(Vollzugsmeldung nach der Hinrichtung Karl Münichreiters, 14. Februar 1934)
Das Parlament hat einstimmig die Rehabilitierung der Opfer des Austrofaschismus beschlossen. Weshalb dieser Vorgang nicht nur für die SPÖ wichtig war.
von Florian Wenninger*
Am 19. Februar 1934 streckten die letzten SchutzbündlerInnen ihre Waffen. Der christlichsoziale „Staatsstreich auf Raten“ war nach zwei Jahren erfolgreich abgeschlossen. Weite Teile der sozialdemokratischen Gefolgschaft hatte die Regierung im Vorfeld der Kämpfe systematisch demoralisiert. Immer neue Drangsalierungen hatten die einst so stolze sozialdemokratische Partei bei Freund und Feind aussehen lassen wie einen Stier, der sich widerstandslos am Nasenring durch die Arena zerren ließ. Der Februar 1934 sah denn auch keine kämpfende Bewegung. Er sah mehrere tausend Menschen und ihren von vornherein aussichtslosen Widerstand gegen einen Putsch, der schon längst geglückt war.
Schätzungen zufolge waren auf Seite des Schutzbundes im gesamten Bundesgebiet etwa 20.000 Menschen in die Kämpfe involviert, die Regierungsallianz aus Bundesheer, Exekutive und Heimwehr setzte etwa die doppelte Zahl von Männern in Marsch. Wieviele Menschenleben die Kämpfe kosteten ist bis heute nicht restlos geklärt. Sicher ist, dass die Zahl der Toten in die Hunderte, die Zahl der Verletzten in die Tausende geht.
Unmittelbar nach Ausbruch der Kämpfe wurde das Standrecht verhängt und die wiedereingeführte Todesstrafe gegen die Aufständischen in Stellung gebracht. Die Regierung machte von vornherein kein Geheimnis daraus, durch einige rasch vollzogene Hinrichtungen die Moral der Aufständischen brechen zu wollen. Bereits vor Beginn der ersten Verfahren sah sich das Justizministerium genötigt festzustellen, dass die anstehenden Hinrichtungen jedenfalls durch den Strang und nicht – im Rahmen einer eigens zu erlassenden Notverordnung – durch Erschießung zu vollstrecken seien. Dies, weil ansonsten „die Gefahr bestünde, dass das Standgericht die Notverordnung anfechten und dann die Todesstrafe überhaupt nicht vollzogen werden könnte.“ Zusatz: „Wegen Beistellung der erforderlichen Scharfrichter sind die notwendigen Verfügungen bereits getroffen worden.“
Zum Tod verurteilt wurden in weiterer Folge buchstäblich die Erstbesten, unabhängig davon, ob sie wie der Hietzinger Schuhmacher Karl Münichreiter schwer verletzt waren, oder ob ihnen ihre „Geständnisse“ unter Folter abgepresst worden waren. In den Worten des Staatssekretärs Karwinsky ging es einzig darum, einige „unbedingt notwendige Exempel zu statuieren“. Die Ausmaße der daraufhin einsetzenden Repressionswelle liegen bis heute im Dunklen. Fest steht, dass bis zur Aufhebung des Standrechtes am 21. Februar 140 Urteile ergingen, davon einige dutzend Todesurteile. Bis Mitte März 1934 wurden alleine in Wien 7.823 Personen verhaftet, von denen in weiterer Folge knapp zweitausend Menschen den Gerichten übergeben wurden. Insgesamt etwa zehntausend Personen wurden in Lagern und Notarresten interniert. Bis ins Jahr 1936 fanden mehrere groß inszenierte Schauprozesse statt, von den dort Angeklagten sollten gleich mehrere das politische Leben der Zweiten Republik nachhaltig prägen: Franz Jonas, Otto Probst, Maria Emhart, Anton Proksch und schließlich der Jüngste: Bruno Kreisky. Auch abseits dessen der Prozesse und Anhaltungen wurden Oppositionelle in vielfältiger Weise drangsaliert, sei es durch den Entzug der Staatsbürgerschaft, Streichung von Pensionen und Arbeitslosengeldern, diverse polizeiliche Willkürmaßnahmen, Entlassungen, Bußgelder, Wohnungsräumungen etc.
Weshalb rehabilitieren?
Im Februar 2010 wandten sich 97 WissenschafterInnen in einem offenen Brief an Parlament und Bundesregierung und forderten neben einer Rehabilitierung auch die öffentliche Würdigung der Februarkämpfer von 1934.
Zwei Jahre später lässt sich konstatieren: Das nunmehr beschlossene Rehabilitierungsgesetz geht zwar weiter als alles bisher Dagewesene, aber tatsächliche Neubewertungen einer historischen Epoche sehen anders aus. Konkret haben wir es mit dem Versuch einer historiografischen Frontbegradigung seitens der ÖVP zu tun: den Hingerichteten und Eingekerkerten wird ihr – ohnehin offenkundiger – Opferstatus nach siebzig Jahren zugestanden. Gleichzeitig wird peinlich jeder Hinweis auf die Verantwortlichen und das durch sie geschaffene Herrschaftssystem vermieden. In diesem Fall hätte man ja einräumen müssen, dass die eigene Ahnengalerie anno dazumal als Täter fungiert hatte. Und das hätte womöglich eine Reihe unangenehmer Nachfragen provoziert.
