Anmerkungen zur Krise (2): Zu den Ursachen

Simon Sturn

Der Komplexität der Ereignisse entsprechend gibt es unterschiedlichste Erklärungen für diese Krise. In der medialen Berichterstattung dominiert eine Sichtweise, die auch von ATTAC Deutschland vertreten wird. Demnach sind undurchsichtige Anlageprodukte der Finanzdienstleister/innen, mangelnde politische Regulierung, kombiniert mit gierigen Banker/innen, hauptsächlich Schuld an der Misere:

Die aktuelle Krise ist keine Naturkatastrophe. Sie ist die direkte Folge der Gier und der Skrupellosigkeit der Banker und Fondsmanager und vor allem der Tatenlosigkeit der Politik. Regierung und Parlament haben stillschweigend zugeschaut oder sogar tatkräftig daran mitgewirkt, wie Banken, Fonds und Versicherungen auf ihrer Jagd nach zweistelligen Eigenrenditen immer größere Risiken eingingen, Geschäftsfelder betraten, in denen sie nichts zu suchen hatten, und Finanzprodukte handelten, die vor allem eins waren: tickende Zeitbomben, die nun große Löcher ins Weltwirtschaftssystem reißen (casino-schliessen.de).

Oft wird auch die Person Alan Greenspan – der Vorsitzende der US-Zentralbank von 1987 bis 2006 – als wichtiger Mitverursacher der aktuellen Entwicklung betrachtet, allerdings aus unterschiedlichen Gründen: zum einen wird ihm – im Nachhinein versteht sich, bis vor kurzem wurde er noch allgemein als Held gefeiert (vgl. manager-magazin) – vorgeworfen, dass er durch seine Niedrigzinspolitik nach der dot-com Blase nicht nur die Wirtschaft sonder auch die Immobilienblase stimuliert hat (vgl. manager-magazin). Diese Argumentation beinhaltet aber auch implizit die Aussage, dass im Konjunktureinbruch 2001 ein viel zu geringer Teil der Spekulationsblase auf den Aktien- und Immobilienmärkten „abgearbeitet“ wurde, und der damalige Abschwung ausgeprägter hätte sein sollen (NYT). Zum anderen wird Greenspans entschiedenes Eintreten für die Deregulierung des US-Finanzmarktes kritisiert (NYT; Palley). Zuweilen wird auch die politisch unterstützte, expansive Hypothekenvergabepolitik von Fannie Mae und Freddie Mac, und deren geringe Regulierung und Eigenkapitaldeckung als Mitursache der Krise genannt (Washington Post).

Neben den genannten Gründen, die alle eine wesentliche Rolle gespielt haben mögen (insbesondere in Kombination miteinander), findet eine zentrale Erklärung für diese Krise (noch) wenig Beachtung: der kreditfinanzierte Immobilienboom war auch Resultat der immer ungleicher werden Einkommensverteilung. In den Worten Robert Reichs, US-Arbeitsminister unter Präsident Bill Clinton:

The heart of the matter isn’t the collapse in housing prices or even the frenetic rise in oil and food prices. These are contributing to the mess but they are not creating it directly. The basic reality is this: For most Americans, earnings have not kept up with the cost of living. This is not a new phenomenon but it has finally caught up with the pocketbooks of average people. If you look at the earnings of non-government workers, especially the hourly workers who comprise 80 percent of the workforce, you’ll find they are barely higher than they were in the mid-1970s, adjusted for inflation. The income of a man in his 30s is now 12 percent below that of a man his age three decades ago. Per-person productivity has grown considerably since then, but most Americans have not reaped the benefits of those productivity gains. They’ve gone largely to the top. Inequality on this scale is bad for many reasons but it is also bad for the economy. The wealthy devote a smaller percentage of their earnings to buying things than the rest of us because, after all, they’re rich. They already have most of what they want. Instead of buying, the very wealthy are more likely to invest their earnings wherever around the world they can get the highest return.

Motor des rekordverdächtigen globalen Wirtschaftswachstums in den letzen Jahren war die Ausweitung des US-Konsums und der chinesischen Produktion. Der globale Abschwung 2001 wurde durch die sich schnell stabilisierende US-Ökonomie rasch überwunden. Dies war Resultat einer expansiven Geld- und Fiskalpolitik, sowie der starken Konsumnachfrage der US-Haushalte. Allerdings basierte diese Ausweitung des Konsums der us-amerikansichen Verbraucher/innen nicht auf gestiegenen Realeinkommen, sonder auf zunehmender Verschuldung (Weller). Durch die steigenden Immobilienpreise war eine höhere Verschuldung kein Problem, da sich die Hypothekarkredite quasi von selbst finanzierten. Dieser Prozess ist nun gestoppt worden, und hat sich in sein Gegenteil verkehrt. Balanciertes Wachstum bei starker Binnennachfrage ist auf Dauer nicht ohne einen entsprechenden Anstieg der realen Einkommen erreichbar.

