Die Finanzkrise von 2008 scheint Anfang des Jahres 2011 großteils bewältigt. Die Einbrüche in den Bankbilanzen von 2009 wurden durch die Erträge von 2010 wieder wettgemacht und die Aktienkurse beginnen sich zu erholen. Die Weltöffentlichkeit steht bereits vor dem nächsten Problem – einer anhaltenden Wirtschaftskrise, einhergehend mit der hohen Verschuldung vieler westlicher Industriestaaten und Turbulenzen rund um den Euro in der Europäischen Union.
Miriam B*.Auf ihrem Höhepunkt bewegte die Finanzkrise Banken und Regierungen zu zahlreichen Reformversprechungen. Das lange Zeit vorherrschende Dogma des Washington Consensus1 mit seinen Maximen Deregulierung, Privatisierung und grenzenlose Marktfreiheit hatte augenscheinlich ihre Gültigkeit verloren – wirtschaftsliberale und monetaristische Chicago Boys besannen sich auf einmal auf John Maynard Keynes und Staatsinterventionismus. Die gelebten Geschäftsmodelle von Banken und Finanzinstituten wurden hinterfragt – die Frage nach der Grundfunktion und Aufgabe von Banken trat wieder in den Vordergrund. Internationale Institutionen und Staatengemeinschaften gaben genau wie einzelne Nationalstaaten zahlreiche Reformzusagen ab und erarbeiteten neue Regulierungskonzepte. Jetzt, da der Bankensektor seine Stabilität wiedergewonnen und der Schauplatz sich verlagert hat, stehen diese Versprechen auf dem Prüfstand – was ist aus den Plänen der G20, des IWF und der Europäischen Union einzelner Nationalstaaten wie den USA oder Deutschland geworden?
Fazit – eine nachhaltige und grundlegende Reform der Finanzarchitektur auf internationaler und nationaler Ebene ist mehrheitlich ausgeblieben. Die US-amerikanische demokratische Regierung legte mit dem Dodd-Frank Act2 den größten Eingriff in die US-Finanzregulierung seit des Glass-Steagall Actes3 von 1932/33 vor. Die viel umstrittene „Volcker-Rule“ sieht vor, dass Banken der Eigenhandel und das Investment in Hedgefonds und Private Equity Fonds untersagt wird. Der Frage des „too big to fail“ soll mit strengeren Kapital-, Fremdfinanzierungs-. Liquiditäts- und Risikomanagementanforderungen begegnet werden, sodass Kredit- und Finanzinstitutionen an Wachstum in Größe und Komplexität beschränkt werden. Zudem wird mit einer eigenen neuen Behörde der Konsumentenschutz gestärkt. Hinter der ursprünglichen Fassung des Reglungswerkes bleibt der letztendlich beschlossene Dodd-Frank Act dank Zugeständnissen an die Republikaner und der Bankenlobby weit zurück. In der Europäischen Union sind die Reformen noch im Gange, auch hier wurden jedoch in der Auseinandersetzung mit den Mitgliedsstaaten und Industrielobbyisten Vorschläge verwässert. Asien wurde von der Finanzkrise zwar ebenso getroffen, Hinweise über Finanzregulierungsinitiativen in asiatischen Ländern gibt es jedoch wenige.
Die begonnene Reflexion darüber, welchen Tätigkeiten Banken nachgehen dürfen sollten, wurde nicht zu Ende geführt. Mit welchen Parametern kann eine Angemessenheit des Verhältnisses zwischen Real- und Finanzwirtschaft behauptet werden? Wie ist ein Einklang zwischen Geschäftsmodell und adäquater Risikoadressierung zu erzielen? Und schließlich die für eine sich „links“ titulierende Wirtschafspolitik zentrale Frage – inwieweit verschuldete die Finanzdienstleistungsbranche eine ungerechtfertigte Ungleichverteilung zu ihren Gunsten und wie kann diese wieder ausgeglichen werden?
