Bildung is fucking awesome

Gewalt und rechtsextreme Einstellungen sind zwei Seiten derselben Medaille: der sozialen Benachteiligung und Desintegration. Die Teilhabe an Bildung ist der Schlüssel diesen entgegen zu wirken. Ein alter Hut, dennoch brennt er…

Laura Dobusch

Punktuelle Vorfälle wie der dramatische Amoklauf eines 17-Jährigen in einer Realschule nahe Stuttgart am 11. März, bei dem 15 Menschen erschossen wurden, führen zu einem mittelfristigen Anwachsen der Medienberichterstattung über Gewaltpotenzial im Allgemeinen und Jugendgewalt im Speziellen. Sie dominieren die öffentliche Debatte auf spezifische Art und Weise: (Über)Pathologisierung der TäterInnen und eine dichotome Gegenüberstellung der Jugend zur „Normalgesellschaft“ sind dominante Charakteristika.

Studie: Generell sinkende Gewalt unter Jugendlichen

Ein weitaus differenzierteres Bild ergibt eine für Deutschland repräsentative Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen von 2007/2008: Gewalttaten von Jugendlichen sind in den letzten Jahren generell rückläufig. Wurden 1998/1999 noch zwischen 17,3 und 24,9 Prozent gewalttätig, beträgt die Quote im Zeitraum von 2005 bis 2008 hingegen zwischen 11,5 und 18,1 Prozent. Diesen eindeutigen Rückgang jugendlicher Gewaltausübung führen die StudienautorInnen auf mehre Ursachen zurück: Gewalt als legitimes Mittel zur Interessendurchsetzung wird sowohl von den Betroffenen selbst als auch von deren sozialen Umfeld immer weniger akzeptiert. Gleichzeitig ist eine Abnahme elterlicher Gewalt und eine steigende Zahl an Kindern mit völliger gewaltfreier Sozialisation festzustellen. Darüber hinaus nimmt die Bereitschaft Gewaltdelikte gegenüber offiziellen Stellen anzuzeigen zu.

Ethnischer Hintergrund entscheidende Kategorie

Gerade im Zusammenhang mit der Anzeigebereitschaft können die AutorInnen den ethnischen Hintergrund als relevante Größe ausmachen:

„Bei der sich in Westdeutschland zu 36,2% aller Fälle ergebenden Konstellation ‚deutsches Opfer, deutscher Täter‘ werden nur 19,5% der Gewalttaten der Polizei gemeldet. Wird ein deutsches Opfer aber von einem jungen Migranten angegriffen (und dies sind ebenfalls 36,2 aller Fälle), dann liegt dessen Anzeigebereitschaft mit 29,3 % um die Hälfte höher. Eine relativ hohe Anzeigequote von 27,2% ergibt sich ferner bei Gewalttaten, die sich unter Migranten mit unterschiedlichem Migrationshintergrund ereignen (12,2% der Fälle). (…) Im Ergebnis wird damit deutlich, dass junge Migranten als Täter ein weit höheres Risiko haben, sich mit ihren Taten vor Gericht verantworten zu müssen als junge Deutsche. Sie sind dadurch in allen Bereichen und Statistiken der Strafverfolgung deutlich unterrepräsentiert.“

Personen bestimmter ethnischer Gruppen, die Gewalthandlungen verüben, werden demnach mit einer weit höheren Wahrscheinlichkeit angezeigt und sind damit rascher potenzieller Stigmatisierung auf Grund der Erfassung durch offizielle Stellen ausgesetzt. Die Tatsache einer derartigen Segregation innerhalb des Rechtssystems entlang des Faktors Herkunft relativiert sämtliche Äußerungen seitens der FPÖ oder der Kronen Zeitung im Zusammenhang mit „AusländerInnenkriminalität“. Gleichzeitig muss die Strukturkategorie Ethnizität im Kontext anderer sozialer Faktoren betrachtet werden. So stellen die StudienautorInnen fest:

„Die insgesamt deutlich höhere Gewalttäterquote von jungen Migranten beruht danach auf mehreren Belastungsfaktoren, die bei ihnen weit stärker ausgeprägt sind als bei deutschen Jugendlichen. Von zentraler Bedeutung ist dabei, dass junge Migranten weit häufiger als deutsche Jugendliche Opfer innerfamiliärer Gewalt werden.(…) Zum anderen treten bei diesen Jugendlichen die vier Belastungsfaktoren, die ihrerseits die Gewaltbereitschaft fördern, wesentliche häufiger auf. Dies gilt für Alkohol- und Drogenkonsum, die Akzeptanz gewaltorientierter Männlichkeitsnormen (sogenannte ‚Machokultur‘), für das Schulschwänzen und für die Nutzung gewalthaltiger Medieninhalte.“

Entscheidend für die Gewaltbereitschaft ist demnach weniger die tatsächliche Herkunft der Jugendlichen als vielmehr ein Bündel an familiären, schulischen und sozialen Rahmenbedingungen.

Bildung, Bildung

Somit ist ein weiteres Ergebnis der Studie, nämlich, dass die Gewaltrate unter jungen MigrantInnen abnimmt je höher deren Bildungsabschlüsse ausfallen, wenig überraschend. Umso erschreckender sind die Einstellungen deutscher Jungendlicher im Bezug auf die Aussage „In Deutschland gibt es zu viele Ausländer“. Fast ein Drittel (29,7%) der Befragten stimmen dieser uneingeschränkt zu. Generell bekennen sich 14,4 Prozent zu ausländerInnenfeindlichen, 5,2 Prozent gar zu rechtsextremen Inhalten. Darüber hinaus bekunden die deutschen Jugendliche ausgeprägte Sympathien zu solchen Einstellungen: „zu viele Ausländer“ 34,8%, AusländerInnenfeindlichkeit 26,2%, Rechtsextremismus 11,5% und Antisemitismus 8,4%. Rechtes Gedankengut ist demnach nicht am Rand sondern in der Mitte der Gesellschaft zu verorten. Die möglichen Gründe dafür ähneln jenen, die bereits für das Vorkommen von Gewalttaten ausgemacht wurden:

„Bei einer multivariaten Analyse zu den Faktoren, die Rechtsextremismus begünstigen, haben sich eine niedrige Fähigkeit zur Selbstkontrolle, innerfamiliärer Gewalt, die intensive Nutzung medialer Gewalt sowie häufiger Alkoholkonsum als Belastungsfaktoren erwiesen.“

Und auch im Zusammenhang mit rechten und diskriminierenden Einstellungen kann festgestellt werden: mit zunehmenden Aufstieg im Bildungssystem nehmen diese ab.

Bildung, Bildung und nochmals Bildung

In Österreich wurde die FPÖ bei den Nationalratswahlen 2008 bei den WählerInnen unter 30 Jahren zur stärksten Partei. Inklusive den Stimmen für das BZÖ haben 38 Prozent der jungen ÖsterreicherInnen rechte/rechtsextreme Parteien gewählt. Gleichzeitig verursacht die Wirtschaftskrise gerade unter den 15- bis 24-Jährigen einen massiven Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit. Nur eine Strukturreform des österreichischen Bildungssystems weg von Selektions- und Aussiebungsmechanismen hin zu integrativen Maßnahmen kann die soziale Kohäsion innerhalb der Gesellschaft stärken. Die von Bildungsministerin Schmied angestrebte Erhöhung der Unterrichtszeit für den Lehrkörper kann jedoch kaum als Etappe in einem strukturellen Umbau des Schulwesens betrachtet werden. Ebenso erscheint die Argumentation, dass die LehrerInnen im Zuge der Wirtschaftskrise ihren Beitrag zur Finanzierung des Bildungssystems leisten mögen, eher zynisch als schlüssig. Dennoch gibt das Gesetz der Trägheit Hoffnung: ist der „Koloss“ Schule erstmal in Bewegung gesetzt können vielleicht grundlegendere Veränderungen folgen.

