Hört man in der Straßenbahn jemanden darüber sprechen, dass “die” “so richtig fett Kohle mit den Flüchtlingen machen”, so kann man sich recht sicher sein, dass mit “die” die skrupellosen Schlepper gemeint sind. Dabei geht in der öffentlichen Debatte vollkommen unter, dass noch jemand anderer gerade sehr viel Geld mit “den Flüchtlingen” macht – und das ganz legal: private, gewinnorientierte Unternehmen, die die Betreuung und Unterbringung von Asylwerbern anbieten. Warum dies sowohl moralisch als auch ökonomisch problematisch ist.
Lea Six*
Inhalt
Ein kurzer Abriss der Privatisierung der Flüchtlingsbetreuung
Vor dem Sommer wäre der “best guess” von vielen auf die Frage, wer eigentlich die Betreuungseinrichtungen betreibt, gewesen: “der Staat, das Land, die Caritas”? Seit dem Sommer und den Berichten über die katastrophalen Zustände in Traiskirchen (oder genauer gesagt, der “Betreuungsstelle Ost”), ist einer breiteren Masse bewusst, dass Betreuungseinrichtungen oftmals von privaten, profitorientierten Unternehmen betrieben werden. Im konkreten Fall Traiskirchen hat es die Firma ORS zu trauriger Berühmtheit geschafft.
Das Wochenmagazin Profil zeichnet hier die Historie der Privatisierung der Flüchtlingsbetreuung nach – begonnen hat sie 2003 unter Ernst Strasser:
In Österreich begann die gewinnorientierte Flüchtlingsbetreuung mit Innenminister Ernst Strasser. Der ÖVP-Mann duldete in der Herrengasse keinen Widerspruch und konnte NGOs schon deshalb nicht ausstehen, weil sie ihn kritisierten. Um sie in Schach zu halten, arbeitete er mit der Pseudo-NGO „Verein Menschenrechte“ zusammen. Sie empfing Orders aus der Herrengasse ohne Murren und enthielt sich jeden politischen Kommentars – genau wie das deutsche Unternehmen European Homecare (EHC), das mit der Betreuung ostdeutscher Flüchtlinge nach dem Fall der Berliner Mauer groß geworden war. Strasser lagerte 2003 erst die Rückkehrberatung und dann die Führung des Lagers Traiskirchen in dessen Zuständigkeit aus.
Profil berichtet weiter, dass 2010 Erwin Pröll Maria Fekter, inzwischen Innenministerin, den Beschluss abringt, nicht mehr als 480 AsylwerberInnen in Traiskirchen unterzubringen – doch EHC sah Profitmöglichkeiten nur unter Spitzenauslastung und beendete die Zusammenarbeit. Die Neuausschreibung gewann ORS, Hilfwerke wie Caritas, Volkshilfe und Diakonie hatten aufgrund des Preises keine Chance. Damit beginnt der Einstieg von ORS in die Flüchtlingsbetreuung in Österreich – eine rapide Expansion folgte.
Wer ist ORS?
Wer ist nun ORS? Laut den Recherchen des Standards“[…]handelt es sich bei der ORS Service GmbH um die österreichische Tochter der 1977 gegründeten ORS Service AG, die in der Schweiz seit den 1990er Jahren im Asylbereich tätig ist”. Auch die Wochenzeitung die Zeit versuchte Licht ins Dunkel der Eigentümerstruktur von ORS zu bringen, war aber nur mäßig erfolgreich.
Laut Angaben auf der eigenen Homepage betreibt ORS in Österreich nicht nur die Betreuungsstelle in Traiskirchen sondern sage und schreibe 26 weitere Einrichtungen (23 davon im Auftrag des Bundes, 4 im Auftrag der Länder). Wer auf der Homepage nun auf “Jobs in Österreich” klickt, merkt schnell, dass es sich hierbei um ein stark expandierendes Unternehmen handelt: Es werden nicht nur sehr viele Stellen ausgeschrieben, diese befinden sich manchmal auch an Standorten, an denen es momentan noch gar keine Betreuungseinrichtung gibt.
