Die Schweiz hat gestern gewählt, und ähnlich wie hierzulande durchaus fremdenfeindlich. „Die Schweiz ist ein 5-Sterne-Hotel, in dem die Ausländer das Personal stellen. Sie machen die Lingerie, arbeiten in der Küche, auch der Arzt ist ein Fremder. Uns stört aber, dass wir dem Personal im Hotelgang begegnen.“ Was bei voller Marktöffnung und gleichzeitigem Beibehalten einer verstaubten und volkstümlichen Erzählungen rauskommen kann, kann man in der Zeit nachlesen.
Mit Dummheit ist der Rechtsschwung aber auch nicht erklärt: sieht man Faschismus als eine Krankheit an, die Leute befällt, weil sie dumm sind, führt man ihn nicht auf die Gesellschaft zurück und kann nicht mit politischen Mitteln dagegen vorgehen, erklärt ein anderer Artikel anhand des Textes von ‚Schrei nach Liebe‘, das in letzter Zeit wieder vermehrt zu hören war.
Außerdem: der Karlsruher Richter Martin Fischer erklärt, warum ‚Asyl nach Maßgabe der Möglichkeiten‘ als verfassungsrechtliche Formel ein Verweis entweder auf ein intellektuelles Nichts oder auf nichts als die politische Willkür ist; ein Architekt im Interview über die Eignung von Containern und Zelten als Wohnunterkünfte; und eine Soziologin erklärt das Phänomen Femonationalismus (die Indienstnahme feministischer Perspektiven für rassistische Argumentationen).
Viel Spaß beim Lesen!
Inhalt
Arbeiter, Angestellte und Ausländer
Die Schweiz auf dem Weg zum Alpenemirat? Seit gestern ist das Nicht-EU-Mitglied dezidiert mehrheitlich rechts, obwohl es sich in den letzten 25 Jahren der Welt radikal geöffnet hat, argumentiert Matthias Daum in der Zeit. Denn die zunehmenden Verflechtungen eines Kleinstaats und die daraus resultierende Wirklichkeit könnten der volkstümlichen Erzählung des Christoph Blocher von einem „Land, das sich selbst genügt und seit je tapfer den Zumutungen der bedrohlichen Außenwelt trotzt“, nicht ferner sein. Dennoch kommt die SVP mit ihrem fremdenfeindlichen Angebot an die EidgenossInnen durch. „Die Schweiz ist ein 5-Sterne-Hotel, in dem die Ausländer das Personal stellen“, sagt ein Psychoanalytiker im Artikel. „Sie machen die Lingerie, arbeiten in der Küche, auch der Arzt ist ein Fremder. Uns stört aber, dass wir dem Personal im Hotelgang begegnen.“
Lisa McKenzie stammt aus Nottinghamshire, einer Gegend, die mit dem Niedergang der alten Industrien in den Augen vieler in die Hoffnungslosigkeit entschwunden ist. Wie viele andere aus ihrer Generation hat sie ihrer Heimatstadt den Rücken gekehrt, aber wie nur wenige andere mit ihrer Biografie hat sie es an die London School of Economics geschafft. In ihrem Buch ‚Getting By‘, das sie im Guardian vorstellt, thematisiert sie die Stigmatisierung und Entwertung der ArbeiterInnenschaft, wie sie sie über die Zeit ihres Lebens beobachtet hat, und auch darüber, wie es sich anfühlt, wenn der Aufstieg geschafft ist: „Although I have been happy to see my friends and family, returning as a local woman made good has been unsettling. Being held up as “beating the odds”, “done good”, or “escaped” does not make me happy. (…) We are not expected to attempt to defend our choices, become angry, or resist. Getting By was written to tackle this type of prejudice, and stereotype, and to explain the complexity of working-class life, and life on council estates.“
Sebastian Schuller erklärt auf dem Blog ‚Revolution, Widerstand, Literatur‘, wen die Ärzte in ‚Schrei nach Liebe‘ besingen und warum eine Analyse, die zu Dummheit als Ursachen für rechtes Wahlverhalten gelangt, eher die Menschen als die Inhalte angreift: „Sieht man Faschismus (…) als eine Krankheit an, die Leute befällt, weil sie dumm sind, ist klar: Da kann mit politischen Mitteln nicht vorgegangen werden, das Problem der Krankheit liegt in den Kranken selbst (Dummheit!) und wird nicht auf die Gesellschaft zurückgeführt: Nicht etwa die Hetze von Spirnger-Presse, CSU oder bürgerlichen Medien sind, nach den Ärzten also Ursache dafür, dass Leute Faschisten werden, sondern deren eigene Unfähigkeit, Blödheit. Als Problem wird die Ungebildetheit, die geistige Unterlegenheit der (potentiellen) Faschos ausgemacht, die eben auf solche Parolen und Hetze reinfallen, nicht diese selbst.“
