Der Staat ist schwarz

Die SPÖ ist in der Wahrnehmung wirtschaftsliberaler Kreise jene Partei die ihre Maden durch den öffentlichen Speck jagt. Diese Polemik mag um die Korruptionsskandale der 1980er noch punktuell berechtigt gewesen sein. Anno 2010 gehört der staatsnahe Bereich überwiegend der ÖVP.

Nikolaus Kowall

Dieser Artikel erschien in einer Kurzversion am 6. Dezember 2010 in der Tageszeitung DiePresse

Was wurde aus dem einst stolzen Imperium der roten Reichshälfte? Die Verstaatlichte ist großteils privatisiert, der Konsum ist Geschichte, die BAWAG gehört einer internationalen Heuschrecke, die Bank Austria einer europäischen Großbank, der Hauptverband wurde unter Schwarz-Blau gekapert, die Post ist ein teilprivater Dienstleister, Neueinstellungen bei den ÖBB sind seit 1996 am ASVG orientiert. Privilegien im roten Einflussbereich gibt’s nur noch im auslaufenden Eisenbahnerdienstrecht sowie bei den BeamtInnen der Stadt Wien. Diese Vorrechte sind im Einklang mit dem Vertrauensschutz selbstverständlich zu beseitigen, doch handelt es sich um überschaubare Bereiche. Bei genauerer Betrachtung wird offenkundig, dass der öffentliche Sektor und die staatsnahe Wirtschaft in Österreich heute keine sozialdemokratische sondern eine tiefschwarze Domäne sind.

  • Von den Pensionsprivilegien in der oberen Liga des staatlichen oder staatsnahen Bereichs profitiert eine klassische ÖVP-Klientel. Die Höchstpension für Beamte beträgt (14 Mal ausgezahlt) 8.000 Euro pro Monat, jene für ASVG-Versicherte und Selbstständige nur 2.800 Euro. Pensionierte BundesleherInnen verdienen im Schnitt 4.200 Euro pro Monat (gerechnet als 12 Mal ausgezahlt), die Spitzenpensionen liegen sogar bei 5.000 Euro. RichterInnen und StaatsanwältInnen kassieren im Schnitt 6.100 Euro Pension, die Spitzen liegen bei 7.200 Euro (Quelle BKA). Ehemalige leitende Ärzte im Dienste der Sozialversicherungen erhalten laut Profil zusätzlich zu ihrer ASVG-Pension monatlich noch einmal bis zu 4.000 Euro „Dienstordnungspension“. Die 14 pensionierten Direktoren der Nationalbank spielen überhaupt in einer eigenen Liga, sie erhielten 2008 pro Kopf im Schnitt knapp 24.000 Euro Monatspension. Die 230.000 BezieherInnen einer ASVG Mindestpension müssen mit monatlich 915 Euro (gerechnet als 12 Mal ausgezahlt) das Auslangen finden.
  • Diese Einzelbeispiele schlagen sich auch systemisch nieder. „Derzeit kosten 300.000 öffentliche Pensionen mit rund acht Milliarden noch annähernd so viel wie 2,2 Millionen normale Pensionen“ kommentierte Bernhard Schwarz, Chef der staatlichen Pensionskommission kürzlich im Standard die Situation auf der Auszahlungsseite. Gemeint ist damit, dass der Bundeszuschuss zu den ASVG-Pensionen, die sich ja zum größeren Anteil aus den Beiträgen der Versicherten speisen, genauso hoch ist wie die gesamten Kosten für die Beamtenpensionen.  Doch auch die Einzahlungsseite ist beachtlich: Ein Bauer erhält 75 Prozent seiner Pension vom Bund, also nicht von der Sozialversicherungsanstalt der Bauern. Beamte erhalten auch noch 57 Prozent ihres Ruhegenusses vom Staat, bei den ASVG-Pensionisten macht der Zuschuss nur 21,5 Prozent aus. Die geringe Deckung bei den Beamten wird allerdings durch den Umstand abgeschwächt, dass seit Jahren nur mehr sehr wenig Beamte eingestellt werden, was das Aufkommen aktiver EinzahlerInnen automatisch senkt. Die Beamtenpensionen der Zukunft wurden in vielerlei Hinsicht bereits an das ASVG angepasst, doch die bestehenden Pensionsregelungen sind ungerecht und teuer. Die Harmonisierung künftiger öffentlich Pensionen wird von jenen die voll vom alten System profitieren als Vorwand instrumentalisiert: Es seien bereits schmerzliche Anpassungen erfolgt, hört man dann. Das stimmt für die Jungen, nicht aber für die Profiteure der alten Regelungen.
  • Nicht alle BeamtInnen sind schwarz, aber die ÖVP versteht sich eindeutig als Klientelpartei des Beamtentums. Es ist die schwarz dominierte GÖD der ihre Mitglieder laut Rechnungshof (Profil) rund 5.000 Nebengebühren sowie stets überdurchschnittliche Lohnabschlüsse verdanken, was die Beamtgehälter von durchschnittlich 49.500 Euro pro Jahr bald doppelt so hoch macht wie den Gehaltsschnitt aller unselbstständig Erwerbstätigern der bei 28.300 Euro liegt (Statistik Austria). In der „Presse“ vom 26. April wurde darauf hingewiesen, dass der Gehaltsvorsprung auch bei Berücksichtigung der Alters- und Ausbildungsgruppen beachtlich bleibt (Presse).
  • Es ist die tiefschwarze Lehrergewerkschaft, die nicht nur jedes neue Arbeitszeitmodell bekämpft, sondern die auch Gesamtschule, Ganztagsschule und eine einheitliche Lehrerausbildung blockiert.
  • Die „schwarze“ Landwirtschaft ist de facto öffentliche finanziert und hält an der Flächenförderung fest. Das bedeutet landwirtschaftliche Agrarindustriebetriebe die auf Grund ihrer Größe Kostenvorteile haben bekommen genauso viel Förderung pro Hektar wie kleinere Betriebe.
  • Unternehmenssubventionen fallen immer wieder sehr großzügig aus und können unter Umständen von mehreren öffentlichen Stellen gleichzeitig bezogen werden. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter führte im „Format“ eine Biogasanlage in der Steiermark an. Diese wurde mit 350.000 Euro vom Lebensministerium gefördert und mit 350.000 vom Wissenschaftsministerium.
  • Die ORF Sendung kreuz & quer stellte kürzlich eindrucksvoll dar, dass eine Familie aus dem oberen Mittelstand problemlos 150.000 Förderungen für die Sanierung eines Altbaus erhält. Die Familie eines Arbeitslosen erhält in 25 Jahren Mietzinsbeihilfe in der Höhe von 42.600 Euro. „Wenn man Geld hat, kommt Geld hinzu“, kommentierte Caritas-Präsident Küberl diese Gegenüberstellung. Entgegen der weit verbreiteten Auffassung ist es nämlich so, dass der Staat Besitzende – etwa im Falle des privaten Wohnbaus – großherzig beschenkt.

