Ein wirtschaftspolitischer Kommentar zum neuen SPÖ Parteiprogramm.
Das Diskussionspapier für das neue Grundsatzprogramm ist in Bezug auf die Wirtschaftspolitik ein Fortschritt zum letzten Parteiprogramm. Während das 1998er Programm einem Neoliberalismus mit menschlichem Antlitz huldigte, finden sich im neuen Entwurf wieder wirklich sozialdemokratische Positionen. Leider ist nicht immer klar, was diese Positionen für die konkrete Politik der SPÖ bedeuten werden, meint Josef Falkinger.*
Inhalt
Wohltuende Änderungen
Der neue Entwurf unterscheidet sich unter anderem in folgenden Punkten sehr wohltuend vom aktuell geltenden 1998er Programm:
Er enthält
- eine deutliche Kritik an der steigenden Vermögenskonzentration und ein ebenso deutliches Bekenntnis zu Vermögens- und Erbschaftssteuern,
- die Forderung nach einer Verkürzung der Arbeitszeit,
- ein Bekenntnis zu einer Lohnentwicklung, die mit Produktivitätszuwächsen einhergeht,
- die Forderung nach einer fairen Handelspolitik, die ökologische und soziale Standards berücksichtigt,
- die Forderung nach einer Demokratisierung des Wirtschaftslebens,
- einen Hinweis auf die Bedeutung von öffentlichem Eigentum in strategisch wichtigen Sektoren der Ökonomie,
- eine Kritik an der Orientierung ökonomischer Entscheidungen an kurzfristiger Profitmaximierung,
- eine Kritik an dem Versuch durch niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen Vorteile im internationalen Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte zu erringen,
- eine Kritik an der Abkoppelung der Finanzmärkte von der Realwirtschaft.
Die ersten drei Punkte dieser Liste sind klar. Bei der Forderung nach einer Demokratisierung des Wirtschaftslebens ergibt sich jedoch bereits die Frage, wie denn das genau funktionieren soll.[1]
Die Bedeutung öffentlichen Eigentums wird zwar erwähnt, allerdings ohne zugehörige konkrete Vorschläge. So fehlt beispielsweise der Verweis auf den öffentlichen Industriefonds (Österreichfonds) aus dem Plan A oder die Forderung nach einer öffentlichen Sperrminorität in systemrelevanten Betrieben, wie sie von der SPÖ sogar unter Viktor Klima noch vertreten wurde. Durch diesen Mangel an konkreten Aussagen hängt auch die Kritik am Shareholder Value Kapitalismus in der Luft. Denn auf die Frage, wie genau das Prinzip der kurzfristigen Profitmaximierung in der Wirtschaft eingedämmt werden kann, bleibt das Diskussionspapier eine Antwort schuldig.
Was soll das neue Programm leisten?
Ein Parteiprogramm sollte meines Erachtens zwei Dinge leisten. Erstens die zentralen Probleme der Zeit ansprechen. Zweitens aufzeigen, dass Politik mit bestimmten Maßnahmen konkrete Lösungen zu diesen Fragen finden kann. Wie ich meine, gelingt ersteres sehr gut, auch in einer recht ansprechenden Sprache. Die Antworten auf die Probleme gehen ebenfalls in die richtige Richtung. Aber es fehlt an klaren Konzepten und kraftvollen Ansagen, die echten Veränderungswillen deutlich machen. Das ist schade. Denn es geht hier um die Glaubwürdigkeit, ob es sich bei Begriffen wie Wirtschaftsdemokratie nur um Floskeln handelt oder um ernstgemeinte politische Ziele, ob die Kritik am kurzfristigen Profitstreben nur ein Ausdruck von Sentimentalität ist, oder ob tatsächlich Alternativen angestrebt werden. In Wirklichkeit ist genau das aber die Schicksalsfrage der Sozialdemokratie im 21 Jahrhundert. Können wir deutlich machen, dass auch unter den Bedingungen globaler Märkte echte politische Veränderung möglich ist? Können demokratische Entscheidungsprozesse – die nun einmal auf der nationalen Ebene stattfinden – überhaupt noch gestaltende Wirkung im Sinne einer wirklich sozialdemokratischen Wirtschaftspolitik entfalten?
