„Die SiegerInnen schreiben die Geschichte“, heißt es. Stimmt, es wird Zeit das zu tun. Und weil die Medien aus ihrer Zuspitzungslogik und aus Platzgründen heraus die Story etwas einseitig dargestellt haben, hier einmal wie es subjektiv wirklich war. Ein Augenzeugenbericht.
Samstag später Nachmittag: Die meisten Journalist/innen haben den Landesparteitag der SPÖ Wien schon verlassen, sie sind es nicht gewöhnt, dass so spät noch etwas Relevantes passiert. Doch auch die verbleibenden MedienvertreterInnen verstehen nicht annähernd, was hier gerade Sensationelles vor sich geht. Ganz gemäß ihres gewohnten Rhythmus konzentrieren sich nicht nur die ZIB 1, sondern auch einige andere Reaktionen in erster Linie auf die Wahlergebnisse von Häupl, Brauner und Ludwig. Nachfolgegeschichten und Personalkrimis, so funktioniert in der Medienlogik Politik. Am Samstag Abend stellen wir das Video meiner Rede (ich war der einzige aus der Sektion 8, der gesprochen hat), das uns eine Journalistin freundlicherweise hat zukommen lassen, online und schreiben einen Mini-Blogeintrag dazu.
Am Sonntag zu Mittag hat sich das mediale Bild nicht wesentlich gewandelt. Ein Aktivist der Sektion 8 schickt darauf hin, den Mini-Blogeintrag in Form eines Sonder-Newsletters der Sektion 8 aus. Der Onlinestandard greift die Angelegenheit ohne weitere Nachfrage auf und bettet meine Rede in den Artikel ein. Das ist einerseits erfreulich, weil die Abstimmung durch mein Video ein Gesicht bekommt und meine emotionale Rede ein bisschen was von der polarisierten Stimmung und dem Abstimmungskrimi rund um den Antrag wieder spiegelt. Dadurch greifen etliche andere Medien, die sich zuvor kaum interessiert haben, die Thematik auf. Andererseits wird suggeriert, ich alleine hätte den Parteitag mit meinen Argumenten überzeugt. Obwohl Sektion 8-Aktivistin Eva Maltschnig und ich bei den folgenden Interviews immer wieder betonen, dass die Sektion 8 die Sache zwar initiiert hat, es sich aber im Vorfeld und vor Ort um ein großes Teamwork gehandelt hat, kommt es oftmals zu einer überzogenen Zuspitzung auf meine Rede und meine Person. Aus diesem Grund möchte ich die Geschichte einer kleinen innerparteilichen Grass-root-Bewegung erzählen, die großartiges Teamwork geleistet hat.
Wie es wirklich war:
Im Dezember 2010 hat sich eine kleine Gruppe ehemaliger FunktionärInnen aus sozialdemokratischen Jugendorganisationen (aks, VSStÖ, SJ) getroffen und diskutiert, was wir bezirksübergreifend auf einem Parteitag bewirken könnten. Eva Maltschnig, Aktivistin der Sektion 8 schlägt das kleine Glücksspiel vor und es stellt sich schnell heraus, dass das Thema allen Anwesenden ein großes Anliegen ist. Außerdem passt das kleine Glücksspiel gut auf den Parteitag, weil es kein Bundes-, sondern ein Wiener Thema ist. Wir recherchieren in Folge ausführlich zum Glücksspiel und erst im Zuge dieser Recherche wurde uns die ganze unfassbare Dimension des Themas klar. Wir verfassen einen Antragstext aber letztlich bleiben nur zwei Bezirke, die den Antrag auch wirklich bei den Bezirkskonferenzen im Frühjahr 2011 einbringen. Wir als Sektion 8 stellen den Antrag am Alsergrund, das Papier wird mit nur einer Gegenstimme angenommen. Der Bezirk steht geschlossen hinter der Position.
