Über politische Ökonomie lässt sich trefflich streiten. Über den Irrsinn manch ökonomischer Analysen aber nicht mehr. Eine Serie.
Einer der zentralen Kritikpunkte am derzeit herrschenden Mainstream in der ökonomischen Disziplin ist jener der Realitätsverweigerung. Mit immer ausgefeilteren, stark formalisierten Modellen auf Basis nur in Nuancen variierter homo-oeconomicus-Annahmen hat sich die Ökonomie mehr und mehr von jeglichem Verständnis realer Zusammenhänge entfernt. (Für einen knappen Text über die Folgen dieser Entwicklung für Studium und Wirtschaftskrise: Ötsch und Kapeller 2010)
Noch unrealistischer als ihre Modelle ist aber bei manchen ÖkonomInnen die Selbsteinschätzung bzw. jene des Stands ihrer Disziplin. So schrieb der Freiburger Ökonom Rainer Eichenberger kürzlich einen Gastbeitrag in der Basler Zeitung mit dem Titel „Der modernen Ökonomik geht es besser denn je„. Nach der üblichen Denunzierung aller KritikerInnen der Mainstream-Ökonomie als „Nicht-Ökonomen, Anti-Ökonomen, Alt-Ökonomen“ nennt Eichenberger unter anderem folgende Gründe für seine Analyse:
Viele Beobachter können nicht zwischen der Krise der Wirtschaft und den Wirtschaftswissenschaften unterscheiden
Als ob die herrschende wirtschaftswissenschaftliche Lehre mit der Krise nichts zu tun hätte. Die Krise der Wirtschaft ist zu einem großen Teil immergleichen Lehrsätzen der Mainstream-Ökonomie geschuldet. Eichenberger ist hier aber vom völligen Gegenteil überzeugt, denn ihm zu folge
beruhen die meisten Fehler von Ökonomen nicht auf der übertriebenen Anwendung ökonomischen Denkens, sondern gerade auf seiner Vernachlässigung.
Als Beleg dafür führt er dann an, dass zu große Gewinnanreize („Boni“) durchaus funktionieren würden, aber eben in dem Sinne, dass sie zu Gewinnmanipulationen verleiten würden. Ein schönes Beispiel für viele Tautologien im „modernen“ ökonomischen Denken: jedes Ergebnis lässt sich im Nachhinein immer als „eigennutzenmotiviert“ erklären.
In groteskem Widerspruch zu seiner Forderung, zwischen Krise der Wirtschaft und der Wirtschaftswissenschaften zu unterscheiden dann der nächste Punkt, führt Eichenberger doch als Beleg für die Stärken der Ökonomik an, dass ebendiese
sie so einflussreich gemacht [haben], dass heute Regierungen, Behörden, Parteien, Interessengruppen und auch Manager ihre Politikvorschläge und Projekte stets mit ökonomischen Gutachten zu untermauern und rechtfertigen versuchen.
In offensichtlich völliger Unkenntnis anderer Disziplinen glaubt Eichenberger dann, dass der Vergleich sicher machen würde:
Aus vergleichender Perspektive schneidet die moderne Ökonomik aber hervorragend ab. Oder behauptet jemand, die Politikwissenschaft, die Sozialpsychologie oder die Rechtswissenschaft könnten mehr über die Ursachen der Wirtschaftskrise sagen und mehr zu ihrer Lösung beitragen als die moderne Ökonomik?
Ja, das behauptet jemand. Und zwar nicht der Autor dieser Zeilen, sondern beispielsweise auch die WirtschaftssoziologInnen vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Die haben viel mehr über die Ursachen zu sagen und noch viel mehr zur Lösung beizutragen, als die „moderne Ökonomik“.
Der Abschluss bleibt aber dem Evergreen der Mainstream-Ökonomik vorbehalten. Schuld sind, natürlich, nicht die Märkte bzw. deren fehlende Regulierung, sondern, natürlich, der Staat:
Die heutige Realität und damit unsere Probleme sind nicht durch den freien Markt, sondern durch das enge Zusammenwirken von Staat und Wirtschaft geprägt. Der Staatsanteil am Bruttoinlandprodukt beträgt je nach Land und Messansatz 40 bis 50 und mehr Prozent, und auch auf den Rest hat der Staat grossen Einfluss. Wer da so wie viele Ökonomik-Kritiker den Markt und das Kapital für alle Probleme verantwortlich macht und mehr Regulierungen fordert, ohne das heutige Staatsversagen zu thematisieren, liegt grundsätzlich falsch.
Und genau hier liegt der Kern des Problems: während andere Disziplinen und heterodox-ökonomische Strömungen schon längst genau dieses Zusammenspiel aus Markt- und Staatsversagen untersuchen (vgl. zu diesem Thema auch auf diesem Blog „Versagen und Primat der Politik„), träumt die Ökonomie immer noch von etwas wie dem „freien Markt“. Den gibt und gab es nie. Marktversagen ist immer auch Regulierungs- und damit Staatsversagen. Dazu müsste die „moderne Ökonomie“ sich aber mit der Welt da draußen beschäftigen. Für Eichenberger besteht aber kein Grund sich zu ändern, denn sein Fazit lautet:
Die Aussichten für die moderne Ökonomik sind absolut rosig.
Für den Rest der Welt liest sich dieser Schlusssatz leider wie eine gefährliche Drohung. Und zwar vor allem deshalb, weil auf Grund intradisziplinärer Selbstvergewisserung und Selbstverstärkung in wissenschaftlichen Evaluationsverfahren (Stichwort: Rankings) ein Paradigmenwechsel in der Ökonomie tatsächlich unrealistischer denn je ist (mehr dazu in „Diskutieren und Zitieren: Zur paradigmatischen Konstellation aktueller ökonomischer Theorie„).
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