Linke Köpfe #9: Rosa Luxemburg

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Linke Köpfe #9: Rosa Luxemburg

von Silviu Six*

Rosa_Luxemburg

Rosa Luxemburg, geboren am 5. Marz 1871 in Zamość (damals im russisch besetzten Teil Polens), war eine bedeutende sozialistische Schriftstellerin und Politikerin, politische Theoretikerin, Pazifistin und Vertreterin des Internationalismus.  In ihrem Hauptwerk Die Akkumulation des Kapitals ergänzt sie die Marxsche Theorie der ursprünglichen Akkumulation1 durch eine  breitere Perspektive auf die imperialistische Politik.

Das politische Erbe Rosa Luxemburgs wird aber von einer wichtigen – wenn auch falschen – Frage überschattet, nämlich der Frage: Reform oder Revolution? Die Bedeutung Rosa Luxemburgs für die moderne Linke geht jedoch weit über diese Frage hinaus.

Eduard Bernstein hat mit seiner Theorie die Richtung der deutschen Sozialdemokratie maßgeblich verändert. Der Revisionismus von Bernstein, zusammengefasst im berühmten Leitmotiv „Das Endziel, was es immer sei, ist mir Nichts, die Bewegung Alles“, wurde im dualen Erfurter Programm von 1891, parallel zum marxistischen Grundtenor, zur offiziellen Linie der SPD. Im wesentlichen bestand der zweite Teil des Programms aus einer Reihe von Reformen, die mehrheitsfähig waren und als Ziel hatten, die Lage der ArbeiterInnen durch parlamentarische Mitwirkung zu verbessern. Es ist kein Geheimnis, auf welcher Seite Rosa Luxemburg in diesem heftigen Richtungsstreit der SPD stand. In einer Reihe von Artikeln (die dann als Buch2 erschienen) vertrat sie eine orthodox marxistische Linie, die den Klassenkampf im Vordergrund sah. Trotzdem behielt sie ihr Verlangen nach einem kritischen Bewusstsein. Sie scheute nicht davor zurück, Dogmatismus, sei es in der Glorifizierung von Marx oder Lenin, anzugreifen:

Marxismus ist eine revolutionäre Weltanschauung, die stets nach neuen Erkenntnissen ringen muss, die nichts so verabscheut wie das Erstarren in einmal gültigen Formen, die am besten im geistigen Waffengeklirr der Selbstkritik und im geschichtlichen Blitz und Donner ihre lebendige Kraft bewahrt.3

Also, Reform oder Revolution? Die klassische (und falsche) Frage der Linken.4
Man muss die Position von Rosa Luxemburg aus einer geschichtlichen Perspektive deuten. Im 19. Jahrhundert war die Attraktivität des orthodoxen Marxismus, der auf die zwei Säulen des historischen Materialismus und Klassenkampfs aufgebaut war, die, dass er den ArbeiterInnen die Überzeugung gab, dass die Geschichte auf ihrer Seite stand und dass sie somit als Gruppe, mittels ihrer kollektiven Identität, eine treibende Kraft der Geschichte darstellten.5 Angesichts der damaligen Lage der ArbeiterInnen war das eine sehr optimistische Zukunftsvision, die durchaus Ihre Rechtfertigung als politisches Mittel hatte, um die Klasse der ArbeiterInnen zu stärken und zu vereinen. Rosa Luxemburg lebte in genau dieser Gesellschaft, in der die Linke die Interessensvertretung einer breiten Masse der Gesellschaft geworden ist.

Seit über 30 Jahren hat die Linke nicht nur ihre Rolle als revolutionäre Interessensvertretung verloren, sondern auch ihren reformistischen Grundsatz, dass Politik aktiv die Gesellschaft verändern sollte, aufgegeben. In diesem neuen politischen Kontext hätte Rosa Luxemburg in erster Linie für das Primat der Politik gekämpft, für die Emanzipation und Demokratisierung der Massen, um so wieder eine hegemoniale Stellung der Linken zu erreichen … egal ob diese Linke nun reformistisch oder revolutionär ist.

