Die heurige Bezirkskonferenz der SPÖ Alsergrund zeigte relativ klar auf, wo wir innerparteilich Handlungsspielräume nützen können und wo wir an unsere Grenzen stoßen. Das wirft im Hinblick auf unser Wirken innerhalb der SPÖ-Strukturen Fragen nach einer strategischen Feinjustierung auf.
Bevor die Ereignisse der Bezirkskonferenz der SPÖ Alsergrund vom 11. März 2013 erläutert werden können, vorab ein paar Informationen zum Verständnis: Die SPÖ Alsergrund, unsere Bezirkspartei, ist eine von 114 SPÖ-Bezirksorganisationen in Österreich, die Sektion 8 eine von fünf Sektionen innerhalb der SPÖ Alsergrund (mehrere Sektionen wurden in den letzten Jahren zusammengelegt). Als Sektion können wir keine Anliegen direkt an die Landes- oder Bundesebene weiterreichen, wir sind dafür auf den Bezirk angewiesen. Die inhaltliche Entscheidungsfindung findet formal über das Instrument des Antrags statt, auch unsere Glücksspielinitiative vor zwei Jahren war so ein Antrag. Das Regelwerk der SPÖ sieht vor, dass Bezirke sowohl auf Landes- als auch auf Bundesparteitagen (das sind die jeweils höchsten Entscheidungsgremien) Anträge einbringen können. Wir als Sektion können nur im Bezirk Anträge einbringen, der Bezirk ist also der Flaschenhals durch den wir durchmüssen, um Initiativen auf die höheren Ebenen weiterzutragen. Das geschieht wiederum auf der Bezirkskonferenz, der jährlichen Hauptversammlung der SPÖ Alsergrund. Von den dort rund 100 Delegierten kamen dieses Jahr 17 aus der Sektion 8. Wir nehmen seit unserer Gründung vor sechs Jahren an jeder Bezirkskonferenz teil und konnten vor zwei Jahren dort eine Mehrheit für den Glücksspielantrag erreichen.
Anträge: Transparenz & Demokratie
Im Vorjahr haben wir einen Antrag für ein Parteientransparenzgesetz eingebracht in der Hoffnung, die SPÖ würde von sich aus in die Offensive gehen und mit einem strengen aber auch praktikablen Transparenzpaket vorpreschen. Der Antrag wurde auf der Bezirkskonferenz der SPÖ Alsergrund abgelehnt und die SPÖ hat von sich aus keine Vorschläge auf den Tisch gelegt. Stattdessen wurde auf enormen Druck der Medienöffentlichkeit ein für die Partei unpraktikables Gesetz initiiert, das nun zur Folge hat, dass die 3.500 Sektionen und Ortsparteien der SPÖ Sachspenden wie einen selbst gebackenen Gugelhupf aufzeichnen müssen. Die Realität hat die Beschlusslage unseres Bezirks innerhalb weniger Monate überholt, allerdings mit einem Gesetz fernab der Organisationsrealität der großen Volksparteien und einem entsprechenden bürokratischen Megaaufwand für alles was sich zur roten Familie zählt.
Heuer haben wir vier Anträge eingebracht, von denen drei angenommen wurden. Ein Antrag verwehrte sich gegen eine 5-Prozent-Sperrklausel für den Einzug in die Bezirksvertretungen, wodurch Einzelpersonen oder Kleinparteien keine Chance mehr hätten in die Bezirksparlamente einzuziehen. Ein weiterer Antrag forderte ein Verwaltungstransparenzgesetz nach Hamburger Vorbild. Bund, Länder und Gemeinden sollen unaufgefordert alle Dokumente und alle Daten der Verwaltung in einem offenen, maschinenlesbaren Format im Internet in einem Informationsregister verfügbar machen. Weiters stellten wir einen Antrag zur offenen Lizenzierung von Bildungsinhalten („Open Educational Resources“, OER). Unterrichtsmaterialien, insbesondere Schulbücher, sollen neben ihrer herkömmlichen Form auch in offen lizenzierter, digitaler Form bereitgestellt werden. Diese drei Anträge wurden angenommen, wobei die Abstimmung zum Thema Verwaltungstransparenzgesetz recht knapp ausgefallen ist.
