Weltfinanzorganisation – Die Lehre aus der Krise?

Vorschläge für eine Reform der internationalen Finanzarchitektur

Sonja Schneeweiss*

Die Finanzkrise hat unser Wirtschaftssystem global erschüttert, der viel gepriesene freie Markt hat versagt. Die Gründung einer Weltfinanzorganisation und der Aufbau einer fairen, international verbindlichen Finanzmarktregulierung kann uns vielleicht die nächste Krise ersparen. Eine Abkehr vom Marktfundamentalismus in Richtung öffentliche Verantwortung und konstruktive Rolle des Staates schien im neoliberalen Zeitgeist undenkbar, ist jedoch jetzt angesichts des Schocks über die Finanzkrise vielleicht möglich.

Der viel gepriesene freie Markt hat versagt und zwar in einem so extremen Ausmaß, dass sogar bisher extrem neoliberale AkteureInnen und PolitkerInnen vor diesem Faktum nicht die Augen verschließen können und der Schock über die Krise relativ tief sitzt. Diesen Schock gilt es, rasch zu nutzen, um einen Paradigmenwechsel politisch durchzusetzen, der vor wenigen Monaten noch undenkbar schien.

Neben den bereits geschnürten und vielleicht noch zukünftig notwendigen Rettungspaketen und Akutmaßnahmen ist genau jetzt der Zeitpunkt, eine neue internationale Finanzarchitektur zu bauen und eine Weltfinanzorganisation (WFO) zu gründen, die das freie Spiel der Marktkräfte zähmt und vernünftig reguliert.

Eine Ursache der Finanzkrise waren zwar sicher überzogene Renditeerwartungen und die Gier von vielen AkteurInnen, ansetzen kann die Politik aber nicht bei der Moral der AkteurInnen – an die kann nur appelliert werden, den Erfolg wage ich jedoch zu bezweifeln. Stattdessen müssen wir internationale verbindliche Regeln schaffen und deren Umsetzung durchsetzen.

Aufbauend auf den Analysen über die Ursachen der Finanzkrise werden in diesem Artikel sowohl grundsätzliche Prinzipien als auch konkrete Regulierungsvorschläge für eine neue internationale Finanzmarktarchitektur vorgestellt.

Neue Grundprinzipien der Finanzmärkte

Ein Paradigmenwechsel – eine Abkehr vom Marktfundamentalismus hin zu einer sozialen Marktwirtschaft – soll zur Verhinderung oder zumindest Einschränkung zukünftiger Finanzkrisen zu einer neuen internationalen Finanzarchitektur führen, die folgende Grundprinzipien verfolgt.

  1. Finanzmärkte dienen einer stabilen und effizienten Entwicklung der Realwirtschaft
  2. Gerechtigkeit und Rolle des Staates: öffentliche Verantwortung für Aufsicht und Regulierung / Stabilität
  3. Transparenz, Verantwortlichkeit und Regulierung ALLER Finanzmarktakteure.
  4. Demokratische Legitimität internationaler Finanzmarktarchitektur
  5. Institutionelle Reform: Errichtung einer Weltfinanzorganisation (WFO)
  6. Finanzmärkte dienen einer stabilen Entwicklung der Realwirtschaft

Finanzmärkte sollten zuallererst der Effizienz und der Stabilität in der Realwirtschaft dienen. Das globale Finanzsystem hat aber seine Aufgaben – effiziente Mittelbereitstellung für Investitionen, Fristentransformation und Risikoverteilung – nicht erfüllt. Stattdessen hat es zu einem Überschuss an Geldliquidität, ineffizienter Ressourcenallokation in der Realwirtschaft und letztendlich zu einer tief greifenden Finanz- und Wirtschaftskrise geführt. „Going for Growth“ wurde in der Vergangenheit von internationalen Finanzorganisationen wie OECD und IWF hauptsächlich auf Finanzmärkte und Handel basiert. Die Finanzmärkte haben jedoch Blasen – „bubbles“ – erzeugt, die zu keinem nachhaltigen Wachstum führen können. Finanzmärkte können nur Katalysator für Wachstum sein oder – wenn sie nicht funktionieren – Wachstum stark negativ beeinflussen.