Um hier wieder Glaubwürdigkeit zu entwickeln, brauchen wir klare Aussagen darüber was wir erreichen wollen und wie wir es erreichen wollen –gerade auch im Parteiprogramm. Bevor ich im Folgenden einige wirtschaftspolitische Konzepte etwas näher beleuchte, möchte ich noch ein Thema behandeln, das mir in Hinblick auf die konkrete Herangehensweise sozialdemokratischer Politik entscheidend erscheint: Das Verhältnis von Europapolitik und österreichischer Politik.
Handlungsspielraum zurückerobern
Wie das Diskussionspapier richtig feststellt, erlebten viele Menschen in den letzten drei Jahrzehnten ein zunehmendes Gefühl des Kontrollverlustes, vielfach verbunden mit einem Verlust an Würde und einem Verlust an Stolz. Es machte sich die Meinung breit, dass die Politik unter den Bedingungen der Globalisierung ohnehin keinen Gestaltungsspielraum mehr besitze. Diese Meinung ist auch durch die Politik der Sozialdemokratie selbst immer wieder bestärkt worden. Denken wir beispielsweise an die Zustimmung der Sozialdemokratie zu CETA. Die Zustimmung wurde vor allem so argumentiert, dass die Handelspolitik nicht mehr auf nationaler Ebene bestimmt werden könne, sondern auf europäischer Ebene beschlossen werden müsse. Mit dieser Argumentation wurde ein demokratischer Entscheidungsprozess auf nationaler Ebene – der Mitgliederentscheid – außer Kraft gesetzt.
CETA und der damit verbundene Umfaller der SPÖ ist dabei nur Ausdruck eines grundsätzlicheren Problems, auf das die Sozialdemokratie immer wieder stößt: Wie viele Entscheidungen können überhaupt noch auf nationaler Ebene getroffen werden? Diese Frage ist umso brisanter als es auf supranationaler Ebene überhaupt keine wirklich demokratischen Entscheidungsebenen gibt.
Das 1998er Parteiprogramm beantwortete diese Frage in etwa so: Ja es stimmt, auf nationaler Ebene geht gar nichts mehr. Große soziale Reformen kann es nur noch auf der europäischen Ebene geben. Das Problem an dieser Herangehensweise ist, dass Wahlen noch immer auf der nationalen Ebene geschlagen werden. Auf nationaler Ebene bei einer Wahl antreten und sagen, dass echte Veränderung auf dieser Ebene gar nicht möglich sei, ist ein denkbar unattraktiver Standpunkt. Werden aber nationale Wahlen von der Sozialdemokratie verloren, rückt auch das progressive Europa in immer weitere Ferne. Eine Mantra-artige Beschwörung von Europa durch SozialdemokratInnen wie Martin Schulz wirkt auf Wählerinnen und Wähler als verzweifelte Ratlosigkeit gegenüber dem im Hier und Jetzt Machbaren.
Europa antreiben
Europa kann sich in Wirklichkeit nur bewegen, wenn zuerst einzelne Länder auf nationalstaatlicher Ebene neue Perspektiven eröffnen und mit einer „Koalition der Willigen“ weiterbearbeiten. Selbstverständlich können die großen Probleme der Zeit nur auf europäischer und internationaler Ebene einer nachhaltigen Lösung zugeführt werden. Aber sie müssen im Hier und Jetzt mit Verve angegangen werden.
Die Sozialdemokratie muss deutlich machen, dass sie die einzige real-existierende demokratische Ebene, die es heute gibt – die nationalstaatliche Ebene – zu nutzen versteht. Und zwar, um einerseits Schutzmacht der arbeitenden Menschen zu sein[2] und andererseits eine Brücke der Hoffnung in eine bessere Welt zu schlagen. Die Sozialdemokratie muss glaubwürdig vermitteln, dass sie für arbeitende Menschen das einzige valide politische Instrument ist, um die Kontrolle, die Würde und den Stolz zurückzuerobern. Die Menschen müssen sehen, dass die Sozialdemokratie im Einsatz für die Wirkmächtigkeit der demokratischen Entscheidung, im Einsatz für das Primat des Politischen bereits auf der nationalstaatlichen Ebene den Multis und den Finanzmärkten die Stirn bietet, damit sie wieder Vertrauen fassen können und den Glauben an die Sozialdemokratie zurückgewinnen. Dazu braucht es aber konkrete Konzepte im Hier und Jetzt.
