Man kommt in der österreichischen Innenpolitik kaum noch nach mit dem Analysieren. Die letzten zwei Wochen waren vor allem für die SPÖ turbulent. Besonders die Koalition der burgenländischen SozialdemokratInnen mit der FPÖ im Landtag sorgte für eine Vielzahl an Reaktionen: Empörung, Kritik, Zustimmung und Unsicherheit. Dabei kann diese Koalition helfen, die Probleme der SPÖ besser zu verstehen und ein paar Anhaltspunkte geben, wohin die Reise weiter gehen soll.
Eva Maltschnig*
Eines vorweg: Ich finde, dass man als SozialdemokratIn mit den Freiheitlichen auf parlamentarischer gesetzgebender Ebene zusammenarbeiten kann – die Abschaffung der Studiengebühren gemeinsam mit FPÖ und Grünen im Jahr 2008 war so ein Fall. Ich finde es allerdings mit sozialdemokratischen Zielen unvereinbar, mit der FPÖ Koalitionen zu bilden. Man kann einer Partei, in der Leute wie John Gudenus als völlig normaler Politiker gesehen werden, einfach keine Verantwortung über einen Staat oder ein Bundesland übertragen. Mit dieser Meinung bin ich in der SPÖ nicht alleine, zur Diskussion möchte ich aber ein paar andere Facetten beitragen.
Also von vorne: Was ist eigentlich passiert? Hans Niessl, jener Landeshauptmann, der sich innenpolitisch vor allem durch sein unermüdliches Eintreten für den Bundesheer-Assistenzeinsatz [1], den Kauf von Kasernen des Bundes durch das Land Burgenland, damit sie “jetzt und für die Zukunft nicht mehr als Asylquartiere zur Diskussion stehen“ oder die Forderung nach Strafen bei “Integrationsunwilligkeit” profiliert hat, schloss nach Verlust der absoluten Mehrheit im burgenländischen Landtag im Eilverfahren ein Koalitionsabkommen mit der FPÖ. Man habe die Signale der Bevölkerung verstanden, so Niessls aufschlussreiche Begründung. Nach zwei Tagen Verhandlungen hatte man sich auf ein Koalitionspapier und die Ressortverteilung geeinigt – in völliger Missachtung eines Beschlusses des SPÖ-Bundesparteitags, der eine Koalition mit den Freiheitlichen auf allen Ebenen ausschließt. Werner Faymann wurde nach dem burgenländischen Tabubruch nicht müde zu betonen, dass das im Bund auf keinen Fall vorkommen werde [2], was die Länder machen, sei aber ihre Sache. Eine Reihe an klassischen SPÖ-Problemen wurde dabei ersichtlich.
Inhalt
Die Veränderung der Partei scheitert mehr an der Form, als am Inhalt.
Das ist der erste Satz des Sektion Acht Strategiepapiers. Der SPÖ fehlt es nicht an beschlossenen Positionen und Regeln. Im Gegenteil, an jedem Parteitag ergießt sich eine Flut an Anträgen über die Organisation, die in großer Mehrheit angenommen werden – auch wir spielen dieses Spiel, hin und wieder erfolgreich. Dennoch können selbst glasklare statutarische Bestimmungen in der politischen Praxis der SPÖ weniger wichtig sein, als machtpolitische Interessen. Das letzte Beispiel dafür war die Nachbesetzung des Mandats von Barbara Prammer. Hier fällten alle befassten Parteivorstände statutenwidrige Beschlüsse in Puncto Frauenquote, die dennoch politische Realität wurden: Walter Schopf gehört seit September 2014 wieder dem SPÖ-Klub im Nationalrat an. Bis heute gibt es zu diesem Statutenbruch keine Entscheidung des von uns eingeforderten SPÖ-Bundesschiedsgerichts. In der SPÖ gibt es keine Mindeststandards für demokratische Verfahren, es herrscht Willkür.