Zuletzt genannt seien die Bundesländer deren Ausgaben bekanntlich durch keine selbst eingehobenen Einnahmen gedeckt werden müssen und die in der Schulverwaltung und im Gesundheitswesen jegliche Reform blockieren. Erst dieser Tage durften wir erleben, wie Neffe Josef eine ÖVP-Bundesposition im Sinne und Beisein von Onkel Erwin den Machtinteressen der schwarzen Länder opferte. Wohl sind die Länder seit der Wende in Salzburg und der Steiermark gleichmäßiger zwischen den Großparteien aufgeteilt. Jedoch hat sich der Föderalismus in der ÖVP ideologisch und strukturell über die Jahrzehnte wesentlicher stärker verankert als in der traditionell zentralistischen SPÖ (Im Linzer Programm der ersten Republik trat die SPÖ für die Abschaffung des Bundesstaates zu Gunsten eines „Einheitsstaates“ mit demokratischen Lokalverwaltungen ein). Auch die Vorschläge von Franz Voves für eine schlankere Bezirksverwaltung und die offene Haltung von Gabi Burgstaller zur Verwaltungsreform sind Indizien dafür, dass rote Landesfürst/innen eine gesündere Äquidistanz zu ihrem eigenen Wirkungsbereich haben als ihre reformunwilligen schwarzen Kollegen.