Entweder nämlich war alles mit dem Regime 1933-38 in Ordnung, so auch die Niederschlagung des Schutzbundaufstandes. Oder die Februarkämpfer wurden zu Unrecht verurteilt. Wenn den Rebellen durch die Standgerichte Unrecht geschah, waren konsequent weitergedacht ihre Taten nicht verurteilenswert – und der Aufstand gegen den Staatsstreich des amtierenden Bundeskanzlers Dollfuß rechtens. Im Umkehrschluss ist aber Dollfuß schwerlich weiterhin als verdienter Kanzler zu preisen. Schließlich wäre der Mann für die schlimmstmögliche Form des Amtsmissbrauches verantwortlich gewesen: Konspiration mit ausländischen Kräften gegen die in Geltung befindliche Verfassungsordnung unter bewusster Inkaufnahme eines Bürgerkrieges.
Das zuzugestehen hieße keineswegs, neuen Erkenntnissen Rechnung zu tragen, in der historischen Forschung herrscht darüber seit mehr als dreißig Jahren weitgehend Einigkeit. Die ÖVP hat sich seither nur einfach geweigert, den wissenschaftlichen state of art zur Kenntnis zu nehmen. Und genau hier versuchen nun einzelne ihrer Exponenten anzusetzen: Auch ihnen ist bewusst, dass das bürgerliche Lager auf kurz oder lang nicht an dreißig Jahren Forschungsarbeit vorbei kommen wird. Gleichzeitig sind sie bestrebt, die Folgewirkungen für die eigene Traditionspflege so gering als möglich halten. Zur Diskussion stünde schließlich die Gründergeneration der ÖVP: Von Leopold Figl bis Julius Raab, von Alfons Gorbach bis Josef Klaus waren alle Bundeskanzler bis 1970 hohe Funktionäre des Austrofaschismus gewesen.
Geht das: die Schutzbündler zu rehabilitieren und dabei Dollfuß mit seinem Regime in Ehren zu halten? Langfristig kaum. Die Rehabilitierung ist der Anfang vom Ende der geschichtspolitischen Schizophrenie der letzten sechzig. Dabei geht es am Allerwenigsten darum, wer am Ende Recht gehabt hat. Es geht vielmehr um den Kern unserer heutigen politischen Positionierung. Weshalb war die Republik 1918 überhaupt nur auf Druck der Linken ausgerufen worden? Weil sie als einzige ideologisch tatsächlich dem Prinzip der Egalität verpflichtet war, während eine Mitsprachemöglichkeit für alle in krassem Widerspruch zum hierarchischen Gesellschaftsverständnis der Bürgerlichen stand. Weshalb ging die Regierung Dollfuss, als die Beseitigung der Demokratie längst beschlossene Sache war, ungeachtet des anhaltenden NS-Terrors vor allem gegen die Linke vor? Weil die Nazis für die christlichsozialen Eliten irrende, aber letztlich paktfähige Seelenverwandte waren, die Sozialdemokratie hingegen der Feind des Abendlandes.
Diese und andere Fragen sind nicht traditionspflegerischer, sondern grundsätzlicher Natur. Sie berühren elementare Fragen der Gegenwart: Wie weit darf und soll Demokratie gehen? Wie weit dürfen persönliche Rechte und Freiheiten zum vermeintlichen oder tatsächlichen Wohl des Staatsganzen eingeschränkt werden? Und: ab wann ist Widerstand legitim?
Der britische Historiker E. P. Thompson hat einmal geschrieben, die Geschichte kenne bei allem abgenützten Pathos des Begriffs, Menschen und Taten von Würde und von Ehre. Eine wichtige Aufgabe der Geschichtswissenschaft bestünde darin, solche Geschichten zu dokumentieren und weiter zu geben. Künftige Generationen könnten dann aus einem Fundus menschlicher Verhaltensmöglichkeiten schöpfen, der ihnen Orientierung geben könne – und Hoffnung. Die Männer und Frauen des Februar 1934 fanden den Gedanken an ihre bevorstehende Entrechtung offenkundig so unerträglich, dass sie in einem Akt der Verzweiflung bewaffneten Widerstand leisteten. Es konnte dabei von vornherein nur um ein Zeichen gehen, um Würde, um den Respekt vor sich selbst. Der Schutzbundaufstand ist die Geschichte einer tiefer Erschütterung, maßloser Enttäuschung, unbändiger Wut. Aber er ist mehr als das. Er gehört zu einer langen Kette kleiner und großer Rebellionen in der österreichischen Geschichte, die im öffentlichen Bewusstsein kaum vorhanden sind. Diese Akte des Aufbegehrens strafen alle Versuche Lügen, das verbreitete Duckmäusertum mit dem Fehlen einer widerständigen Tradition in unserem Land zu erklären und damit zu „vernatürlichen“. Die Rehabilitierung ist ein Schritt in Richtung Anerkennung und Vergegenwärtigung einer solchen, sehr wohl existenten Tradition. Geschichte prägt immer auch den Spielraum gegenwärtiger Akteure. Die Geschichte einer massenhaften Auflehnung kann daher gerade in Zeiten einer gefühlten ratlosen Lethargie von großem Wert sein.
Wie Václav Havel gesagt hat ist „Hoffnung nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“ So betrachtet war der Februar 1934 nicht nur voll Wut und Angst. Es war auch eine große Hoffnung, die mit all den Männern und Frauen hinter den verrammelten Fenstern der Gemeindebauten die Panzer kommen sah.
* Der Autor arbeitet am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien
toller artikel. trifft mit seiner politischen aussage die implikationen der debatte um den austrofaschismus und des aktuellen gesetzes auf den kopf.
Wer aus der Vergangenheit nicht lernt, dem ist nicht zu helfen. Das sollten alle Jung Sozis berücksichtigen. Man sollte auch keine direkten Erfahrungen mit der Vergangenheit machen. Sie verändert Menschen ungewollt. Man sollte eher einen Konsens suchen, mit „ALLEN“ Parteien und sich dann zu einer neuen Generation von politischer Verantwortung bekennen und die Österreichische Republik in neue Gewässer steuern.