Wie Erich Foglar im Ö1-Mittagsjournal dem neoliberalen Duktus folgte und warum die MetallerInnen für ihre kämpferischen Lohnforderungen allen Applaus verdienen.
Erich Foglar ist der Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und ich mag ihn. Bei seinen Medienauftritten der letzten Jahre hat er immer in einer klaren und verständlichen Sprache seine aus meiner Sicht meistens richtigen Argumente seriös dargelegt. Zu anderen Anlässen hat er mit derselben Authentizität eine abweichende Rolle eingenommen und sich kämpferisch gegeben. Dies ist ihm beispielsweise am 1. Mai 2010 im Rahmen der Kundgebung der SPÖ am Rathausplatz besondern gut gelungen. Im Ö1-Mittagesjournal vom letzten Samstag ist Erich Foglar aber beim Thema Lohnsteuer grandios danebengelegen. Foglars Aussagen im Originalton (leicht gekürzt):
„Unsere Grundforderung: Mehr netto vom brutto, Lohnsteuer gehört reduziert, Lohnerhöhungen kommen nur zum Teil bei den Menschen an, da frisst die Steuer und Sozialversicherung einfach sehr viel weg. Kalte Progression soll flacher verlaufen, wir verhandeln als Gewerkschaften jedes Mal zu 50 Prozent für die Finanzministerin.“
Hände weg von der Einkommenssteuer
Foglar bedenkt dabei überhaupt nicht, dass 2,4 Millionen Menschen in Österreich so geringe Einkommen beziehen, dass sie von einer Lohnsteuersenkung gar nicht profitieren können. Außerdem führt auch jede Senkung der Einkommenssteuer im unteren Bereich zu einer Entlastung der SpitzenverdienerInnen, weil diese für die ersten Tranchen ihres Einkommens genauso geringe Steuersätze zahlen wie NiedrigverdienerInnen. Jedes Hinaufsetzen von Einkommensgrenzen oder Absenken von Tarifen im Bereich der Einkommenssteuer hilft meistens den Besserverdienenden überproportional, zumindest in absoluten Werten. Das ist der Grund wieso die progressive Einkommensteuer, das Flaggschiff der wohlfahrtsstaatlichen Umverteilung, bezüglich der Tarife am besten gar nicht angerührt werden sollte, außer um sie im oberen Bereich eventuell zu erhöhen, wie die ÖVP das nun von selbst vorschlägt. Eine regelmäßige (automatische) Indexierung der Einkommensgrenzen auf Grund der Inflation kann allerdings Sinn machen.
Foglar übersieht Relationen
Foglar argumentiert völlig nachvollziehbar für die Einführung einer Erbschaftssteuer, übersieht aber dabei die Relationen. Denn jede Senkung des Eingangstarifs der Einkommenssteuer um einen Prozentpunkt bedeutet einen Entgang von 400 Millionen Euro für Vater Staat. Doch eine für die Menschen im Geldbörsel spürbare Entlastung müsste wohl eine Senkung um mehrere Prozentpunkte erfordern. Eine Einkommensteuersenkung die ihren Namen verdient ist unter einem Verlust in Milliardenhöhe nicht zu haben. Die Erbschafts- und Schenkungssteuer die Foglar aus völlig richtigen Gründen wieder einführen möchte, brachte vor ihrer Abschaffung 2007 nicht mehr als 150 Millionen. Was ich bei einer wirklich spürbaren Lohnsteuersenkung verliere, kann ich also selbst durch ein Bündel an vermögensbezogenen Steuern niemals hereinbekommen.
Jahrzehnt ohne Steuersenkungen
Es muss einmal klipp und klar gesagt werden, dass es zur Stabilisierung der öffentlichen Finanzen jetzt eines Jahrzehnts ohne Steuersenkungen bedarf. Bei den unteren Einkommen kann man eventuell über eine Reduktion der Belastung mit Sozialversicherungsbeiträgen nachdenken aber erst nachdem ein entsprechend höherer Zufluss aus vermögensbezogenen Steuern, einer Abschaffung der Höchstbemessungsgrundlage in der Krankenversicherung oder höheren Einkommenssteuern sichergestellt ist. Steuersenkungen untergraben den Wohlfahrtsstaat und bringen politisch nichts, weil die Menschen eine Entlastung um ein paar Euro pro Monat gar nicht ausreichend registrieren. Noch nie wurde eine Regierung wegen einer Steuerreform wiedergewählt. Das Jahrzehnt ohne Steuersenkungen soll aber keinesfalls von den Möglichkeiten einer Staats- und Verwaltungsreform ablenken, die nach Ansicht mancher AutorInnen am Blog 8 (zu denen ich mich zähle) erhebliche Mittel freisetzen könnte, nach Ansicht anderer AutorInnen hingegen auch auf lange Sicht die Milliardengrenze kaum überschreiten würde.