Werden sich solche Defizite in einer großen Staats- und Verwaltungsreform beseitigen lassen? Die Vergangenheit lehrt, dass dies unwahrscheinlich ist. Am aktuellen Budget zeigt sich, dass Einsparen von der Politik als Leistungskürzung und nicht als Strukturreform verstanden wird. Diese Differenzierung ist von großer Wichtigkeit. Die 13. Familienbeihilfe oder die Mindestsicherung mögen nicht allen gefallen, es sind jedoch zweifellos staatliche Leistungen die zu 100 Prozent bei den Begünstigten ankommen. Pensionsprivilegien im öffentlichen Sektor oder Wildwuchs in der regionalen Verwaltung sind – und hier ist wohl Einigkeit herzustellen – keine Leistungen, sondern Verschwendung öffentlicher Mittel. Dementsprechend sind Strukturreformen Leistungskürzungen eindeutig vorzuziehen. Voraussetzung für einen strukturellen Umbau wären äußerst unorthodoxe transideologische Allianzen, wobei sich in der ÖVP auf Grund ihrer spezifischen Klientelstruktur deutlich tiefere Gräben auftun würden als in der SPÖ. Eine Zentralisierung und Verschlankung der Staatsverwaltung, eine Durchforstung der Förderungen in den Bereichen Landwirtschaft, Wohnbau und Unternehmenssubventionen, eine Reduktion von Zulagen und Pensionsprivilegien vor allem in der oberen Liga des staatlichen oder staatsnahen Bereiches und der Umstieg auf Ganztagsschulen mit entsprechend neuen Arbeitszeitmodellen für LehrerInnen sind eher mit der Sozialdemokratie umsetzbar als mit der Beamten- und Folklorepartei ÖVP. Wer die vernünftige Allokation staatlicher Mittel mit den Zielsetzungen höherer Effizienz und somit höherer öffentlicher Leistungen oder entsprechender Entlastungen als zentrales Anliegen betrachtet, wird in der Sozialdemokratie viele Verbündete finden.

Aus sozialdemokratischer Sicht gibt es viele Ziele die mit den aus einer Staatsreform freigesetzten Mittel erreicht werden können. Investitionen in öffentlichen Leistungen – Bildung, Pflege oder Kinderbetreuung – ebenso wie eine notwendige Entlastung der unteren Einkommensgruppen, wo ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 11.000 Euro jeder weitere Euro mit 44 Prozent belastet wird (Wifo)1. All dies wird man gegen die Begehrlichkeiten jener vier Prozent der Bevölkerung verteidigen müssen die den Spitzensteuersatz zahlen, sich aber verglichen mit Karl Wlaschek für den Mittelstand halten. Ihre wirtschaftsliberalen Sprachrohre werden die Entlastung der LeistungsträgerInnen einfordern. Doch das Fell des Bären soll nicht verteilt werden bevor er erlegt ist, gestritten werden kann später immer noch. Beim Erlegen des Bären „schwarzer Staat“ sollten sich sowohl SozialdemokratInnen als auch Wirtschaftsliberale ihrer erstaunlich großen Schnittmenge von gemeinsamen Interessen bewusst werden.

Noch eine abschließende Anmerkung aus persönlicherer Erfahrung. Meine schwarzen KollegInnen in der BundesschülerInnenvertretung vor zehn Jahren sind in wesentlich größerer Zahl an wesentlich wichtigere politische Posten gekommen, als meine Freund/innen von der roten Aktion kritischer SchülerInnen. Die VP-Schülerunion der Jahrtausendwende war eine taffe Truppe und wird sicher nicht die schlechteste ÖVP-Generation hervorbringen. Doch eines sollte den Kritiker/innen der politischen Bürokratie in Industrie und liberalen Think tanks klar sein: Die Jungen in der ÖVP übernehmen als Mittzwanziger die 4.000-Euro-aufwärts-Jobs als Pressesprecher/in oder Referent/in im Politapparat – ohne Erfahrungen in Wirtschaft oder Wissenschaft gesammelt zu haben. Die jungen Schwarzen sind professionelle Politbürokrat/innen und werden ihr Leben lang existentiell an Politik und Hochbürokratie gebunden sein, sofern sie den erreichten Lebensstandard nicht mehr zu unterschreiten bereit sind. Jene die den Sprung in Entscheidungspositionen schaffen müssen keine schlechten PolitikerInnen sein, doch eines werden sie sicher nicht: Feinde des Staates und seiner Bürokratie.

