Meinungsmache: Implizite Wahlempfehlungen im Wiener Boulevard

Die Berichterstattung zum parteiinternen Wahlkampf innerhalb der Wiener SPÖ im Gratisblatt „Österreich“ ist alles andere als neutral. Wir zeigen anhand von Beispielen, wie die „implizite Wahlempfehlung“ für Michael Ludwig funktioniert und erklären auch, warum eine derartige Meinungsmache so problematisch ist.

Inhalt

Geht so neutrale Berichterstattung?

Wer dieser Tage das Gratisblatt “Österreich” aufschlägt, dem lächelt auffallend häufig das Gesicht vom Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig entgegen.

Wem vor einigen Monaten das Gratisblatt “Österreich” in die Hände fiel, dem grinste auffallend häufig der nunmehrige Kanzler Sebastian Kurz entgegen.

Was sich über die gesamten Monate nicht geändert hat: Ex-Kanzler und SPÖ-Vorsitzender Kern erschien die ganze Zeit über nur ausgesprochen unvorteilhaft: Bilder mit verzerrtem Gesichtsausdruck, Fotomontagen und viele viele negative Berichte über Kern selbst (“Prinzessin”, “Glaskinn”), Kerns Ehefrau Evelyn Steinberger-Kern, Kerns Gehalt, Kerns Dienstwagen, Kerns ungeliebte Anti-Terror Poller, Kerns seit Monaten angeblich kurz bevorstehenden Rücktritt oder Kerns lange zugeschriebene aber nie eingetretene Kandidatur für den Wiener Parteivorsitz.

Auch die Berichterstattung über die SPÖ ist seit Monaten dauerhaft schlecht (“SPÖ rutscht in völliges Chaos”, “gespalten”, “SPÖ in Panik”, “Kampf um Wien”, “Wer jetzt gegen Kern kämpft”).

 



 

Es stellt sich die Frage: Darf die “Österreich” das? Ist es medienethisch in Ordnung, wenn eine Zeitung derartige Präferenzen für eine Partei – im Fall der ÖVP – bzw. einen Politiker – im Fall von Sebastian Kurz – an den Tag legt? Ist alles von der Pressefreiheit gedeckt, solange keine expliziten Lügen über eine Person verbreitet werden? (In letzterem Fall kann die betroffene Person wegen Rufschädigung klagen und eine Gegendarstellung verlangen, so geschehen z.B. durch Evelyn Steinberger-Kern) Oder geben Berufsrichtlinien und Presserat hier Richtlinien vor, die überschritten werden?

Wir versuchen uns hier an einer kurzen Einordnung samt Anschauungsbeispielen.

Trennung zwischen Information und Meinung

Kennzeichnend für die Journalismuslehre ist die Trennung zwischen informierenden und meinungsäußernden Darstellungsformen. Während in Nachrichten, Berichten, Reportagen etc. eine objektive Informationsvermittlung stattfinden soll , darf etwa in Leitartikeln, Kommentaren, Glossen und Kolumnen die subjektive Meinung des Autors oder der Autorin erkennbar sein. Meinungsäußernde Darstellungsformen dürfen beispielsweise polemisch, reißerisch, unfair oder derb sein, solange sie als “Meinung” klar gekennzeichnet sind. Diese Unterscheidbarkeit ist auch der Inhalt der Richtlinie 3.1 des Ehrenkodex des österreichischen Presserats:

Für die Leserinnen und Leser muss klar sein, ob es sich bei einer journalistischen Darstellung um einen Tatsachenbericht oder die Wiedergabe von Fremdmeinung(en) oder um einen Kommentar handelt.

Das bedeutet also, dass sich manche SPÖ-nahe Kreise zwar grün und blau ärgern können, wenn Fellner seine Meinung über Kern und die SPÖ in “Das sagt Österreich” zum Ausdruck bringt, medienethisch ist daran jedoch nichts auszusetzen. Im Grunde ist die Kolumne sogar ausgesprochen ehrlich: Wolfgang Fellner hält mit seiner Geringschätzung gegenüber Christian Kern nicht hinter dem Berg.

 

Explizite Wahlempfehlung für eine Partei oder einen Kandidaten bzw. eine Kandidatin

In dem Kapitel “And the winner should be… Explizite und implizite Wahlempfehlungen”, aus dem Buch “Massenmedien als politische Akteure” berichten die AutorInnen Brettschneider und Wagner von einem Tabubruch, der 2002 in Deutschland vonstatten ging: Die Financial Times Deutschland sprach eine Wahlempfehlung für Edmund Stoiber aus. Anders als in Deutschland oder Österreich sind derartige Endorsements im angloamerikanischen Raum nicht unüblich: Die New York Times sprach bei der letzten Wahl beispielsweise ein Endorsement für Clinton aus, die britische “The Sun” entschied sich hingegen für eine Art “Anti-Endorsement” und rief explizit dagegen auf, Corbyn zu wählen, samt einer drastischen Bebilderung von Corbyn in einer Mülltonne.

Man kann zu dieser Art der Positionierung einer Zeitung verschiedener Ansicht sein – doch zumindest ist sie ehrlich. Die Sache ist nur: in Österreich (sowohl in der Zeitung als auch in dem Land) gab es keine offizielle Wahlempfehlung. Damit gelangen wir zu den viel problematischeren impliziten Wahlempfehlungen.

Implizite Wahlempfehlungen

 

Brettschneider und Wagner definieren eine implizite Wahlempfehlung folgendermaßen:

„Um eine implizite Wahlempfehlung handelt es sich, wenn eine Zeitung oder ein Sender eine Partei oder einen Kandidaten in der Berichterstattung bevorzugt ohne dass dies als Wahlempfehlung kenntlich gemacht wird.”

