In der Serie “Leseliste” werden hier in unregelmäßigen Abständen lesenswerte Bücher, Artikel und sonstige Texte vorgestellt. Diesmal: Paul Krugmans „The Conscience of a Liberal – Reclaiming America from the Right”
Simon Sturn
Seit drei Jahrzehnten steigen die realen Medianlöhne in den USA – je nach Maß – nicht oder kaum während die Einkommenssituation „of a narrow elite today matches its concentration in the 1920s“ (S. 16). Wenn sich Mainstream-Ökonom/inn/en mit den Gründen für die extrem zunehmenden Polarisierungstendenzen in der Einkommensverteilung hin zu Gewinn- und hohen Einkommen beschäftigen – was selten vorkommt –, so werden überwiegend zwei Ursachen genannt: Globalisierung und technologischer Fortschritt, welcher Hochqualifizierte bevorzugt. Demnach hat Einkommensverteilung wenig mit der Zurückdrängung der organisierten Arbeiter/innen/schaft in Form der Gewerkschaften, Makro-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik, oder mit den politisch durchgesetzten Interessen einer kleinen Einkommenselite zu tun.
Paul Krugman – Gewinner des „Ökonomienobelpreis“ 2008 sieht das anders. Vertrat er Mitte der 1990er Jahre noch die obige Standard-Mainstream-Story, so hat er seine Meinung mittlerweile gründlich revidiert und diesen Umschwung auf gut 300 Seiten ausführlich begründet. Was sind laut Krugman die Gründe für die enorme Zunahme der Einkommenskonzentration?
„Yet I’ve become increasingly convinced that (…) political change in the form of rising polarization has been a major cause of rising inequality. (…) Over the course of the 1970s, radicals of the right determined to roll back the achievements of the New Deal took over the Republican Party (…). The empowerment of the hard right emboldened business to launch an all-out attack on the union movement, drastically reducing workers’ bargaining power; freed business executives from the political and social constraints that had previously placed limits on runaway executive paychecks; sharply reduced tax rates on high incomes; and in a variety of other ways promoted rising inequality.” (S. 7)
In Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren und die massive ökonomische Ungleichheit konnte unter Präsident Franklin D. Roosevelts „New Deal“ der Grundstein für eine egalitärere Verteilung der Einkommen gelegt werden durch die stärkere Besteuerung von Gewinnen und Reichen, progressiverer Sozial- und gewerkschaftsfreundlicherer Gesetzgebung. Dieser neue sozioökonomische Konsens wurde – wie Krugman ausführt – aufgrund seiner Beliebtheit und seines Erfolgs auch von den Republikanern im Laufe der Zeit akzeptiert, und war Basis des Nachkriegsaufschwungs. Diese „era of equality was also a time of unprecedented prosperity, which we have never been able to recapture” (S. 54).
In den 1970er Jahren gelang es der neuen Rechten, genannt „Movement Conservatism“, zentrale Machtpositionen in der Republikanischen Partei zu besetzen:
„[Movement conservatism is] a network of people and institutions that extends far beyond what is normally considered political life: In addition to the Republican Party and Republican politicians, movement conservatism includes media organizations, think tanks, publishing houses and more. People can and do make entire careers within this network, secure in the knowledge that political loyalty will be rewarded no matter what happens. (…) Money is the glue of movement conservatism, which is largely financed by a handful of extremely wealthy individuals and a number of major corporations, all of whom stand to gain from increased inequality, an end to progressive taxation, and a rollback of the welfare state – in short, from the reversal of the New Deal.” (S. 10)
Ronald Reagan gilt als erster Vertreter des „Movement Conservatism“ im Präsidentenamt. Reagans Wirtschaftspolitik war geprägt von einer Abkehr keynesianischer Nachfragesteuerung, der Schwächung der Gewerkschaften und des Sozialstaats und einer Steuerpolitik zum Wohle der Besserverdienenden.
Warum aber war und ist es der Republikanischen Partei möglich, solch eine antipopulistische ökonomische Agenda zu verwirklichen, ohne von den Wähler/inne/n bestraft zu werden? Die wichtigste Antwort auf diese Frage liegt für Krugman im Rassismus. Durch die gezielte politische Verwertung rassistischer Klischees ist es den Republikaner/inne/n gelungen, die Mehrheit der Wähler/innen einiger südlicher Bundesstaaten mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen umzudrehen, welche früher Bastionen des „New Deal“ waren. Aufgrund rassistischer Vorurteile gegenüber angeblicher afroamerikanischer Sozialschmarotzer/innen wurden – so Krugman – genau jene Staaten Hochburgen der republikanischen Umverteilungspolitik, die von sozialstaatlichen Leistungen überproportional profitieren würden.
Nach drei Jahrzehnten neoliberaler Wirtschaftspolitik sieht Krugman nun wieder die progressiven Kräfte im Vormarsch. Herz der „new politics of equality“ sollte demnach die Gesundheitsreform sein. „America is ready for a new, progressive political agenda – a ’new New Deal‘.“ (S. ix) Um ein progressives Programm zu verwirklichen brauche es aber eine politische Führung, „that, like FDR [Franklin D. Roosevelt], welcomes the hatred of the interest groups trying to prevent us from making our society better.“ (S. 272)
Paul Krugman: The Conscience of a Liberal – Reclaiming America from the Right. Erstausgabe: Norton & Company, 2007; Seitenangeben dieses Textes: Penguin Books, 2009, 296 Seiten
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das buch ist auch auf dt. unter dem titel „Nach Bush – Das Ende der Neokonservativen und die Stunde der Demokraten“ erschienen