Nach langen Wochen völliger Unsicherheit hat der Kriterienkatalog für Koalitionen, besonders aber die vorgeschlagenen Koalitionsbedingungen und die beschlossene Urabstimmung über einen Koalitionspakt für dringend nötige Orientierung in der SPÖ gesorgt. Es ist damit ein Stück weit gelungen, den Blick vom eigenen Bauchnabel zu lösen und zurück zu einem Bereich zu finden, in dem die Sozialdemokratie viel zu bieten hat: Politische Inhalte. Vier Gedanken zur Präsentation dieser neuen Strategie in Koalitionsfragen.
Eva Maltschnig*
Inhalt
Ein Argument, das von GegnerInnen der präsentierten Vorgangsweise zu Koalitionsfragen immer wieder aufgebracht wurde, ist jenes des bestehenden Parteitagsbeschlusses zum Thema rot-blauer Zusammenarbeit. Diese absolute Ablehnung sei nun durch ein flexibleres Konzept ersetzt und das bedeute eine Annäherung an die FPÖ. Dieses Argument lässt außer Acht, dass in der Realverfassung der SPÖ Parteitagsbeschlüsse Schall und Rauch sind. Das ist ein Problem, aber leider wahr. Was für einen Parteivorsitzenden zählt, ist eine Mehrheit im Vorstand. Wenn es dort eine für Rot-Blau gibt, lässt sich de facto alles beschließen, Parteitagsbeschluss hin oder her. Auch wenn eine Mehrheit der Mitglieder die Entscheidung schlecht fände, könnte sie mangels sinnvoller innerparteilicher Wahlmöglichkeiten für VertreterInnen im Parteivorstand wenig dagegen ausrichten. Deshalb setzen wir uns für einen Ausbau der repräsentativen Demokratie innerhalb der SPÖ ein.
Was in der konkreten Frage der Koalition derzeit aber zählt, ist die Vorgabe des Parteivorstands. Dieser hat nun die größere Offenheit in Koalitionsfragen mit einer strengeren formalen Regel, nämlich einer Urabstimmung, und mit einer politischen Vorgabe, den Koalitionsbedingungen, junktimiert. Das stellt einen großen Fortschritt dar. Vor letztem Mittwoch wäre alles möglich gewesen. Seit Hans Niessl ist völlig klar, dass das rot-blau-Thema eine offene Flanke mit allen möglichen Vorgangsweisen ist. Der Kriterienkatalog und die Koalitionsbedingungen samt Urabstimmung stellen nun ein prozedurales Gegengewicht zu den Einzelmeinungen der Landesparteien und den laut Zeitungsberichten ziemlich erratischen Strategieüberlegungen dar, die in den letzten Wochen zwischen Löwelstraße und Kanzleramt ausgetauscht wurden. Wie bei Gesetzen gilt auch bei Parteitagsbeschlüssen: Es gibt keinen in Stein gemeißelten Fortschritt, jede Errungenschaft kann rückgängig gemacht werden, wenn man sie nicht immer wieder erkämpft. Den Umgang mit Koalitionen also demonstrativ nicht anzugreifen, hätte auch der Sache der rot-blau-KritikerInnen (also mir, zum Beispiel) nicht genützt. Dass nach der Wahl Koalitionsfragen in der großen Parteiöffentlichkeit ausdiskutiert werden müssen, ist aber von Vorteil. So kann man für oder gegen eine Option kampagnisieren. Bisher wurden Koalitionen im stillen Kämmerlein ausgeschnapst und sogar der Parteivorstand vom inneren Machtzirkel der Partei überrumpelt. Das kann dank Urabstimmung nicht mehr passieren.
Das ist nicht Simmering gegen Kapfenberg.
Am linken Spielfeldrand: Liberale AntifaschistInnen, die Rot-Grün-Neos eine klasse Option finden, kein Interesse an der Auseinandersetzung mit der sozialen Frage haben und lieber mit reinem moralischen Gewissen Matcha Latte trinken als sich in der Kampf um die reale Verbesserung der Lebenssituation von Menschen in Österreich die Hände schmutzig zu machen. Am rechten Spielfeldrand: Prinzipienlose Grundwerteverräter, die alles argumentieren würden, wenn es um ihren eigenen Job geht und das dann politischen Pragmatismus nennen, gemeinsam mit jenen, die nicht merken wie sehr der gesellschaftliche Rechtsruck ihr Urteilsvermögen trübt, und darum einen politischen Sündenfall als taktische Glanzleistung missverstehen. Das hat nichts mit realen Argumenten und Haltungen der Einzelpersonen zu tun. Aber so sieht die jeweilige Seite die andere, in einem Spiel, das seit einer knappen Woche in Kommentaren zum Kriterienkatalog und Koalitionsbedingungen ausgetragen wird. Wer alle 30 Minuten auf Facebook schaut, kennt den aktuellen Spielstand, aber es dämmert den meisten: Das ist eine Scheiß-Partie für uns engagierte SozialdemokratInnen. Nicht, dass Koalitionsoptionen für die SPÖ kein diskutierenswertes Thema wäre. Man ahnt jedoch, wie viel Freude es den Social Media Teams aller Couleurs des politischen Mitbewerbs macht, das Internet nach möglichst derben Fetzereien zwischen Roten und ihren FreundInnen zu durchforsten, wie sie sich in schillernden Farben die Streitereien in den Gremien ausmalen und hoffen, dass dabei eine G’schicht für oe24.tv herausspringt. Suchen wir uns ein anderes Spiel.
Eintreten statt austreten, und das besser früher als später.
Die geplante Urabstimmung zum Koalitionsabkommen (egal mit wem) ist wirklich das allerbeste am präsentierten Paket. Wir haben uns bereits 2013 gemeinsam mit der sozialistischen Jugend für die Urabstimmung des Koalitionspakts starkt gemacht, das hat folgende Gründe: Ob ein ausverhandelter Koalitionsvertrag genug an sozialdemokratischer Handschrift enthält, wird nach der Wahl in aller Parteiöffentlichkeit diskutiert und festgelegt. Nicht mehr eine kleine Gruppe an VerhandlerInnen, sondern alle Mitglieder treffen die Entscheidung. Dabei wird das Ergebnis zwangsläufig an den nun präsentierten 8 Koalitionsbedingungen gemessen werden und dabei substantielle Erfolge vorweisen müssen, wenn die Übereinkunft bei den Mitgliedern nicht durchfallen soll. Eine Mitgliedschaft in der SPÖ bekommt damit mehr Gewicht. Wer dabei aktiv mitwirken möchte, muss eintreten – besser früher als später. Besonders allen, die das Thema rot-blau sehr umtreibt, möchte ich nahelegen, mitzubestimmen. Das wird wichtiger sein, als gute Tipps von den mobilen Endgeräten aus zu geben. Hier ist der Beitritts-Link.
Machen wir was draus.
Die “Durchschlagung des gordischen Knotens” gewinnt uns keine Wahl. Der vorgeschlagene Weg mit Koalitionsbedingungen, Kriterienkatalog und Urabstimmung gibt uns eine Vorstellung davon, wie der erste Tag nach der Nationalratswahl im Oktober für die SPÖ aussehen wird und gibt einen dringend nötigen Orientierungsrahmen, ob man ihn nun gut findet, oder nicht. Aber wenn wir als SPÖ beim Wahlergebnis Meter machen möchten, brauchen wir schleunigst Themen und Taten, die uns dabei helfen, WählerInnen zu überzeugen.
*Eva Maltschnig ist Vorsitzende der Sektion Acht
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