1 Wifo: Thoman, Josef: Ziele und Optionen der Steuerreform: Reform des Einkommensteuertarifs

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6 Responses to Der Staat ist schwarz

  1. Christoph Baumgarten 22. Dezember 2010 at 16:17 #

    Lieber Niki,
    Ich teile natürlich deine Kritik, dass innerhalb der aktiven SP-Funktionäre (und wohl auch unter den Mitgliedern) zu viele VetreterInnen des Öffentlichen Diensts sind. Und ja, es ist Kernaufgabe einer ArbeiterInnenpartei, die Beschäftigten im privaten Sektor zu organisieren. Die wird, wenn überhaupt, nur schlecht erfüllt.
    Was ich nicht ganz teilen kann, ist deine Einschätzung der vorhandenen Ressourcen und v.a. einige, wie ich meine, Fehleinschätzungen zur Lage im Öffentlichen Dienst. Aus deinen Aussagen lässt sich mit wenig Fantasie eine ex-post-facto-Rechtfertigung der Pensions“sicherungs“reform von Schwarz-Blau konstruieren. Es ist nicht genug Geld da, wir müssen schauen, wo wir bleiben. War nicht so gemeint, kann aber so verstanden werden.
    Außerdem darfst du, bei eller berechtigter Kritik an manchen Privilegien mancher Beamter, nicht vergessen, dass es große Berufsgruppen im Öffentlichen Dienst gibt, die nichts davon haben: PolizistInnen etwa und KindergärtnerInnen, PflegehelferInnen – und das sind nur die, die mir spontan einfallen. Die sind durchwegs schlecht bezahlt und arbeiten unter besonders belastenden Bedingungen. Durchschnittspensionen sind hier relativ wenig aussagekräftig: Die (sicher abzustellenden) Ausreißer nach oben verzerren das Bild. Mediane Pensionen wären um einiges aussagekräftiger.
    Du hast mit deiner Analyse nur zum Teil Recht: Nicht der gesamte öffentliche Sektor ist das Problem – der auch gegenüber anderen Teilen des öffentlichen Sektors objektiv privilegierte Teil ist es. Dieser Teil kostet – zum Teil aufgrund der Privilegien, zum Teil, weil das Pensionssystem des Bundes schlicht nicht auf eine derartige Zahl von PensionistInnen ausgerichtet war und die laufenden Zahlungen daher teurer sind als eine rechtzeitige Umstellung auf ein echtes Umlagensystem mit Dienstgeberbeiträgen gekommen wäre.
    Objektiv betrachtet vertritt die VP auch nicht alle öffentlich Bediensteten – sie vertritt im Wesentlichen nur deren privilegierten Teil.
    DAS sollte man in einer solchen Analyse wohl klar herausarbeiten können. Wozu bessere statistische Methoden beigetragen hätten.

  2. Niki Kowall 13. Dezember 2010 at 17:03 #

    lieber ludwig, wir haben hier natürlich fundamentale auffassungsunterschiede. zu den wichtigsten:

    1. Ressourcen sind knapp. Wer das nicht glaubt bewegt sich in einem Paradigma, das ich erstaunt betrachten, aber nicht nachvollziehen kann. Das bedeutet eine Umlegung der öffentlichen Privilegien auf die gesamte Wirtchaft geht sich volkswirtschaftlich nicht aus, alleine Beamtenpensionen für alle würden wahrscheinlich 50% mehr Wirtschaftsleistung erfordern. Selbst die Enteignung und Veräußerung allen privaten Stiftungsvermögens sowie und ein Spitzensteuersatz von 90% könnten Beamtenprivilegien für alle keine drei Jahre finanzieren. Das heißt es gibt einen Trade off zwischen Beamten und der Restbevölkerung. Entweder man schafft für alle (innerhalb ihrer qualifikaiton und ihres alters) ähnliche bedingungen, oder die einen haben Vorteile auf kosten der anderen. die Privilegien der Beamten heißen entweder niedrigere öffentliche Leistungen oder eine höhere Abgabenbelastung für die Allgemeinheit.

    2. ich will keine Ausweitung der Beamtenkultur auf die gesamte Wirtschaft und begrüße Ausgliederungen und privatwirtschaftliche Organisationsstrukturen. Die Beamtenkultur ist gut für die Verwaltung, ihre Umlegung auf die Privatwirtschaft würde aber dem Wohlstand schnell den Garaus machen. Ich finde es gut wenn die Erbringung von Gütern und Dienstleistungen gemäß privatwirtschaftlicher Kriterien organisiert ich sehe dabei keinen Widerspruch zu öffentlichem Eigentum. Bildung, Gesundheit, Pensionen, Pflege, Kinderbetreuung sind für mich alles öffentliche Aufgaben.