Fairer Handel
Das Diskussionspapier legt ganz richtig dar, warum ökologische und soziale Kriterien in der Handelspolitik eine Rolle spielen müssen. Diese Grundsätze werden aber unglaubwürdig, wenn die Sozialdemokratie nicht zu gleich Entschlossenheit zeigt, auch auf österreichischer Ebene zu handeln und dies auch im Parteiprogramm deutlich macht. CETA darf nicht unterstützt werden. Das Argument, dass wir uns bei einem Nichtunterzeichnen in Europa isolieren, ist im Sinne der oben beschriebenen postdemokratischen Entmutigung[3] und der allgemein verbreiteten Resignation gegenüber der Politik geradezu toxisch.
Österreich sollte aber nicht nur Handelsverträge blockieren, sondern aktiv – wenn auch zuerst im kleinen Rahmen – positive Beispiele für faire Handelsverträge neuen Typs schaffen. Österreich könnte beispielsweise faire Handelsverträge und Verträge über wirtschaftliche Kooperation auf Augenhöhe mit einzelnen afrikanischen Staaten abschließen. Fairer Handel und wirtschaftliche Kooperation auf Augenhöhe sollten als zentrales Element sozialdemokratischer Friedens- und Sicherheitspolitik und als echte Fluchtursachenbekämpfung gesehen werden.
Die Sozialdemokratie muss gleichzeitig darlegen, wie große Agrarmultis wie Monsanto die ökonomischen Strukturen in Afrika zersetzen, die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas blockieren und damit neue Wellen von Massenmigration provozieren.
Steuerflucht bekämpfen
In der Frage des Kampfes gegen Steuerflucht gibt es sehr konkrete Vorschläge der SPÖ, die bereits seit Frühjahr 2017 in einem Maßnahmenkatalog vorliegen:
- Die steuerliche Nicht-Anerkennung von Briefkastenfirmen in Steueroasen. Zahlungen an konzerneigene Briefkastenfirmen können dann nicht mehr von der österreichischen Körperschaftssteuer abgesetzt werden.
- Strafzuschläge für Gewinnverschiebungen, die bei der Großbetriebsprüfung aufgedeckt werden.
- Besserer Schutz für Whistleblower.
- Veröffentlichung des Country-by Country Reports. Es wird veröffentlicht, wo Konzerne wirtschaftliche aktiv sind und wo sie welche Steuer zahlen.
Zudem setzt sich die SPÖ für eine Personalaufstockung in der Großbetriebsprüfung der Finanzpolizei ein. Der entscheidende Unterschied der SPÖ zu ÖVP und FPÖ ist jedoch, dass die Sozialdemokratie mit der Umsetzung dieser Gesetze nicht auf eine europäische Lösung warten will.
Es wäre meines Erachtens wichtig, diesen wesentlichen Unterschied im Parteiprogramm herauszustreichen und die konkreten Forderungen punkto Steuerflucht zu erwähnen.
Die Formulierungen zum Thema Steuerflucht könnten in der unverbindlichen und allgemeinen Form, wie sie sich aktuell im Diskussionspapier finden, genauso auch in einem Programm von FPÖ und ÖVP stehen. Die Sozialdemokratie kann hier deutlicher machen, dass der Kampf gegen Steuerflucht bei ihr kein Lippenbekenntnis ist.
Den großen Konzernen konkret die Stirn bieten
Das Diskussionspapier spricht sich völlig zu Recht gegen eine Wirtschaftsordnung aus, die sich mit Haut und Haar der kurzfristigen Profitmaximierung verschreibt. Es ist die Rede von der Demokratisierung des Wirtschaftslebens. Leider wird nicht ausgeführt, was das bedeutet. Die Jagd nach dem kurzfristigen Profit gefährdet in Wirklichkeit unseren Wirtschaftsstandort gleich in dreifacher Weise:
- Wie gehen wir damit um, wenn beispielsweise die VOEST damit droht, den Hochofen nicht mehr in Linz zu bauen, weil das Lohnniveau nicht gesenkt und Umweltstandards nicht aufgelockert werden?