Die Finanzkrise bescherte der Öffentlichkeit die Sozialisierung ihrer Verluste, wo noch zuvor höchste Erträge privatisiert wurden. Nicht zuletzt wurden zur Rettung des Finanzsektors erhebliche nationale und internationale Mittel eingesetzt, die die Haushaltsbudgets der Staaten und damit die SteuerzahlerInnen stark belasteten. Doch erst ein Markt- und Aufsichtsversagen sowie ein strittiger Wirtschaftskurs haben dazu beigetragen, dass wir uns in einer Wirtschaftskrise befinden. Die Frage nach der gerechten Verteilung von Vermögen am Kapitalmarkt ist aktueller denn je. Die Finanzmarktteilnehmer dürfen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden. Grundsätze für eine nachhaltige Finanzmarktreform, die sich auf die Grundaufgaben von Banken rückbesinnt und gleichzeitig eine Korrektur ungerechtfertigter Ungleichverteilungen und Kapitalanhäufungen bewirkt, können wie folgt benannt werden:
– Finanzmärkte und Banken dienen der Realwirtschaft – nicht umgekehrt! Finanztransaktionen, die von der realen Gütersphäre völlig abgekoppelt sind und als Spekulationsgeschäfte nur im Finanzsystem stattfinden, unrealistische Bewertungen von Vermögensgegenständen und irreale Annahmen mangelnder Risikogeneigtheit von Geschäften zeigen an, dass die Finanzmärkte ihre Ursprungsfunktion innerhalb des Wirtschaftskreislaufes – das Zurverfügungstellen von Liquidität, Fristen zu transformieren und Risiken zu verteilen, nicht mehr ordentlich wahrnehmen konnten. Daher sollten alle Finanzmarktteilnehmer und –produkte angemessen reguliert und beaufsichtigt werden.
– Die Gefahren des „too big to fail“ zeigen sich bei übergroßen Kredit- und Finanzinstituten. Je größer eine Bank ist, desto weniger Risiko sollte sie in Relation zur Ihrer Größe übernehmen dürfen, desto besser muss ihr Risikomanagement sein und umso höhere Eigenkapitalvorschriften muss sie erfüllen. Geschäftsbanken sollen ähnlich der Volcker-Rule ausschließlich das Einlagen- und Kreditgeschäft ausüben dürfen und nicht wie Investmentbanken Handel mit Wertpapieren und Vermögensverwaltung betreiben.
– Gemäß dem Verursacherprinzip hat in erster Linie der Eigentümer für sein Finanzdienstleistungsunternehmen geradezustehen. Eine Rettung von Banken mit Steuergeldern soll nur bei systemrelevanten Banken und unter strengen Bedingungen wie etwa einer Stimmrechtsbeteiligung des Staates erfolgen. Ein europäisches oder internationales Krisenmanagement kann nur erfolgreich sein, wenn es verbindliche Vereinbarungen zur Kostenverteilung gibt. Auch nicht alle Kredit- und Finanzinstitute oder Versicherungsunternehmen müssen gerettet werden. Es bedarf eines Regimes zur Abwicklung grenzüberschreitend tätiger Bankengruppen, um moral hazard (dem Problem, dass Banken risikoreiche Geschäfte im Vertrauen darauf tätigen, dass ihnen notfalls von Staatsseite geholfen werden muss) hintanzustellen und eine Erhöhung der Verluste durch die derzeit voneinander abweichenden nationalen Insolvenzordnungen sowie der widerstrebenden nationalen Interesse verhindern zu können.
– Wirtschaftliche Stabilität liegt nicht nur in der Pflicht nationaler Regierungen, sondern auch in der der internationalen Staatengemeinschaft. Die gesellschaftliche Verantwortung und Kontrollfunktion für die Risiken, die von der Finanzindustrie ausgehen, müssen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft wahrgenommen und demokratisch legitimiert werden. Regulierung und Aufsicht des Finanzsektors sind weltweit fragmentiert und besitzen in der Regel keine bindende Wirkung gegenüber den Finanzmarktakteuren. Ein System einer Weltfinanzorganisation, das den Grundsätzen der Rechenschaftspflicht und Transparenz sowie der Effektivität entspricht, scheint zwar utopisch, sollte aber dennoch angestrebt werden. Auf EU-Ebene wurde mit 1.1.2011 ein europäisches Finanzaufsichtssystem eingerichtet, das nach langer Debatte zwischen den Mitgliedstaaten, der europäischen Kommission und dem Parlament sich doch zu einigen Befugnisse der neuen EU-Finanzmarktaufsichtsbehörden durchringen konnte. Die für eine effektive EU-Finanzaufsicht nötigen grundlegenden Durchgriffsrechte wurden ihnen jedoch nicht zuerkannt.