Neoliberaler Diskurs
Außerdem ist sich Erich Foglar offensichtlich nicht im Klaren, dass er mit seiner Argumentation den Wirtschaftsliberalen in die Hände spielt. Auch die Neoliberalen suggerieren, dass der Staat ein schwarzes Loch ist, wo alles Steuergeld einfach verschwindet. Auch die Neoliberalen verlieren kein Wort darüber, dass mit Steuern staatliche Leistungen für die Allgemeinheit finanziert werden, die sich in anderen Ländern nur Besserverdienende privat zukaufen können. Das Herausstreichen der hohen Steuerlast bei gleichzeitigem Verschweigen der staatlichen Leistungen ist die zentrale Strategie des neoliberalen Diskurses. Foglar verkennt, dass die Finanzierungsbasis des Staates durch die neoliberale Agenda gezielt immer weiter ausgedünnt werden soll: Steuersenkungen erhöhen die Schuldenlast, dies „erfordert“ die Kürzung staatlicher Leistungen womit angeblich wieder Mittel für eine Steuerreform frei werden, was wieder zu einer höheren Verschuldung führt und das Spiel von vorne beginnen lässt. Lohnsteuersenkungen fordern und sich über den Rückbau des Sozialstaates aufregen ist eine schlechte Strategie für GewerkschafterInnen, weil Steuern und Sozialstaat kommunizierende Gefäße sind. Die Erhaltung des Wohlfahrtsstaates muss ein ebenso wichtiges Ziel der Gewerkschaft sein wie ordentliche Löhne. Höhere Nettolöhne sollen aber nicht durch Steuersenkungen, sondern müssen durch kräftige Bruttolohnerhöhungen erreicht werden, wie sie jetzt von der Metallgewerkschaft erfreulicherweise mit +5,5 Prozent eingefordert werden. Es gibt übrigens einige sehr gute Gründe diese Forderungen der MetallerInnen zu unterstützen:
Antizyklische Lohnpolitik
Die Lohnrunden hierzulande orientieren sich stark an den Vorjahresindikatoren. Im Jahr 2008 wurden auf Grund der guten Unternehmenserfolge und der starken Inflation entsprechend hohe Lohnabschlüsse für das Krisenjahr 2009 ausverhandelt, wie Romana Brait vor einem Jahr auf diesem Blog feststellte. Die Tariflöhne stiegen um 3,4%, die Preise des Verbraucherindex jedoch nur um 0,5%, der Einkommensbericht des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger konstatierte für 2009 ein Steigen des Medianeinkommens bei den ArbeitnehmerInnen um etwa 2%. Dies hatte zur Folge, dass mitten in der Krise der Konsum in Österreich um 0,4 Prozent anstieg und somit zum stabilisierenden makroökonomischen Faktor des Krisenjahres 2009 wurde. Vielleicht ohne dass es die AkteurInnen beabsichtigt hatten wirkte die Lohnpolitik antizyklisch und damit stabilisierend. Alle Konjunkturindikatoren weisen darauf hin, dass es 2012 zu einer wirtschaftlichen Vollbremsung kommen wird, eine antizyklische Lohnpolitik könnte wieder stabilisierend wirken. Es ist mir unklar, wieso die Gewerkschaften dieses wertvolle Argument nicht stärker betonen.
Gewinne sind bereits erwirtschaftet
Gegen die unsinnige Journalistenlogik, dass es in schlechten Zeiten auch keine hohen Lohnabschlüsse geben könne, spricht aber nicht nur das antizyklische Argument, sondern auch die Tatsache, dass die Gewinne ja bereits im Boom von 2010 und 2011 eingefahren wurden. Der Dividenden-Report 2011 der Arbeiterkammer zeigt auch deutlich, dass sich die Gewinnausschüttungen auf Rekordniveau bewegen.