- Wie gehen wir damit um, wenn internationale Großkonzerne Herzstücke der Österreichischen Industrie aufkaufen und gegen die österreichischen Interessen ihre eigenen strategischen Interessen durchsetzen wollen? Man denke an den Fall der Telekom, die vom mexikanischen Milliardär Carlos Slim gekauft wurde oder an die ehemalige Chemie Linz, die mittlerweile über Borealis den Vereinigten Arabischen Emiraten gehört.
- Was tun wir, wenn Unternehmen ihre Rekordgewinne lediglich in Form von Dividenden und Rückkauf der eigenen Aktien an die Kapitalbesitzer weitergeben und mit einer Zurückhaltung von notwendigen Investitionen die Zukunft der Arbeitsplätze aufs Spiel setzen?
In Wirklichkeit gibt es zwei ganz konkrete Maßnahmen, die dem Shareholder Value Prinzip der kurzfristigen Profitmaximierung bestimmte Grenzen setzen können. Zum einen ein Ausbau der innerbetrieblichen Mitbestimmung nach dem Vorbild der deutschen metallverarbeitenden Industrie. Dort sind die Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsrates Arbeitnehmervertreter – nebenbei auf Grund der niedrigen Dividendenausschüttungen und der hohen Investitionsrate ein wesentlicher Grund, warum die deutsche metallverarbeitende Industrie zur Weltspitze aufgestiegen ist.
Zum anderen geht es darum, dass es in Leitbetrieben, die von strategischem Interesse für den österreichischen Wirtschaftsstandard sind – Betriebe, die sozusagen systemrelevant sind – eine öffentliche Beteiligung geben sollte, um Abwanderung, übermäßige Gewinnausschüttungen und einen Aufkauf durch internationale Großkonzerne oder Heuschreckenfonds zu verhindern.
Im Plan A findet sich dazu die ausgezeichnete Idee eines österreichischen Industriefonds. Dieser Fonds soll, wenn strategische österreichische Interessen gefährdet sind, Beteiligungen erwerben können. Er soll die Gewinne aus den Beteiligungen in Unternehmen, auch Start-ups, investieren können.
Für einen Ausbau des Sozialstaats
Wenn die Sozialdemokratie in den kommenden Jahren als soziale Alternative Glaubwürdigkeit erhalten möchte, dann muss sie zur neoliberalen Kürzungspolitik ein klares Gegenmodell anbieten, das arbeitenden Menschen aber auch der Mittelschicht neue Hoffnung in die Zukunft gibt.
Dieses Modell kann nicht in einem bloßen Ende der Kürzungspolitik bestehen – das würde keine neuen Perspektiven aufzeigen. Das Diskussionspapier erwähnt zwar auch eine „Weiterentwicklung des Sozialstaates“ und es ist vom Kampf für einen „exzellenten Sozialstaat“ die Rede. Diese Formulierungen halte ich jedoch für zu vage und ausweichend: Der sozialdemokratische Gegenentwurf muss sich ganz klar zu einer Expansion des Sozialstaats bekennen.
Unser Land braucht mehr Kindergärten, besser bezahlte Kindergärtnerinnen und Kindergärtner, mehr Nachmittagsbetreuung in den Schulen. Wir brauchen mehr SozialarbeiterInnen und PsychologInnen in Schulen, um die Lehrkräfte für den Unterricht freizuschaufeln. Die Ansprüche an das Gesundheitssystem werden auf Grund der steigenden Lebenserwartung und der Fortschritte in den Behandlungsmethoden immer größer. Menschen werden länger pflegebedürftig sein. Die jüngere Generation bleibt immer länger in Ausbildung. Wird eine Gesellschaft wohlhabender und gleichberechtigter, steigt die Teilnahme am Arbeitsmarkt. Auch damit nimmt die Notwendigkeit von öffentlicher Kinderbetreuung und Nachmittagsbetreuung, aber auch die Notwendigkeit professioneller Pflege zu.
Das bedeutet, dass Sozialstaat und öffentlicher Sektor wachsen müssen, dass eine sinkende Staatsquote, wie sie von der Industriellenvereinigung gefordert wird, nur um den Preis eines dramatischen Einbruchs am Lebensstandard zu haben ist. Die Sozialdemokratie darf dieser Diskussion nicht ausweichen. Sie muss sie offensiv führen und gewinnen.