Hinter diesem Paradoxon steht die bürokratische Machtlogik in der SPÖ. Diese drückt sich zum einen über Positionen in der Partei aus – unkritisch-loyale Parteileute werden für ihre Arbeit mit Funktionen belohnt, sie machen wenige Probleme und werden den momentanen Spitzenleuten nicht gefährlich. Zum anderen äußert sie sich in einer Art Nicht-Angriffspakt zwischen den SpitzenfunktionärInnen. Es ist den Ländern egal, was der Bund in seinem Schrebergarten macht, dafür muss dem Bund egal sein, was die Länder in ihrem machen. Diese Machtlogik steht einem Ziel politischer Parteien – nämlich Politik zu machen – entgegen. Dadurch ist die SPÖ immer weniger eine Partei mit unverkennbarem Standpunkt und immer mehr ein zum Zweckbündnis verkommener Wahlverein.
Manchmal fällt diese Praxis den Spitzen-Leuten selbst auf den Kopf, so geschehen im Fall der rot-blauen Koalition im Burgenland, die sowohl die moralische Haltung der Bundes-SPÖ gegenüber der FPÖ (“keine Koalition mit den rechtspopulitischen Hetzern!”), als auch den zentralen Wahlkampf-Claim der SPÖ Wien argumentativ unter Wasser gesetzt hat. Dabei sind sie alles andere als unschuldig an solchen Dilemmata – Michael Häupl hatte kein Problem damit, den Parteitagsbeschluss zur Wehrpflicht in einem Kronenzeitungs-Interview umzudrehen, Werner Faymann hat beim Fiskalpakt seinem eigenen Vorstand eine Friss-oder-Stirb-Situation vorgesetzt.
Auch die Diskussion um innerparteiliche Geschlossenheit ist Kind der SPÖ-Machtlogik: Während Sonja Ablinger immenser Kritik ausgesetzt war, wenn sie eine eigenständig (sozialdemokratische) Politik auch im Parlament vertreten hat, können die Landesorganisationen tun und lassen, was sie möchten, ohne sich nur einen Deut um die Konsequenzen für die gesamte Partei scheren zu müssen. Sie bekommen dafür auch noch einen Blanko-Scheck ausgestellt. Das Urteil darüber, ob eigenständige Positionen in Ordnung sind oder nicht, folgt keinen grundsätzlichen Leitlinien in der SPÖ, sondern dem tagesaktuellen Argumentationsbedarf. Wie kommt man diesen Problemen in der SPÖ nun bei?
Weg vom “Geschlossenheits”-Argument
Die SPÖ braucht kein “mehr” an Geschlossenheit, auch nicht dann, wenn jemand Positionen rechts der Mehrheit einnimmt. Die SPÖ braucht mehrheitsfähige Positionen, hinter denen Mitglieder stehen können, genauso wie Orte um diese auszudiskutieren und eine Kultur, Differenzen auszuhalten. Im Rahmen von kompetitiven Vorwahlen etwa, wo Personen genau so etwas gefragt werden können: Wie hast du’s mit Rot-Blau? So kann man KandidatInnen mit Programmen unterstützen, als Mitglied eine Wahl treffen und damit bis zur nächsten Wahlmöglichkeit leben. Es ist wertvoll, dass in der SPÖ im Gegensatz zum aktuellen Beispiel der Salzburger FPÖ nicht der Chef durchgreifen kann, wenn’s wo Brösel gibt. Aus dem gleichen Grund, aus dem man die burgenländische SPÖ wegen Rot-Blau formal nicht belangen kann, kann man auch der Sektion 8 nichts vorschreiben. Gruppen wie wir leben von diesem Bottom-Up-Prinzip. Es muss gestärkt, nicht geschwächt werden, und zwar nicht nach dem Maßstab momentaner Opportunität, sondern ganz grundsätzlich.
Dabei habe ich an Werner Faymanns Nicht-Haltung zur rot-blauen Koalition im Burgenland viel zu kritisieren: Ich würde nicht nur gerne die Meinung des Parteivorsitzenden hören (außer “was die Länder machen geht mich nichts an”), sondern erwarte mir ganz einfach, dass er sein Gewicht in die Waagschale wirft. Ein Profil-Artikel aus 2013 bringt folgende Episode in Erinnerung: Als die Kärnter FPÖ 1999 bereits mit einer blau-roten (!) Koalition liebäugelte, fuhr Viktor Klima höchstpersönlich zum Kärntner Landesparteivorstand, “um seine Genossen davon abzuhalten, Haider zum Landeshauptmann zu wählen. Haider wurde nur mit FPÖ-Stimmen gekürt.” Also: Auftauchen, Haltung zeigen, Verbündete suchen. Vielleicht auch scheitern, aber nicht so tun, als ginge einen die ganze Chose nichts an – das erwarte ich mir von einem/einer Parteivorsitzenden. Es gibt einen Mittelweg zwischen sofortigem Parteiausschluss für alle die Beschlüsse ignorieren und einfach überhaupt nichts zu tun.
