Wenn es in den deregulierten und globalisierten Finanzmärkten der letzten Jahrzehnte und damit auch in der aktuellen Krise soetwas wie einen zentralverantwortlichen Akteur gegeben hat und immer noch gibt, dann sind das Rating-Agenturen. Mit ihren Bewertungen der Bonität sowohl von SchuldnerInnen als auch von einzelnen Wertpapieren von AAA (höchste Qualität) bis D (Zahlungsausfall) befreien sie Anleger scheinbar von der mit jedem Investment verbundenen Unsicherheit – eine im Unsicherheit produzierenden Kapitalismus ebenso nachgefragte wie letztlich unmögliche Funktion. Gleichzeitig bedeutet eine Abstufung in der Bewertung einer Rating-Agentur (z.B. von AAA auf AA) für eine/n Schuldner/in – und sei dieser auch ein Land wie das jüngst von Abstufungen betroffene Griechenland -, dass die Risikoaufschläge auf die Zinsen und damit die Kosten für Schulden steigen.
Die drei größten Rating-Agenturen – Standard&Poor’s, Moody’s und Fitch – kontrollieren zusammen 95 Prozent des Marktes. Ein Oligopol, das sich vor allem für die Aktionäre der Rating-Agenturen bezahlt macht, erzielte Moody’s 2006 doch eine Umsatzrendite von 54 (!) Prozent, zum damaligen Zeitpunkt noch mit bei einem jährlichen Gewinnwachstum von 20 Prozent (alle Daten: Economist). Folge der Machtfülle dieser drei Rating-Agenturen ist aber nicht nur die Bereicherung ihrer Eigentümer, sondern auch eine Verstärkung von Boomphasen sowie eine Verschärfung von Krisen, jeweils durch selbsterfüllende Prophezeiungen und andere Rückkopplungseffekte.
Prinzipielle Probleme von Orakeln
Rating-Agenturen spielen quasi hochoffiziell die Rolle eines Finanzmarkt-Orakels. Mit Orakeln im antiken Griechenland teilen sie nicht nur den Vorzug einer angesehen-privilegierten Stellung, sondern auch eine Reihe ihrer Probleme: Erstens werden antike wie moderne Orakel von denen beauftragt und ausgehalten – KönigInnen bzw. Firmen – deren Zukunft sie vorhersagen sollen. Allzu kritische Einschätzungen der Lage müssen deshalb entweder unterbleiben oder stark verklausuliert abgegeben werden. Noch im August 2008 bewerteten Standard&Poor’s bzw. Moody’s die Bank Lehmann Brothers mit A bzw. A2 – im September folgte bekanntlich der Konkurs des Instituts.
Zweitens kämpfen Orakel damit, dass ihre Prophezeiungen entweder selbsterfüllend oder selbstbesiegend sein können: Bekanntestes Beispiel einer selbsterfüllenden Prophezeiung ist die legendäre Prophezeiung des Orakels von Delphi, Ödipus werde seinen Vater töten und dessen Gattin – seine Mutter – heiraten. Auf Grund dieser Prophezeiung setzte der Vater seinen Sohn Ödipus in der Wildnis aus und sorgte erst dadurch dafür, dass dieser Jahre später seine Eltern nicht kannte, ihn selbst töten und die eigene Mutter heiraten konnte. Bei Rating-Agenturen können es erst die durch eine Abstufung erhöhten Kosten der Verschuldung sein, die SchuldnerInnen in Zahlungsschwierigkeiten bringen, die ohne Abstufung nie eingetreten wären. Umgekehrt kann eine prognostizierte Niederlage/Bankrott durch entsprechende Gegenmaßnahmen noch abgewendet und die Propheizeiung so Lügen strafen.
Allgemeiner gesprochen liegt das Hauptproblem von Vorhersagen darin, dass sie in die Strategien und Handlungen der AkteurInnen wieder eingehen, und man so auch danach nie wissen kann, ob die Vorhersage richtig war, oder erst selbst zum vorhergesagten Ergebnis geführt hat. Soweit, so problematisch. Katastrophal wird die Rolle von Rating-Agenturen allerdings erst, wenn diese Rückkopplung zwischen Prophezeiung und Handlung in Form von Produkten institutionalisiert wird.
Institutionalisierte Prophezeihung: „rating structured products“
Im Zentrum der sogenannten Subprime-Krise stehen sogenannte „rating structured products“: Wertpapiere mit der höchster Bewertung (AAA) wurden mit schlechteren Wertpapieren zu Paketen verschnürt. Dabei wurden gerade soviele schlechte Papiere hinzugefügt, dass das Paket als ganzes noch die Höchstbewertung bekam. Dass durch das Bündeln die Risiken der schlechteren Papiere aber nicht geringer wurden, ist ebenso logisch wie es ignoriert wurde. Denn die Papiere mit bester Bewertung ließen sich einfach und schnell auf den Kapitalmärkten als standardisiertes Produkt (vgl. Wikipedia zu den beiden wichtigsten Formen, Collateralized Debt Obligations und Asset-Backed Securities) verscherbeln – unter anderem an deutsche Landesbanken, die sich bei ihren Investments wiederum auf das mit der guten Bewertung verbundene geringe Risiko beriefen. Wie kommen aber überhaupt die guten Papiere zu ihrer guten Bewertung? Das führt zum einer weiteren Rückkopplung der Bewertungsmaschinerie.
Verstärkung des Booms, Verstärkung der Krise
Neben prinzipiell unsicheren Erwartungshaltungen über die zukünftige Entwicklung ist die Hauptquelle für die Bewertung die vergangene Entwicklung. Viele mathematische Bewertungsformeln berechnen beispielsweise mittels statistischer Analyse des vergangenen Zahlungsverhaltens von SchuldnerInnen deren aktuelle Bonität. Entwickelt sich die Wirtschaft gut, bekommen immer mehr Papiere und SchuldnerInnen Bestbewertungen, was in der Folge zu immer leichterer Kreditvergabe und immer besserem Handel derartiger Papiere führt – Blasen inklusive.
In einer Finanzkrise ist aber genau dieses Datenmaterial über Zahlungsverhalten in relativ stabilen, krisenfreien Jahren nicht mehr aussagekräftig. Und damit der Hauptgrund, warum sich Banken heute so schwer damit tun, „rating structured products“ überhaupt einen Wert zuzuordnen. Das bedeutet nicht, dass sie keinen Wert mehr haben, sie sind „nur“ unverkäuflich, was wiederum bilanztechnisch einem Totalausfall gleichkommt. Dieses sogenannte „fair value accounting“ wirkt mit den Worten des deutschen Bankenaufsehers Janio Storn wie ein „Brandbeschleuniger“ (ZEIT). Mehr noch als die Bilanzierungsregeln sind es aber Rating-Agenturen, die Öl ins Krisenfeuer gießen: Während Rating-Agenturen vor der Krise sämtlichen MarktteilnehmerInnen Bestbewertungen spendiert und damit den Boom befördert haben, sorgen sie nun mittels undurchsichtiger Abstufungen ganzer Länder dafür, dass notwendige Konjunkturprogramme teurer als nötig oder sogar ganz unterlassen werden.
Angesichts dieser ganzen Misere stellt sich aber die Frage, wieso nicht auch neoklassische Ökonominnen und Ökonomen, wenn schon nicht längst, dann zumindest jetzt die Rolle von Rating-Agenturen anprangern: Deren Bewertungsoligopol müsste doch auch Marktgläubigen ein Dorn im Auge sein.
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