Steigender Wohlstand braucht mehr öffentliche Dienstleistungen
Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser sind nicht nur staatliche Dienstleistungen, sie sind auch personalintensiv. LehrerInnen, KindergärtnerInnen, AltenbetreuerInnen werden hoffentlich auch in 20 Jahren noch keine Roboter sein. Daher wird ein Mehr an öffentlichen Diensten notwendigerweise auch in Zukunft mit einem Mehr an Personalkosten verbunden sein, während in der Industrie ein und dasselbe Gut mit immer weniger Arbeitskräften herstellbar ist. In der Industrie können arbeitsintensive Bereiche in Billiglohnländer ausgelagert werden. Genau das ist aber bei staatlichen Dienstleistungen nicht möglich. Das bedeutet: Die Staatsquote, der Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt, wird mit steigendem Wohlstand beziehungsweise steigender Teilhabe von immer mehr Menschen am Wohlstand steigen müssen.
Ein Vergleich europäischer Länder zeigt, dass die wohlhabendsten Länder Europas, die auch in Bezug auf den Index des sozialen Fortschritts führen, gleichzeitig auch die Länder mit der höchsten Staatsquote (2015) sind: Dänemark (55,7%) und Finnland (58,3%)[4] . Österreich liegt mit einer Staatsquote von 51% auf Platz 13.
Steigender Wohlstand muss finanziert werden
Aus der Notwendigkeit, den Sozialstaat auszubauen, folgt eine weitere: Wenn wir Österreich nicht in Schulden stürzen wollen, die noch unsere Enkelkinder belasten, dann müssen wir diese Staatsausgaben finanzieren. Das wird nur mit Hilfe einer gerechtere Beteiligung der reichsten Einkommens- und Vermögensgruppen an der Finanzierung des Sozialausbaus gehen, während die Besteuerung für 90% der Bevölkerung nicht erhöht werden sollte.[5] Diese 90% sind wichtig, da der Ausbau des Sozialstaats und der Infrastruktur ein Projekt sein muss, das den arbeitenden Menschen und der Mittelschicht unmittelbar nützt. Mittelbar werden auch die reichsten 10% etwas von diesem Projekt haben, da sie im Gegenzug für ein gesteigertes Steueraufkommen in einem sichereren und glücklicheren Land leben können, indem die Freiheit der Menschen nicht durch einen steigenden Zerfall der gesellschaftlichen Strukturen gefährdet ist.
Lange hat sich die Sozialdemokratie als Kraft präsentierte, die wie der politische Gegner ebenfalls für sinkende Staatsausgaben steht, lediglich mit Augenmaß. Diese Selbstdarstellung als moderate Konservative hilft meines Erachtens den Konservativen und hält uns davon ab, unsere eigene, bessere Geschichte zu erzählen.
Regulierung der Finanzmärkte
In Bezug auf den Finanzmarkt formuliert das Diskussionspapier folgende Forderungen: „Finanzmärkte dürfen sich nicht mehr verselbständigen“, „Banken müssen so strukturiert und kapitalisiert sein, dass ein Kursverfall von Vermögenswerten keine katastrophalen Folgen für die Realwirtschaft hat.“ Die erste Forderung ist meines Erachtens nicht nachvollziehbar, denn die Finanzmärkte, die Börsen aber auch die Anleihenmärkte und der Handel mit toxischen Wertpapieren sind heute so verselbstständigt wie eh und je.[6]
Die zweite Forderung, dass sich die österreichischen Banken so stark mit Eigenkapital ausstatten und so umstrukturieren müssen, dass sie eine Finanzkrise sicher überstehen, macht Sinn, muss aber von den bislang gültigen, völlig unzureichenden Regulierungsversuchen viel schärfer abgegrenzt werden.
Führende Bankökonomen wie Martin Hellwig sind der Meinung, dass eine Bank eine Eigenkapitalquote in der Höhe eines Industriebetriebes brauche, um ähnlich sicher zu sein.[7] Zudem müssten Banken zur Berechnung der Eigenkapitalquote, das Eigenkapital in ein Verhältnis zu ihren gesamten Passiva stellen und nicht – wie aktuell üblich – zu einer sogenannten risikogewichteten Bilanz. Würden Banken ausreichend hohe Eigenkapitalpolster aufbauen[8], dürften sie jahrelang keine Gewinne mehr ausschütten. Welcher Aktionär würde in so eine Bank investieren?