In der Josefstadt kam es hingegen zu sehr kontroversiellen Diskussionen und letztlich wurde der von der dortigen Sektion 1 eingebrachte Antrag gegen die Empfehlung und die Mehrheit des Präsidiums (ausgenommen Bezirksrätin und Antragsstellerin Stefanie Vasold) beschlossen. Nun gibt es zwei Bezirke, die das Verbot am Parteitag fordern.
Wie nehmen Mitte März Kontakt mit dem Online-Standard auf und bieten an, die Geschichte exklusiv zu begleiten, damit schon vor dem Parteitag eine Dramaturgie entsteht. Wir versorgen die Redakteurin laufend mit aktuellen Informationen. Es folgen mehrere Berichte über das kleine Glücksspiel, nicht nur über unsere Aktivitäten in Wien (Es wird auch über den Antrag der SPÖ-Alsergrund und Josefstadt berichtet), sondern auch über Entwicklungen in Oberösterreich.
Am 1. Mai marschiert die Sektion 8 mit dem Transparent „Das kleine Glücksspiel in Wien verbieten“ im Block der SPÖ Alsergrund am Rathausplatz auf. Ob es die Zensur übersehen hat, wissen wir nicht, aber der Sprechertext, der zum Einmarsch der SPÖ Alsergrund durch die gewaltigen Lautsprecher schallt, ist eine einminütige Kampfrede gegen das kleine Glücksspiel, die unser Bezirkssekretär Marcus Gremel zusammengestellt hat.
Eine Woche vor dem Parteitag ruft mich der Report an und fragt, ob wir uns an die Order von Michael Häupl gebunden fühlen, dass im Vorfeld zum Parteitag zum Thema Glücksspiel nichts öffentlich gesagt wird. Ich sage ihm, wir fühlen uns an gar nichts gebunden und mache den Redakteur darauf aufmerksam, dass unsere Bezirksvorsteherin Martina Malyar aus tiefer persönlicher Überzeugung gegen das kleine Glücksspiel kämpft. Der Redakteur ist skeptisch ob sich Martina Malyar öffentlich so deutlich gegen die Parteilinie stellen würde. Ich bin weniger skeptisch und rufe Martina an. Bedenkzeit: 0,015 Sekunden. „Ich bin dabei“. Der Redakteur, dem ich das mitteile, ist ziemlich baff. Ich erkläre ihm, dass der Alsergrund traditionell aufmüpfig ist.
Vier Tage vor dem Landesparteitag treffen sich 15 jüngere Leute aus neun Bezirken und einigen sich darauf, in ihren Bezirken gezielt Leute anzusprechen und RednerInnen für den Antrag der SPÖ Alsergrund/Josefstadt zu gewinnen. Die Sektion 8 und die Sektion 1 aus der Josefstadt bereiten eine Tischvorlage vor, auf der alle Argumente nochmals zusammengefasst sind und die auf jedem Platz am Parteitag aufliegen soll. Die Sektion 8 produziert noch Pickerl mit dem Spruch: „Das kleine Glückspiel in Wien verbieten“.
Am Parteitag sind es nicht nur die 15 Leute die auf dem Treffen waren, sondern viele mehr – vor allem jüngere Genossinnen und Genossen, die überall Leute ansprechen und Stimmung für unseren Antrag machen. Wie in einer kleinen spontanen Grassroot-Bewegung verbreiten sich die Pickerl und die Argumente von 8:30 morgens, bis zum Showdown ab ca. 15:00 Uhr. Es kommt zu einer zweistündigen Diskussion in der sich aus dem Alsergrund unser Vorsitzender LAbg. Siegi Lindenmayr, unsere Bezirksvorsteherin Martina Malyar, sowie Christopher Maurer und ich in die Diskussion werfen, genauso wie Leute aus der Josefstadt (BR Elke Probst), aus Mariahilf (BV Renate Kaufmann), aus Neubau (BR Senad Lacevic) und aus der FSG für das Verbot sprechen. Die Gegenseite wartet mit Promis auf: Nationalrat Kai Ja Krainer, Stadträtin Uli Sima, Klubchef Rudi Schicker. Trotzdem wird die Zuweisung des Antrags zum Gemeinderatsklub mit 302 zu 294 Stimmen verhindert und der Antrag schließlich mit so großer Mehrheit angenommen, dass Konferenzleiterin Renate Brauner gar nicht mehr zählen lässt, weil das Ergebnis so eindeutig ist.
