„Keine ernsthafte Theorie“

Leonhard Dobusch

Das Interview mit „Yale-Wirtschaftswissenschaftler Robert Shiller, 62, über Ursachen und Folgen der Finanzkrise“ in der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ offenbart eine ganze Menge über den Zustand der Volkswirtschaftslehre. Denn als in mathematische Modelle auf Basis von absurden Annahmen verliebte Disziplin verbreitet der ökonomische Mainstream derzeit vor allem eines: Ratlosigkeit. Oder in den Worten des Yale-Professors:

„Wir haben es hier mit einem psychologischen Problem zu tun: Das Vertrauen bricht zusammen. Darauf liefern die meisten Finanztheorien leider keine Antwort. Was wir hier sehen ist eine Epidemie. Erst war es eine Epidemie von ungezügeltem Enthusiasmus für Immobilien – und dann das Gegenteil, ein massenhafter, ansteckender Vertrauensverlust. Diese Dinge sind schwer zu steuern, und dafür gibt es auch keine ernsthafte Theorie.“ (Der Spiegel 21/2008, 58)

Besonders verräterisch an dieser Aussage ist der letzte Teil, der Hinweis, es gebe „keine ernsthafte Theorie“, die das erklären könne. Denn jene Theorien, die von anderen Annahmen ausgehen oder mit anderen Methoden wirtschaftliche Vorgänge analysieren und zu erklären versuchen, werden von der herrschenden ökonomischen Kaste einfach als „unökonomisch“ oder gleich „unwissenschaftlich“ aussortiert. Christopher Hayes berichtet in diesem Zusammenhang über einen E-Mailverkehr zwischen dem bekannten Verfasser von Mikroökonomie-Lehrbüchern Hal Varian aus Berkeley und Peter Dorman, einem eher „dissidenten“ Ökonomen vom Evergreen State College:

“Varian wrote to Dorman that there was no point in presenting ‘both sides’ of the debate about trade, because one side – the view that benefits from unfettered trade are absolute – was like astronomy, while any other view was like astrology. ‘So I told him I didn’t buy the traditional trade theory,’ Dorman said. ‘‘Was I an astrologer?’ And he said yes!’“

Da in kaum einer wissenschaftlichen Disziplin ist ein einziges theoretisches Paradigma derart dominant ist, wie das neoklassische in der Ökonomie, hat diese Einstellung zur Konsequenz, dass die herrschende Lehre zu Wirtschaftskrisen wie der aktuellen wenig zu sagen hat. Dieser Befund mag den ökonomischen Laien überraschen, insbesondere angesichts Regelmäßigkeit mit der Wirtschaftskrisen und Börsencrashs den Kapitalismus heimsuchen. Womit, wenn nicht mit diesen Vorkommnissen beschäftigt sich dann die zeitgenössische Ökonomie?

Nun, die herrschende Lehre beschränkt sich vor allem darauf, den „gewöhnlichen“ Gang der Dinge zu analysieren. Ob ihr auch das mehr schlecht als recht gelingt, sei hier dahingestellt (vgl. aber: Keens Buch „Debunking Economics“), jedenfalls basiert ihr Instrumentarium dabei auf der Figur des „homo oeconomicus“. Der wiederum ist rational, vollständig informiert und hat sowohl stabile Präferenzen als auch Erwartungen. Krisen werden bestenfalls ausgelöst durch „externe Schocks“, die durch die „unsichtbare Hand“ des Marktes einem Naturgesetz gleich bewältigt werden und so in einem neuen Gleichgewicht münden.

Es war genau diese Einstellung, die den Ökonomen John Maynard Keynes zu seinem meistzitierten Satz veranlasst hat:

„In the long run we are all dead. Economists set themselves too easy, too useless a task if in tempestuous seasons they can only tell us that when the storm is long past the ocean is flat again. (1923, A Tract on Monetary Reform. Macmillan, 65)

Das Dilemma der ÖkonomInnen des Jahres 2008 ist, dass sie ebendiesem John Maynard Keynes zwar in zahlreichen Lippenbekenntnissen Respekt zollen, dessen Arbeit allergrößtenteils aber eben nicht zu den „ernsthaften“ Theorien zählen. Insbesondere sein Hauptwerk, „The General Theory of Employment, Interest, and Money” ist 1936 als Antwort auf die Fragen der Weltwirtschaftskrise erschienen und von atemberaubender Aktualität. So beschreibt er im 12. Kapitel ausführlich und auch für den Laien verständlich, warum unregulierte Finanzmärkte notwendigerweise zu Übertreibungen, Blasen und Krisen führen. Als einen zentralen Punkt nennt Keynes dabei die kurzfristige Orientierung von (auch: professionellen) Investoren auf unregulierten Finanzmärkten – unabhängig von ihren Informationen über die Realwirtschaft:

„They [professional investors, Anm. L.D.] are concerned, not with what an investment is really worth to a man who buys it “for keeps”, but with what the market will value it at, under the influence of mass psychology, three months or a year hence. Moreover, this behaviour is not the outcome of a wrong-headed propensity. It is an inevitable result of an investment market organised along the lines described. For it is not sensible to pay 25 for an investment of which you believe the prospective yield to justify a value of 30, if you also believe that the market will value it at 20 three months hence.” (1936/1997, General Theory of Employment, Interest and Money. Prometheus Books, 147 ff)

Eine von Keynes inspirierte Minderheit unter den Ökonominnen und Ökonomen wie die Österreicher Stephan Schulmeister und Markus Marterbauer oder ihre deutschen KollegInnen am Institut für Makroökonomie (IMK) forderten genau aus diesen Gründen bereits seit Jahren eine stärkere Regulierung der globalen Finanzmärkte – auch auf nationaler Ebene. Sie haben auch konkrete Vorschläge dafür, wie jetzt zumindest die Folgen der Krise eingedämmt werden könnten (vgl. Schulmeister im Ö1-Mittagsjournal oder eine aktuelle Studie des IMK). Bleibt zu hoffen, dass wenn schon nicht ihre KollegInnen aus der volkswirtschaftlichen Orthodoxie, so zumindest die Politik ihre Theorien „ernsthaft“ in Erwägung zieht.

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