Nach dem Aufkommen der katastrophalen Zustände in Traiskirchen stellte sich natürlich die Frage, ob dies das Unternehmen oder das BMI zu verantworten habe, dazu Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich im Standard,
Heinz Patzelt […] sieht in ORS nicht den Schuldigen, sondern den „Erfüllungsgehilfen“. Das Ministerium sei „auf Punkt und Beistrich für alles verantwortlich“. Einen privaten Dienstleister zu engagieren habe für das Ministerium den Vorteil, dass es eine vertragliche Geheimhaltungspflicht verlangen kann. Diese Verpflichtung wird auch allen Subunternehmern und Mitarbeitern auferlegt. „Eine NGO würde so eine Klausel nie unterschreiben“, sagt Patzelt. Zu klären sei […] ob die Betreuung in Traiskirchen deshalb schlecht funktioniert, weil das BMI zu „knausrig bei den Ressourcen“ ist oder ob der Dienstleister „üppiges Geld“ erhält, aber dafür „nichts leistet“. Die Diskussion wolle sich das Ministerium ersparen, indem es genaue Zahlen nicht nennt.
Ist eine Betreuung von Asylwerbern durch gewinnorientierte Unternehmen vertretbar?
Für mich stellt sich hingegen ganz allgemein, und weit über Traiskirchen hinaus, die Frage, ob die Betreuung von Flüchtlingen durch private, profitorientierte Anbieter, sinnvoll und moralisch vertretbar ist. So zeigt sich sofort das Dilemma, dass das ureigenste Interesse eines privaten Unternehmens – Generierung von möglichst hohem Profit – diametral dem Interesse der Öffentlichkeit entgegensteht – dass nämlich jeder ausgegebene Euro für die Flüchtlingsbetreuung auch den Flüchtlingen zugute kommt.
Es gibt zumindest in Österreich noch einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dass der Staat, und nicht der Markt, der Anbieter öffentlicher Dienstleistungen sein soll. Die Liste dieser Leistungen umfasst den Anspruch auf ein bestimmtes Niveau schulischer Bildung, auf Gesundheitsfürsorge, auf gewisse Formen der Fürsorge im Falle der Bedürftigkeit, Unterstützung im Alter und bei Verlust der Erwerbsfähigkeit. Jedem Einwohner sollen unabhängig von seinen finanziellen Möglichkeiten diese öffentlichen Dienstleistungen zur Verfügung stehen. Kein Unternehmen soll beispielsweise die Notsituation erkrankter Personen finanziell ausnutzen können.
Das immer wieder vorgebrachte Argumente für das Auslagern von öffentlichen Dienstleistungen ist die angebliche Überlegenheit des Marktes in puncto Effizienz- und Kostenfragen. Die gängigste Erzählweise lautet: dadurch, dass am Markt Konkurrenz herrscht, wird sich der am effizientesten arbeitende Unternehmer durchsetzen und die Güter und Dienstleistungen am günstigsten anbieten können. Gleichzeitig wird angenommen, dass Kunden über alle notwendigen Informationen verfügen um die Dienstleistungen verschiedener Anbieter vergleichen zu können und von der Möglichkeit profitieren, selbstbestimmt aus einer breiten Angebotspalette wählen zu können. Vielleicht denken an diesem Punkt manche an private Kindergärten, private Schulen, private Universitäten und privat geführte Krankenanstalten, die ja allemiteinander den Ruf haben, effizient und sauber geführt zu werden.
Doch, um nun auf die Frage der Asylwerberbetreuung zurückzukommen: Wer ist denn in diesem Fall der “Kunde”? Der Asylwerber selbst? Dieser hat wohl ganz eindeutig keinerlei Möglichkeit, selbstbestimmt zwischen Betreuungseinrichtungen zu wählen, er hat in den allermeisten Fällen nicht einmal die Möglichkeit, sich über schlechte Betreuung zu beschweren (als Erinnerungshilfe zu Traiskirchen: keine Duschvorhänge, Speck mit Reis für hauptsächlich muslimische “Kunden”, wortwörtlich kein Dach über dem Kopf….). Ist der Kunde in diesem Fall also der Staat, der die Dienstleistung auslagert? Kann der Staat zwischen einer großen Anzahl konkurrierender Anbietern wählen und damit denjenigen mit dem besten Preis/Leistungsverhältnis wählen? Vom vielbeschworenen “Markt”, der zu einem effizienten (im Sinne von qualitativ bester Dienstleistung zum kleinsten Preis) Gleichgewicht führt, sind wir hier meilenweit entfernt. Im Grunde gibt es schlicht keinen Markt, da es an konkurrierenden Anbietern fehlt, die einzigen “Konkurrenten” zu ORS in Österreich sind Organisationen, die nicht auf Profitbasis arbeiten. Wenn nun der Preis das alleinige Entscheidungsmerkmal ist (wie es scheinbar auch bei der Ausschreibung von Traiskirchen war), hat eine Firma wie ORS wenig Konkurrenz zu befürchten.