Global Consensus statt Washington Consensus

Die gegenwärtige Krise scheint alle Eigenschaften vergangener Krisen einzuschließen: sie ist global, nicht auf einen Länderkreis beschränkt, ist sowohl eine Banken-, als auch  Währungskrise, aber auch eine Krise souveräner Schuldner. Eine aktive und konstruktive Rolle des Staates ist als Antwort dazu notwendig. Um das auch auf globaler Ebene zu erreichen, ist es notwendig, die Mandate der multilateralen Organisationen anzupassen und ihnen mehr politisches Gewicht zu geben.
Dieser neue Global Consensus kann nur funktionieren, wenn er tatsächlich global umgesetzt wird und Deregulierungswettbewerb verhindert wird.

Wir brauchen einen neuen Global Consensus statt des auf Privatisierung, Deregulierung und Marktfundamentalismus aufbauenden Washington Consensus.

Bessere internationale Koordination von Makropolitik

Der Aufbau globaler makroökonomischer Ungleichgewichte, über Geld- und Wechselkurspolitik sowie Kapitalverkehr, sollte künftig von allen Ländern ernst genommen werden und nicht einem „laissez faire“-Prinzip unterliegen. Auf globaler Ebene müssen daher Strukturen geschaffen werden, die solche Ungleichgewichte regelmäßig prüfen. Wichtig ist es, in diesem Zusammenhang die USA für eine Stärkung mulilateraler Organisationen zu gewinnen, aber auch das Prinzip der „Multipolarität“ zu verfolgen. Hier ist auch verstärkte Zusammenarbeit zwischen Industrie und Schwellenländern zur Eindämmung von Spill-over-Effekten notwendig. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass sichergestellt wird, dass auch genügend Geld in den Klimaschutz investiert wird und der Klimaschutz nicht zum Opfer von Finanzkrisen wird.

Transparenz, Verantwortlichkeit und Regulierung ALLER FinanzmarktakteurInnen

Die in diesem Artikel vorgeschlagene Regulierung und der geforderte Paradigmenwechsel sollen die Hauptfaktoren, die zur Finanzkrise geführt haben, in Zukunft verhindern. Hauptfaktoren für die Krise waren Immobilienblase und Kreditblase, unverantwortliche Kreditvergabe, highly leveraged products (Hebelung), Weiterverkauf von Kreditrisiken, Auslagerung von Risken aus der Bilanz, fehlendes Wissen über die eingesetzten innovativen Finanzprodukte, Eigeninteressen der Rating-Agenturen, aber auch die Gier nach Provisionen und kurzfristigen hohen Gewinnen.

Innovative Finanzprodukte, die das Risiko besser verteilen sollten, waren so kompliziert, dass sie letztendlich das Risiko für das Gesamtsystem vergrößerten statt verringerten und schließlich die Finanzmarktkrise auslösten. Fehler in der governance, der Regulierung und in der Aufsicht sind durch die Krise ebenfalls drastisch zu Tage gefördert worden.

Damit der Finanzsektor in Zukunft seinen volkswirtschaftlichen Aufgaben effizient nachkommen kann, braucht er künftig globale, verbesserte und robuste Rahmenbedingungen. Den internationalen Aufsichtsbehörden kommt hier eine wesentliche Rolle zu: laufende Einflussnahme auf die Geschäftspolitik der Finanzinstitutionen – nicht erst in der Krise, beispielsweise durch das (temporäre) Verbot bestimmter geschäftlicher Vorgänge oder Praxen. Dabei sind eine internationale Abstimmung zwischen den Aufsichtsbehörden und die internationale Konsistenz der Aufsichtsstandards erforderlich, um „Aufsichts-Wettbewerb“ im Finanzsektor zu vermeiden.

Im Folgenden sind einige Regulierungsvorschläge exemplarisch aufgezählt:

