Was tut sich beim Grundsatzprogramm?

Heute hat die SPÖ-Parteispitze intern den Prozess zum Grundsatzprogramm gestartet. Dieser wird um einen Prozess zur Organisationsreform erweitert der demokratische und kulturelle Fragen aufwerfen soll. Das ist erfreulich, hat aber nur Sinn wenn diese in der alltäglichen Praxis der Parteiführung gleich Berücksichtigung finden.

Nikolaus Kowall

Seit einigen Monaten interessiert sich die Parteispitze erfreulicherweise für Fragen des Grundsatzprogramms und der Organisationsstruktur und -kultur der SPÖ. Da wir als Sektion 8 seit unseren Anfängen für eine politische, demokratische und kulturelle Wende in der SPÖ eingetreten sind, kam die Bundespartei mit ihrem neuen Interesse sozusagen in unsere Gasse. Die Motive der SPÖ-Führung beurteilen wir gewohnt pragmatisch. Wenn die Handlungen stimmen müssen die Motive nicht durch die Bank edel gewesen sein. Aus diesem Grund hat die Sektion 8 im Frühjahr 2014 das verlassen, was man als Urabstimmungs-Devise bezeichnen konnte. Im berechtigten Zorn rund um die Urabstimmungskampagne habe ich im Jänner 2014 auf diesem Blog geschrieben:

„Wir sollten daher aufhören das Establishment als Zielgruppe unserer reformerischen Anstrengungen zu betrachten, weil unsere Argumente dort wenig zählen.“

Wenn sich die Parteispitze in unsere Richtung bewegt, dann beginnen unsere Argumente dort zu zählen und der Dialog hat wieder Sinn. Darum haben wir in der Steuerungsgruppe zum Grundsatzprogramm mitgewirkt und im Mai an dieser Stelle darüber berichtet. Seit damals hat sich einiges getan:

Erstens hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein Grundsatzprogramm Prozess nicht losgelöst von einem Organisationsentwicklungs Prozess durchgeführt werden kann. Wenn man inhaltliche Grundsatzfragen aufwirft werden auch demokratische und organisatorische Fragestellungen akut. Diese Erkenntnis aus dem oberösterreichischen Morgenrotprozess wird nun erfreulicher weise beachtet. Hier ein grafischer Überblick über den integrierten Programm- und Organisationsprozess, der heute allen hauptamtlichen MitarbeiterInnen der SPÖ in Bruck an der Mur präsentiert wurde:

gsp_org_prozess

Die SPÖ Bundespartei plant bei dem Organisationsprozess selbst das Heft in die Hand zu nehmen und am Bundesparteitag im November einen Leitantrag zu den Statuten zu präsentieren, der die aktuellen demokratischen Spielräume erweitert (und im Sinne der SPÖ Frauen das Instrument der Quote wesentlich wirkungsvoller machen soll). Soweit meine Einschätzung nach zwei Treffen bei denen es auch erstmals zu einem direkten Dialog zwischen Werner Faymann und mir als Vertreter der Sektion 8 kam. Dabei habe ich auch darauf hingewiesen, dass mehr Teilhabe, sowie ein neues Miteinander auf Basis einer positiveren Parteikultur mit Vorkommnissen wie der Causa Sonja Ablinger absolut unvereinbar sind. Man kann keinen Prozess zur Erneuerung der Partei starten und gleichzeitig unter statutenwidrigen Umständen öffentlich zelebrieren wie schlecht man mit seinen eigenen Leuten umgeht.

Klar ist zum jetzigen Zeitpunkt schon, dass der Leitantrag zur Organisationsreform kein ganz großer Wurf werden wird. Die Chancen stehen 50:50 dass es zumindest ein mittlerer Entwurf wird und wir werden versuchen Demokratisierungen in den Antrag zu reklamieren. Beispielsweise sollen aus unserer Sicht künftig nicht nur Bezirksorganisationen am Bundesparteitag antragsberechtigt sein, sondern auch ein Antragsverband von z.B. zehn Ortsparteien/Sektionen.

