Selbst eingefleischte Gegner/innen der SPÖ-Regierungsbeteiligung und misstrauische Faymann-Kritiker/innen sind derzeit verdutzt. Sitzt die SPÖ-Führung mit dem Volksbegehren zur Finanztransaktionssteuer diesmal am richtigen Dampfer? Und darf man Faymann loben, wenn er einmal was richtig macht?
Im Jahr 2007 kam es zur roten „Jänner-Katastrophe“. Die SPÖ-Führung hatte die Wahlen gewonnen aber die Regierungsverhandlungen verloren. In Folge der desaströsen Koalitionsbildung haben sich mehrere kritische SP-Initiativen gebildet, die vehement die Koppelung einer SP-Regierungsbeteiligung an die Umsetzung substantieller sozialdemokratischer Politik verlangten. Alfred Gusenbauer, der die SPÖ erpresste indem er sie vor vollendete Tatsachen stellte, verschwand im Sommer 2008 von der politischen Bühne. Mit der Kür von Werner Faymann fühlte man sich vom Regen in der Traufe. Der Neue mache die gleiche Politik, sei aber weniger tollpatschig und würde sich entsprechend länger halten können. Bis vor kurzem war das Misstrauen noch wasserdicht, selbst die jüngste Präsentation des Sieben-Punkte Programms zur Vermögensbesteuerung nahm man dem Kanzler nicht ab. Faymann bediene sich nur jener Phrasen die derzeit gut ankämen, er werde sich aber nicht ernsthaft für Vermögenssteuern einsetzen, so führende rote Ökonom/innen. Mit der Initiative zur Finanztransaktionsteuer und den letzten erfreulichen Auftritten in ZIB2 und Ö1-Mittagsjournal wird aber auch der gelernte SP-Fatalist langsam stutzig. Gibt’s derzeit nichts zu sudern?
Ist Werner Faymann ein totaler Pragmatiker der nur das tut was ihm nützt, oder ein Undercover-Sozi der sich erst mit der Krise aus seiner aalglatten Verkleidung traut? Im Prinzip ist das egal. Verschiedene Ziele sind über den gleichen Weg erreichbar. Realpolitik bedeutet zu begreifen, dass individuelle Motive zweitrangig sind wenn das richtige gemacht wird. Nach dem, Motto „dem guten Willen die offene Hand, dem schlechten die Faust“ (Georg von Vollmar), muss man die SPÖ-Führung schimpfen, wenn sie das Falsche macht. Wenn sie aber etwas richtig macht, darf man sie loben. Die jüngsten Initiativen des Bundeskanzlers verdienen Unterstützung.
Besonders erfreulich ist der Faymann-Vorstoß aus europapolitischer Sicht. Dies ist umso bemerkenswerter, als mit dem Kronebrief und dem sonstigen Desinteresse des Bundeskanzlers in Europafragen eine solche Initiativkraft am wenigsten zu erwarten war. In Kooperation mit der deutschen Schwesterpartei zeigt Faymann Engagement auf dem europäischen Parkett. Noch dazu für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, also in eine politische Stoßrichtung, die von europafreundlichen Vollblut-Sozis immer gefordert wurde: Europa nicht nur als Selbstzweck zu betrachten, sondern auch als Mittel zum Zweck. Als Vehikel zur Durchsetzung einer Politik im Interesse der großen Bevölkerungsmehrheit. Es geht um die politisch richtige Finanztransaktionssteuer, bei deren Zustandekommen die Menschen noch dazu an Europa demokratisch teilhaben können. Nur so wird die Akzeptanz der EU und die Identifikation mit derselben zu steigern sein. Die Initiative mit dem europaweiten Volksbegehren, also mit einem der neuen Instrumente des Vertrags von Lissabon zu unterfüttern, ist fast schon elegant. Viele kritische Sozialdemokrat/innen sagen, sie würden es nicht anders machen.
