Die Stadt Wien bzw die Wiener Linien vergeben jeweils für ein Jahr die Genehmigung an die Gratiszeitungsinhaber, die Gratiszeitungsboxen gegen ein gewisses Entgelt aufstellen zu dürfen. Wir fordern in einem Antrag beim Landesparteitag am 29.04.2017, dass diese Genehmigungen nicht mehr verlängert werden. Hier erklären wir anhand von sechs Gründen, warum wir dies fordern.
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Öffentlicher Raum soll nicht der Profitmaximierung von privaten Firmen dienen
Öffentlicher Raum ist ein wertvolles Gut. Seien es Wiens öffentliche Parks, konsumfreie Räume wie der Innenhof des Museumsquartiers oder auch das öffentliche Verkehrsnetz Wiens, dieses Gemeingut gehört uns allen – es wird jedoch von der Stadt Wien im Sinne seiner BewohnerInnen verwaltet. Dass auch private Unternehmen versuchen den öffentlichen Raum gewinnbringend für ihre Zwecke zu nutzen, ist nichts Neues. Besonders vielfrequentierte Bereiche wie die Wiener Linien sind ein begehrtes Ziel, um hier Werbung zu platzieren.
Gratiszeitungen heißen zwar so, in Wirklichkeit bezahlen die LeserInnen jedoch sehr wohl einen Preis: um die spärlichen redaktionellen Inhalte zu konsumieren, nehmen sie große Mengen an Werbung in Kauf. Das Geschäftsmodell der Gratiszeitungen ist denkbar einfach: Nur wenn die Einnahmen aus den Inserate-Erlösen größer als die Kosten für redaktionelle Inhalte, Druck und Vertrieb sind, ist die Zeitung profitabel. Je größer die Auflage der Gratiszeitung ist, desto teurer sind die Inserateschaltungen und desto höher sind die damit verbundenen Erlöse. Bei vorhandenen Inhalten und geringen Vertriebskosten ist jede zusätzlich aufgestellte Entnahmebox also eine Art Gelddruckmaschine. Kein Wunder also, dass “Österreich” und “heute” ihre Boxen an möglichst vielen Standorten aufstellen wollen. Wieviel Geld mit den Boxen gemacht wird, haben wir überschlagsmäßig in einem Blogbeitrag ausgerechnet: mit den Informationen aus einem OGH Entscheid und einigen weiteren, vorsichtigen Annahmen, kommen wir auf über 70.000€ Netto-Werbeeinnahmen täglich durch Inserate für die Medieninhaber – ermöglicht durch den Zugang zum öffentlichen Raum Wiens.
Zugleich genießen die beiden MedieninhaberInnen einen privilegierten Zugang zur “Ressource öffentlicher Raum”, der anderen Printmedien verwehrt bleibt. Entnahmeboxen innerhalb der Ubahnstationen darf überhaupt nur die “Heute” aufstellen. Die Verträge zwischen der Stadt Wien/Wiener Linien und den MedieninhaberInnen sind öffentlich leider nicht einsehbar.
Werbeplakate im öffentlichen Raum sind streng reglementiert, Flyer-Verteilen im öffentlichen Raum ist nur nach Genehmigung erlaubt, niemand würde wollen, dass jeder Baum und jedes Bankerl im Park mit Werbung zuplakatiert würde. Aber Gratisblätter – die sich ebenso rein über Werbung finanzieren – dürfen an jeder Ubahnstation, an jeder Straßenecke zu Hunderten aufliegen? Wir sehen hier ein nicht gerechtfertigtes Ungleichgewicht.
Gratiszeitungen, welche sich (fast) ausschließlich über Inserate finanzieren, haben ein spezielles Interesse an reißerischen Schlagzeilen
Bezahlzeitungen müssen der Erwartungshaltung ihrer LeserInnen gerecht werden, etwas für ihr Geld geboten zu bekommen. Sogenannte Qualitätszeitungen versuchen ihre LeserInnen mit fundierter Berichterstattung, Hintergrundinformationen, differenzierten Analysen oder sonstigen Alleinstellungsmerkmalen an sich zu binden.