Der Karlsruher Bundesrichter Thomas Fischer ist womöglich von Berufs wegen gezwungen, seine Kritik etwas lyrisch zu verpacken. In dieser Ausgabe seiner Kolumne ‚Fischer im Recht‘ für die Zeit ist das die einzige Möglichkeit, die Gesetzesänderung, Deutschland gewähre fortan Asyl ’nach Maßgabe seiner Möglichkeiten‘, als sinnlosen Nebenspielplatz zu entlarven. „Es könnte eine Grenze der Kapazität geben. Oder sagen wir: Das Boot könnte voll sein. Oder das Glas. Es könnte sein, dass es unmöglich ist, in einer Turnhalle in Wetzlar 400 Elefanten unterzubringen oder in einem Zeltlager in Merseburg 30.000 Syrer.“ „Kennen Sie, Leserinnen und Leser, irgendeine Norm in diesem Universum, die nicht „nach Maßgabe der Möglichkeiten“ gilt? (…)Gilt zum Beispiel Artikel 14 Absatz 2 Grundgesetz („Eigentum verpflichtet“), auch im unmöglichen Bereich, oder nach Maßgabe der Möglichkeiten? Wie ist es mit der Meinungs- und Pressefreiheit? Soll sie auch da gelten, wo es – leider – nicht möglich ist? Garantiert Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes die freie Entfaltung der Persönlichkeit unabhängig von der Möglichkeit dazu? (…) Der Mensch lebt seit 200.000 Jahren „nach Maßgabe der Möglichkeiten“. Wenn das Wort „Möglichkeit“ einen Sinn haben soll, kann es außerhalb der Logik nur als Verweis auf ungenannte Kriterien zur Beurteilung ungenannter Voraussetzungen verstanden werden. Die Formel „nach Maßgabe der Möglichkeiten“ ist also, als verfassungsrechtliche Formel, die Verweisung entweder auf ein intellektuelles Nichts oder auf nichts als die politische Willkür. Und sonst wirklich nichts!“ Ein langer, aber lohnender Artikel.
Wienwahl
Michael Häupl ist der Lucky Loser der SPÖ: von allen Wahlen in diesem Jahr hat er am wenigsten verloren. Stefan Kappacher analysiert auf seinem Blog die Wahlen und zu erwartenden Folgen.
Florian Asamer analysiert in der Presse, was hinter den Gedanken zu geliehenen Wählerstimmen steckt und fragt: „Hätte es für die Strache-FPÖ eigentlich eine idealere politische Gemengelage geben können als bei dieser Wahl? Wohl eher nicht. Das heißt dann aber auch, um mit dem jüngst inflationär verwendeten Begriff Obergrenze zu operieren: Die 30-Prozent-Marke dürfte für die FPÖ so etwas wie eine gar nicht so gläserne Decke, sondern eher ein ziemlich blickdichter Plafond sein. Das ist natürlich ein mehr als beachtlicher Wert. Allerdings auch unter idealen Laborbedingungen zustande gekommen.“
Philipp Narval ist, ebenfalls in der Presse, weniger optimistisch: „Für progressive Kräfte aus dem linken und konservativen Lager wird Partizipation zur Überlebensfrage. Wenn es die Parteien nicht schaffen, den Menschen Möglichkeiten zu bieten, in der Politik Sinn stiften zu können, werden sie sich noch frustrierter abwenden. Ziel muss es sein, neue Andockstellen für die Engagierten zu schaffen. Sonst gehen der Politik die konstruktiven Kräfte endgültig aus.“
Christa Zöchling im Profil über die Mischung aus rechtsradikalen Elementen, Populismus und Paranoia in der FPÖ: „Vor nichts hätten sie mehr Angst gehabt als vor Koalitionsverhandlungen, dem politischen Tauschgeschäft und der peinlichen Frage nach den Versprechen, die sie im Wahlkampf gegeben haben: Jobgarantien für Gemeindebedienstete, 15.000 neue Gemeindewohnungen, Gratis-Parkpickerl, mehr Polizisten, höhere Gehälter und Ähnliches – das hätte das Stadtbudget gesprengt. Doch die FPÖ hat kein Problem mit gebrochenen Versprechen. Sie wird nicht bewertet wie andere Parteien im demokratischen Spektrum. Die Strache-Partei gleicht vielmehr einer Bewegung, die ins Stocken gerät in Zeiten der Langeweile und aufblüht in Zeiten der Unruhe.“
Religion
Viktor Orbán verweist gerne darauf, dass er einer christlichen Regierung vorsteht. Im Budapest Sentinel widerlegt Richard Field diese Behauptung.