Urabstimmung für Koalitionsabkommen
Die rot-blaue Koalition im Burgenland zeigt, wie sehr es in der SPÖ an Möglichkeiten fehlt, tagespolitische Entscheidungen mit Grundsatz-Debatten zu verbinden. Eine wunderbare Variante, genau das zu tun ist Parteimitglieder über einen Koalitionsvertrag abstimmen zu lassen. Drei Gründe sprechen dafür: Erstens sind Mitglieder besser in der Lage, inhaltliche rote Linien zu ziehen als die verhandelnden Hauptamtlichen. Schließlich hängt deren Job, besonders wenn es bereits eine Exekutivbeteiligung gibt, am positiven Ausgang von Regierungsverhandlungen – egal, was drinnen steht. Die Gesamtheit der Mitglieder hat hingegen mehr Abstand. Das wissen auch die VerhandlerInnen. Sie müssen/können klarere Forderungen stellen. Zweitens können die Konflikte, die Regierungsbeteiligungen innewohnen, parteiöffentlich ausdiskutiert werden. Haben wir den richtigen Partner gewählt, die richtigen Inhalte umgesetzt? Ist im Programm genug von unseren Zielen umgesetzt oder bringt uns diese Koalition um unsere Glaubwürdigkeit? Diese Diskussionen gibt es ohnehin, warum sollte man ihnen keinen Platz einräumen? Drittens werten Urabstimmungen die Mitgliedschaft in einer Partei auf. Sie ermöglichen es, innerparteiliche Kampagnen zu führen, Auseinandersetzungen um Inhalte zu gewinnen oder zu verlieren, und das in wiederkehrenden Abständen. Die Mitgliederbasis der SPÖ erodiert auch deshalb, weil Mitglieder zwar Pflichten, aber kaum Rechte haben. Urabstimmungen würden das drastisch ändern.
In der SPÖ-Steiermark wäre der Ausgang einer Urabstimmung besonders interessant gewesen, und im Burgenland hätte sich Hans Niessl und die Bundes-SPÖ vielleicht einen einzigen Moment lang besser für die rot-blaue Koalition rechtfertigen müssen, als mit einem empörten “na dann hätten wir den Landeshauptmann-Sessel verloren”. Bislang kommen die Erklärungen nämlich ohne einen Funken Inhalt aus. [3]
Wer denkt “Hans Niessl hat doch seine Leute gefragt!”, wird von Google eines Besseren belehrt: Die burgenländische SPÖ hat vor der Wahl eine Mitgliederbefragung durchgeführt, in der sich fast 90% der Mitglieder dafür ausgesprochen haben, nach der Wahl Gespräche mit allen Parteien zu führen. Niessl selbst erklärt das Ergebnis der Befragung so: “Das heißt aber noch lange nicht, dass dabei eine entsprechende Koalition mit der einen oder anderen Partei herauskommen muss. Es geht nicht um ein Farbenspiel, sondern um das beste Programm für unser Heimatland”. Natürlich steht nirgends geschrieben, dass sich die burgenländischen SPÖ-Mitglieder bei einer Urabstimmung über den rot-blauen Koalitionsvertrag sich ihrer antifaschistischen Identität wieder erinnert und mehrheitlich mit Nein gestimmt hätten. Aber es stimmt einfach nicht, dass man sie zu dieser Koalition gefragt hätte.
Wohin geht die Reise?
Gibt es eine sinnvolle Sozialdemokratie nach dem verlorengegangenen Rot-Blau-Tabu? Die Internet-Empörung und viele Linke schreien laut “Nein”. Ich meine, die Chance darauf gibt es nach wie vor. Vielleicht helfen die aufbrechenden Gräben, endlich ein paar Diskussionen in der SPÖ nachzuholen, die schon längst fällig geworden sind. Das Thema Wahlrecht für AusländerInnen hat zum Beispiel mehr Partei-Öffentlichkeit dringend nötig.