– Flankierend zu diesen Regulierungsvorschriften trägt auch die Einführung neuer Besteuerungsmaßnahmen zum Ausgleich ungerechter Vermögensverteilungen auf den Finanzmärkten bei. Mit der Einführung einer Stabilitätsabgabe wird eine Kostenbeteiligung von Banken, Finanzinstituten und Versicherungsinstituten am staatlichen Aufwand zu ihrer Rettung erreicht und dem Verursacherprinzip Rechnung getragen. Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer kann auch als Anreiz zur Eindämmung von Spekulationen dienen und Investments in die Realwirtschaft attraktiver machen.
Es bleibt abzuwarten, ob die von der Europäischen Union und den G20 getroffenen Maßnahmen ausreichen, die Auswüchse auf den Finanzmärkten einzudämmen und Gefährdungspotentiale bereits frühzeitig zu adressieren. Ganz sicher jedoch kann daran gezweifelt werden, dass SteuerzahlerInnen im Eventualfall nicht wieder mit den Verlusten von Finanzdienstleistungsunternehmen belastet werden. Auch an der nach wie vor bestehenden und sich weiterhin vergrößernden ungerechtfertigen Ungleichverteilung des Vermögens und der Erträge auf den Finanzmärkten wird sich in Zukunft mit den in dieser Form beschlossenen Neuregulierungen leider wenig ändern.
*arbeitet im Bereich der Finanzmarktregulierung
1 Der Begriff „Washington Consensus“ beschreibt ein Paket wirtschaftspolitischer Maßnahmen, die Strukturanpassungen in den lateinamerikanischen Staaten zu deren Stabilisierung im Zuge der Lateinamerika-Krise in den 90er Jahren vorsahen. Mit seinen Prinzipien der Steuersenkungen, Privatisierungen und Handelsliberalisierungen beschreibt er das wirtschaftsideologische Fundament des Neoliberalismus. Näheres auf Wikipedia.
2 Zusammenfassung der wichtigsten Änderungen unter http://banking.senate.gov/public/_files/070110_Dodd_Frank_Wall_Street_Reform_comprehensive_summary_Final.pdf.
3 Der Glass Steagall Act sah die Einführung eines Trennbankensystems zwischen Kommerz- und Investmentbankgeschäft vor und richtete mit der FDIC ein Einlagensicherungssystem ein. Das Trennbankensystem wurde schließlich unter Bill Clinton 1999 komplett aufgehoben. Zum Weiterlesen.
hallo miriam,
die von dir geforderten maßnahmen wie trennung in geschäfts- und invesmentbanken, eine neue insolvenzordnung und die finanztransaktionssteuer sind allesamt absolut unterstützenswert. es sind maßnahmen die darauf abzielen, die bereits ins finanzsystem gelangten mittel in geordnete bahnen zu lenken. also sozusagen ex-post maßnahmen. ich glaube aber auch die vermögensbesteuerung die du ansprichst ist von großer bedeutung, diese hat meiner auffassung einen ex ante charakter. durch die vermögenbesteuerung soll potentielles finanzvermögen schon vor seiner dementsprechenden verwendung dem staat oder über das umverteilende steuersystem jenen einkommensschichten zugeführt werden, die es in die realwirtschaft pumpen.
ich glaube es wäre wichtig noch einen schritt weiter zu gehen. die seit den 1970er-jahren nicht mehr an die produktivität gekoppelte lohnentwicklung hat zu einer enormen verteilung von lohn- zu kapitaleinkommen geführt. dadurch, dass der zinssatz in europa seit 30 jahren über dem wirtschaftswachsutm liegt, war es für wohlbahnende wie für konzerne im schnitt attrkativer ihre steigenden gewinne in die finanz- als in die realwirtschaft zu investieren. warscheinlich sind die drei wichtgsten ex-ante maßnahmen zur austrocknung der finanzmärkte:
– die von dir genannten steuerlichen maßnahmen im bereich der vermögensbesteueurng
– im bereich der lohnpolitik eine an die produktivität gekoppelte lohnentwicklung
– im bereich der geldpolitik ein zinssatz, der unter dem bip-wachstum liegt.
das bedeutet natürlich einen totalen bruch mit dem aktuellen politökonomischen regime…