Unser Hauptantrag war das Resultat einer zweijährigen Beschäftigung mit dem Thema Parteidemokratie, nämlich die Einrichtung einer Arbeitsgruppe auf Landesebene um einen Modus für eine Direktwahl des Wiener Parteivorsitzes durch alle Mitglieder zu erarbeiten. Wir haben bewusst keine Vorgaben gemacht oder ein umfassendes Demokratiepaket vorgelegt, sondern wollten mit dieser Willensbekundung einmal einen Stein ins Rollen bringen und eine Diskussion zum Thema innerhalb der SPÖ anregen. Die meisten sozialdemokratischen Parteien Westeuropas räumen ihren Mitgliedern bereits diese Mitbestimmungsrechte ein. Die radikale Öffnung der Parteien wird aus unserer Sicht die einzige Möglichkeit sein, die Parteiendemokratie an sich à la longue zu retten. Wenn eine strukturkonservative Partei wie die SPÖ in diesem Bereich eine Vorreiterrolle einnehmen würde, wäre das in Österreich eine Sensation und würde dem alten sozialdemokratischen Tanker zu viel Pepp verhelfen. Die Direktwahl des/der Vereinsobmanns/obfrau durch die Mitglieder des Vereins ist dabei ein logischer erster Schritt zu normaldemokratischen Verhältnissen.
Leider wurde unser Antrag abgelehnt, wenn auch nicht mit überragender Mehrheit. Damit sind wir das zweite Jahr hintereinander am Flaschenhals Bezirk gescheitert und können wichtige Anliegen nicht an den Landesparteitag weiterreichen – vielleicht zur kurzfristigen Erleichterung des Establishments der SPÖ Wien, aber aus unserer Sicht zum mittel- und langfristigen Schaden der Sozialdemokratie in Österreich. Für uns werden dabei die Grenzen unserer innerparteilichen Strategie sichtbar, die Diskussion um eine Neujustierung wird noch im April erfolgen.
Kandidatur für das Präsidium
Als wir die Sektion 8 gegründet haben wurde ich Mitglied des Bezirksausschusses, das ist nach der Konferenz das zweitgrößte Gremium, das sich monatlich trifft und an dem ca. 25 Leute teilnehmen. Vor zwei Jahren wurden unsere Bezirksrätin Miriam Leitner und ich in den Bezirksvorstand gewählt, das ist eine kleinere Runde, die sich am Alsergrund aber nur zwei Mal jährlich trifft um finanzielle Agenden zu beschließen, der Vorstand hat also keine große Bedeutung. Dieses Jahr wollte ich für das Präsidium kandidieren, das Spitzengremium des Bezirks, das aus drei gewählten und zwei kooptierten Mitgliedern besteht. Das Präsidium ist de facto das Leitungsorgan der SPÖ Alsergrund. Seit wir im Bezirk tätig sind, wurden dort getroffene Entscheidungen noch nie vom Ausschuss verworfen. Der Weg ins Präsidium führt über die ehrenamtliche Funktion des stellvertretenden Bezirksparteivorsitzenden, es gibt zwei stellvertretende Vorsitzende im Bezirk.