Daher braucht es jedenfalls für die systemrelevanten österreichischen Banken ein neues Geschäftsmodell, wenn nicht wieder der Steuerzahler für ihre Rettung aufkommen soll.
Banken sollen der Allgemeinheit dienen
Wollen wir wirklich sichere Banken haben, die der Realwirtschaft dienen, sollten wir zurückkehren zu einem sicheren System gemeinnütziger Banken. Zweckmäßig wäre eine Mischung aus Sparkassen, Landesbanken und Genossenschaftsbanken, deren Geschäftsführung – anders als in den letzten 25 Jahren! – wieder der Gemeinnützigkeit und dem traditionellen Bankgeschäft in Österreich verpflichtet werden.[9] Daneben kann es durchaus noch Privatbanken geben. Diese dürften aber nicht so groß werden, dass sie Systemrelevanz bekommen und sie könnten nicht mehr mit einer Rettung durch den Steuerzahler rechnen. Die Allgemeinheit sollte nur noch das Risiko für Banken tragen, die auch der Allgemeinheit dienen, denn selbst in der neoliberalen Wirtschaftstheorie sollte der Risikoträger auch der Eigentümer sein.
Ein System von gemeinnützigen Banken ist zudem essentiell wenn es darum geht, genug Kapital für innovative Projekte mit langem Investitionshorizont aufzutreiben. Die Ökonomin Mariana Mazzuacto hat gezeigt, dass sich eine erfolgreiche Start-Up-Szene, aber auch erfolgreiche, innovative Industrie-Cluster nur dann entwickeln können, wenn es irgendeine Form von öffentlichem Kreditgeber gibt, der bereit ist auf längere Frist Geld vorzustrecken, ohne eine schnelle Rendite zu erwarten – sogenanntes geduldiges Kapital (patient capital).[10] Besonders viel geduldiges Kapital braucht es, um den dringend notwendigen Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter zu bewältigen. Sogar Bill Gates geht davon aus, dass es einen Investitionshorizont von 20 Jahren braucht, den nur staatliche Akteure aufbringen können.[11]
Menschen brennen nicht für Kompromisse
Am Beginn seiner Amtszeit hat Christian Kern etwas sehr Richtiges gesagt: „Menschen brennen nicht für Kompromisse!“ Die sozialdemokratischen Grundsätze und Ideale sind in der heutigen Welt so aktuell wie eh und je. Das System der kurzfristigen Profitmaximierung bedroht die Zukunft unseres Planeten, die steigende Ungleichheit gefährdet die Demokratie und ökonomische Ausbeutung des globalen Südens setzt nie dagewesene Migrationsbewegungen in Gang.
Jetzt gilt es zu zeigen, dass wir Konzepte haben, wie wir die Jäger nach dem schnellen Profit tatsächlich in die Schranken weisen, wie wir die ökonomische Entwicklung wieder an den nachhaltigen Bedürfnissen der Bevölkerung ausrichten und die Finanzmärkte zu Dienern der Realwirtschaft machen. Es gilt deutlich zu machen, dass wir nicht auf Europa warten, bis wir den Menschen wieder in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen, dass wir im Hier und Jetzt Schritte setzen, auch dann, wenn es dafür in der Europäischen Union noch keine Mehrheit gibt, und dass wir in Europa, aber auch auf anderen Kontinenten Bündnispartner suchen, im Kampf für eine Welt, in der nicht der Profit, sondern der menschlichen Bedürfnisse im Zentrum stehen.
*Josef Falkinger ist Volkswirt und engagiert sich in der Sektion 8 der SPÖ Alsergrund.
[1] Die Losung ist dem Parteiprogramm 1978 entnommen, nicht aber mit den damit verbundenen konkreten Konzepten, wie dem Ausbau der betrieblichen Mitbestimmung. 50% der Aufsichtsratsmitglieder sollen laut Parteiprogramm 1978 wie in der deutschen Metallindustrie von VertreterInnen der Beschäftigten gestellt werden.
