Linke Köpfe: Louise Michel
(29.5.1830-9.1.1905)
von Andreas Handler*
Paris, 22.Jänner 1905:
Mehr als hunderttausend trauernde Menschen versammeln sich in den Straßen der französischen Hauptstadt. Louise Michel, die große Revolutionärin, wird begraben. Vieles hat sie erlebt, eine Menge hat sie überlebt:
Schon als junge Lehrerin tritt Louise Michel kämpferisch auf. Da sie sich weigert, den Eid auf Kaiser Napoleon III. zu schwören, darf sie an keiner staatlichen Schule unterrichten. Kurzerhand eröffnet sie selbst eine freie Schule und lässt ihre Schüler dort die republikanische Marseillaise, die heutige Hymne Frankreichs, singen.
Als wenige Jahre später, 1871, die Pariser Bevölkerung die legendäre Pariser Kommune ausruft, ist Michel hoch aktiv. Zunächst ist sie als Krankenpflegerin, schließlich als Kommandantin eines Frauenbataillons bei der Verteidigung der Stadt aktiv. Vor Gericht verteidigt sie die Kommune. Wie viele andere muss Michel ins Gefängnis und wird schließlich ans andere Ende der Welt, ins französische Neukaledonien, verbannt.
Zurück in Paris fordert Louise Michel zur Plünderung von Bäckereien auf. Wieder muss sie ins Gefängnis, eine Begnadigung lehnt sie ab. Nach einem Vortrag in einem Theater wird ihr 1888 zweimal in den Kopf geschossen. Michel überlebt und verzichtet auf eine Anzeige. Zwei Jahre später wird sie nach politischen Vorträgen als „Geisteskranke“ in einer Nervenheilanstalt eingesperrt. Nach all diesen Erfahrungen wandert Louise Michel nach London aus, kehrt aber schließlich wieder nach Paris zurück. Als sie dort im Jänner 1905 stirbt, ist ihr Name nicht nur in Frankreich, sondern auf der ganzen Welt bekannt.
Neben ihrer Rolle als Kämpferin und Revolutioniärin, war Lousie Michel auch für den zeitgenössischen Feminismus von großer Relevanz. In ihren Memoiren schrieb sie 1886:
»Überall in der verdammten Gesellschaft leidet der Mensch; doch kein Schmerz ist dem der Frau vergleichbar. Auf der Straße ist sie Ware. In den Klöstern, wo sie sich wie in einem Grab versteckt, erstickt sie in Unwissenheit, die Regeln zerren sie in ihr Räderwerk und zermalmen ihr Herz und Gehirn. In der Welt windet sie sich vor Ekel; im Haushalt bricht sie unter der Last zusammen; der Mann besteht darauf, daß sie so bleibt; um sicherzugehen, daß sie weder in seine Ämter noch in seine Rechte eingreift.«
Neben ihrer Autobiographie schrieb Louise Michel einige Dramen und einen Roman. In Erinnerung ist sie heute weniger als Schriftstellerin, sondern als Kämpferin der Pariser Kommune. Während des Deutsch-Französischen Kriegs von 1871 bildete sich in Paris – gegen den Willen der französischen Regierung – ein revolutionärer Stadtrat, der versuchte, die Stadt nach sozialistischen Vorstellungen zu organisieren und zu verwalten. Französische Regierungstruppen belagerten die Stadt schließlich. Im Mai 1871 kam es zu Massenexekutionen. Mit hohem Blutzoll wurde die Pariser Kommune – ein erster Versuch, sozialistische Ideen umzusetzen – in der so genannten “blutigen Maiwoche” militärisch niedergeschlagen.
Schnell wurde die Kommune legendär. Karl Marx schrieb einen wütenden Text und unterstützte die Popularisierung damit enorm.
Louise Michels Rolle in der Kommune auf die einer Krankenschwester zu beschränken, käme viel zu kurz. Als wesentliche und noch heute bekannte Kämpferin steht ihr Name auch für deren Errungenschaften. Die Kommune setzte wesentliche Maßnahmen zur Emanzipation der Frauen durch. Uneheliche Kinder wurden ehelichen gleichgestellt, Frauen erhielten nun gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Davon kann heute – 145 Jahre später – keine Rede sein.
Lesetipps:
Louise Michel, Memoiren (Münster 1977)
Michaela Kilian, “Keine Freiheit ohne Gleichheit!”. Louise Michel (1830 oder 1833-1905), Anarchistin, Schriftstellerin, Ethnologin, libertäre Pädagogin (Lich/ Hessen 2008)
Bernd Kramer (Hg.), Leben – Ideen – Kampf. Louise Michel und die Pariser Kommune von 1871 (Berlin 2001)
Ralf Höller, der Kampf bin ich. Rebellen und Revolutionäre aus sechs Jahrhunderten (Berlin 2001)
*Andreas Handler ist Historiker und engagiert sich in der Arbeitsgruppe Ideologie und Geschichte der Sektion 8.
Linke Köpfe:
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