Miriam Leitner*
Ja, ich habe heute ein Schild mit „Rücktritt“ hochgehalten und es ist mir dabei überhaupt nicht gut gegangen.
Während des Pfeifkonzerts und der kurzen Rede unseres Bundesparteivorsitzenden ist mein Herz noch schwerer geworden, meine Hand immer wieder nach unten gesunken und der Puls davon gejagt.
Wir stehen kurz vor einem fatalen Wahlergebnis der Bundespräsidentenwahl, die Blauen und Braunen reiben sich die Hände und wir sind so zerrissen wie noch nie. Anstatt alle Kraft zu bündeln um Norbert Hofer zu verhindern, fliegen die Fetzen am Balkon! So eine Situation, so einen 1. Mai wollte ich nie erleben.
Der Gesprächsbedarf nach dem Protest war enorm hoch. Festzuhalten ist, dass ich kein einziges Mal gehört habe, dass das heute „leiwond“ oder „gut“ war.
„Es war richtig“ – das war das allgemeine Resümee. „Es war wichtig“, weil ansonsten hätte es wieder nur geheißen, die kleine Gruppe der „Linken“ innerhalb der Partei würde sich echauffieren und Realitätsverweigerung betreiben.
Von einer kleinen Gruppe kann man seit Sonntag jedenfalls nicht mehr reden. Die lange Realitätsverweigerung der Parteispitze zum Thema Haltung, zum Thema Demokratie, zum Thema Einhaltung von Parteibeschlüssen, hat dafür gesorgt, dass die Basis aufstehen hat müssen. Es war schockierend zu sehen, wie viele es eigentlich sind, die so nicht mehr weiter machen wollen. Und das lässt sich sicher sagen: Niemand von denen hat sich heute gut gefühlt.
Und wieder reiben sich die Blauen und Braunen und Schwarzen die Hände – aber steht die SPÖ wirklich vor einer Spaltung?
Entgegen des viel beschworenem Mantras „Im Wohnzimmer streiten und nicht am Balkon“ traue ich mich zu behaupten, dass die SPÖ schon immer eine Partei war, die am Balkon gestritten hat. Der wichtigste Punkt, der diese Partei auch auszeichnet, ist dass die SPÖ offensichtlich eine Partei ist, um die so viele streiten wollen.
Dass es sowohl den jungen VSStÖlerInnen, als auch hochbetagten AltwienerInnen, GewerkschafterInnen oder der Sektion 8 wirklich um die Bewegung geht. Dass alle diese scheinbar konträren Gruppen für sich einen Platz in der Partei in Anspruch nehmen – genau das ist die Stärke der SPÖ.
Inhalt
Bis jetzt hat es sich offensichtlich gelohnt um die Partei zu streiten.
Allerdings – und das ist auch der Grund für den zerschmetternden Verlauf des ersten Wahlgangs der Bundespräsidentschaftswahl – ist es in den letzten Jahren für viele in der Partei eng geworden. Es wurden sukzessive Linien überschritten, die für viele Gruppen und Einzelpersonen sogenannte rote Linien im Sinne von „No-Gos“ sind. Überschreitungen, die man in seinem Freundeskreis oder vor sich selbst nicht mehr argumentieren kann. Vor allem aber, Überschreitungen, die einfach von Oben bzw. via Kronen Zeitung verkündet wurden. Und das in einer Situation, in der eine unfassbare, durch Medien live übertragene menschliche Katastrophe stattfindet.
So durften Parteimitglieder auch nur aus den Medien erfahren, wie die jeweilige Richtung der Bundespartei etwa zum Thema Flüchtlinge ist. Wer Hoffnung im Rahmen der Wien-Wahl im letzten Herbst hatte, wer auf das Überspringens des Funkens der „Refugees welcome“ Bewegung gewartet hatte, wer von einer sozialen Bewegung innerhalb der Partei geträumt hatte, wurde jäh enttäuscht durch einen radikalen, bloß medial verkündeten Kurswechsel.
Ja, hier spaltet sich die Partei
Die Unantastbarkeit der menschlichen Würde gilt es für jede einzelne Person zu verteidigen, aber besonders für jene, die auf der Flucht sind. Über Menschenrechte kann man nicht streiten und da kann es auch keine Kompromisse geben. Hier handelt es sich ganz klar um einen Grundpfeiler der SPÖ, eine unverhandelbare Determinante der Sozialdemokratie. Dass man um diese streiten muss, ist der Grund, der so viele empört.
Hier – und diesen Denkfehler halte ich in der Debatte für fatal – geht es schon lange nicht mehr um links und rechts. Es geht um ein Bekenntnis, Helfen zu wollen, ein Bekenntnis zu einem menschenwürdigen Ton in der Debatte, um das Abreißen von Zäunen und nicht – und zwar überhaupt nicht – um das Bauen von Mauern.
Analysiert man die Wortmeldungen des Landesparteitags, so wird klarer, dass es sich hier nicht um eine „links-rechts“-Debatte handelt. Der Unmut hat sich auch am 1. Mai nicht nur an der geographischen Lage ausmachen lassen.
Wenn man die Empörung einer Gruppe zuordnen wollen würde, dann ist es viel eher eine Frage der Generationen als eine Frage der Richtung. Noch nie waren die Jungen in der Partei so einig, sind so geschlossen zu einem Thema aufgetreten und haben sich so konzertiert verhalten. Es sind aber nicht nur „die Jungen“, sondern insgesamt diejenigen, die unter schwarz-blau sozialisiert wurden enorm geeint in dieser Debatte. Kurz gesagt handelt es sich bei diesen eindeutig um die Zukunft der Partei.
Was tun?
Der 1. Mai hat Beklemmung hervorgerufen, er lässt aber keineswegs ratlos zurück. Es müssen sich ganz grundlegende Dinge verändern und eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema wird nicht ausreichen. Ja, es wird eine Personaldebatte geben müssen. Ja, es wird eine inhaltliche Debatte geben müssen. Ja, es wird eine Debatte zur Kultur innerhalb der Partei geben müssen.
Die gute Nachricht für die SPÖ im Rückblick auf einen alles andere als harmonischen 1. Mai ist, dass noch viele finden, dass die SPÖ ihre Partei ist. Denn das zeigen die engagierten Auseinandersetzungen zweifelllos. Dass die SPÖ eine Partei für viele ist – dass sie nach wie vor eine Volkspartei sein kann. Voraussetzung dafür ist aber, dass sie das „Demokratie“ in „Sozialdemokratie“ endlich auch selbst ernst nimmt und erkennt, dass ein konstruktiver Streit um alternative Personen und Programme keine Gefahr, sondern eine Voraussetzung für eine erfolgreiche SPÖ ist.
* Miriam Leitner ist Mitglied in der Sektion 8 der SPÖ Alsergrund.
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