Was das Grundsatzprogramm betrifft gab es eine gewisse Orientierung an unserem im Mai vorgeschlagenen Papier. Beispielsweise dürfte die Urabstimmung unter den Mitgliedern am Ende des Prozesses ziemlich fix kommen und es werden voraussichtlich auch finanzielle Ressourcen in einem vernünftigen Umfang für den Prozess freigemacht. Die wichtigste Frage, nämlich ob der Prozess partizipativ angelegt sein wird und auch eine entsprechende netzbasierte Teilhabe ermöglicht wird, ist aus heutiger Sicht unklar. Ich bin mir auch nicht sicher ob den Verantwortlichen bewusst ist, dass eine lebhafte diskutierende Volkspartei und eine geschlossene Regierungspartei nicht gleichzeitig zu haben sind. Wenn man Fragen stellt, werden sich Widersprüche auftun, auch zur eigenen Regierungspolitik.

Es ist auch offen ob den Verantwortlichen wirklich klar ist, wie viel Energie und Aufmerksamkeit eine Organisationsreform mit Programmprozess von ganz oben benötigt. Werner Faymann ist bekanntlich Parteivorsitzender und Kanzler, hat daher kaum Zeit und ist als Machttechniker der alten Schule kein Befürworter einer Trennung von Parteivorsitz und Kanzleramt (für eine umfassende Wiederbelebung der SPÖ wäre eine solche Arbeitsteilung die optimale Lösung). Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos wiederum war vorher selbst Mitglied der Regierung und betrachtet sich nun als „bad dog“ des SPÖ-Regierungsteams. De jure ist er der „Zentralsekretär“ des Parteivorstands und nicht jener des Kanzlers. Er ist in allererster Linie für die Partei da und nicht für die Regierung, aber diese Sichtweise existiert in der SPÖ de facto nicht. Darum glaube ich nicht, dass Werner Faymann seinen Geschäftsführer jetzt einmal zwei Jahre vollends an die Partei abgibt.

Der Umstand dass einige Bundesländer den Prozess bereits selbstständig in Gang gesetzt haben und die SPÖ Wien ein eigenes Konzept ausgearbeitet hat das sehr detailliert und professionell ist (und so konzipiert ist dass es völlig autark ist), stellt eine erhebliche Herausforderung dar den Prozess zusammenzuhalten und zusammenzuführen. Es könnte sein dass der Prozess deshalb versickert, weil die Bundesspitzen ihn unterschätzen. Ich persönlich habe das Projekt noch keineswegs abgeschrieben und halte es zum jetzigen Zeitpunkt für möglich, dass er die SPÖ positiv verändern kann. Dazu ist aber mehr Drive von Bundesseite nötig, wobei dieser ja noch kommen kann wenn der Prozess anläuft und Wellen schlägt.

Wir konnten trotz Bemühungen nicht durchsetzen, dass unser Prozessvorschlag vom Mai oder eine Abwandlung davon offiziell beschlossen wird. Nach dem guten alten paranoiden SPÖ-Motto „Jedes Schriftl ein Giftl“ verzichtet man auf alle Beschlüsse, auf die man nachher festgenagelt werden könnte. Das gleiche gilt für Protokolle, entweder man ist bei einer Sitzung anwesend oder man bekommt nichts mit weil es keine Dokumentation von Ergebnissen gibt. Hinzu kommt, dass die Gruppen die sich treffen immer unterschiedlich, wenn nicht willkürlich zusammengesetzt sind. Dieser Mangel an Professionalität hat auch eine machtpolitische Schlagseite. Chaos verwischt die Handschrift derer, die wirklich entscheiden. Aus meiner Sicht muss es daher zu einer Professionalisierung der Prozesssteuerung kommen. Sowohl aus Gründen der Effizienz, als auch aus Gründen der demokratischen Legitimität. Wenn die SPÖ durch den Organisationsreformprozess funktionstüchtiger und demokratischer werden soll, dann kann die Prozesssteuerung nicht das Gegenteil davon sein. Dieser Widerspruch sollte von Beginn an beseitigt werden um dem Prozess eine Chance zu geben.

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3 Responses to Was tut sich beim Grundsatzprogramm?

  1. Linkspartei 1. Oktober 2014 at 18:33 #

    Es ist einfach mühselig, wenn man die Parteispitze immer wieder dazu drängen muss, für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen bzw. soziale Ungerechtigkeit zu verhindern (gegen TTIP stimmen, gegen TISA stimmen, gegen CETA stimmen, gegen den nach wie vor geplanten Wettbewerbspakt stimmen, …).

