Die Verschärfung des Fremdenrechts mit sozialdemokratischer Zustimmung zeigt einmal mehr: Ein „Kriterienkatalog“, der rote Linien zieht, die weder von der SPÖ noch von möglichen Koalitionspartnern überschritten werden können, ist längst überfällig. Denn wenn es um die eigenen Themen und Werte geht, scheint die SPÖ nicht zum ersten Mal planlos.
Erwin Schotzger*
Christian Kern macht gerne Pläne. Schön und gut, denn Pläne werden geschmiedet, um Ziele zu erreichen. Langsam stellt sich aber die Frage: Welches SOZIALDEMOKRATISCHE Ziel strebt Christian Kern an? Der Plan A war kein sozialdemokratisches Programm und das Regierungsübereinkommen ist ein Kompromiss. Schon klar! Doch die Welser Kanzlerrede bei der Vorstellung des Plan A hat Kern mit einer klaren sozialdemokratischen Zielvorgabe eröffnet. Der Plan A sollte demnach nicht nur das Land nach vorne, sondern auch Österreichs Sozialdemokratie wieder auf den richtigen Kurs bringen. „Nicht ihr habt unseren Weg verlassen, wir haben unseren Weg verlassen.“ Dieser Analyse des SPÖ-Parteivorsitzenden folgte eine viel beachtete Entschuldigung und ein Versprechen: „Von heute an werden wir den Kurs ändern und (…) keinen Millimeter von unserem Plan abweichen“. Und wieder stellt sich die Frage: Was ist der sozialdemokratische Plan?
Inhalt
Sozialdemokratisches Profil schärfen
Klarheit könnte hier eine Analyse bringen, wofür sich denn der SPÖ-Chef eigentlich entschuldigt hat? Worin besteht denn konkret das Abweichen vom Weg der Sozialdemokratie? Erst diese Analyse macht es möglich, rote Linien zu benennen, die den sozialdemokratischen Weg vorgeben. Rote Leitlinien für die SPÖ selbst und rote Grenzlinien für mögliche Koalitionspartner, deren Überschreitung nicht mit Unterstützung der SPÖ stattfinden wird.
Unter dem Titel „Kriterienkatalog“ beschäftigt sich damit seit November des Vorjahres eine Gruppe unter der Leitung des Kärntner SPÖ-Chefs Peter Kaiser. Doch das Regierungsübereinkommens und die Zustimmung der SPÖ beim Streichen der Grundversorgung im Fremdenrecht machen deutlich: Hier gibt es offenbar noch keinen Plan!
Die folgenden Überlegungen sind somit als Denkanstöße und Auslotung zu verstehen. Wo könnte der Fokus einer längst überfälligen Schärfung sozialdemokratischer Grundsätze liegen?
Rote Linien: Wirtschaftsliberalismus
Das erste Abweichen vom sozialdemokratischen Weg fand in den 90er-Jahre statt. Damals haben Sozialdemokraten in ganz Europa dem neoliberalen Zeitgeist nachgegeben. Dank dieser kurzsichtigen Strategie wurden zwar Wahlen gewonnen, aber gleichzeitig „It’s the economy, stupid!“ als oberste Maxime akzeptiert. Fortan war der Wirtschaftsliberalismus tatsächlich ohne echte Alternativen.
Aus diesem wirtschaftsliberalen Konsens ohne Wenn und Aber muss die Sozialdemokratie aussteigen. Rote Linien müssen klar machen, in welchen Fällen den wirtschaftsliberalen Dogmen in Zukunft widersprochen wird:
- Ungleichheit und Umverteilung: Es ist einfach falsch, dass Wirtschaftsförderung, Wettbewerb und Deregulierung in letzter Konsequenz immer Wohlstand und eine bessere Zukunft für alle schaffen. Ohne staatliche Umverteilung geht es nicht. Nur so können die vom Kapitalismus des 21. Jahrhunderts verursachten Ungleichheiten einigermaßen ausgeglichen werden. Nur so kann das stetige Auseinandergehen der Schere zwischen Arm und Reich gestoppt werden. Ungleichheit ist das zentrale Thema und sozialdemokratische Umverteilung die Lösung. Das muss wieder offensiv ins Zentrum der politischen Debatte gerückt werden. Die SPÖ muss wieder die Davids stärken und dabei unterstützen, die Goliaths zum Wanken zu bringen.
- Wettbewerb: Wettbewerb ist das zentrale Ordnungsprinzip der Wirtschaft, aber ist Wettbewerb wirklich in allen Bereichen gut für Mensch und Gesellschaft?
- Deregulierung & Privatisierung: Nicht immer führen Deregulierung und Privatisierung zu Verbesserungen für die Menschen.
- Freihandel: Widerspruch ist auch bei der Behauptung angebracht, dass Freihandel immer und überall Wohlstand und Wachstum schafft. Es gibt höhere Werte als den freien Handel. Unter welchen Bedingungen stimmt die SPÖ Freihandelsabkommen nicht mehr zu?