Wer aller hat etwas zu diesem Erfolg beigetragen:
Die Sektion 8 hat das Verdienst, den Stein ins Rollen gebracht zu haben. Eva ist vor allem für die inhaltliche Aufbereitung zu danken. Viele andere haben Transparente gemalt, Pickerl layoutiert etc. Mein Verdienst ist es für eine mediale Dramaturgie schon im Vorfeld gesorgt zu haben. Auch meine Rede war sicher nicht schlecht, weil sie die Gegenargumente gezielt antizipiert, das Thema polarisiert und die Dynamik somit nochmals verstärkt hat. Im Gegensatz zu dem was viele Medien schreiben, habe ich aber nicht alleine den Parteitag umgedreht. Eva und ich haben in allen Stellungnahmen betont, dass es sich um ein bezirksübergreifendes Teamwork gehandelt hat. Das passt aber nicht zur personellen Zuspitzung der Medienlogik und kam in der Berichterstattung nur am Rande vor.
Die Sektion 1 der SPÖ Josefstadt hat das Verdienst, den Antrag in ihrem Bezirk eingebracht und gegen das fast geschlossene Präsidium durchgesetzt zu haben, sowie auch im Vorfeld viel zur Grass-root-Dynamik und zur inhaltlichen Vorbereitung beigetragen zu haben.
Die SPÖ Alsergrund hat das große Verdienst, geschlossen auf der richtigen Seite gestanden zu sein und das auch öffentlich zum Ausdruck gebracht zu haben. Unser Bezirksparteivorsitzender Siegi Lindenmayr hat als einziges Gemeinderatsmitglied für unseren Antrag gesprochen und unsere Bezirksvorsteherin Martina Malyar hat die Antragsdebatte mit der großartigen Rede einer Person, die täglich mit den Anliegen der Menschen in ihrem Bezirk konfrontiert ist, eröffnet. Außerdem hat sie einen überzeugenden Auftritt im Report-Bericht von Dienstag dieser Woche hingelegt.
Allen Leuten die im Vorfeld und vor Ort Leute angesprochen haben, Pickerl verteilt haben, Argumente vorgebracht haben kommt das Verdienst zu, den Sack zugemacht zu haben.
Zur abschließenden Klarstellung: Ich schreibe diesen Text nicht, um eine Autobombe der Glücksspielindustrie auf meine Person rechtzeitig abzuwenden, sondern um das Engagement aller zu würdigen, die etwas zu diesem spektakulären Parteitagsergebnis beigetragen haben und um die Geschichte eines großartigen Teamwork zu erzählen.
Ja, so funktionieren die Medien in diesem Land. Die Kunst ist, daran nicht zu verzweifeln. Den Menschen trotz aller Verkürzung ein Mindestmaß an Information zu bieten. Systeme ändern sich von innen. Ich will es glauben. Ich kämpfe. Die Rasanz unserer Zeit ist ein Sündenbock jener, die selbst den (medialen) Strudel schaffen. Wie so viele „Argumente“ im Oberflächendiskurs (gekränkter) Eitelkeiten und ihrer Rattenschwänze an zu bedienenden Freunden. (Ich entschuldige mich bei den unschuldigen Ratten).
Hope to hear U. Morgen.
L
Ich hab große Hochachtung von dem was hier mit Ausdauer, Mut und Konsequenz geleistet wurde.
Die Zuspitzung durch die Medien auf eine Person ist nachvollziehbar, so funktioniert der „Qualitätsjournalismus“ im Lande einfach. Es ist gut dem zumindest ein bisschen entgegenzutreten. Ich hoffe, dass die gesteigerte öffentliche Wahrnehmung der Sektion 8 auch in weitere Teilerfolge umgemünzt werden kann! Beste Grüße aus Graz!