Die doppelte Dividende der Regulierung – Eine Klarstellung

Einige Anmerkungen zu Thomas Strobls „Die Spekulation mag verschwinden, aber die Jobs kommen nicht automatisch„.

Dominik Bernhofer*

Thomas Strobl hat in seinem Kommentar meine Kritik an der jüngsten EZB-Zinsentscheidung auf zwei Ebenen zurück gewiesen: „Während ich also der Ansicht bin, dass der Zinsschritt der EZB zumindest keinen gröberen Schaden anrichten wird, bin ich gleichfalls überzeugt, dass Bernhofer mit seinem behaupteten Automatismus ‚Weniger Spekulation = Mehr Wachstum und Jobs‘ auf dem falschen Dampfer unterwegs ist.“ In der Replik finden sich viele Missverständnisse, die ich auf diesem Wege ausräumen möchte.

Drei Argumente gegen die Zinsentscheidung der EZB – Eine Wiederholung

Zuerst zur Geldpolitik: Ich möchte entschieden festhalten, dass das Kriterium der Kerninflation nicht meine „persönliche Meinung“ sondern theoretischer und praktischer Standard in der Geldpolitik ist. Das Konzept existiert seit den 1970ern und liegt – neben anderen Indikatoren – den Zinsentscheidungen aller Zentralbanken zugrunde. Es gibt ökonometrische Studien der EZB selbst die zeigen dass ihre Zinsentscheide äußerst gut durch die Kerninflation erklärbar sind (siehe u.a. Bilke/Stracca 2008). Nobelpreisträger Paul Krugman hat die Logik des Ansatzes ausgiebig und in Tiefe diskutiert, gerne erläutere ich aber die Intuition: Energie und unverarbeitete Lebensmittelt werden aus der Inflation herausgerechnet, weil ihre Preise viel volatiler sind als jene des restlichen Warenkorbes. Die Kerninflation ist damit ein gutes Maß für die mittelfristige Preisentwicklung, bereinigt um kurzfristige Schwankungen. Tatsache ist, dass das Mandat der EZB eine jährliche Inflationsrate von 2 Prozent „over the medium term“ (!) meint. Nebenstehende Abbildung liefert einen graphischen Eindruck für den Euroraum, und zeigt anschaulich warum die EZB überreagiert.

Anmerkung: Inflation die jährliche Änderungsrate des HVPI für jede Monat in Prozent. Kerninflation exkludiert Ausgaben für Energie und unverarbeitete Lebensmittel. Quelle: EZB

Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass die Zinsanhebung der konjunkturellen Entwicklung des Euroraumes schadet. Auch hier hat mich Strobl offensichtlich missverstanden: „Warum er (der Schwenk in der Zinspolitik, Anm.) ein Fehler sein soll, verrät er (Bernhofer, Anm.) uns leider nicht.“ Das Argument in der Wiederholung: Griechenland, Irland und Portugal (die GIPs) werden auch 2011 in der Rezession verharren. Die Geldpolitik spielt dabei eine wesentliche Rolle. Das gilt für die Zinsentscheidung, und noch mehr für die magere Intervention der EZB am Sekundärmarkt für Staatsanleihen seit Mai 2010. Während die amerikanische Fed bis Juni 2011 1.200 Mrd. $ (ca. 830 Mrd. EUR) locker machen will, hat die EZB bis jetzt keine 100 Mrd. EUR investiert. Und jetzt kommts: Indem die EZB die Krisenländer den Finanzmärkten schutzlos auslieferte, wurden diese geradezu in die Pleite gezwungen. Die Politik hätte hier niemals klein beigeben dürfen. Angetrieben vom neo-merkantilistischen Deutschland wurde stattdessen ein europäischer Rettungsschirm installiert, der mit seinen Sparauflagen die ungleiche wirtschaftliche Entwicklung im Euroraum weiter verfestigt. Die Zinsentscheidung der EZB fügt sich wunderbar in dieses Mosaik einer total verfehlten Wirtschaftspolitik. Selbst Blanchard und der IMF empfehlen dem Euroraum ein Inflationskriterium von 3 Prozent, um den unterschiedlichen Wachstums- und Inflationsraten im Euroraum beizukommen.

Das offensichtlichste Problem am EZB-Zinsentscheid aber ist, dass er völlig am Ziel vorbeigeht. Deshalb auch: „Die falsche Medizin zur falschen Zeit.“ Wahr ist doch, dass wir nur auf ausgewählten Märkten ein Inflationsproblem haben. Die politischen Unruhen im Nahen Osten treiben den Ölpreis, Missernten die Preise für unverarbeitete Nahrungsmittel, Gold profitiert noch immer von den Unsicherheiten im globalen Finanzsystem und die Preise für Metalle werden von der Nachfrage aus China angeheizt. In all diesen Märkten spielen immer auch die spekulativen Gesetzmäßigkeiten der Finanzmärkte eine wesentliche Rolle. In keinem dieser Fälle wird die Erhöhung der Leitzinsen um 25 Basispunkte irgendeinen Effekt zeitigen. Insbesondere auch weil der Euro so oder so stabil zum Dollar geblieben wäre.