Seit kurzem gibt es eine neue Staffel der Serie Homeland, die parallel zum Zeitgeschehen den allzeit heißen Krieg zwischen Amerika in Gestalt seiner Geheimdienste und dem internationalen fundamentalistischen muslimischen Terrorismus nachstellt. An der Art und Weise, wie das geschieht, wurde bereits viel Kritik geäußert. Laura Durkay hat zb in der Washington Post suggeriert, die Schreiberlinge würden wohl pauschal pro Klischée bezahlt. In den jetzt ausgestrahlten, neuen Episoden fand sich nun Kritik an unerwarteten Stellen: Graffiti-Künstler, die gebeten worden waren, die Gebäude am Drehort in der Nähe von Berlin optisch in ein Flüchtlingslager zu verwandeln, machten das kurzerhand einfach nicht. Stattdessen schrieben sie: Homeland is racist. Aufgefallen ist das tatsächlich bis vor der Ausstrahlung niemandem. „The Arabic script was not checked by producers, they (the graffiti artists) claimed. “The content of what was written on the walls … was of no concern. In their eyes, Arabic script is merely a supplementary visual that completes the horror-fantasy of the Middle East, a poster image dehumanising an entire region to human-less figures in black burkas and moreover, this season, to refugees.” Auch im Guardian.
Frauen
„Probably every woman you know, certainly every woman I know, has been in meetings where you’re the only woman in the room, and you want to make some kind of a comment and you think, Okay, I’m not going to say that, because it sounds stupid. And then some man says it, and everybody thinks it’s completely brilliant, and you’re really mad at yourself for not having spoken. I had that experience most of my life.“ Madeleine Albright im New York Magazine über WortführerInnenschaft in politischen Berufen.
Soeben ist eine Konferenz des Gunda-Werner-Instituts gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung mit dem Titel ‚Dare the Im_possible – Wage das Un_mögliche: Das 21. Jahrhundert feministisch gestalten‘ über die Bühne gegangen. Im Untertitel heißt es hierzu: “ Feminismus ist aktueller denn je. Trotzdem kommen mediale Debatten von Krise bis Pegida meist ohne feministische Kritik aus. Kein Wunder, dass weite Teile der Öffentlichkeit meinen, immer noch Grundsatzdebatten führen zu müssen.“ Die Soziologin Sabine Hark war dazu im Interview in der Zeit und hat über die Bedienung feministischer Slogans durch konservative und nationalistische Akteure schlaue Dinge gesagt: „Dieses Patriarchat wird jetzt überall entdeckt, nur nicht bei uns. Im Feminismus wird das schon lange unter dem Begriff Femonationalismus diskutiert: Die Indienstnahme feministischer Perspektiven für rassistische Argumentationen.“ Sie erinnert auch daran, dass „das drängendste feministische Problem weltweit bleibt, dass viele Frauen kaum Zugang zu Nahrung, Bildung und Gesundheitsversorgung haben und Gewalt ausgesetzt sind. Das trifft natürlich auch auf Männer zu. Nur sind es proportional viel mehr Frauen.“ Und was sich konkret ändern kann, wenn Frauen in alten Männerkreisen mitmischen: „Weil bestimmte Rituale dann nicht mehr funktionieren. Es ist noch nicht so lange her, dass VW in einen Skandal verwickelt war, in dem selbst die Betriebsräte mit sexuellen Dienstleistungen gepäppelt worden sind. Platt gesagt: Wenn die Manager nicht mehr gemeinsam in den Puff gehen können, wo sie nebenbei die Geschäfte besprechen, gibt es eine höhere Chance auf formalisierte, transparente Entscheidungen.“
EZA und Flucht