  2. Linkspartei 1. Oktober 2014 at 18:30 #

    Jetzt arbeitet ihr schon seit Jahren an einer Verbesserung der SPÖ. Die SPÖ ist immer schlimmer geworden.

    Irgendwann sollte man einen Schlussstrich ziehen. Ich bin aus dieser Partei endgültig ausgetreten. Die SPÖ ist nicht mehr zu retten! Es ist ZEITVERSCHWENDUNG, sich in der SPÖ zu engagieren.

    Ich bin offen für eine neue linke Partei in Österreich.

  3. Heinrich Elsigan 20. September 2014 at 11:17 #

    Lieber Niko Kowall,

    ich möchte Kritik an der Sektion 8 üben.
    Grund ist folgender Textabschnitt:
    „Da wir als Sektion 8 seit unseren Anfängen für eine politische, demokratische und kulturelle Wende in der SPÖ eingetreten sind“

    Mir fehlt hier eindeutig sehr stark Arbeit und Wirtschaft!
    In der Sektion 8 gibt es in der SPÖ das meiste Wirtschafts-Know-How.

    Auch wenn Agenda Austria oder die IV in einigen Themen anderer Meinung sind,
    schätzen Sie sie wegen ihres fachlichen Wissens als Gesprächspartner.

    Ihre sachliche Argumentation bzgl. bedarfsorientierter Mindestsicherung hat effizienter & und schneller gewirkt, als wenn AK Steuer- oder Streikkeule geschwungen hätte.

    Ich möchte die sozialpolitischen, kulturellen und gesellschaftlichen Errungenschaften der Ära Kreisky in keinster Weise schmälern, leider hat die SPÖ die wirtschaftlichen und investierenden Leistungen dieser Ära komplett vergessen

    Hannes Androsch & Bruno Kreisky hatten 2 Ölkrisen zu bekämpfen (Rohstoffpreise +66%) und schafften es trotzdem wichtiger Investitionen weiter zu finanzieren zu können (Uno-City, Donauinsel, gratis Schulbuch, Unis) und zusätzlich noch Österreichs Leistungsbilanz von negativ auf positiv zu drehen

    Diese herausragende Leistung wird nirgendwo erwähnt und geriet im Bewusstsein der meisten Sozialdemokraten in Vergessenheit. Ebenso die Politik der Vernunft von damals ist heutzutage leider vergessen. (War die ÖVP anfangs gegen die Donauinsel und witzelte über das Entlastungsgerinne, erkannte sie schnell, dass dieses Projekt wirtschaftlich doch sehr sinnvoll war. Aber Kreisky akzeptierte ebenso die Entscheidung des Volks gegen die Zwentendorf. Diese Politik der Vernunft und das akzeptieren von Niederlagen, besonders dann, wenn die Idee des anderen dann doch sinnvoll war, fehlt mir heutzutage immens)

    Was mir noch fehlt und was ich der Sozialdemokratie sehr schwer übel nehme, sind Klassenkampfparolen in der Krise, wenn Sie gegen die wichtigsten Arbeitsplatzsicherer gerichtet sind. In den Krisen der 70er Jahre standen gemeinsame Initiativen für Arbeit und Wirtschaft vor dem Trennenden immer im Vordergrund. Erst, wenn die Wirtschaft wieder in Schwung kam und fette Gewinne schrieb, dann kehrte man zur Klassenkampfrhetorik in altgewohnter Manier zurück. Der Wirtschaft gehts im Moment nicht gut und viele KMUs verschwinden. Meiner Meinung nach können nur die Industrie und KMUs nachhaltig Arbeitsplätze (vor allem des Arbeiters) sichern.

    Wenn Sie sich diese Rede von Finanzminister Hannes Androsch aus dem Jahr 1975 anhören, dann verstehen Sie hoffentlich besser, an was es mir in der SPÖ so sehr fehlt:
    http://www.mediathek.at/atom/0971D079-054-0002C-00000E8C-09714453

    http://www.mediathek.at/trefferliste/searchword/czoxNToiSGFubmVzIEFuZHJvc2NoIjs=

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