Die doppelte Dividende der Regulierung der Finanzmärkte

Eine restriktive Geldpolitik ist das gröbstmögliche Schwert gegen inflationäre Tendenzen, denn sie arbeitet mit schwächerem Wachstum und Arbeitslosigkeit. Es gibt elegantere Lösungen, insbesondere dann wenn der Preisdruck nicht auf hohe Lohnabschlüsse zurück zu führen ist. Mein Vorschlag: eine effiziente Regulierung und Besteuerung der internationalen Finanz- und Rohstoffmärkte. Ein gutes Beispiel wie man durch Regulierung Preisblasen erfolgreich bekämpft liefert der chinesische Häusermarkt. Dort wurde – als Antwort auf stark steigenden Hauspreise infolge der Konjunkturprogramme 2008 und 2009 – ein öffentliches Wohnbauprogramm gestartet um das Angebot am Markt zu erhöhen, die Subventionen für untere Einkommensschichten wurden genauso erhöht, wie die verpflichtende Anzahlung beim Hauskauf. Zudem hat die lokale Regierung in Peking eine Grenze eingezogen, die es Familien verbietet mehr als zwei Häuser zu kaufen. Bei all den Maßnahmen wurden die regionalen Unterschiede in der Preisentwicklung berücksichtigt, und das Preiswachstum seit Mitte 2010 sukzessive reduziert ohne eine Krise auszulösen. Im Gegensatz dazu gilt John Taylor (ja der von der Taylor-Regel) und anderen ÖkonomInnen bis heute der starke Anstieg der US-Leitzinsen zwischen Mitte 2004 und 2007 als wesentlicher Auslöser der „Subprime-Krise“ am amerikanischen Hypothekenmarkt. Die Inflation wurde gebremst, doch zu welchen Kosten? Auch wenn es die MissionarInnen der Quantitätstheorie schmerzen mag, Inflation hat nichts mit der Geldmenge zu tun. Die Zentralbanken sind nur die letzte Instanz im Kampf gegen die Inflation. In der aktuellen Situation bieten sich Kapitalverkehrskontrollen, die Besteuuerung von Finanztransaktionen oder Banken im Allgemeinen sowie höhere – über Basel III hinausgehende – Eigenkapitalunterlegungen an. Mit den Steuereinnahmen sollten Technologien finanziert werden, die helfen die Produktivität der Nahrungsmittelproduktion zu stärken und unseren Energieverbrauch zu senken. Das sind Maßnahmen, die die aktuellen inflationären Entwicklungen auch angreifen, noch mehr Arbeitslose in der europäischen Peripherie werden nicht helfen.

Neben den dämpfenden Effekten auf die Inflation bin ich der Meinung, dass derlei Politiken auch expansive Effekte mexico pharmacy auf die effektive Nachfrage und damit Jobs und Wachstum haben werden. Das nenne ich die doppelte Dividende der Regulierung der Finanzmärkte. Der Frontalangriff von Strobl auf diesen Standpunkt ermöglicht es mir meine Argumente deutlicher zu machen.

Mehr De-Regulierung, mehr Wachstum?

Ohne Strobl einen Automatismus „Mehr Spekulation = Mehr Wachstum und Jobs“ unterstellen zu wollen, beginnt er sein Argument damit wie fruchtbar doch die De-Regulierung der Finanzmärkte seit den 1980er Jahren über Multiplikatoreffekte auf die realwirtschaftliche Konjunktur gewirkt hätte. Keine Frage, der unglaubliche Aufholprozess der europäischen Peripherie im Verlauf der 1990er und 2000er Jahre war getrieben von der Liberalisierung der Märkte. Klassische Beispiele sind Spanien und Irland: Dort haben Banken leichtfertig Hypothekarkredite vergeben, die Bauindustrie hat viele Jobs geschaffen und die Länder haben an Wertschöpfung gewonnen. Doch diese Wachstumsmodelle sind mit der Weltwirtschaftskrise fundamental gescheitert. Die USA, Island, Großbritannien, Spanien, Irland, die baltischen Staaten und Griechenland sind alles Länder die mit ihrer „Finanz-Extravaganza“ tief gefallen sind. Und ja, die Politik war daran beteiligt, die Sozialdemokratie vorne weg. Der Zusammenhang den Strobl aber bemüht war auch vor der Krise nicht sichtbar. Ein Blick in die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung genügt: Die durchschnittlichen realen Wachstumsraten in den entwickelten Industrienationen – insbesondere in den USA und im Euroraum – sind seit den 1980ern von Zyklus zu Zyklus rückläufig. Der jetzige Aufschwung in Deutschland oder Schweden mit realen Wachstumsraten jenseits der 3 Prozent ist geradezu eine Explosion im Vergleich zu den vergangenen Jahrzehnten. De-Regulierung und Wirtschaftskrisen sind auch historisch eng miteinander verbunden, nachzulesen u.a. bei Reinhart und Rogoff, beide keine Gründungsmitglieder von ATTAC.