Mit der Zunahme an gewalttätigen Konflikten und Menschen auf der Flucht erleben auch jene neue Horrorgeschichten, die im Dienstleistungsbereich nahe an diesen Krisenherden arbeiten. Die ersten unter ihnen sind die Beschäftigen der Entwicklungszusammenarbeiter. Im letzten Jahrzehnt haben auch Angriffe auf sie um ein Drittel zugenommen, gleichzeitig steigt ihre Traumatisierung und die Schwere ihrer Arbeit mit der Schwere der Fälle, die zu ihnen kommen. Dennoch sind Organisationen wie UNHCR meilenweit davon entfernt, die verlässlichen und professionellen Support-Strukturen installiert zu haben, die man dort vermuten würde. Rosalie Hughes schildert in einem langen Opinion-Piece in der New York Times ihre Erfahrungen als UNHCR-Mitarbeiterin in Tunesien und berichtet aus der Praxis vieler anderer Organisationen und Standorte. Es liege nicht nur am fehlenden Geld, sondern vielmehr noch einer veralteten Einstellung zu psychischer Gesundheit, lautet ihre Anklage: psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen werde als gleichbedeutend mit Schwäche gesehen, von Menschen, deren Beruf es ist, wiederum anderen Menschen zu helfen…
Der österreichische Architekt Patrick Jaritz hat seine Diplomarbeit über „Wege und Räume der Immanenz“ geschrieben, also über nicht-permanente Baustrukturen wie Container und Zelte. Das VICE Magazin hat den Autor zum Gespräch über Kosten und Nutzen von nicht-permanenten Unterbringungen für Flüchtlinge in Österreich und seine Einschätzung zu besseren Alternativen gebeten. In seinen Augen fehlt es vor allem an der „Einbindung von denjenigen, die sich tatsächlich mit Raumkonzepten auskennen und mehr am Wohl der Bewohner interessiert sind als daran, Quadratmeter logistisch auf Refugees hochzurechnen. „Aus Planer-Perspektive finde ich es absurd, dass es in unserem Land genügend Leute mit Expertise gibt, die 6 bis 8 Jahre auf der Uni verbringen und darüber lernen, wie man wohnt, was Wohnraum mit uns macht, wie Räume uns beeinflussen“, sagt Jaritz. „Und niemand fragt sie.““
Ökonomie
Letzte Woche wurde der Nobelpreis für Ökonomie verliehen, der gar kein richtiger Nobelpreis ist, sondern korrekt der Alfred-Nobel-Gedächtnispreis-für-Wirtschaftswissenschaften heißt. Dass Ökonomie ein bisschen wie die Mutter aller Wissenschaften behandelt wird, ist mittlerweile kein Geheimnis mehr. Dabei ist Ökonomie selbst gar keine Wissenschaft, argumentiert Joris Luyendijk im Guardian: er schlägt vor, beim Ökonomie-Preis in Zukunft ähnlich den richtigen Nobelpreisen auch mal den einen oder anderen Underdog zum Zug kommen zu lassen und den Preis damit zu etwas tatsächlich Relevantem zu machen. Zwei Vorschläge hat er auch gleich: die soziologischen Arbeiten von Zygmunt Baumann zu post-utopischem Kapitalismus, oder Richard Sennett, der zu ‚corrosion of character among workers in todays economies‘ forscht. Zum Schluss schätzt er noch die Rezeption seines Vorschlags ab: „Will economists volunteer to share their prestigious prize out of their own acccord? Their own mainstream economic assumptions about human selfishness suggest they will not.“
Der sogenannte ‚Islamische Staat‘, der große Teile Syriens und des Iraks für sich beansprucht, ist für seine Einnahmen auf Ölverkäufe angewiesen. Erika Solomon, Robin Kwong und Steven Barnard haben in der Financial Times den Weg eines Ölfasses von der Gewinnung bis zum Endverbraucher nachgezeichnet, um so Gewinnströme aufzuzeigen.
Gabriel Zucman stellt im Guardian sein neues Buch ‚The Hidden Wealth of Nations‘ vor, in dem er basierend auf gänzlich neuen Daten die Kosten von Steueroasen errechnet. „The results are striking. The artificial shifting of profits to offshore tax havens has reached extreme levels over the last years, with 55% of the foreign profits of US firms now “made” in a handful of almost zero-tax countries . That’s 20% of all US corporate profits, both domestic and foreign, a tenfold increase since the 1980s. Silicon Valley giants have been particularly innovative when it comes to dodging taxes.“
@: „Mit Dummheit ist der Rechtsschwung aber auch nicht erklärt“
Doch. Mit der Dummheit von Parteien wie der SPÖ, die den Nährboden dieser Entwicklung bilden.
@: „Der sogenannte ‚Islamische Staat‘, der große Teile Syriens und des Iraks für sich beansprucht, ist für seine Einnahmen auf Ölverkäufe angewiesen.“
Dass man derartige Käufer wirtschaftlich (!) isolieren könnte verhindern vermutlich US-amerikanische Interessen.