Die AutorInnen unterscheiden zwischen folgenden Formen impliziter Wahlempfehlungen:

1) Das Verleihen publizistischer Präsenz :
Diese Form der impliziten Wahlempfehlung liegt dann vor, wenn einer Person oder einer Partei überdurchschnittlich viel positive Berichterstattung zuteil wird.

Eine Google-Recherche mit den Schlagworten   “oe24” und “Ludwig”  (oe24 ist die online Plattform vom Gratisblatt Österreich, hat aber keine eigene Suchfunktion auf der Seite), ergibt für das letzte Monat mindestens sechs Berichte, die Michael Ludwig einzeln adressieren. Alle sind ausgesprochen positiv gehalten, Ludwig wird als sympathischer Kämpfer dargestellt.


Die Suchanfrage “oe24” und “Schieder” liefert uns Im gleichen Zeitraum (letztes Monat) jedoch nur drei große Berichte, die sich ausschließlich Andi Schieder widmeten – alle vom 14. Jänner, in allen ging es um die Teilnahme Schieders an der Demo gegen Schwarz-Blau. Wofür er “attackiert” wurde, und sich “verteidigen” musste, bzw weswegen es “Krach” gab.

2) Die Bewertung von Parteien und Politikern

Wird ein Kandidat oder eine Kandidatin bzw. eine Partei abseits der Kommentare deutlich positiver dargestellt als der jeweilige Gegner bzw. die jeweilige Gegnerin, so handelt es sich um eine implizite Wahlempfehlung. Dasselbe gilt im Umkehrschluss natürlich auch für eine besonders negative Darstellung einer Partei bzw. eines Kandidaten bzw. einer Kandidatin.

Im aktuellen parteiinternen Wahlkampf um den SPÖ-Parteivorsitz in Wien gelingt dem Gratisblatt Österreich hier ein besonderes “Kunststück”: Die vollkommen legitime parteiinterne Wahl zwischen zwei Kandidaten zum Parteivorsitz, die bislang außergewöhnlich harmlos verlaufen ist, wird als eskalierender, brutaler “Kampf um Wien”, “Schlammschlacht” oder gar “Blutwiese” dargestellt. Dabei wird die SPÖ Wien als Ganzes als chaotischer, zerstrittener und unfähiger Haufen dargestellt, während zeitgleich Michael Ludwig – einer der beiden Kandidaten – in recht günstigem Licht erscheint:


 

3) Das Einsetzen ‘opportuner Zeugen’

Bewertungen müssen nicht aus der Hand von JournalistInnen stammen. Um dem Vorwurf einseitiger Berichterstattung zu entgehen, können auch einfach Akteure zu Wort kommen, welche die eigene Grundhaltung vertreten.

Zwei besonders schöne Beispiele für derartige implizite Wahlempfehlungen fanden sich in den letzten Tagen. Ähnlich große Berichte über Personen, die Andreas Schieder unterstützen, fanden wir bislang nicht in der “Österreich”.

 

4) Die instrumentelle Aktualisierung

Es wird bewusst mehr über Agenden berichtet, die einer Partei bzw. einer Person nutzen, bzw diesen schaden.

Ein Paradebeispiel für eine derartige instrumentelle Aktualisierung ist die regelmäßig wiederkehrende Meldung, dass die “Kriminalität explodiert”. Der Boulevard stellt sich blind gegenüber harten Zahlen aus den Kriminalitätsstatistiken, welche keinen Anlass zur Besorgnis geben (gut erklärt z.B. hier)

Oe24.at schafft es bisweilen sogar, der reißerischen Schlagzeile innerhalb der ersten Zeile des Kleingedruckten zu widersprechen. Das permanente Suggerieren, dass Wiens Straßen nicht mehr sicher seien und an jeder Ecke ein Vergewaltiger oder Räuber lauere, verunsichert die Leserinnen und Lesern natürlich. Diese Verunsicherung macht sie besonders empfänglich für Law&Order Rethorik und toleranter gegenüber noch mehr Überwachung und schürt Misstrauen gegenüber “den anderen”. Derart bereitet ein überbordender Alarmismus im Boulevard den Boden für rechte Politik.

Warum ist das demokratiepolitisch problematisch?

Unabhängige Zeitungen nehmen für sich in Anspruch, ihre Leser und Leserinnen objektiv zu informieren. Dass den Zeitungsmachern ein Politiker bzw. eine Politikerin oder eine politische Partei näher steht als andere, ist normal, sollte sich aber nur in den meinungsäußernden Darstellungsformen zeigen. Wenn sich jedoch eine formal unabhängige Zeitung durch gezielt positive bzw. gezielt negative Berichterstattung auf die Seite eines Kandidaten bzw. einer Kandidatin stellt, dann ist das höchst problematisch. Leserinnen und Lesern, die eine objektive Berichterstattung erwarten, werden in eine Richtung hin beeinflusst. Eine derartige nicht deklarierte Bevorzugung gefährdet außerdem den demokratischen Meinungsbildungsprozess. Wähler und Wählerinnen können sich dadurch schlechter ein objektives Bild der KandidatInnen und Parteien machen.

 

 

One Response to Meinungsmache: Implizite Wahlempfehlungen im Wiener Boulevard

  1. punto 14. Februar 2018 at 23:06 #

    Vielleicht lernt Schieder etwas durch die Watschen, die er für jeden erkennbar, Brauner/Fraunberger/Wehsely verdankt.

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