Ich habe mir von einer Mitarbeit im Präsidium mehrere Dinge erhofft: Erstens, unorthodoxe Formen des politischen Dialogs einmal als Bezirkspartei auszuprobieren und nicht nur als Sektion. Dabei war mir wichtig, gesellschaftspolitische Fragen anzusprechen die über Kommunalpolitik hinausgehen. Wir sind in der Sektion 8 der Überzeugung, dass Bezirks- oder Ortsparteien nicht nur die lokal zuständige Sozialdemokratie sind, die sich in den Kompetenzbereich der Landes- und Bundesebene nicht einmischen sollen. Der lokale Fokus von Bezirks- und Ortsparteien bringt oftmals eine Verengung des Handlungsspielraums mit sich, da jede Teilstruktur der SPÖ letztlich auch für das Handeln der Partei auf Landes- und Bundesebene mitverantwortlich ist. Zweitens wollte ich natürlich meine Funktion dafür nützen, den politischen Anliegen der Sektion 8 mehr Nachdruck zu verleihen und den Flaschenhals Bezirk durchlässiger für unsere Anliegen zu machen. Drittens sollten die beiden genannten Aktivitäten der SPÖ Alsergrund insofern nützlich sein, als sie zu einer Schärfung des spezifischen Profils der Bezirkspartei beitragen könnten. Damit sollte gesichert werden, dass bei Wahlen zur Bezirksvertretung die SPÖ Alsergrund stärker als eigenständige Kraft wahrgenommen wird, die sich von negativen Stimmungstrends auf Bundes- oder Landesebene ein Stück weit abkoppeln kann – gemäß dem Motto „die etwas andere SPÖ Bezirksorganisation“. Der Zeitpunkt bot sich deshalb an, weil der bisherige stellvertretende Bezirksparteivorsitzende Albert Slavik in Politpension ging und die Funktion somit frei wurde. Ich habe als Erster meine Kandidatur eingereicht und für den Fall, dass es mehr KandidatInnen als Funktionen geben sollte, auch eine salomonische Lösung wie die Erweiterung des Präsidiums um einen Platz für eine wahrscheinliche Lösung gehalten. Dass es letztlich auf eine Kampfkandidatur hinauslief war jedenfalls nicht von mir oder der Sektion 8 intendiert.
Bei der Wahl habe ich schließlich 40 von 94 Stimmen bekommen, das sind 42,6%. Meine MitbewerberInnen, der stellvertretende Bezirksvorsteher Thomas Liebich und die Bezirksvorsteherin Martina Malyar, kamen auf 65 bzw. 71 Stimmen und ich zog somit den Kürzeren. Das ist bedauerlich, andererseits sind 42,6% in Anbetracht der Polarisierung die unsere Aktivitäten teilweise mit sich bringen gar nicht so schlecht. Abseits unserer kritischen Haltung zum Establishment gibt es noch andere Gründe für den Wahlausgang. In Volksparteien wie der SPÖ zählt vor allem Präsenz und persönlicher Kontakt. Ich hatte über die letzten Jahre eine gewisse Präsenz im Bezirk, allerdings war diese meinen beruflichen Tätigkeiten und der puren Sektion-8-Tätigkeit deutlich untergeordnet. Meine MitbewerberInnen waren als Bezirksvorsteherin und stellvertretender Bezirksvorsteher (zuvor Klubobmann im Bezirksparlament) beide beruflich im politischen Betrieb tätig. Wer nicht beruflich in der Politik tätig ist, hat fast keine Chance gegen die omnipräsenten Profis. Weiteres wird nur das als Leistung wahrgenommen, was immer schon als Leistung gegolten hat. Was die Sektion 8 leistet ist zu weit weg von klassischer Parteiarbeit, um es als Asset auf einer Bezirkskonferenz zu vermitteln. Selbst die 250 Mitglieder die wir in den Bezirk gebracht haben, können wir schwer als Leistung verbuchen. Als Leistung wird vor allem Mitmachen bei den traditionellen Bezirksaktivitäten mit Fokus auf lokale Fragen angesehen. Überdies sind eingespielte Traditionen unfassbar wichtig. Es war bisher so, dass der stellvertretende Bezirksvorsteher auch stellvertretender Parteivorsitzender war, darum sollte es auch in Zukunft so ein. Auch für Ämterkumulation gibt es kein Problembewusstsein. Das Argument, dass mehr Menschen Verantwortung übernehmen, wenn nicht alle Ämter auf einige wenige konzentriert werden, zieht nicht.