Für Gratisblätter ist es hingegen am wichtigsten, Aufsehen zu erregen. Der kurze Moment, in dem Passanten entscheiden, ob sie das Blatt aus der Box nehmen, muss durch eine Schlagzeile oder durch ein Titelbild genutzt werden, um die Aufmerksamkeit der Passanten zu fesseln. Aus dieser Aufmerksamkeits-Maximierungs-Strategie resultieren oftmals verkürzte Darstellungsweisen, auch alarmistische oder gar hetzerische Berichterstattung eignen sich gut, um Aufmerksamkeit zu generieren.
Im Interview, betitelt mit “Wir bringen, was zieht”, plaudert Niki Fellner, Sohn von Österreich Herausgeber Wolfgang Fellner und Geschäftsführer der Online-Version von “Österreich”, oe24.at, frei von der Leber weg. Niki Fellner wird im Interview damit konfrontiert, die journalistische Verantwortung zu vernachlässigen, den LeserInnen eine Einordnung von Informationen und Geschehnissen zu ermöglichen. (Ein Beispiel für eine fehlende Einordnung ist die immer wieder aufgewärmte “Kriminalitäts-Explosion”, die sich in den Statistiken in der behaupteten Heftigkeit nicht wiederfindet.) Statt der Bereitstellung von Hintergrundwissen und Einordenbarkeit herrsche Daueralarm. Der Tenor von Fellner’s Antworten lautet: “Wir konzentrieren uns auf Facebook auf jene Geschichten, die zu Interaktion und Traffic führen.” Mittels Datenjournalismus werden Trend-Themen auf sozialen Medien aufgespürt, über welche dann berichtet wird – weiters wird darauf geachtet, dass die emotionale Komponente nicht zu kurz komme.
Das Interview betrifft zwar explizit die Online-Variante oe24.at, welche sich viele, aber nicht alle Artikel mit der Printversion von “Österreich” teilt. Doch nach eingehendem Studium der Printvariante kommen wir zu der Einschätzung, dass auch die Berichterstattung in der Printvariante von Österreich auf die Maximierung von “Offline-Klicks”, nämlich Entnahmen aus den Boxen, ausgerichtet ist.
Sexismus
„Sex sells”, diese alte Weisheit gilt selbst dann, wenn das Produkt verschenkt und nicht verkauft wird. Immerhin geht es darum, die Passanten dazu zu verleiten, ein Zeitungsexemplar aus der Entnahmebox mitzunehmen, und was eignet sich dafür besser als eine Frau in sexuell aufreizender Pose?
Mit einer faktenbasierten Berichterstattung hat es nichts mehr zu tun, wenn eine halbnackte Frau auf Ski dazu dienen muss, den Wintereinbruch zu verbildlichen. Oder wenn die Nachricht über das gestohlene Lenkrad einer Sportlerin mit dem Foto des leicht bekleideten Diebstahl-Opfers illustriert wird. Und wenn ein Stalking-Opfer in der Schlagzeile “Sex-Sklavin” genannt wird, übernimmt „Österreich“ damit die Ausdrucksweise des Täters, dem Opfer wird mit dieser Schlagzeile der Status als Person samt Persönlichkeitsrechten aberkannt.
Besonders beliebt ist auch, “heiße” Bilder abzudrucken, die Frauen von sich selbst auf Instagram gestellt haben. Das Argument, dass sich diese ja selbst als sexualisiertes Objekt präsentieren, hält nicht: Denn die Zeitung trifft die Auswahl, welche Bilder abgedruckt werden – Bilder von Frauen, die als handelndes Subjekt statt als gehandeltes Objekt auftreten, gäbe es genug, doch sie schaffen es kaum in die Zeitungen.
Die Auswirkungen der konstanten Konfrontation mit sexulisierter und objektifizierender Darstellung besonders auf junge Frauen sind wohl bekannt und studiert: Essstörungen, vermindertes Selbstwertgefühl, Depressionen, etc. [1]. Es dürfte auch dem Respekt von Männern – egal ob einheimisch oder zugewandert – gegenüber Frauen kaum förderlich sein, wenn Frauen ununterbrochen als sexualisierte Objekte, willig und allzeit zu Diensten, präsentiert werden.