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2 Responses to Bildung is fucking awesome

  1. Christoph Baumgarten 24. März 2009 at 15:48 #

    Niki,
    Da geb ich dir großteils recht. Zum aufklärerischen Ansatz bekenne ich mich, die paternalistische Tendenz sehe ich nur sehr eingeschränkt – aber das hängt vielleicht auch von den Proponenten ab.
    Was wir leider immer wieder bei der Diskussion vergessen: Fast alle Vorurteile, die es gegen Jugendliche mit Migrationshintergrund gibt, sind nicht sonderlich neu. Praktisch das gleiche hat man in den 50ern über die „Halbstarken“ bzw. „Plattenbrüder“ auch gesagt. Gewaltbereitschaft, hohe Delinquenzrate, Lärm, akzeptieren die Normen der Gesellschaft nicht, etc. Die hatten einen ähnlichen sozialen Hintergrund. Mittlerweile haben sich die sozialen Trennlinien zum überwiegenden Teil auf ethnischer Basis verschoben, sprich: Das neue (Sub-)Proletariat kommt von irgendwo anders her. Die typisch kleinbürgerlichen Stereotypen wurden angereichert mit neuen Begriffen und sind zu einer rein argumentativ nur schwer zu durchdringenden Masse geworden. Jetzt kommt noch die „Kultur“ ins Spiel, die leider nicht nur die Konservative gebrauchen, sondern auch der rechte Rand. Und mittlerweile tw. auch Leute unserer Partei und sogar von den Grünen. Die gesamte „Integrations“debatte dreht sich in Wahrheit um die Pauschalunterstellung, Menschen mit Migrationshintergrund müssten sich an „unsere“ Gesellschaft anpassen, weil „ihre“ Gesellschaft eben anders sei. Die sozialen Faktoren, die das Verhalten v.a. der zweiten und dritten Generation erklären können, werden so weit es geht ausgeblendet. Dass die Argumentation heute auf politisch fruchtbareren Boden fällt als vor 50 Jahren führe ich auf eine weitgehende Ver(klein)bürgerlichung der heimischen Arbeiterklasse zurück, die ironischerweise der wesentlich besseren ökonomischen Situation der österreichischen Arbeiterinnen und Arbeiter geschuldet ist, die sie der SPÖ zu verdanken haben.

  2. niki kowall 20. März 2009 at 23:52 #

    Eine für mich ungelöste Frage ist es, inwieweit die Vermengung bzw. die strikte Trennung von Herkunft und Verhalten legitim ist. Die Laura entscheidet sich für eine strikte Trennung und schreibt in ihrem Artikel:

    „Entscheidend für die Gewaltbereitschaft ist demnach weniger die tatsächliche Herkunft der Jugendlichen als vielmehr ein Bündel an familiären, schulischen und sozialen Rahmenbedingungen.“

    Nun, genau dieses Bündel ist eben schon von der Herkunft abhängig. Natürlich nicht im genetischen aber im soziokulturellen Sinne. Schlaue (National-)Konservative würden es auch an der „Kultur“ festmachen und auf einmal die Frauenrechte entdecken. Ich denke bei der Analyse sollten wir bei aller Abwehr von xenophoben Stereotypen es mit der strikten Trennung zwischen Herkunft und Soziokultur nicht übertreiben. Der Unterschied zu den Konservativen ist ja nicht dass wir bei der Zwangsehe den Kopf in den Sand stecken, sondern dass wir prinzipiell an die Veränderbarkeit von Zuständen mittels Integration, Bildung, sozialem Aufstieg etc. glauben.

    Uns sollte klar sein, dass dieser Argumentation zu Grunde liegende Bildungsvorstellungen einen traditionell aufklärerischen und tendenziell paternalistischen Ansatz haben („Das Licht der Vernunft in die sozial benachteiligten Schichten tragen“). Stört mich aber auch nicht.

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