieren könnten; so dass man mit viel schlecht bezahlter Arbeit und wenig Kapital den gleichen Erfolg erzielen könnte, wie mit viel Kapital und wenig menschlicher Arbeit.
5 Im Nachkriegseuropa waren die sonstigen Voraussetzungen für einen raschen Wiederaufbau gegeben. Es fehlte lediglich an Kapital; welches dann eben im hohen Maße durch die Marshall Hilfe bereit gestellt wurde. In den meisten der heute armen Staaten sind diese übrigen Voraussetzungen für Wirtschaftswachstum ( wie Humankapital, Infrastruktur, institutionelle Ausstattung ) eben nicht gegeben; und einen Hilfe à la Marshall -Plan könnte daher in diesen Staaten auch nicht wirksam werden
6 Wir übersehen hier bewusst die juristische Spitzfindigkeit, dass gemäß der österreichischen Formal – Verfassung, nur Minister, nicht aber Staatssekretäre politisch verantwortlich sein können
7 Ein Vorschlag, formell im Widerspruch zu Ministerverantwortlichkeit, die eine mehrere Ressorts grenzüberschreitende politische Verantwortlichkeit ausschließt
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