Kommerzialisierung öffentlicher Leistungen – typisch für eine Postdemokratie
Der britische Soziologe Colin Crouch, der den Begriff der Postdemokratie prägte, beschreibt in seinen Büchern** einen ganz anderen Faktor, der die Auftragsvergabe von öffentlichen Dienstleistungen an private Firmen bestimmt. Das ausschlaggebende Merkmal ist oftmals weder der Preis noch die Qualität der angebotenen, ausgelagerten Dienstleistung – sondern die Verbindung der privaten Firmen zu den staatlichen Entscheidungsträgern. Optimiert und investiert wird seitens des Unternehmens nicht in die Qualität der Dienstleistung, sondern in die Beziehung zu den politischen Entscheidungsträgern.
Am Beispiel vom Geschäftsführer von ORS Österreich, Wilhelm Brunner, wird dies durch eine schon fast komisch anmutende Selbstbeschreibung seiner Fähigkeiten auf seinem LinkedIn-Profil sichtbar (vorausgesetzt, es handelt sich um keinen Fake-Account). Als seine “Specialities” listet er auf:
Specialties: highly successful and well experienced in bridging interests between the public sector (government institutions) and the private sector (implementation and management of privatized organizations, SLA between public and private institutions), change management […]
Effizienzsteigerungen durch den Markt?
Ein weiteres Argument, das oftmals von Privatisierungs-Anhängern vorgebracht wird, lautet, dass der Markt höhere Anreize zu Innovationen, Spezialisierung und Effizienzsteigerungen bietet. Der Bereich der Asylwerberbetreuung ist wohl eindeutig nicht dafür prädestiniert nach “Effizienzsteigerungen” zu rufen, es ist zB nicht erstrebenswert, die Anzahl der Asylwerber je Schlafraum, je Deutschklasse oder ähnliches zu steigern. Auch der Einsatz von Maschinen als Ersatz für zwischenmenschliche Interaktionen wird die Betreuung nicht optimieren. Es gibt schlicht keinerlei Effizienzgewinne, die nicht zu Lasten der Flüchtlinge gehen würden! Und das Expertenwissen in puncto schulischer, psychologischer und gesundheitlicher Betreuung etc liegt nach wie vor eindeutig beim österreichischen Staat und nicht bei privaten Anbietern.
Ein weiterer Grund, warum eine private Flüchtlingsbetreuung nicht mit den oben genannten privaten Kindergärten, Schulen, Kliniken etc verglichen werden kann: Die “Kunden” haben keinerlei Wahlfreiheit, keinerlei Lobby und keinerlei Verhandlungsmacht. Wird ein Kind in einer privaten Schule unfair behandelt, wird in Kürze ein besorgter Elternteil Radau schlagen, den Vorfall publik machen und der Schule damit drohen, ihr das Schulgeld zu entziehen. Keine dieser Aktionen steht einem privat betreuten Asylwerber offen. Dementsprechend ausgeliefert ist er oder sie dem oftmals selbst überforderten und unterbezahlten Betreuungspersonal.
Die einzigen anrufbaren Kontrollinstanzen sind Medien und letztendlich der Staat selbst. Wobei die Medien teils schlicht ausgesperrt werden und der Staat seine Kontrollfunktion kaum wahrnimmt – ORS scheint nicht befürchten zu müssen bei Fehlern durch einen Konkurrenten ersetzt zu werden (wie es die marktwirtschaftliche Theorie so schön prophezeit). Karikative Einrichtungen sind dem Auftraggeber zu aufmüpfig, und staatliche Strukturen, um die Aufgabe selbst zu übernehmen, fehlen.
Doch genau dies wäre der zu gehende Weg – anstatt den Eigentümern einer Schweizer Aktiengesellschaft Geld in den Rachen zu werfen, sollte der Staat selbst (oder auch in Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen) die Strukturen für die Betreuung schaffen, auch wenn das heißt: Betreuungspersonal rekrutieren und ordentlich ausbilden, Flüchtlingsquartiere anmieten oder neue bauen…Das wäre nämlich mindestens ebenso effizient und würde keinen bitteren Nachgeschmack die Moral betreffend hinterlassen.
* Lea Six ist Aktivistin der Sektion 8 und lebt und arbeitet in Wien
**Colin Crouch, Postdemokratie, Kapitel 5 “Postdemokratie und die Kommerzialisierung öffentilcher Leistungen”
Colin Crouch, Die bezifferte Welt
No comments yet.