Die Forderungen nach strengeren Auflagen für Arbeitslose lenken von den wahren Ursachen von Arbeitslosigkeit ab. Eine strengere Handhabe gegen Arbeitslose schafft keine Jobs und erhöht zudem den Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen. Ein Plädoyer für Solidarität mit den Arbeitslosen.
Philip Rathgeb*
Inhalt
Der Ruf nach Strenge in einem strengen System
Aus ÖVP-Kreisen sowie vom AMS-Chef Johannes Kopf wurde kürzlich gefordert, über strengere Zumutbarkeitsbestimmungen Arbeitslose zur Aufnahme einer Erwerbsarbeit zu bewegen. So sollen Arbeitslose längere Wegstrecken zum Arbeitsplatz akzeptieren und generell schlechtere Jobs annehmen, die nicht ihrer Qualifikation entsprechen.[1] Dahinter verbirgt sich der Verdacht, dass mehr Druck schon reichen würde, um Leistungsempfänger_Innen wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Gleichzeitig wird in der Diskussion allerdings verschwiegen, dass mittlerweile seit zwei Jahrzehnten diese Auflagen ohnehin schrittweise verschärft wurden. Seit 2008 gilt bereits für eine Teilzeitbeschäftigung eine Wegzeit von eineinhalb Stunden als zumutbar, unabhängig vom zeitlichen Ausmaß des Beschäftigungsverhältnisses. Vollzeitbeschäftigte müssen jedenfalls eine Wegzeit von zwei Stunden pro Tag in Kauf nehmen. Zudem sind Arbeitslosengeldbezieher_Innen dazu verpflichtet, auch „berufsfremde“ Jobs anzunehmen, sofern sie darin nicht weniger als 80% bzw. 75% der Bemessungsgrundlage ihres Arbeitslosengeldes verdienen. Eurostat-Daten zeigen, dass bereits knapp 46% der Arbeitslosen in Österreich unter der Armutsgefährdungsgrenze leben. Gleichzeitig wurde das Repertoire an Sanktionsdrohungen zunehmend erweitert. So reicht das Versäumen eines inzwischen allwöchentlich möglichen Kontrolltermins zur Sperre des Arbeitslosengeldbezuges. Nach Angaben des AMS hat sich bereits im Zeitraum zwischen 1990 und 2005 die Zahl der Sperren vom Leistungsbezug verfünffacht. Im letzten Jahr erreichte die Anzahl an Sanktionierungen ein vorläufiges Rekordhoch: Es wurden 105.300 Sperren vom Arbeitslosengeldbezug verhängt.[2] So stehen ungefähr 300 Sperren im Verhältnis zu 1000 Arbeitslosen.
Dänemark: Ein Vorbildland?
Die immer wiederkehrenden Rufe nach der Disziplinierung von Arbeitslosen blenden systematisch die konjunkturellen Ursachen von Arbeitslosigkeit aus. Lieber wird die politische Aufmerksamkeit auf die Opfer der Krise selbst gelenkt. Von trauriger Ironie ist zudem, dass Christoph Leitl ausgerechnet Dänemark als nachahmenswertes Vorbildland in der Vermittlungspraxis von Arbeitslosen nennt. Der Rückbau der dänischen Arbeitslosenversicherung in Zeiten hoher Erwerbslosigkeit führte nämlich dazu, dass innerhalb des letzten Jahres 33.900 Arbeitslose ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld verloren.[3] Strenge Auflagen in Kombination mit erschwerten Zugangskriterien und Anspruchsbestimmungen führten nicht zu höherer Beschäftigung, sondern in die Armut per Gesetz. Aktuell arbeitet eine Kommission aus Experten und Sozialpartnern an einer Reform der dänischen Arbeitsmarktpolitik, um sich mit dieser Problematik zu befassen. Dementsprechend ist ein zentrales Wahlkampfthema für die kommende Folketing-Wahl das politische Versagen soziale Rechte in einem universellen Sozialstaat sicherzustellen. Die dänische Lektion ist somit klar: Druck auf Arbeitslose schafft keinen Arbeitsplatz. Nur zusätzliche Arbeitskräftenachfrage schafft Arbeitsplätze.[4]
Worum es bei diesen Forderungen wirklich geht
In Wahrheit erfüllt der Ruf nach strengeren Zumutbarkeitsbestimmungen und Auflagen für Arbeitslose einen anderen Zweck. Der geforderte Zwang zur Annahme jeglicher Jobs verschlechtert insgesamt die Verhandlungsposition von Arbeitnehmer_Innen gegenüber Arbeitgeber_Innen. Wenn Arbeitslose dazu verpflichtet werden, niedrig entlohnte Jobs über weite Wegstrecken zu akzeptieren, hat das Auswirkungen auf das gesamte Kollektivvertragssystem. Die Aushöhlung von Mindeststandards in der Vermittlung von Arbeitslosen fördert nämlich das Anwachsen eines Niedriglohnsektors und legitimiert damit wachsende soziale Spaltungen und die Dequalifizierung erworbener Fähigkeiten. Ein noch strengeres AMS-Regime verschärft die bedrückende Situation für die von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen und erhöht allgemein den Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen. Unsere Solidarität mit den Arbeitslosen ist mehr gefragt denn je.
*Philip Rathgeb ist Doktorand am European University Institute
[1] http://derstandard.at/2000007762826/LeitlArbeitslose-sollen-auch-schlechtere-Jobs-annehmen
[2] http://www.ams.at/ueber-ams/medien/ams-oesterreich-news/arbeitslosengeld-sperren-stiegen-2013-um-65-auf-105300-an
[3] http://ak-samvirke.dk/sites/ak-samvirke.omega.oitudv.dk/files/dokumenter/nyheder/opbrugte_dagpengeklip_mihcle_klos.pdf
[4] http://www.youtube.com/watch?v=tCeKpI9QWxY&feature=youtu.be&list=UUmK1w9CMgoALqPXqJr
Jobs gehen verloren durch immer mehr Digitalisierung, zB in der Pflege, bei den Bauern … Das Grundproblem: es leben zu viele Menschen auf der Erde. Wer traut sich das ansprechen?
https://www.piratenpartei.at/bge/