Rund um die Diskussion um das Parteiprogramm werden auch die Grundwerte der Sozialdemokratie debattiert werden müssen. Grundwerte – das Wort wiegt schwer. Seien wir mal ehrlich. Bei nicht wenigen löst die bloße Erwähnung bereits einen Gähn-Reiz aus, bei besonders Verdrossenen sogar verbunden mit einem flauen Gefühl im Magen. Gleichzeitig sehnen sich die Menschen laut zahlreichen Umfragen wieder vermehrt nach Werten. Ein Widerspruch?
von Josef Falkinger*
Grundwertekataloge von politischen Parteien werden nicht selten mit leeren Phrasen assoziiert, als nichtssagend wahrgenommen. Welche politische Partei ist nicht für den abstrakten Wert der Freiheit? Sogar die Rechtsextremen schreiben den Begriff der Freiheit ganz groß. Bei dem Wert der Solidarität ist es ähnlich. Solidarität ist ebenso ein Grundwert der christlichen Soziallehre wie der Sozialdemokratie. Der Wert der Gleichheit wirft schon größere Schwierigkeiten auf. Aber, wenn Gleichheit bloß Chancengleichheit oder Gleichheit vor dem Recht bedeutet, dann finden sich wieder alle zusammen. Immer wieder äußern junge Menschen, die sich vor der Wahl die Programme der Parteien durchlesen – ja solche gibt es: Da steht ja im Grunde überall das gleiche drinnen.
Das Paradoxe an der Situation ist, dass sich junge Menschen – wie viele Umfragen und Studien zu diesem Thema zeigen – gleichzeitig vermehrt nach Werten sehnen. Es handelt sich dabei aber nur um einen scheinbaren Widerspruch. Werte haben die Funktion, Orientierung zu geben, man will sich an ihnen festhalten, gerade in einer Zeit der steigenden Unsicherheit. Wenn Werte zu hohlen Phrasen werden, wenn sie Beliebigkeit vermitteln, statt Festigkeit und Rückgrat, dann ist die Enttäuschung gerade derer am größten, die im Grunde wertorientierter leben wollen.
In Wirklichkeit sind die Grundwerte der Sozialdemokratie – Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität – so aktuell wie lange nicht. Es geht aber darum sie, schärfer und offensiver als bisher zu definieren, vom schalen Geschmack der Beliebigkeit zu reinigen und mit einem Alleinstellungsmerkmal gegenüber den Werten unserer politischen Konkurrenz zu würzen!
Ein möglicher Einwand könnte sein, dass wir dann an Breite verlieren. Wollen wir nicht Menschen aller möglichen Haltungen einladen „ein Stück des Weges mit der Sozialdemokratie zu gehen“. Ja – aber wenn man jemanden einlädt ein Stück des Weges mitzugehen, dann sollte man diesem Jemand sehr konkret sagen können wohin dieser Weg führt. Sonst könnte dieser Jemand mit gutem Recht Verdacht schöpfen, dass es sich bei der freundlichen Einladung tatsächlich um den Trick eines Wegelagerers handelt. Und genau das Gefühl haben heute viele politikverdrossene Menschen – besonders die jungen.
Was aber bedeutet die geforderte schärfere Definition der Grundwerte? Ich erlaube mir diese Frage mit einem konkreten Vorschlag für das Kapitel Grundwerte des Parteiprogrammes zu beantworten. Dieser Vorschlag ist lediglich als Beispiel zu sehen. Er beruht weder auf Vollständigkeit noch Endgültigkeit. Er soll lediglich einen Eindruck vermitteln, was aus meiner Sicht eine exaktere Zeichnung der Grundwerte und des Selbstbildes der Sozialdemokratie in zeitgemäßer Sprache bedeuten könnte. Es sei darauf hingewiesen, dass eine gewisse Rest-Schwammigkeit im Grundwerte-Kapitel solange bleiben muss, als es nicht seine Ergänzung in den einzelnen thematischen Unterkapiteln und den politischen Forderungskatalogen gefunden hat. Das Grundwerte-Kapitel hat den roten Faden zu liefern, den es dann gilt, durch die einzelnen Kapiteln zu ziehen, um ihn in konkreten Forderungen zu festen Knoten zu schnüren.