Zuletzt ist noch die Frage offen, ob ich mit einer Kandidatur für das Präsidium die Strategie des Nicht-Anstrebens von Posten der Sektion 8 unterminiert habe. Dieser spannende Einwand wurde von der Tageszeitung DiePresse eingeworfen, der Redakteur zitiert aus unserem Grundsatzpapier: „Wir glauben nicht an den Marsch durch die Institutionen der Sozialdemokratie im herkömmlichen Sinn“. Ich denke es kommt auf die Strenge der Lesart an. Auf unserer Webseite erklären wir in den FAQ’s über die Sektion 8 im Detail den Unterschied zwischen MandatsträgerInnen, Angestellten und FunktionärInnen und weisen darauf hin, dass wir ehrenamtliche Funktionen sehr wohl für sinnvoll halten, weil diese nicht mit Abhängigkeitsverhältnissen oder Sachzwängen einhergehen. Ich glaube ein ehrenamtliches Mitwirken im Präsidium einer Bezirkspartei war mit unserer bisherigen Linie durchaus vereinbar. Auf der anderen Seite kann ich nicht abstreiten, dass uns der Versuch ins Präsidium zu kommen in ein kleines Machtgeplänkel verwickelt hat und wir unsere Zeit und Energie dafür eigentlich nicht aufwenden wollen (was wir auch kaum getan haben, mehr als einen Arbeitstag und eine Tonne Nerven hat uns die Angelegenheit im Vorfeld nicht gekostet). Im Nachhinein hätten wir uns die Sache ersparen können – aber im Nachhinein ist man meistens gescheiter.
Conclusio
Die Ableitungen die ich persönlich in unsere Strategiediskussion im April einbringen werde sind folgende:
- Wir dürfen uns in unserer innparteilichen Arbeit nicht zu sehr auf den Flaschenhals Bezirk verlassen um Anliegen zur Diskussion zu stellen oder gar durchzusetzen. Das ist zwar formaldemokratisch der naheliegendste Weg, soll uns aber nicht davon abhalten auch andere Wege zu gehen.
- Wir sollten gegengleich womöglich die klassische NGO-Arbeit – die jetzt schon unser Arbeitsschwerpunkt ist – noch mehr stärken: Argumentarien, Kampagnen, PR-Strategien etc. erarbeiten.
- Wir sollten Machtgeplänkel bestmöglich vermeiden indem wir dieselben besser antizipieren und uns dann so weit wir können raushalten.
- Wir sollten nicht weniger offensiv auftreten oder unsere Arbeitsweise stärker an die traditionelle SPÖ-Arbeit anpassen. Wir sollten weiterhin sagen was wir für richtig halten und eben auch die entsprechenden Watschn einstecken können.
Die Bezirkskonferenz wird sicher nicht unser Highlight 2013, wenngleich die angenommenen Anträge – insbesondere jener zum Informationsfreiheitsgesetz – erfreuliche Erfolge sind. Letztlich bewahrheitet sich immer wieder, dass Politik das Bohren dicker Bretter ist. Wie bereits erwähnt werden wir im April eine große Evaluierung unserer Aktivitäten vornehmen und uns überlegen, wie wir unsere Stärken ausbauen können und ob wir in jenen Bereiche wo wir schwach sind uns entweder neu aufstellen, oder dieselben künftig einfach von der Agenda streichen. Faktum ist, in anderen Betätigungsfeldern (Anzahl der Aktivist/innen, Höhe der Spenden, Vernetzung mit spannenden Gruppen) geht es eindeutig bergauf. Unser Engagement wird durch die punktuellen Rückschläge sicher nicht in Frage gestellt. Wir werden lernen. Alle die uns auf unserem Weg unterstützen wollen, können das durch einen Eintritt in die Sektion 8, durch eine Spende oder durch aktive Mitarbeit jederzeit tun.
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