  • Eine Ausdehnung der Regulierung auf ALLE Finanzmarktteilnehmer ist die grundlegende Basis einer neuen internationalen Finanzmarktarchitektur. KeinE FinanzmarktteilnehmerIn, kein Finanzmarkt und keine Finanzmarktinstitution darf in einem unregulierten und aufsichtsfreien Raum agieren: auch Hedgefonds, Private Equity Fonds oder dürfen keine Ausnahme mehr bilden. Für die Aufnahme der Geschäftstätigkeit soll in Zukunft jeder Finanzdienstleister eine Konzession benötigen, im Rahmen derer auch das jeweilige Geschäftsmodell offen gelegt und geprüft wird. Auch die Eigenmittelvorschriften müssen für alle Finanzdienstleister gelten.
  • Eine verpflichtende Zertifizierung für neue Finanzprodukte soll eingeführt werden, ähnlich einem Zulassungsverfahren für neue Medikamente. Neue Produkte dürfen damit erst dann auf den Markt kommen, wenn sie von der WFO zertifiziert sind und auch Richtlinien und Modelle vorgegeben sind, wie dieses Produkt vom Risikomanagement zu behandeln ist.
  • Eine Begrenzung der Leverage (Hebelung durch Einsatz von Fremdkapital) soll vorgegeben werden, da highly leveraged products die Krise wesentlich verstärkt haben. Die Begrenzung von Leverage ist vor allem für Hedgefonds relevant, soll aber für alle Finanzdienstleister gelten.
  • Eine Verbesserung der Bewertungsregeln ist notwendig. Einerseits soll es verbindliche Regelungen für die Bewertung von illiquiden Assets geben  und andererseits müssen die Fair Value Bewertungsregeln (z.B. IFRS) adaptiert werden , weil sie durch ihre prozyklischen Effekte massiv zur Krise beigetragen haben. So soll bei Aufwertungen auf den jeweiligen Marktwert eine verpflichtende Rückstellung in Höhe eines zu definierenden Prozentsatzes des Aufwertungsgewinns gebildet werden, um für Krisen besser gerüstet zu sein.
  • Ein Verbot von außerbilanziellen Zweckgesellschaften (Off-Balance SPVs) ist notwendig. Risken müssen in der Bilanz transparent sein, d.h. das Verstecken von Risken in außerbilanziellen Zweckgesellschaften darf nicht mehr möglich sein.
  • Ratingagenturen müssen genauso der Aufsicht und Regulierung unterliegen wie alle anderen Finanzmarktakteure. Eigentümer und in der Bewertung tätige Mitarbeiter dürfen nicht an Unternehmen beteiligt sein, die sie bewerten. Außerdem ist eine Haftung der Ratingagenturen für vorsätzlich falsche oder fahrlässige Ratings vorzusehen.
  • Verbesserung von Basel II: Für alle WFO-Mitglieder verbindliche Regeln für eine verantwortungsvolle Kreditvergabe sind unumgänglich. Die Einbeziehung des Liquiditätsrisikos und eine Erhöhung der Eigenmittelhinterlegung sind mittel- bis langfristig notwendig.
  • Ein Verbot von Short-Selling von Wertpapieren ist vorzusehen, das nicht nur an den Börsen, sondern auch im außerbörslichen Bereich (OTC-Markt) gilt.
  • Finanzalphabethisierung für AkteurInnen und KonsumentInnen: Die innovativen Finanzprodukte sind vielen zu kompliziert geworden: vielfach verstand das Top-Management von Banken nicht, welche Risiken eingegangen wurden. Für jedes Produkt, mit dem ein Finanzdienstleister handelt, muss es eine Person im Risikomanagement geben, die für dieses Produkt zertifiziert ist. Auch Zertifizierungsvorschriften (z.B. Tests oder verpflichtende Kurse) für VerkäuferInnen und HändlerInnen sind vorzusehen. Grundprinzip: „Keine Produkte kaufen/verkaufen, die man nicht versteht“.
    Auch die Qualifikation des Personals der Aufsichtsbehörden ist sicherzustellen. Gute Personalauswahl und attraktive Gehälter für qualifizierte Prüfer sind wesentlich für eine effektive Kontrolle.
    Letztlich ist auch Bildung und Wissen über Finanzmärkte in der Bevölkerung zu verbessern. Bildung, Information, Beratung und Verkauf sollte nicht in ein und derselben Hand sein. Deshalb sollten unabhängige/öffentliche Beratungsstellen (z.B. von der EU) geschaffen werden.
  • Eingriff in Entlohnungsmodelle und Haftung der Manager: Entlohnungsmodelle – vor allem die Bonussysteme und Provisionen – innerhalb der Finanzmarktakteure müssen den Aufsichtsbehörden offen gelegt werden, um deren Einfluss auf Handlungen und Entscheidungen (falsche Anreize) zu überprüfen und in diese bei Bedarf steuernd durch die Aufsichtsbehörden einzugreifen.
    Ausbezahlte Prämien sollen bei Verlusten eine bestimmte Zeit lang zurückgefordert werden können. Von Abfertigungen für AkteurInnen soll ein Prozentsatz der von ihnen verursachten Verluste abgezogen werden.