Die Ansammlung gigantischer Vermögen auf der Suche nach lukrativen Veranlagungsmöglichkeiten hat dazu geführt, dass die Finanzinstitute mehr Geld in den Händen hatten als durch lukrative Investitionsprojekte absorbiert wurde, weshalb schließlich auch unsolide Kredite vergeben wurden. Zum Beispiel Kredite an arme Leute, um Häuser zu kaufen, die sie sich eigentlich gar nicht leisten konnten. Statt unleistbare Kredite wären für diese Leute staatliche Unterstützungsmaßnahmen oder sozialer Wohnbau nötig gewesen – finanziert aus Einkommens- und Vermögenssteuern. (Aus einer noch unveröffentlichten Stellungnahme zur Finanzkrise des BEIGEWUM)

In diesem Spiel hat Europa die unrühmliche Kehrseite der Medaille gespielt. Die Abhängigkeit der Weltkonjunktur von der US-Konsumnachfrage und deren Handelsbilanzdefizit ist auch Resultat der Exportorientierung (einhergehend mit niedrigen Löhnen) vieler Länder, wie sie besonders von Deutschland und auch Österreich betrieben wird (IMK; Deutsche Bundesregierung; Raiffeisen).

The counter-part of these deficits was trade surpluses in the rest of the world, which provided the conduit for distributing sub-prime holdings globally. Moreover, these trade surpluses persisted because many countries actively pursue export-led growth, and they therefore blocked appreciation of their currencies against the dollar to maintain competitiveness in U.S. markets. (Palley)

Durch die schwache Entwicklung der Löhne und des binnenwirtschaftlichen Konsums in Europa, und speziell in Deutschland und Österreich, ist die hiesige Entwicklung von den externen Wachstumsmotoren der Weltwirtschaft abhängig. Deshalb wird der wirtschaftliche Abschwung exportorientierte Länder besonders hart treffen (Der Spiegel).

Die Welt bräuchte einen neuen Wachstumsmotor. Die USA wird als solcher in den nächsten Jahren nicht mehr zur Verfügung stehen. Hier wäre ein Einspringen des größten Wirtschaftsblocks der Welt, der EU, notwendig. Nur durch eine Ausweitung der Binnennachfrage   durch expansive Geld- und Fiskalpolitik, und einer stabilisierenden Lohnpolitik   kann die kommende Rezession schnell überwunden werden. Zu befürchten ist aber, zumindest in Bezug auf die Lohnpolitik, dass gegenteiliges passieren wird: Deutschland wie Österreich werden versuchen, ihre Verluste im Export durch weiteres Lohndumping auf Kosten ihrer europäischen Nachbarn wegzumachen. Spanien (aufgrund der eigenen Immobilienblase), Großbritannien (ebenso beschäftigt mit der eigenen Immobilienblase und äußerst abhängig vom niedergehenden Finanzsektor) und Italien (schon vor der Krise mit massiven ökonomischen Problemen beladen) werden dem nichts entgegenhalten können. Schließlich wird sich auch Frankreich dieser Beggar-thy-neighbour-Politik anschließen (müssen). Die Rezession wird durch das Wegbrechen der Binnennachfrage noch verschärft werden.

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One Response to Anmerkungen zur Krise (2): Zu den Ursachen

  1. niki kowall 20. Oktober 2008 at 18:04 #

    abgesehen davon, dass du mit der einkommensverteilung sicher völlig recht hast, möchte ich auf den aspekt mit den gierigen manager/innen eingehen. ich glaube prinzipiell an einen gewissen handlungsradius von einzelpersonen bei der gestaltung der menschheitsgeschichte. Der Begriff „gierig“ trifft auch bestimmt gewisse Eigenschaften des am Finanamrkt handelnden Individuums. Trotzdem nützen die akteur/innen natürlich nur den durch institutionen vorgegebenen handlungsspielraum aus. die gier ist nicht ursache sondern folge der systemischen verfasstheit des finanzkapitalismus und somit ist der marxsche begriff von der „charaktermaske“ sicher die treffendere bezeichnung, als die individuelle gier.

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