    3. Ich definiere die Klientel der Sozialdemokratie anders. Mit Abstand an erster Stelle stehen für mich alle unselbstständig Beschäftigten (BankdirektorInnen ausgenommen), sowie die vergleichbaren neuen Selbstständigen. Also die Lohnabhängigen in privatwirtschaftlichen Beschäftigungsverhältnissen. Diese große Mehrheit der Bevölkerung hat keinen freundlichen Vater Staat als Arbeitgeber und spürt den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit in den eigenen Lebensbedingungen. Diese Leute sind für mich die Norm in einer kapitalistischen Marktwirtschaft, nicht die BeamtInnen. Insofern finde ich es fair, dass die Vertragsbediensteten an das ASVG angepasst wurden. Für mich sollte die SPÖ die ASVG-Partei sein.

    4. Es ist schön dass Postler mehr Zeit für politische Aktivität haben. Ich gebe aber zu bedenken, dass die ArbeiterInnen vor 100 Jahren sich auch ohne 40-Stunden-Woche und 5-Wochen-Urlaub organisiert haben. Ich finde es eine Katastrophe dass die Mehrheit der SP-MandatraInnen aus dem öffentlichen Bereich kommt und finde es ist – wenn die Privatwirtschaft die Norm ist – die Kernaufgabe der Sozialdemokratie die privatwirtschaftlichen Lohnabhängigen zu organisieren.

    5. Die SPÖ war historisch gesehen eine erfolgreiche Massen-NGO die dem Staat gegenüber sehr skeptisch eingestellt war. Der Staat ist ein Machtpol und die staatlich Beschäftigten haben es besser, weil sie dieser Macht näher sind. Natürlich haben wir nach 1945 den Staat für unsere eigenen Zwecke genützt und eigene Klientels im staatsnahen Bereich herausgebildet. Das ist auch nicht per de schlecht, doch statt sich seiner Kernaufgabe als Organisatorin der privat beschäftigten Lohnabhängigen bewusst zu sein, ist die gesamte SPÖ-Apparat komplett mit dem Staatsapparat verwachsen und aus Skepsis wurde eine blinde und ideologiefreie Symbiose. Ich finde die SPÖ muss wieder deutlich weiter weg vom Staat. Bei der Wahl ihres Personals, bei der Definition ihrer Klientel und bei der Kernaufgaben.

  3. Ludwig Dvorak 9. Dezember 2010 at 12:44 #

    hallo niki,

    dass irgendwelche snobistischen jvpler im öffentlichen dienst erfolgreich sind, macht es in meinen augen noch nicht zur vornehmsten sozialdemokratischen pflicht, den beschäftigten des öffentlichen dienst insgesamt den krieg zu erklären. in meinen augen unterliegst du sowohl inhaltlich, vor allem aber auch strategisch ganz grundlegenden und massiven fehleinschätzungen, die zu einer selbtsmörderischen politischen strategie führen.

    nach allen politischen naturgesetzen heißt die natürliche partei des öffentlichen dienstes nämlich: spö. die mehrzahl der öffentlich bediensteten sind nämlich nicht in der ÖNB und schon gar nicht direktoren (auch in dieser gruppe ist die spö auch nicht unbedingt unterrepräsentiert, wie dir ein blick auf deine bezirksorganisation zeigt). die mehrzahl der öffentlich bediensteten erbringen die sozialen dienste, für deren bessere finanzierung sich die sozialdemokratie stark macht oder stark machen sollte. wir sind ihre natürliche verbündeten, weil wir für einen starken sozialstaat sind.

    es trifft ja auch nicht generell zu, dass die gewerkschaften im öffentlichen dienst schwarz seien. bei der GdG schaut das ganz anders aus, genauso wie bei der ehem. GdE oder der GPF. aber auch in der GÖD herrscht ja nicht der nö. AAB alleine. hier hat die FSG hochburgen und gerade angesichts des anstehenden demographischen wandels wäre auch kulturell der lehrerInnenbereich – und damit die GÖD insgesamt – zu drehen, wenn…, ja wenn nicht ständig irgendwelche partei-„strategen“ in völliger verkennung der politischen potenziale meinen würden, mangelnde fortschritte in der schulreform durch lehrerInnen-bashing ersetzen zu können. wenn man den lehrerInnen aber bei jeder gelegenheit ausrichtet, dass sie arbeitsscheues gesindel seien und gefälligst für weniger geld mehr arbeiten sollen weil ihre arbeitsituation ohnehin privilegiert sei und sie ja nach nordkorea gehen können, wenn ihnen was nicht passt, dann knüpft das vielleicht nicht unbedingt an die realen lebenswelten an. und man braucht sich nicht wundern, wenn man dann dort keine unterstützung findet.