Luxemburgs wichtigste Forderung war die nach Demokratie und Freiheit als grundlegende Bedingungen einer linken Bewegung. Ihre scharfe Kritik an Lenin und den russischen Bolschewiki6 ist vor allem im Kontext des Verhältnisses zwischen Partei und Arbeiterklasse zu deuten.7 Während Lenin, aber auch Kautsky, den ArbeiterInnen nicht zutrauten, sich selbst zu befreien und deshalb patriarchal das Klassenbewusstsein schaffen wollten, war Rosa Luxemburg stets gegen eine dogmatische Aneignung und Durchführung der marxschen Theorie.8 Die ArbeiterInnen sind in ihrer Sicht nicht einfache Soldatinnen und Soldaten, sondern Mittragende ihrer eigenen Emanzipation.

Auf der einen Seite verkommt die Sozialdemokratie heutzutage immer mehr zu einem ideologieleeren Raum, in dem die Mitglieder sehr wenig Mitspracherecht haben, und in dem Demokratie im besten Fall zu einem bürokratischen Akt mutiert ist. Auf der anderen Seite sehen Teile der dogmatische Linke die Arbeiterklasse als ein überromantisiertes Fundament der kompromisslosen Revolution an. Ähnlich wie die reformistische Linke von 1907 und die Bolschewiki ihrer Zeit bedeuten beide Ansätze eine patriarchale Instrumentalisierung und Bevormundung der Menschen, deren Interessen man behauptet, zu vertreten, was für Rosa Luxemburg inakzeptabel wäre.9 Ihr Ziel war es, wie es Michael Brie in seinem Essay beschreibt, eine „revolutionäre Realpolitik“ zu schaffen in dem die Hauptaufgabe darin bestand, die „schöpferische Kraft“ sozialer Bewegungen in die Gesellschaft auf Dauer zu festigen.

Die wichtigste Lehre Rosa Luxemburgs, die wir uns auch heute in der Linken zu Herzen nehmen sollten, ist, dass sowohl die Bewegung als auch das Ziel Nichts sind, solange sie die demokratische Emanzipation der BürgerInnen nicht in den Mittelpunkt stellen.


[1] Beat Weber/Petra Karlhuber, „Ursprüngliche Akkumulation im Postfordismus„, Grundrisse (Wien, Online). http://www.grundrisse.net/grundrisse02/2akkumulation.htm
[2] Rosa Luxemburg, „Sozialreform oder Revolution„. Bernd Müller Verlag, 2010
[3] Rosa Luxemburg, „Die Akkumulation des Kapitals oder was die Epigonen aus der Marxschen Theorie gemacht haben : eine Antikritik„. Franke, 1921, p. 120 (http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb11124005_00124.html)
[4] Oder wie es Michael Brie hier formuliert: ein „äußerliches Nebeneinander von „Reform“ und „Revolution““, ein Nebeneinander welches sich mit dem ersten Weltkrieg in ein „tödliches Gegeneinander“ verwandelte.
[5] Sheri Berman, „The Primacy of Politics„. Cambridge University Press, 2006, p.26
[6] Die Bolschewiki nannten sich damals noch Sozialdemokraten und waren gemeinsam mit der SPD, der österreichischen Sozialdemokratie usw. in der 2. Internationale organisiert.
[7] Jörn Schütrumpf, „Rosa Luxemburg in ihrem historischen Kontext und ihre Bedeutung heute„. Beitrag zur Rosa-Luxemburg-Konferenz der RLS (3./4. März 2005)
[8] ibid.
[9] Jörn Schütrumpf, „Rosa Luxemburg in ihrem historischen Kontext und ihre Bedeutung heute„. Beitrag zur Rosa-Luxemburg-Konferenz der RLS (3./4. März 2005)

*Silviu Six engagiert sich in der Sektion 8 der SPÖ Alsergrund und ist u.a. in der Arbeitsgruppe Ideologie und Geschichte aktiv.

Linke Köpfe:
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#7 Hannah Arendt
#8 Jean-Paul Sartre

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