[2] Es gibt bereits ein Beispiel, wo die Herangehensweise – Nicht auf Europa zu warten – von der SPÖ gut umgesetzt wurde: das Gesetz gegen Lohn- und Sozialdumping. Die Generalunternehmerhaftung ist verbunden mit den ergänzenden Maßnahmen ein sehr gutes Instrument, um trotz offener Grenzen wirksamer gegen Lohn- und Sozialdumping vorzugehen.
[3] Unter Postdemokratie wird ein Zustand verstanden in dem auf Grund von übermächtigen Sachzwängen keine echten politischen Veränderungen durch Wahlen möglich sind.
[4] Der Ökonom Adolph Wagner wusste bereits vor über 100 Jahren, dass steigender gesellschaftlicher Wohlstand zwangsläufig mit steigenden Staatsausgaben verbunden ist. Das Wagnersche Gesetz ist nach ihm benannt.
[5] In Wirklichkeit sind verschiedene Maßnahmen denkbar: erstens Vermögenssteuern (mit großem Freibetrag), zweitens Erbschaftssteuern (mit großem Freibetrag), drittens 60% und 70% Einkommenssteuersatz für Höchsteinkommen, viertens die Bekämpfung der Steuerhinterziehung durch einen massiven Ausbau der Finanzpolizei und die Ausweitung der Prüfungen mit steigender Firmengröße, fünftens die unilaterale Umsetzung der im Regierungsprogramm 2016 beschlossenen Maßnahmen gegen Steuerflucht.
[6] Ursache des dramatischen Anstiegs der Vermögenswerte während der letzten Jahre ist nicht die realökonomische Entwicklung, sondern vielmehr die Nullzinspolitik der Zentralbanken. Darüber hinaus haben die Zentralbanken im Ausmaß von einigen Billionen € öffentlichen Gelder Wertpapiere aufgekauft. (quantitative easing).
[7] Vergleiche Anat Admati, Martin Hellwig: Des Bankers neue Kleider FBV, 2013,
Eine Kurzfassung der Ideen dieses Buches findet sich hier: https://www.awblog.at/wie-stabil-sind-unsere-banken-wirklich/ Admati und Hellwig kritisieren an der herrschenden Bankenregulierung vor allem, das noch immer eine verkürzte risikogewichtete Bilanz herangezogen wird, um das nötige Eigenkapital zu bestimmen und notwendige Umstrukturierungen zu ermitteln.
[8] Der Bankökonom Martin Hellwig ist der Frage nachgegangen, warum Banken heute überhaupt mit wesentlich geringerem Eigenkapital operieren wie beispielsweise Industriebetriebe und trotzdem ihre Kreditwürdigkeit nicht verlieren. Er hat nur eine Antwort gefunden: Sie können auf Grund ihrer Systemrelevanz damit rechnen, vom Staat gerettet zu werden.
[9] In Wirklichkeit ist Österreich so lange gut mit seinen Banken gefahren, so lange die österreichische Bankenlandschaft aus gemeinnützigen Sparkassen, Landesbanken und Genossenschaftsbanken bestand, die sich auf ein bodenständiges Kreditgeschäft gestützt haben, um die Entwicklung der Realökonomie zu unterstützen. Diese Idylle endete, als sich ab den 1980er die Banken trotz ihrer gemeinnützigen Träger (Gewerkschaft, Genossenschaft, Land) mehr und mehr nach dem Vorbild profitmaximierender Aktiengemeinschaften aus dem angelsächsischen Welt orientierten, in ihren Satzungen den gemeinnützigen Zweck aufgaben und einen Expansionskurs einschlugen. Mit zum Teil verheerenden Folgen. Den deutschen Sparkassen hingegen, die sich anders als die Landesbanken dieser Veränderung widersetzten, konnte die Finanzkrise kaum etwas anhaben.
[10] Siehe auch Mariana Mazzucato, Das Kapital des Staates, Kunstmann 2014. Eine kürzere Darstellung dieser Idee findet sich hier: http://blog.sektionacht.at/wp-content/uploads/2017/02/Staat-oder-Markt_Falkinger.pdf
[11] Bill Gates sagte in einem Interview mit The Atlantic, dass nur der Sozialismus das Klima retten könne: https://www.theatlantic.com/magazine/archive/2015/11/we-need-an-energy-miracle/407881/
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