Österreich: niedrige Lohnstückkosten
Das Niveau der österreichischen Arbeitskosten in der Industrie liegt im unteren Mittelfeld, wie eine Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln zeigt. Von 12 verglichenen westeuropäischen Staaten liegt Österreich auf Platz 8. Die industriellen Lohnstückkosten, eine Kennzahl die zu den Arbeitskosten die Produktivität hinzurechnet und somit einen viel wichtigeren Kostenmaßstab darstellt, sind in der österreichischen Industrie extrem gering. Österreich lag im Jahr 2009 auf Platz 14 der EU-15, nur Griechenland verzeichnete geringere Lohnstückkosten. Die Trends der letzten Jahre sprechen dieselbe Sprache. Unter den 12 verglichenen westeuropäischen Staaten verzeichnete Österreich hinter Deutschland in den letzten zehn Jahren den zweitniedrigsten Anstieg der Arbeitskosten in der Industrie. Für die Gesamtwirtschaft ergibt sich ein ähnliches Bild: Die gesamtwirtschaftlichen Arbeitskosten liegen in Österreich laut Wirtschaftskammer auf Platz 9 der EU-15. Außerdem verzeichnete Österreich in den letzten zehn Jahren hinter Deutschland den zweitgeringsten Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten in den EU-15, wie die Wirtschaftskammer an Hand der Daten von Eurostat verdeutlicht.
Lohnquote rückläufig
Der Anteil der Löhne am Volkseinkommen (die Lohnquote) nimmt seit 30 Jahren kontinuierlich ab. Während die Lohnquote 1980 noch bei knapp 80 Prozent lag, ist sie gemäß Wifo bis 2006 auf 56 Prozent am Volkeinkommen gesunken. In einer WIFO-Studie konnte gezeigt werden, dass vor allem die steigende Arbeitslosigkeit langfristig zur Verringerung der Lohnquote geführt hat. „Der Umverteilungspolitik der Gewerkschaften ist durch die Arbeitslosigkeit Grenzen gesetzt. Hohe und steigende Arbeitslosigkeit schwächt die Verhandlungsposition der ArbeitnehmerInnen. Die Realeinkommen konnten nicht mit der Produktivitätssteigerung mithalten, nicht nur wegen der schwächeren Verhandlungsposition der Gewerkschaften, sondern auch wegen der fehlenden Lohndrift auf Betriebsebene,“ so Markus Marterbauer und Ewald Walterkirchen in einem Artikel für Arbeit & Wirtschaft.
Reallohnverluste 2011
Letztlich kam es 2011 zu einer deutlich höheren Inflation als bei den Lohnverhandlungen 2010 angenommen wurde. Das Wifo rechnet für heuer mit Reallohnverlusten von 0,8 Prozent, bei einem Wirtschaftswachstum von knapp drei Prozent. Nichts ist gerechter, als die Reallohnverluste von heuer im kommenden Jahr auf die Löhne aufzuschlagen.
Es gibt also eine Reihe verdammt guter Argumente dafür, dass es heuer zu kräftigen Lohnabschlüssen kommen soll. Es wäre schön wenn sich auch der Präsident des ÖGB auf die Auseinandersetzung um ordentliche Lohnerhöhungen konzentriert und nicht das neoliberal-falsche Lied vom Hochsteuerland mitsingt.
Ich kann dem Kommentar von Niki nur voll inhaltlich beipflichten. Zwei Anmerkungen noch die mir wichtig erscheinen:
1) Wie Berka, Humer und Moser im Kurswechsel 3/2008 eindeutig gezeigt haben entfaltet auch die vergünstigte Besteuerung des 13. und 14. Monatsgehalts eine regressive Verteilungswirkung. Auch hier ist die Gewerkschaft bar jeder wissenschaftlichen und politischen Logik für die Beibehaltung der Begünstigung. Das kostet uns knappe 5 Mrd. EUR pro Jahr, die wir in eine Senkung der SV-Beiträge für geringe Einkommen investieren könnten.
2) Zur Lohnpolitik: Es ist enorm wichtig die Bedeutung antizyklischer Lohnpolitik zu betonen, noch wichtiger aber erscheint mir fast die Frage der Lohnkoordination zwischen den Ländern im Euroraum. Wie das Institut für Makroökonomie (IMK) in Düsseldorf in mehreren Reports zeigen konnte sind Leistungsbilanzungleichgewichte innerhalb des Euroraums ein wesentlicher Grund für das Schlamassel in dem wir stecken. Diese Ungleichgewichte sind vor allem durch die restriktive Lohnpolitik in Deutschland, Österreich und anderen ‚Überschussländern‘ getrieben (die Niki auch kurz angesprochen hat). Diese Analyse liefert gute Argumente für starke Lohnabschlüsse bei den Metallern (einer der wichtigsten österreichischen Exportbranchen) und für mehr Lohnkoordination im Euroraum.