Durch die Gratiszeitungsboxen im öffentlichen Raum wird die Verbreitung eines derartigen Frauenbilds auch noch gefördert. Kinder, Jugendliche, Flüchtlinge – all jene, denen wir Respekt vor Frauen lernen wollen, bzw glauben, lernen zu müssen – werden an jeder Straßenecke mit sexualisierten und objektifizierenden Frauenbildern versorgt.
Die Zeitungen “Österreich” und “Heute” zahlen nicht nach Journalismus-Kollektivvertrag
Im Zuge der Reformierung der Presseförderung, durch die (vielleicht) auch Gratiszeitungen Presseförderung erhalten werden, ist ein Aufschrei durch die Gewerkschaft gegangen. GPA-Journalistengewerkschafter Franz C. Bauer und der Vorsitzende der Gewerkschaft GPA-djp, Wolfgang Katzian, fordern laut Standard explizit, dass die Bezahlung nach Journalismus Kollektivverträgen eine Bedingung für den Erhalt von Presseförderung sein soll. So heißt es im Standard-Artikel
„Es gibt auch Zeitungen, die wenden beispielsweise den Kollektivvertrag für Werbung- und Marktkommunikation in Wien an.“ Damit disqualifiziere man sich für eine staatliche Förderung, die auf Journalismus abzielt. „Wenn sich selber jemand quasi selbst als Werbeagentur einstuft, dann wird es ein bisschen schwierig“, wird der Gewerkschafter in dem Zeitungsbericht zitiert.”
Im Profil-Interview legt Franz C.Bauer nach: ““Jeder würde sich an den Kopf greifen, wenn wir den Billa mit Steuergeld fördern, damit er Produkte verschenkt und die Kassiererinnen dazu noch extra schlecht bezahlt.“
Nun ist das zur-Verfügung-Stellen von öffentlichem Raum für private Profitgenerierung ja kein gottgegebenes Recht, sondern kann ebenso als indirekte Förderung der öffentlichen Hand verstanden werden. Analog zu Franz C. Bauer finden wir: “Jeder würde sich an den Kopf greifen, würden wir Billa in jeder Ubahnstation ein Verkaufsstandl zu ausgesprochen günstiger Miete aufstellen lassen, damit Billa dort Profite generiert und seine Kassiererinnen dazu noch extra schlecht bezahlt”.
Müll und Reinigungskosten
Die Entnahmeboxen tragen erkennbar zu einer Verschmutzung des öffentlichen Raums und der Wiener Linien bei, weil gelesene Exemplare nur selten ordnungsgemäß entsorgt werden. In wieweit die Standgebühren der Boxen ausreichen, die Reinigungskosten zu decken, ist aufgrund der nicht-öffentlichen Verträge nicht bekannt. Wir vermuten jedoch, dass die Reinigungskosten, getragen von der Öffentlichkeit, die Mieteinnahmen übersteigen. Im Volkswirtschafts-Jargon würde man sagen: Internalisierung von Profiten, Externalisierung von Kosten.
Barrierefreiheit
Die Gratiszeitungsboxen schränken zudem die Barrierefreiheit im öffentlichen Raum ein. Sie verengen Zugänge und beeinträchtigen FußgängerInnen durch geringere Gehsteigbreiten.
[1] Einen guten Überblick über Auswirkungen sexualisierter Darstellung von Frauen gibt folgender TED-Talk https://www.youtube.com/watch?v=kMS4VJKekW8
Großartiger Beitrag. Bitte auch nicht zu vergessen: Unsere Kinder werden hier mit reißerischen, oftmals sexistischen und brutalen Schlagzeilen und Bildern konfrontiert, ohne, dass beispielsweise Eltern darauf Einfluss nehmen können. Vielleicht sind sie sogar gerade erst in einem Altern, indem sie lesen lernen und alles Buchstabieren, was ihnen unterkommt und wie Sie ja beschrieben haben, sind die Zeitungen ja nicht nur in den Boxen, sondern liegen überall verstreut herum…
Danke für die Initiative ! Begrüße sie sehr !
Danke fuer die Initiative.Wir strudeln uns als LehrerInnen ab und weltoffene, tolerante Menschen zu erziehen. Am Weg in die Schule passiert genau das Gegenteil.
Bravo! Weiter mutig voran gehen!
Warum ein Artikel in dem es auch um Sexismus geht mit einem sexistischen Bild beworben wird, leuchtet mir wirklich nicht ein.