    ich möchte auch dringend anraten, die funktionärInnenstruktur der spö, besonders in den ländern, näher anzusehen. wenn dort weniger als die hälfte aller gemeinderatsmandate mit ehem. oder aktiven eisenbahner- oder postlerInnen u.ä. besetzt sind, würde es mich überraschen. keinesfalls, weil die spö für die soviel gemacht hätte, im gegenteil. auch nicht nur (aber schon auch!) deshalb, weil sie die treuesten der treuen sind. sondern v.a. deshalb, weil sie die einzigen working class people sind, die sich den luxus der politischen vereinsmeierei beruflich noch leisten können. wenn wir diese sektoren noch stärker den privatwirtschaftlichen verhältnissen anpassen (es passiert in wahrheit ja eh schon), dann wird es das gleiche bewirken, was es dort gebracht hat: die faktische auschließung von allen menschen, die nicht mittelständler mit drang zu höherem, (bessergstellte) studierende, wk-funktionärInnen, bauern oder verwaltungsbeamtInnen sind.

    ad „privilegien“: man sollte berücksichtigen, welche zahlen man miteinander vergleichen kann. beim asvg gibt es DG-beiträge, bei beamtInnen gibt es die natürlich nicht. allein aus solchen strukturunterschieden folgen unterschiedl. zuschuss-niveaus, die man bei vergleichen mit asvg oder bauern berücksichtigen müsste. ich verstehe auch nicht, was es bringen soll, implizit in das jeiern über die zu langsame nachvollziehung der pensionsreform 2004 im wiener penionsrecht einzustimmen. diese reform war, ist und bleibt unsozial und ich verstehe nicht, warum die spö mit ihrer mehrheit schwarz-blaue sozialraubgesetze nachvollziehen sollte.

    auch die gehaltsunterschiede zum privatsektor können mich jetzt nicht inhaltlich davon überzeugen, dass die spö die kanonen gegen den öffentl. dienst richten soll. die ergeben sich nämlich aus mehreren, in meinen augen durchaus erfreulichen, unterschieden zum privaten sektor. 1. gibt es einen sehr überdurchschnittlichen anteil an hochqualifiziertem personal. 2. verdienen männer und frauen fast gleich viel. 3. zahlt der DG, was er zahlen soll, weil die personalvertretung die einhaltung von gesetzen, dienstordnungen und kollektivverträgen (weitgehend) durchsetzen kann. 4. werden ältere (und damit teurere) mitarbeiterInnen nicht ab 45 oder 50 automatisch auf die straße gesetzt. das und nicht die behaupteten „überdurchschnittlichen abschlüsse“ (ich kann die bei den letzten gehaltsrunden nicht erkennen), erklärt m.e. die markanten unterschiede bei den einkommen. sei aber unbesorgt: die segnungen des new public management und der privatwirtschaftlich organisierten leistungserbringung im öffentlichen dienst (ausgliederungen, outsourcing etc.) zerstören diese „privilegien“ ohnehin sukzessive.

    im meinen augen wäre es allerdings eher geboten, diese merkmale nicht als „privileg“ zu vernichten, sondern auf den privaten sektor auszudehnen. ich denke auch, dass uns gerade in zeiten, in denen sich abzeichnet, dass der ausbau des sozialstates die sinnvollste krisenbekämpfungsmaßnahme ist, pauschalierende frontalattacken auf den öffentlichen dienst nicht weiterbringen.

    abschließend vielleicht noch zum klientel-thema: ich weiß schon, es macht einen schon seit der blair-ära zu einem ganz modernen linken, der eigenen „klientel“ den krieg zu erklären. aber ich muss sagen: die empirische erfahrung damit legt dem politisch vernünftigen sozialdemokratInnen eher nahe, in dieser hinsicht auf „old labour“ zu setzen. hat der kampf gegen angebliche „privilegien“ in SP-nahen bereichen, in der verstaatlichten, bei der ÖBB, bei der Post, bei den wiener sozialeinrichtungen, jemals zu irgendwelchen verbesserungen für andere geführt? eher nicht. tatsächlich lehrt uns doch die erfahrung das gegenteil: in der phase, in der man auf die verstaatlichte gepfiffen hat und den infrastruktursektor privatisiert bzw. liberalisiert hat, im sozialstaat eingespart hat etc., ging es auch in der privatwirtschaft bergab. jetzt noch eine „transideologische allianz“ gegen die reste des öffentlichen sektors und man schafft es den alten kallauer realität werden zu lassen: „gestern noch am abgrund, heute einen entscheidenden schritt weiter.“

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