Linke Köpfe #8: Jean-Paul Sartre
von Mario Holzner*
„Die Geschichte des politischen Sartre ist die Geschichte eines Scheiterns“, fasst der ihm über Jahrzehnte zugeneigte Schriftsteller Jean Améry zusammen und fügt rasch hinzu: „Freilich, das Scheitern war ehrenvoller und geistreicher, als jede Reüssite es hätte sein können.“ Dabei liegt es Sartre ursprünglich fern, zum homo politicus zu werden: Als Philosoph Phänomenologe, als Prosaist dem Individualismus verpflichtet, ist er in den zwanziger und dreißiger Jahren weitgehend unpolitisch. Erst während des Zweiten Weltkriegs, der ihn unfreiwillig als Soldat nach Lothringen und in Kriegsgefangenschaft bei Trier bringt, wendet er sich dem Kollektiv zu, wie er später der New Left Review berichtet.
Zurück in Frankreich, gestaltet er in und neben seinem bald weit über Frankreich hinaus erfolgreichen dramatischen und philosophischen Werk das Zeitgeschehen aktiv mit, durch unzählige Artikel und Interviews, nicht zuletzt in seiner eigenen Zeitschrift Les Temps Modernes. Als „maître à penser“ wird Sartre Stellung zu Frankreichs Krieg in Indochina, dem Algerien-, dem Korea- und dem Vietnamkrieg beziehen, die Verantwortung eines jeden für den Kampf gegen Ungleichheit und Unterdrückung auch an weit entfernten Schauplätzen betonend.
Als sich seine Vision eines sozialistischen Europas zwischen den Blöcken der Sowjetunion und den USA in den Nachkriegsjahren nicht verwirklicht, gelangt er zur Ansicht, die Anliegen der Arbeiterklasse nicht ohne die lang despektierte Parti Communiste voranzubringen und nähert sich ihr Anfang der 1950er Jahre als kritischer Weggefährte an. Dieses Kapitel, das zu einem Zeitpunkt beginnt, als sich die meisten linken Intellektuellen von dem immer deutlicher seine Schattenseiten hervorkehrenden Sowjet-Kommunismus distanzieren und das Sartre einige Freundschaften kostet, währt indes nur bis zur blutigen Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes 1956. Überhaupt sind Sartres parteipolitische Involvierungen – die noch zu Kriegszeiten gegründete Widerstandsgruppe Socialisme et liberté und die 1947 mitbegründete Sammelbewegung Rassemblement démocratique révolutionnaire inkludiert – von überschaubarer Dauer und Ausstrahlung und münden in die Infragestellung des Parteiensystems und Sartres (1973 im Hinblick auf Mitterrand ausgesprochenen) Rat, nicht wählen zu gehen.
Nachdem er in Kritik der dialektischen Vernunft (1960) sein als Existentialismus etikettiertes und in seiner Subjektzentrierung schwer mit den Grundfesten des historischen Materialismus vereinbartes Freiheitsdenken mit dem Marxismus zu versöhnen sucht, unterstützt er im Mai 1968 die Studentenproteste und den Generalstreik in Frankreich. Sich nach Vorbild der in der Aufklärung bewährten Symbiose aus Philosoph und Volk in den Dienst der Masse zu stellen, nun an der Seite der Maoisten, wird ihm trotz schwindender Gesundheit zum obersten Gebot, ohne sich über die begrenzten Möglichkeiten des Intellektuellen bei der Veränderung der Gesellschaft zu täuschen. Diese „trotzdem“-Haltung und die Integrität, die sich gerade aus der Bereitschaft zum Scheitern und zur Revision des eigenen Standpunkts ergibt, ist es, die Améry von dem „fünfundzwanzig Jahre währende Prozeß sukzessiver politischer Niederlagen“ als einem „Triumph des humanen Protests“ sprechen lässt.
*Mario Holzner ist Volkswirt und engagiert sich in der Arbeitsgruppe Ideologie und Geschichte der Sektion 8.
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