- Arbeitsplätze: Auch die Behauptung, dass nur Unternehmer Arbeitsplätze schaffen, ist bestenfalls eine Banalität – jedenfalls aber eine Themenverfehlung. Das widerspruchslose Akzeptieren dieser undifferenzierten Behauptung macht Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik obsolet.
- EU-Kritik: Das Friedensprojekt Europa wurde auf dem Fundament des Freihandels und des uneingeschränkten Wettbewerbs gegründet. Dieses Fundament ist brüchig. Systemkritik ist angebracht. Ist es an der Zeit, diese einseitige Architektur der Europäischen Union um eine soziale Säule zu erweitern und damit zu festigen?
Rote Linien: Rechtspopulismus
Finanzkrise sowie internationale Migrations- und Flüchtlingsbewegungen lassen immer mehr Menschen am wirtschaftsliberalen System zweifeln. Es ist an der Zeit, offensiv Gegenmodelle einzufordern. Zwei große Themen formieren sich vor diesem Hintergrund gegen das Meta-Thema Wirtschaft: Ungleichheit und Sicherheit. Doch in den Augen vieler haben die Sozialdemokraten das offensive Eintreten für echte Alternativen zum neoliberalen Kapitalismus aufgegeben. Dieses Vakuum der radikalen Systemkritik wurde von den Rechtspopulisten mit ihren abstrusen Gegenmodellen gefüllt. Sie haben inzwischen die unangefochtene Anti-Establishment-Position so gut wie kampflos erobert. Ihr Lieblingsthema Sicherheit scheint Wirtschaft als das dominante Maß aller Dinge abzulösen.
Wenn die SPÖ diesmal auch dem rechtspopulistischen Zeitgeist nachgibt, droht das zweite Abweichen vom sozialdemokratischen Weg. Rote Linien müssen daher unmissverständlich klar machen, worum es der SPÖ geht: den Kampf gegen Ungleichheit und das Durchsetzen sozialer Sicherheit für alle.
- Soziale Sicherheit: Die defensive Haltung der Sozialdemokratie muss offensiven Forderungen nach dem Ausbau der sozialen Sicherheit weichen. Oder als rote Linie formuliert: Mit der SPÖ wird es keine weiteren Einsparungen und kein Zurechtstutzen des Sozialsystems auf Kosten der Schwächsten geben. Die SPÖ muss klar machen, dass der Rechtspopulismus lediglich ein Symptom der vom Wirtschaftsliberalismus hervorgerufenen sozialen Unsicherheitslage ist. Mit rechtem Sicherheitsfetischismus, der Sicherheit nur als Einschränkung von Freiheits-, Bürger- und Menschenrechten durch polizeiliche und militärische Maßnahmen begreift, werden nur Symptome bekämpft.
- Freiheits-, Bürger- und Menschenrechte: Mit der SPÖ kann es keine undifferenzierte Einschränkung historisch hart erkämpfter Freiheits- und Bürgerrechte geben. Insofern dies aufgrund konkreter Sicherheitslagen notwendig erscheint, wäre die SPÖ gut beraten, auf temporäre Maßnahmen zu bestehen: klares Ablaufdatum, explizite Verlängerung nur mit qualifizierten Mehrheiten im Parlament.
- Symbolpolitik: Läuft die Symbolik einer Maßnahme darauf hinaus, dass die SPÖ das Narrativ vom einzigen Heilsbringer Wirtschaft oder Sicherheit akzeptiert? Dann ist die aktive und passive Unterstützung ein Schuss ins eigene Knie. Sicherheit hat eine soziale Dimension, Wirtschaft auch. Alles dreht sich um den Kampf gegen die Ungleichheit. Umverteilung ist die Lösung. Soziale Sicherheit für alle das große Ziel.
Sozialdemokratie muss wieder Nein-Sagen lernen
Nach Jahrzehnten des angepassten Ja-Sagens als Teil des wirtschaftsliberalen Establishments muss die Sozialdemokratie endlich wieder lernen „Nein!“ zu sagen. Nicht um Veränderung zu blockieren. Aber Veränderung alleine kann nicht das Ziel sein. Es geht um Veränderung zum Besseren. Die SPÖ muss die Menschen davon überzeugen, dass weder wirtschaftsliberaler Marktextremismus noch rechtspopulistischer Sicherheitsfetischismus in eine bessere Zukunft führen.
Der Sinn des Kriterienkataloges liegt darin, transparent zu machen, wo die roten Grenzen des Ja-Sagens liegen. Er sollte sich nicht in der Vielfalt sozialdemokratischer Themen verlieren, sondern den sozialdemokratischen Kern herausarbeiten. Denn wenn das Ziel der SPÖ unumstößlich feststeht, werden sozialdemokratische Wähler den Weg mit der SPÖ gehen – auch wenn es bei tagesaktuellen Maßnahmen und in programmatischen Nischenbereichen kleine Abweichungen geben mag.
*Erwin Schotzger lebt und arbeitet als Content-Stratege und Werbetexter in Wien und engagiert sich in der Sektion Acht.
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