Die Haltung, mit der die SPÖ am Sonntag die Wahlen gewonnen hat, hat sie auch in anderen Fragen. Ein Ausblick zum kommunalen Wahlrecht, das Gegenstand unserer Kampagne 24aus24 war.
„Wer ist das Volk?“ ist die Grundfrage der Demokratie, weil jede Frage nach der Legitimität auf die Frage nach der demokratischen Qualität hinausläuft. In letzter Zeit haben nicht nur wir den ohnehin völkisch-lastigen Charakter des Wahlkampfs dazu genützt, diese Frage vermehrt zu stellen. Weil Menschen und ihre Geschichten Problemlagen gut begreifbar machen, haben wir in 24 Tagen vor der Wahl an jedem Tag eine Person gezeigt, die in Wien lebt und von den Wahlen zum Wiener Landtag ausgeschlossen wurde, weil sie den falschen Pass hat. Denn durch die Kopplung unseres Wahlrechts an die Staatsbürgerschaft, die derzeit Gesetzeslage ist, sind 24% der Wiener Bevölkerung wahlrechtslos. Das sind 381.448 Menschen. Zum Vergleich: 329.772 haben am Sonntag die SPÖ gewählt.
Der exklusive Ansatz, den Österreich insgesamt in seiner Integrationspolitik verfolgt, ist europaweit am absteigenden Ast. Er hat auch hierzulande keine Zukunft: die Einbürgerungsraten sind nicht steigend, sondern im Sinken begriffen. Ein neutraler Blick auf das derzeitige Integrationskonzept muss das einsehen und darauf reagieren.
Welche Alternativen gibt es in punkto Wahlrecht?
Ein inklusiver Ansatz betrachtet das Wahlrecht als Schritt auf dem Weg zu einer erfolgreichen, politischen Inklusion, an deren Ende die Einbürgerung steht. Man schafft günstige Konditionen für Integration, die auch zwischen InländerInnen und AusländerInnen den Maßstab der Antidiskriminierung anlegen. Die leitende Idee ist: wer sich vom Staat – hier müssen die Parteien nicht inkludiert sein – fair behandelt fühlt, wird ein rechtsstaatliches Bewußtsein entwickeln. Die Demokratie demokratisiert ihre Unterworfenen, so die Annahme, und die Schule der Demokratie die beste Maßnahme.
Eine weitere Variante stellt Zugewanderte in Partizipation und Bürgerrechten weitaus gleich, strebt aber deren Einbürgerung nicht grundsätzlich an. Für ein solches Wohnbürgerschaftsmodell spricht insbesondere der Umstand, dass das Gesellschaftsmodell der Europäischen Union die Mobilität ihrer BürgerInnen vorsieht. Sie tut das ohne deren Herkunft, Sprachen und Kulturen vereinheitlichen zu wollen. Dieser Aspekt liegt insbesondere rechtskonservativen und naturgemäß nationalistischen Parteien am Herz. Im Sinne der europäischen Freizügigkeit mobilen BürgerInnen nahezulegen, ihre Staatsbürgerschaft mit dem Wohnort zu wechseln, war hier dezidiert nicht die Absicht.
Die Verfassung sieht nicht vor, dass das Wahlrecht an die Staatsbürgerschaft gekoppelt sein muss, sie zementiert auch keinen Volkscharakter ein. In der Verfassung steht, dass das Recht vom Volk ausgeht, und es aus diesem Grund dem Nationalrat obliegt, zu definieren, wer dieses Volk ist. Damit ist judiziert, dass der Wiener Landtag die Materie nicht selbstständig ändern darf; aber nicht mehr, und nicht weniger. Wien steht auch nicht als einzige Stadt vor diesem Problem: in Bremen appellierte das Gericht angesichts der Diskrepanz zwischen Wahlvolk und den dauerhaft der Staatsgewalt Unterworfenen gar an die im Grundgesetz verankerte Menschenwürde.
Wie geht es weiter?
Die Frage „Wer ist das Volk?“ wird uns noch länger beschäftigen. Die Interviews des Wahlabends haben bereits gezeigt, dass sich die Auseinandersetzung mit dem nationalen Lager wesentlich über die Frage des kommunalen Wahlrechts für WohnbürgerInnen abspielen wird, das die FPÖ mit ihrer neuen Sperrminorität auf Ansage verhindern möchte. Auch diese Debatte beginnt vertraut uninformiert, indem sie übersieht, dass die Gesetzesänderung aus dem Nationalrat kommen muss und damit aus einem Parlament eine Ebene über jenem Parlament, das die FPÖ nun sperren kann.
Den österreichischen Regierungsparteien im Nationalrat ist grundsätzlich bewusst, dass Österreich ein Einwanderungsland ist und als solches Strategien braucht. Der mutige Wiener Wahlkampf der SPÖ wird zudem das Seine tun, in der Bundespartei die richtigen Leute zu motivieren; das rote Wien will ohnehin längst ein neues kommunales Wahlrecht. Das konservative Österreich zerfällt in dieser Frage in ein liberales und ein nationales Lager. Letzteres ist durch Merkels Pragmatismus in der Flüchtlingspolitik und die Vehemenz, mit der sie ihre Politik des Faktischen in der Flüchtlingsfrage durchzieht, verstört und vermehrt gewillt, nach rechts umzusatteln. Und das liberale Lager ist mit den NEOS, die ein Wohnbürgerschaftswahlrecht für EU-BürgerInnen im Programm haben und mit dem Einzug ins Wiener Stadtparlament nun nicht mehr nur einen Fuß in der Tür haben, um einiges gestärkt worden. Bei einem Verlust von 19.000 Wählerinnen und Wählern hat die ÖVP gestern im Vergleich zu 2010 fast jede fünfte Stimme an die NEOS verloren.
Die FPÖ benötigt Themen über AusländerInnen wie ein Wanderer in der Wüste einen Tropfen Wasser. Sie wird das Thema am Leben erhalten. Auf wen es in der Frage des Wahlrechts aber wirklich ankommen wird, ist die ÖVP. Wenn man sich dort weiter einbildet, man verfolge ‚Integration durch Leistung‘, bleibt es bei ‚Heimat durch Blutsabstammung‘.
Die Aussage „Die Verfassung sieht nicht vor, dass das Wahlrecht an die Staatsbürgerschaft gekoppelt sein muss“ stimmt nicht. Art 26, 95 und 117 B-VG enthalten eine ausdrückliche Beschränkung auf Staatsbürger. Die Entspricht auch der Judikatur des VfGH (G 218/03 zum Wahlrecht auf Bezirksebene in Wien). Zur Einführung des Ausländerwahlrechts bedarf es daher einer Verfassungsänderung. Dazu ist – wie richtig ausgeführt – der Nationalrat zuständig. Allerdings ist eine 2/3 Mehrheit erforderlich.