Ergibt mein Engagement in der SPÖ eigentlich Sinn? Ich finde schon, sonst würde ich so ein zeitintensives Hobby nicht betreiben. Als Sektion-Acht-Mitglied bin ich es gewöhnt, mich in einer Partei zu bewegen, in der der ich auch Minderheiten-Positionen vertrete. Manchmal ist selbst das zu viel gesagt und wir sind die einzigen, die Dinge anders sehen (und das öffentlich sagen). Manchmal sind wir mehrheitsfähig. Manchmal haben wir Verbündete. Manchmal Erfolg auf längere Sicht. In der SPÖ gibt es noch einiges zu erreichen, an Handlungsfeldern mangelt es ja nicht. Eine aktuelle Herausforderung: In der Sozialdemokratie klar zu machen, dass keine andere Partei (weder die FPÖ, noch die ÖVP oder die Grünen) die eigenen Probleme lösen können.
Immer wieder taucht die Frage nach einer Parteigründung links der Mitte auf, mitunter wird auch direkt an uns die Aufforderung gerichtet. Ich habe überhaupt nichts gegen eine Linkspartei-Gründung in Österreich einzuwenden. Nur: ich finde mein Engagement in der SPÖ wichtig und wertvoll und werde die Linkspartei nicht gründen. Das wird und soll aber niemanden anderen davon abhalten. Man kann ja nur für sich selbst entscheiden, wo man seine politische Energie investieren möchte – ob das jetzt eine Partei, NGO oder ganz etwas anderes ist. Wessen Strategie am meisten dazu beiträgt, Mehrheiten links der Mitte zu organisieren, kann man höchstens im Nachhinein feststellen. Vielleicht kann man das einfach als Langzeit-Wette unter Freunden sehen, denn Durchhaltevermögen braucht es so oder so.
*Eva Maltschnig ist Vorsitzende der Sektion Acht
[1] Im Jahr 2009 wurden neun Flüchtlinge an der burgenländischen Grenze aufgegriffen. Die Kosten pro Aufgriff beliefen sich dabei auf 1,4 Mio. Euro. Hans Niessl wollte den Einsatz mit der Begründung verlängern, dass es um das “subjektive Sicherheitsgefühl” der Bevölkerung gehe.
[2] Aus dem SPÖ-Newsletter vom 5. Juni 2015: “Keine Koalition mit den rechtspopulistischen Hetzern, die mit ihrer Angstpolitik und Panikmache das gesellschaftliche Klima in Österreich vergiften!”
[3] Aus dem SPÖ-Newsletter vom 5. Juni 2015: “Die ÖVP hat nicht akzeptiert, dass – wie das in demokratischen Staaten sonst üblich ist – die stimmenstärkste Partei den Landeshauptmann stellt. Sie wollte mit einer rechtsrechten Wackel-Koalition aus ÖVP, FPÖ und dem blauen Ableger Liste Burgenland, die nur eine Mehrheit von einem Mandat gehabt hätte, eine Regierung OHNE die SPÖ (mit 42 Prozent die mit Abstand stärkste Partei im Burgenland!) bilden.” (Hervorherbungen im Original).
Die Positionen im Parteiprogramm und nach den Beschlüssen sind deutlich, in der Praxis macht fast jede/r, was er/sie will. Das erinnert verteufelt an die Situation von 1934, wo auch Theorie und Praxis weit auseinander klafften, was dann letztlich zum Untergang der Partei geführt hat.
Heute kommt noch zusätzlich erschwerend hinzu, dass ein nicht unerheblicher Teil der Funktionäre den Triumph des Mittelmaßes repräsentiert, politische Figuren mit Ecken und Kanten – und ja, auch mit Fehlern – sind extrem selten geworden. Da hilft es nichts, zu greinen, dass die Kommunikation besser sein könnte und wir ja in einer Koalition agieren müssen. Wenn die handelnden Personen nicht klar erkennen lassen, was sie eigentlich wollen oder meinen, werden sich die Wähler immer mehr an denen orientieren, die angeblich klare Lösungen haben, auch wenn das in der Praxis, wie etwa bei Blau/Orange/Schwarz, nur zu Verschlechterungen führt.
Schwammiges Gequatsche, aus dem man nicht erkennen kann, was die Spitzen der SPÖ wollen, welche Positionen vertreten werden und wie auf Ängste und Sorgen eingegangen werden kann, bringt halt keine Wähler!