Die Rolle der wirtschaftlichen Erwartungen

Strobl macht jedoch einen guten Punkt wenn er die Erwartungen der MarktteilnehmerInnen ins Spiel bringt und vor Automatismen warnt. Er geht damit auf die alte keynesianische Vorstellung zurück, die Geldpolitik sei ein wie ein Seil: Man könne an ihm ziehen – und die Konjunktur abwürgen -, aber man könne es nicht anstoßen – und die Konjunktur wieder in Gang bringen. Ich kann ihm nur beipflichten. Niedrige Zinsen führen nicht automatisch zu höheren Investitionen, entscheidend sind die „Animal Spirits“ der UnternehmerInnen. Stimmungen, gewachsene Institutionen, Herdenverhalten und Unsicherheit sind entscheidende Faktoren in jedem Makromodell, und können das beabsichtigte Ergebnis ins Gegenteil verkehren. Der Staat kann die Banken nicht zur Kreditvergabe zwingen, genauso wie er dem Großteil der Unternehmen kein Investitionsprogramm verordnen kann. Das unterscheidet Europa von China. Die Aufgabe des Staates ist es – neben einer aktiven Geld- und Fiskalpolitik – über die Ausgestaltung des institutionellen Settings ein Umfeld schaffen, in dem sich die effektive Nachfrage ungestört entfalten kann. Und genau hier setzen meine Vorschläge an.

Umverteilung + solvente Banken = Mehr Animal Spirits?

Über welche Kanäle könnten Besteuerung und Regulierung einen positiven Beitrag leisten? Umverteilung: Der Aufstieg des Finanzsektors ist ein starker Treiber der personellen Ungleichverteilung. Neben den Bonis der Investmentbanker und den üppigen Vorstandsbezügen sind mehr ausstehende Kredite und Anleihen immer auch verbunden mit einem Transfer vom Real- zum Finanzsektor bzw. von HäuselbauerInnen zu Rentiers (um es bildlich zu formulieren). Entsprechend der Konsumneigungen von Staaten und unteren Einkommensschichten werden umverteilende Maßnahmen die effektive Nachfrage mit ziemlicher Sicherheit stabilisieren helfen. Das ist gut für Wachstum und Jobs. Solvente Banken: Für Wolfgang Münchau – bekannter Leitartikler der Financial Times – ist die Euroraumkrise eine Solvenzkrise des europäischen Bankensektors. Kein Land kann Pleite gehen, weil dadurch viele „systemrelevante“ Banken vor dem Aus stünden. Die aktuellen Stresstests der Banken haben das eindeutig bestätigt. In diesem Umfeld ist es nicht verwunderlich, dass der Geldschöpfungsmultiplikator noch immer inexistent ist, und die Banken ihre Liquidität lieber bei der Zentralbank oder in den BRICs (Brasilien, Russland, Indien, China) anlegen. Nebenstehende Grafik zeigt den Kern des Problems: stagnierende Kredite und eine schwache Investitionstätigkeit der Unternehmen gehen Hand in Hand. Eine nachhaltige Lösung des Solvenzproblems der Banken, verbunden mit einer mittelfristig tragfähigen Konstruktion zur europäischen Bankenrettung und -aufsicht könnten hier Abhilfe schaffen.

Anmerkung: Beide Zeitreihen real, in Mrd. EUR, referenzieren auf den Euroraum. Nicht-MFIs meinen Nicht-Monetäre Finanzinstitute. Quelle: EZB, eigene Berechnung

Die Zinsentscheidung der EZB war ein Fehler und ist Teil einer verfehlten europäischen Wirtschaftspolitik im Anschluss an die Weltwirtschaftskrise, die die strukturellen Probleme des Euroraums prolongiert und uns schwaches Wachstum samt Inflation beschert (Stagflation!). Endlich mit der notwendigen Regulierung und Besteuerung des Finanzsektors zu beginnen könnte ein Baustein einer Agenda sein, die die wirklichen Probleme angreift. Niemand hat behauptet, dass es Patentrezepte gibt.

*Dominik Bernhofer ist Wirtschaftswissenschafter in Wien und aktiv in der Sektion 8 der SPÖ Alsergrund. Der Beitrag spiegelt seine Privatmeinung wieder.

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