Inhalt
Die Grundwerte der Sozialdemokratie
Beispiel für ein revidiertes Grundwerte-Kapitel
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten streben eine Gesellschaftsordnung an, in deren Mittelpunkt die Bedürfnisse des Menschen stehen. Zu diesen Bedürfnissen gehören zum einen die grundlegenden Bedürfnisse, wie die Bedürfnisse nach ausreichend entlohnter Arbeit, Gesundheit, einem Altern in Würde, hochwertiger Ernährung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Mobilität, Wohnraum, Bildung, Freizeit und einer lebenswerten Umwelt. Was den Menschen aber letztlich zum Menschen macht, ist das Bedürfnis nach einer freien und allseitigen Entfaltung seiner Persönlichkeit.
Sowohl die materielle Sicherheit als auch die freie und allseitige Entfaltung der Persönlichkeit werden heute bedroht durch eine zunehmende Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Die Ursache dafür ist die einseitige Ausrichtung des Wirtschaftslebens auf Profitmaximierung. Die weltweite Mobilität der großen Konzerne und Finanzvermögen, bekannt unter dem Schlagwort Globalisierung hat die demokratischen Institutionen erpressbar gemacht. So wird nicht nur der Lebensstandard bedroht, sondern die Idee der Demokratie an sich.
Die Frage, wie der Mensch die Kontrolle über die Ökonomie zurückgewinnen kann, wie das Primat der demokratischen Institutionen über die Ökonomie wieder hergestellt werden kann, ist in Anbetracht der zunehmenden weltweiten Zerstörung unserer Umwelt, der Trinkwasservorräte, der Atmosphäre, der Vergiftung der Meere und der Verödung fruchtbarer Landmassen zu einer Frage der Existenz unserer Spezies geworden.
Freiheit und offene Gesellschaft
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben mehrmals in der Geschichte unter großen Opfern dafür gekämpft, einen Rechtsstaat und demokratische Grundrechte zu erkämpfen. Freiheit ist aber nicht nur politische Freiheit. Freiheit ist auch Selbstbestimmung im unmittelbaren Lebenszusammenhang: Selbstbestimmung in der Schule, im Arbeitsleben, an der Universität, in Kultur, Alltag und Freizeit. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bekennen sich zur offenen Gesellschaft. Die offene Gesellschaft beruht aber nicht nur auf demokratischen Institutionen, sondern auch auf dem Willen, diese zu nutzen, um die Gesellschaft im Sinne der menschlichen Bedürfnisse und Werte zu verändern. Sie gründet sich auf dem Vertrauen, dass der Mensch nicht gezwungen ist, auf der Grundlage von unumstößlichen Gesetzen der Geschichte oder der Ökonomie zu handeln, sondern in der Lage ist, mit Hilfe von Institutionen, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Heute ist der mächtigste Feind der offenen Gesellschaft die Ideologie der unumstößlichen Gesetze des Weltmarktes. Ein Bekenntnis zur offenen Gesellschaft bedeutet heute den Einsatz für geeignete Institutionen, um die übergroße Macht der Finanzmärkte und der großen Konzerne in die Schranken zu weisen. Offene Gesellschaft braucht geeignete Institutionen, um alle Bereiche des menschlichen Lebens – angefangen mit dem Arbeitsleben – mit Selbstbestimmung und Demokratie zu durchdringen. Nur so kann Freiheit im Sinne von sozial verantworteter Selbstbestimmung Wirklichkeit werden.
Gleichheit und Gerechtigkeit
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen für gleiche Rechte aller Menschen unabhängig von Geschlecht, Weltanschauung, Herkunft und sexueller Orientierung.
Sie kämpfen für gleiche Chancen in Bezug auf Berufswahl, Bildungswelt und die allgemeine Entfaltung der Persönlichkeit.
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten setzen sich aber auch für eine gerechte Verteilung der Einkommen und Vermögen ein. Sie sehen die zunehmende Anhäufung großer Privatvermögen als Bedrohung für eine offene Gesellschaft. Die Konzentration ökonomischer Macht in den Händen einer kleinen Minderheit mindert die Durchsetzungskraft demokratischer Institutionen.