Gründung einer Weltfinanzorganisation

In der gegenwärtigen Krise ging die Initiative zur Bewältigung eben dieser Krise von den gut koordinierten  Zentralbanken und einigen (großen G7) Ländern aus; die internationalen Organisationen, wie IWF (Internationaler Währungsfonds), aber auch die UN, verhielten sich passiv. Informelle Gruppierungen wie das Financial Stability Forum (FSF) arbeiteten im Auftrag von einigen Ländern. Eine globale Wirtschafts- und Finanzkrise erfordert aber die Handlungsfähigkeit der gesamten internationalen Staatengemeinschaft: der Entwurf von Maßnahmen und Aktionsprogrammen darf nicht von einem einzelnen Staat oder einer kleinen Gruppe von Staaten dominiert werden. Auch schon deshalb, um unfairen System-Wettbewerb zu verhindern.

Die gegenwärtige Krise muss daher zum Anlass genommen werden, die Legitimität und damit Handlungsfähigkeit von multilateralen wirtschafts- und finanzpolitischen Organisationen zu stärken. Die Erfahrung zeigt, dass Organisationen wie beispielsweise der IWF starkem Lobbying durch die Finanzindustrie unterliegen – so ist das IIF (International Institute of Finance) in Washington gleich um die Ecke vom IWF angesiedelt. Deshalb werden jene Risiken, die von der Finanzindustrie für den Rest der Gesellschaft ausgehen, viel zu wenig berücksichtigt.

Die Grundsätze von Rechenschaftspflicht und Transparenz, Repräsentativität, Effektivität, demokratische Legitimität sowie vorhandenem Wissen und qualifiziertem Personal für die Reform der internationalen Finanzarchitektur können aber wohl nur durch die Schaffung einer neuen Behörde, einer Weltfinanzorganisation (WFO), erfüllt werden. Diese könnte aus bestehenden Abteilungen des IWF und teilweise der Weltbank geschaffen werden. Sie könnte integraler Bestandteil des IWF bleiben oder eine dritte neue Bretton Woods Institution werden. Um eine geografische Konzentration in Washington zu vermeiden, könnte die neue Behörde ihren Sitz in Europa oder Asien haben. (Auch die UN hat mehrere Amtssitze!).

Jedoch ist die Legitimität dieser neuen Behörde im Vergleich zum IWF noch zu verbessern: innerhalb der Entscheidungsstrukturen sollte das Veto eines Landes nicht möglich sein. Auch sollte diese Behörde einer politischen Kontrolle unterworfen werden, auch um sicherzustellen, dass nicht nur die Interessen des Finanzsektors berücksichtigt werden. Diese Kontrolle könnte von der UNO wahrgenommen werden.

Für das neue internationale Regulierungssystem, das der WFO untersteht, ist die Anzahl der Staaten, die dieses Regulierungssystem akzeptieren, wesentlich. Es ist eine kritische Masse an Mitgliedern notwendig, um ein Ausweichen – „off-shore financial centres“ und „financial arbitrage“ – und damit das Umgehen der Regulierung zu verhindern. Alle Mitglieder verpflichten sich, sich der Regulierung zu unterwerfen.

Nicht-Mitglieder werden beispielsweise sanktioniert, indem Geschäfte mit Finanzdienstleistern mit Sitz in Nicht-Mitgliedesländern entweder für Mitglieder verboten oder mit hohen Gebühren belegt werden. Eventuell ist hier eine Anpassung von GATS notwendig, d.h. es ist wichtig, auch in der WTO die Unterstützung für die neue internationale Finanzmarktregulierung politisch durchzusetzen.

Auch die multilaterale Aufsicht („Frühwarnmechanismus und „macro-financial link“) könnte, unter Einbeziehung anderer internationaler Organisationen, beispielsweise in der WTO und der UNO stattfinden. Dem Frühwarnmechanismus würde auch die Rolle zukommen, die Entwicklung von Blasen auf den Finanzmärkten rechtzeitig zu entdecken und die Mitgliedstaaten dazu auffordern, ihre jeweilige Geld- und Finanzpolitik zu ändern.

Die Gründung einer Weltfinanzorganisation und eine faire und verbindliche internationale Finanzmarktregulierung sind möglich, wenn der politische Wille dazu vorhanden ist. Die Chance dazu ist vielleicht nicht groß, aber sie war noch nie so groß wie jetzt.
* Sonja Schneeweiss ist Europasprecherin des Bundes Sozialdemokratischer Akademiker/innen, Intellektueller & Künstler/innen (BSA).
Das BSA-Konzept zur internationalen Finanzarchitektur ist online abrufbar.

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