In der Serie “Leseliste” werden hier in unregelmäßigen Abständen Bücher vorgestellt. Diesmal: Colin Crouchs “Postdemokratie”
„Postdemokratie“, das ist für den britischen Politikwissenschaftler Colin Crouch „ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden, Wahlen, die sogar dazu führen, daß Regierungen ihren Abschied nehemn müssen, in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, daß sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über ein Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben. (…) Im Schatten dieser politischen Inszenierung wird die reale Politik hinter verschlossenen Türen gemacht: von gewählten Regierungen und Eliten, die vor allem die Interessen der Wirtschaft vertreten.“ (S. 10)
Die Entwicklung der Demokratie in den Industrieländern hat für Crouch die Form einer Parabel, die ihren Anfang in vordemokratischen Zeiten hatte, als Klassenprivilegien noch „voller Stolz und Hochmut zur Schau gestellt“ (S. 71) worden waren. Einer kurzen Blütephase der Demokratie, in der diese Privilegien – meist nach katastrophalen Krisen – im Namen der unteren Schichten in Frage gestellt wurden, folgte schließlich die Phase der Postdemokratie, in der diese Privilegien bestimmter Schichten nicht nur zurückkommen, sondern auch gleichzeitig in ihrer Existenz als Privilegien geleugnet werden. Deshalb ist es auch kein bloßes Zurück zu vordemokratischen Zuständen, werden Privilegien heute als durch Bildung und Leistung verdient präsentiert, was ihre Bekämpfung erschwert.
Als „grundlegendes Problem der Gegenwart“ und damit der Postdemokratie identifiziert Crouch in seinem 2003 im Original erschienen Essay „die Macht der Wirtschaftseliten“. Sie sind es, die egalitäre Politikprojekte immer mehr erschweren oder sogar gänzlich unmöglich machen. Der Band liest sich denn auch über weite Strecken als ein überzeugendes Pamphlet gegen Lobbyismus und die Selbstentmachtung der Politik durch Privatisierung und Auslagerung öffentlicher Dienstleistungen. Mit dem in der Finanzkrise offenbar gewordenen Versagen dieser vermeintlichen Wirtschaftseliten ist das Problem der Postdemokratie aber keineswegs gelöst: Politischer Diskurs als Wettkampf von Marketing-Gladiatoren, ein Vormarsch rechtspopulistischer Parteien und eine allgemeine Entintellektualisierung der politischen Debatte dominieren ungebrochen – Kärnten lässt grüßen!
Interessant in diesem Zusammenhang eine Beobachtung Crouchs, das Niveau der politischen Debatte betrefend: Am historischen Höhepunkt der demokratischen Parabel war, so Crouch, der Abstand im Hinblick auf das Vokabular und die sprachliche Komplexität zwischen Artikeln in Zeitungen mit Massenauflage und offiziellen Berichten, die für EntscheidungsträgerInnen gedacht waren, viel geringer als heute. Während das Niveau der Dokumente, die von EntscheidungsträgerInnen diskutiert werden, in etwa gleich geblieben sei, habe sich jenes der Berichte und Kommentare in Boulevardzeitungen, das Informationsmaterial von Regierungen und Parteien sowie Parteiprogramme grundlegend in Richtung Marketing-Sprech verändert. Inwiefern hier das Internet Chancen auf Verbesserung bietet, diskutiert Crouch leider nicht.
Als Ausweg schlägt Crouch eine Doppelstrategie vor, die Parteien nicht abschreibt, sie allerdings durch parteiunabhängige Initiativen unter Druck setzt: „Wir dürfen uns allerderings nicht damit begnügen, uns nur durch Parteien für unsere politischen Ziele zu engagieren. Wir müssen auch von außen Einfluß auf die Parteien ausüben, indem wir diejenigen Kräfte unterstützen, die sie kontinuierlich unter Druck setzen. Parteien, die nicht von unabhängigen Initiativen angespornt werden, bleiben der postdemokratischen Welt der Unternehmenslobbys verhaftet; und Initiativen, die unahbängig von Parteien für ihre Anliegen kämpfen, müssen damit rechnen, daß die Lobbyisten der großen Unternehmen sie mühelos in den Schatten stellen.“ (S. 142, Herv. i. Orig.)
Colin Crouch: Postdemokratie. Suhrkamp, 159 Seiten
Bei Amazon
[Update]
Colin Crouch ist Donnerstag diese Woche, 5. März um 18.30 Uhr als Vortragender zum Thema „Post-Democracy“ zu Gast im Bruno-Kreisky-Forum für internationalen Dialog. Weitere Informationen und Online-Anmeldemöglichkeit auf den Seiten des Renner-Instituts.
Crouch ist übrigens am Donnerstag in Wien:
Das Renner-Institut und das Bruno-Kreisky-Forum für internationalen Dialog laden ein zum
Vortrag
POST-DEMOCRACY
Termin
Donnerstag, 5. März 2009 , 18.30 Uhr
Ort
Oesterreichische Kontrollbank, Reitersaal
Eingang: Strauchgasse 3, 1010 Wien
Begrüßung
RUDOLF SCHOLTEN
Präsident des Bruno-Kreisky-Forums für internationalen Dialog
Einleitung
BARBARA ROSENBERG
stv. Direktorin des Renner-Instituts
Vortrag
COLIN CROUCH
Universitätsprofessor, Institute of Governance and Public Management,
Warwick Business School, University of Warwick
Moderation
ROBERT MISIK
Journalist, politischer Schriftsteller
Die Veranstaltung findet in englischer Sprache mit Simultandolmetschung ins Deutsche statt.
=> nähere Information
Wir bitten um Anmeldung
Bruno-Kreisky-Forum
T 01-318 82 60-20
F 01 318 82 60-10
einladung.kreiskyforum@kreisky.org