Der öffentlich rechtliche Rundfunk sollte seine Leitlinien, seine Aufsichtsgremien und sein Führungspersonal von Institutionen der Demokratie vorgegeben bekommen. Diese Institutionen müssen allerdings im Sinne einer funktionierenden Gewaltenteilung unabhängig von der Regierung agieren.
Die aktuelle Schimäre rund um den ORF zeigt, dass so etwas wie eine demokratische Gewaltenteilung oder eine dem Anstand gebührende persönliche Distanz einzelner zentraler AkteurInnen untereinander in Österreich nicht existiert. Das liegt mit Sicherheit an der Kleinheit des Landes und am Wasserkopf Wien, wo sich alle maßgeblichen handelnden Personen spätestens seit Mitte der 80er-Jahre kennen. Es liegt aber auch an strukturellen Problemen im demokratischen System und einer darauf aufbauenden Kultur der „Verhaberung“ inklusive einer unsauberen Grenzziehung zwischen den Kompetenzbereichen.
Weltanschauung oder Abhängigkeit
„Weltanschauung dürfe kein Hindernis für die Karriere sein“, wird von jenen argumentiert, die in den letzten Jahren oftmals einen rasanten Aufstieg hingelegt haben. Doch es besteht ein fundamentaler Unterschied zwischen Weltanschauung und Kontrollierbarkeit. Der Begriff „Weltanschauung“ dürfte auf österreichisch ein Euphemismus für parteipolitische Hörigkeit sein. Die junge Clique rund um das Machtzentrum der Kanzlerpartei fällt vorrangig durch absolute Loyalität zu Werner Faymann auf und dementsprechend geht es dabei nicht um weltanschauliche, sondern um machtpolitische Fragestellungen. Die politische Verantwortung für die Medienpolitik der SPÖ hat aber nicht diese Clique, sondern in der stets autokratisch geführten Partei immer der Parteivorsitzende, in diesem Fall Werner Faymann. Kontrolle statt Weltanschauung. Die handelnden Personen nehmen die Gesinnungsfreiheit in Geiselhaft um ihr machtpolitisches Engagement zu legitimieren. Weltanschauung darf kein Karrierehindernis sein – stimmt, aber Weltanschauung darf auch kein Codewort für Anhängigkeit sein.
Der Kern des Problems ist ein tiefgreifender Mangel an Demokratie in der österreichischen Politlandschaft der zwei zentrale Ursachen hat. Einerseits sind das die demokratischen Defizite innerhalb der Parteien, die primär auf einem erstaunlichen Maß an Gehorsam basieren und die angstfreie Diskussion autonomer Subjekte systematisch unterbinden (siehe dazu: Für eine Stärkung der demokratischen Streitkultur in der SPÖ). Andererseits gibt es ein Problem im Verhältnis zwischen Regierung und Parlament. Die Vorherrschaft der Exekutive – abgesichert über Kadavergehorsam innerhalb der Parteien – unterminiert die fundamental notwendige Gewaltenteilung zwischen der vollziehenden und der gesetzgebenden Gewalt. Das Kernproblem ist die eklatante Schwäche des österreichischen Parlamentarismus. Der Nationalrat ist als unmittelbar demokratisch legitimiertes Organ am Papier die Schlüsselinstitution der Demokratie. De facto fristet er sein Dasein als Anhang der nur mittelbar demokratisch legitimierten – weil ernannten – Regierung, sowie als Spielwiese anderer privater, öffentlicher und halböffentlicher Einflussgruppen. Dieser Mangel an demokratischer Balance zwischen Exekutive und Legislative stärkt den Handlungsspielraum der Machtzirkel rund um die Spitzenpolitik erheblich.
Ein autonomes Parlament soll den ORF über haben
Es gäbe wahrscheinlich viele Konstruktionen für einen unabhängigeren ORF, die keine große Wahlrechtsreform erfordern würden. Die sauberste Lösung wäre allerdings die ohnedies dringend erforderliche stärkere Gewaltenteilung auch für den Öffentlich Rechtlichen Rundfunk zu nützen. Ein dafür notwendiger Befreiungsschlag des Parlamentarismus wird nur klappen, wenn die Wahl der Abgeordneten den Parteien abgenommen und den WählerInnen in die Hand gegeben wird – entweder über ein Vorwahlsystem, oder über ein niedrigschwelliges Vorzugsstimmensystem. Möchte man Abgeordnete haben, die nicht nur unabhängig sind, sondern auch in Wien arbeiten statt in Osttirol Zeltfeste zu eröffnen, muss man das Wahlsystem völlig von jeder Regionalisierung entkoppeln. Die WählerInnen müssen sich für eine Partei entscheiden und können z.B. KandidatInnen auf der bundesweit einheitlichen Liste dieser Partei den Vorzug geben. Damit wäre trotz starker Personalisierung auch eine Beibehaltung des Verhältniswahlrechts ermöglicht. Überdies müsste der Nationalrat mit mehr Ressourcen und Kompetenzen ausgestattet werden um mit den Ministerien auf Augenhöhe zu agieren. Der Nationalrat würde neben der Regierung zu einem eigenständigen Machtpol, was der Idee der Gewaltenteilung zupass kommt. Würde ein ORF-Aufsichtsratorgan – das wiederum selbst einen Vorstand auswählt – von einem solchen autonomen Nationalrat gewählt, wäre die unmittelbare tagespolitische Einflussnahme der Bundesregierung auf die ORF-Führung drastisch reduziert. Selbst wenn die größte Parlamentsfraktion und die dominante Regierungsfraktion derselben Partei angehören – wie es derzeit bei der SPÖ der Fall ist – würde die starke strukturelle Trennung der beiden Bereiche eine stärkere Unabhängigkeit der handelnden Personen begünstigen. Analog sollte es ausschließlich dem Parlament (ohne Vorschlagrecht der Regierung) obliegen, die Bestellung der Aufsichtsräte aller öffentlichen Unternehmen (ÖIAG, ÖBB etc.) des/der Nationalbankgouverneurs/in, des/der Rechnungshofpräsidenten/in und der Verfassungsgerichtshofmitglieder vorzunehmen
Welche Argumente gibt es fuer: „Die WählerInnen müssen sich für eine Partei entscheiden …“? Rein mathematisch waere es nicht notwendig die Wahl auf eine Partei einzuschraenken.
Ich würde noch eine schritt weiter gehen udn fordern, dass der ORF aufschtsrat wenn irgendwie möglich ( & finanzierbar) direkt vom den seherInnen gewählt wird. das – von niko kowall beschriebene – funktional und strukturell gestärkt unabhängige parlament könnte die kandidatInnen dafür aufstellen. die seherInnen oder besser alle wahlberechtigten sollten dann direkt wählen.
zwei argument die gerne unter die lupe nehmen würde:
1. „Spielwiese anderer privater, öffentlicher und halböffentlicher Einflussgruppen“ sollte das Parlament in der demokratie nicht ebenen genau das sein? der gegenentwurf wäre die idealisierte Vorstellung einer atominisierten Gesellschaft von individuen. Ein gedankenanstoß nicht meine meinung dazu:
2. auch wenns an blasphemie grenzt: erzeugt nicht gerade das vermeindlich starke recht des Misstrauensvotums dazu dass die regierung das parlament unter kontrolle halten muss?
nur so zum diskutieren