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gehen davon aus, dass der Wohlstand einer Gesellschaft nur dann erhalten werden kann, wenn es einen gewissen Zusammenhang zwischen Eigentum und Arbeitsleistung gibt. Sie erachten dementsprechend den Erwerb von großen Vermögen ohne eigene erbrachte Leistung für ungerecht und ökonomisch ineffizient.
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gehen umgekehrt davon aus, dass allen arbeitenden Menschen durch die geleistete Arbeit ein gewisser Eigentumsanspruch an ihren Arbeitsmitteln erwächst. Mitbestimmung und Mitwirkung der arbeitenden Menschen im Wirtschaftsleben ist ein elementarer Bestandteil der sozialdemokratischen Gerechtigkeitsvorstellung.
Solidarität und soziale Demokratie
Unter Solidarität verstehen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten das Prinzip der Selbstermächtigung durch gemeinsames Handeln. Im Gegensatz zur Wohltätigkeit des Starken gegenüber dem Schwachen geht es bei Solidarität um den gemeinsamen Einsatz für gemeinsame Interessen. Es kann sich dabei um den Einsatz für bessere Arbeitsbedingungen im Betrieb, hochwertigere Lebensbedingungen in der Gemeinde oder im Stadtteil, ein Mehr an Chancengleichheit, Kinderbetreuungseinrichtungen oder Freizeitmöglichkeiten handeln. Solidarität verlangt Institutionen außerhalb des Staates, Gewerkschaften, Nicht-Regierungsorganisationen, Genossenschaften, Betriebsräte, Vereine, Initiativen aber auch politische Parteien. Um effektiv zu sein braucht Solidarität Einrichtungen der Selbstorganisation, die den einzelnen Mitstreiterinnen und Mitstreitern tatsächliche Mitsprache einräumen. Sie benötigt den Blick über den Tellerrand der eigenen Gruppe und die Bereitschaft Lösungen im Sinne des Gemeinwohls anzustreben. Solidarität als gelebtes Prinzip einer Gesellschaftsordnung verlangt schlussendlich die Ausdehnung der Demokratie auf alle Lebensbereiche. Sie verlangt neben der politischen Demokratie die Herausbildung einer sozialen und wirtschaftlichen Demokratie.
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gehen davon aus, dass es ein großes gemeinsames Interesse aller arbeitenden Menschen gibt. Sie alle haben ein gemeinsames Interesse, da sie keine großen Vermögen besitzen und da ihnen das wohlerworbene Recht auf wirtschaftliche Mitbestimmung weitgehend vorenthalten wird. Die Sozialdemokratie sieht sich als Instrument zur politischen und ökonomischen Ermächtigung der arbeitenden Menschen. Nur durch die Ermächtigung der arbeitenden Menschen gegenüber der anonymen Macht des Kapitals kann der Mensch die Kontrolle über die Ökonomie zurückgewinnen.
*Josef Falkinger ist Mitglied der SPÖ-Alsergrund
In der Diskussion dieses Themas fehlt fast immer die Unterscheidung zwischen Werten im Sinne von erstrebenswerten Eigenschaften oder Zielen einerseits und Rechten, die vom Gesetzgeber festzulegen und von der Rechtspflege durchzusetzen sind. So auch hier.
Des weiteren bedeutet der Begriff „Freiheit“ zunächst nur die Abwesenheit von irgend etwas wodurch eine klare Bestimmung der gemeinten Freiheit schon zweckmäßig ist.
—
Was die erstrebenswerten Eigenschaften oder Ziele der österreichischen Sozialdemokratie betrifft, habe ich den Eindruck, dass sie weder mit den gegenwärtigen Idealen unserer Gesellschaft übereinstimmen, noch dass sie von der Gesellschaft gewusst und als Vorbild akzeptiert werden. Auf diesem Gebiet muss die Partei an ihren eigenen Vorstellungen arbeiten, wenn sie nicht will, dass das Volk an ihr vorbei und davon zieht.