Zu hoffen bleibt, dass die Sozialdemokratie überdies die aktuellen Gefahren erkennt und benennt. Es gibt Versuche die Krise des finanzgetriebenen Kapitalismus in eine Krise des Sozialstaates umzudeuten. Ebenso ist man bemüht die Auseinandersetzung „Bevölkerung gegen Finanzeliten“ durch die Konfrontation „Nordeuropa gegen Südeuropa“ zu verdrängen. Die SP-Führung wäre gut daran beraten sich jedem nationalen Populismus radikal entgegenzustellen, die europäische Solidarität zu betonen und alle Versuche sozial Schwache, Arbeitslose und Migrant/innen als Sündenböcke darzustellen mit aller Kraft abzuwehren. Prinzipiell scheint die SPÖ diesbezüglich auf dem richtigen Dampfer, es fehlt vielleicht noch ein bisschen an Selbstbewusstsein und Entschlossenheit.
Die jüngsten erfreulichen Lebenszeichen sozialdemokratischer Offensivkraft bedeuten natürlich nicht, dass man der SPÖ die Absolution erteilen kann. Die gerechteste aller Vermögenssteuern, die Erbschaftssteuer, steht nicht auf Faymanns Agenda, weil der Kanzler sie schon früher als Mittelstandssteuer gebranntmarkt hatte. Das obwohl die Erbschaftssteuer eine der treffsichersten Reichensteuern war. Überhaupt wurden jene Vermögenssteuervorschläge aufgegriffen, die entweder ohnehin von der ÖVP befürwortet werden oder sonst wenig Wellen schlagen. Keine optimale Ausgangslage für die Detailverhandlungen. Auch der Umgang mit den Themen Migration und Asyl ist – trotz erfreulicher und stiller Initiativen der Stadt Wien im Integrationsbereich – immer noch eine Desaster. Vor allem für jene Partei, die als Bewegung der Schwächsten gegründet wurde. Die Ausweitung der Aberkennungsmöglichkeiten des Asylstatus in der Fremdenrechtsnovelle 2009 ist eine weitere falsche Konzession an die Koalition der Gegenaufklärung aus Krone FPÖ und BZÖ. Die rote Parteiführung wurde offenbar nicht über Nacht vom Saulus zum Paulus. Trotz alledem ist in Bezug auf die aktuelle Politik in der Krise Anerkennung angebracht.
Hat sich die jahrelange Arbeit von Menschen aus Arbeiterkammer & Gewerkschaft, von ATTAC, von den Grünen, aus den kritischen Nestern der SPÖ und von progressiven Katholik/innen ausgezahlt? Oder ist der sich anbahnende Kurswechsel ausschließlich ein Resultat der Krise? Beides ist der Fall. Die Krise öffnet gerade ein „window of opportunity“, in dem eine Politik für die breite Masse statt für eine Hand voller Finanzmarktakteur/innen langsam mehrheitsfähig wird. Doch ohne die jahrelange Vorbereitung durch die zuvor genannten Gruppierungen, wäre der Weg noch wesentlicher stärker von Widersprüchen und Orientierungsschwierigkeiten gezeichnet, als er es ohnehin ist. Es gäbe keine Studien zur Einkommensverteilung, keine Statistiken zum „gender wage gap“, keine Argumente zur Vermögensbesteuerung, kein Konzept für die Armutsbekämpfung und die Finanztransaktionssteuer wäre ein unbekanntes Instrument. Unter diesen Umständen darf man sich einmal kurz auf die Schulter klopfen, was natürlich noch lange kein Grund zur Zufriedenheit ist. Vielleicht ist es vorläufig nicht prioritär um die SPÖ zu kämpfen. Dafür ist es nun umso notwendiger mit ihr zu kämpfen.
[…] Kommentar der anderern. Nikolaus Kowall in der Print-Ausgabe der Tageszeitung „der Standard“ am 26.5.2010. Ungekürztes Original. […]