VIE-BXL (16): Die Europäische Bürgerinitiative – Beteiligungsmöglichkeit über die EU-Wahlen hinaus

VIE-BXL ist eine Serie von Beiträgen am Blog 8 im Vorfeld der Europawahl 2014.

Renate Preukschat*

1. Der bürgerferne Sündenbock

Ob man Europa nun im Kopf hat oder es einem eher schwer im Magen liegt – die Plakate der Parteien zur Europawahl sind alles andere als informativ. Vielmehr wird die EU auf (wenn auch sehr süße) Schweinderl und den Biegungsgrad von Salatgemüse reduziert. Ganz zu schweigen von ins Reimschema gezwungenen Slogans wie „Österreich denkt um, zu viel EU ist dumm“ und der gleichen.

Sicher, die EU ist ein Großprojekt der Marktintegration. Zwangsläufig werden dabei eine Unmenge von Regelungen und Gesetzen erlassen, die in ihrer Detailliertheit auf den gesunden Menschenverstand absurd wirken können. Aber woher kommen diese Erlasse? Es sind eben genau die nationalen PolitikerInnen und BeamtenInnen, die sich in Brüssel stellvertretend für ihre Länder auf einen gemeinsamen Nenner in Sachen Produktstandards einigen. Ein Großteil der Gesetze, die aus Brüssel kommen, wird von den Mitgliedsstaaten vorgeschlagen. Nicht zu vergessen ist die Lobby der Wirtschaftsinteressen, die ein Eigeninteresse an bestimmten Richtlinien hat. Beispielsweise profitieren große Supermarktketten und Spediteure von der einheitlichen Größe der Gurken. Denn dadurch passen immer jeweils zwölf davon in einen Karton. Obwohl die Regelung 2009 abgeschafft wurde, halten sich die Erzeuger immer noch daran.

Das große Problem ist, dass die Politik die EU nicht erklären kann (oder will?). Das liegt sicher auch daran, dass es im Wahlkampf besonders stimmenbringend ist die EU als Sündenbock zu verwenden. Auch weil es den WählerInnen nicht klar ist, woher die vielen absurden Regelungen denn eigentlich kommen. Was dieser EU-Parlamentswahl fehlt, ist eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den wirklich wichtigen Themen: Wie gehen wir am besten mit der Wirtschaftskrise um?  Wie steht die EU zur Krise in der Ukraine? Und was sind die großen Herausforderungen in Bezug auf Energiepolitik? Diese Fragen geraten ins Hintertreffen bei dem vielen Klein-Klein des Tagesgeschäftes, bei dem die nationalen PolitikerInnen Brüssel für eigenes Versagen verantwortlich machen. Fakt ist: die EU ist ein Konsens-System. Die Kommission würde keinen Gesetzesvorschlag machen, der gegen ein signifikantes Interesse eines oder mehrere Mitgliedsländer geht. Somit gibt es kein „Bürokratie-Monster Brüssel“, sondern von den Ländern gemeinschaftlich beschlossene Regeln die von den EU-BeamtInnen verwaltet werden.

Positiv ist immerhin, dass es mehrere KandidatInnen für das Amt des Kommissionspräsidenten gibt, die gegeneinander antreten. Einen solchen offenen Wettkampf hat es in der EU noch nicht gegeben und er kann als Zeichen für die steigende Politisierung des Systems gedeutet werden. Viele sprechen sich zudem seit Jahren für eine Direktwahl des Kommissionspräsidenten aus. Eine steigende Politisierung kann dazu führen, dass sich die WählerInnen zunehmend mit der EU beschäftigen, weil über ihre Entscheidungen öffentlich diskutiert wird. Diese positive Neuerung darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Wahlbeteiligung zum EU-Parlament seit den 1970ern stetig gesunken ist. Sie liegt niedriger als die ebenfalls schrumpfende Beteiligung zu nationalen Wahlen. Diesem System fehlt eine Verbindung zur europäischen Bevölkerung.

 

2. Die bürgernahe Neuerung

Seit mehreren Jahren bemüht sich Kommission, die Lücke zu den BürgerInnen durch mehr Partizipation zu schließen. Die Beteiligungsmöglichkeiten an der EU-Politik, die über Wahlen hinausgehen, sind dabei vielfältiger als gedacht. Petitionen können beim Parlament eingereicht, es kann sich beim europäischen Ombudsmann beschwert werden. In offenen Diskussionsforen im Internet kann man seine Meinung zu Gesetzesvorschlägen abgeben. Seit dem 1. April 2012 gibt es zudem die Europäische Bürgerinitiative (EBI). Dabei können die InitiatorInnen einen Gesetzesvorschlag bei der Kommission einreichen. Dieses Instrument ist auf der Welt einmalig weil es eine direkte Verbindung für EU-BürgerInnen zu dem Legislativorgan herstellt. Um eine Initiative bei der Kommission einzureichen, müssen die InitiatorInnen insgesamt eine Million Stimmen aus sieben Mitgliedsstaaten sammeln. Dabei gibt es für jedes Land eine Mindestanzahl von Unterschriften. Diese wird basierend auf der Anzahl der EU-Parlamentsmitglieder des jeweiligen Landes berechnet. Schaffen es InitiatorInnen über die „eine-Million-Hürde“, haben sie die Chance, dass ihr Vorschlag zu einem EU-Gesetz wird. Darüber hinaus werden sie ins Plenum des Europäischen Parlamentes eingeladen um über ihre Initiative zu diskutieren.

Das populärste Beispiel einer erfolgreichen EBI ist die „Right2Water“ Initiative. Ihre OrganisatorInnen haben zum Ziel, das Menschenrecht auf Wasser gesetzlich schützen zu lassen. Zudem fordern sie die Kommission dazu auf die Privatisierung der Wasserversorgung zu verhindern. Die Initiative zählt über 1,8 Millionen UnterstützerInnen und wurde von einem breiten Netzwerk aus Gewerkschaften, sowie Frauenrechts-, Umwelt- und Gesundheits-NGOs ins Leben gerufen. Innerhalb weniger Monate hatte Right2Water über eine Millionen Stimmen gesammelt. Dies veranlasste Kommissionsmitglied Michel Barnier bereits vor Beendigung der Unterschriftensammlung zu einer Stellungnahme. Die EU beabsichtige in keiner Weise die Privatisierung der Wasserversorgung, hieß es da. Als es allerdings an der gesamten Kommission war, einen Gesetzesvorschlag basierend auf der Initiative zu machen, wich sie dem öffentlichen Druck aus. Da die Wasserversorgung Sache der Mitgliedsländer sei, habe sie keine Befugnis zu handeln. Obwohl das Ergebnis der ersten EBI darum eher enttäuschend ist, hat sie ihr Ziel dennoch nicht komplett verfehlt. Sie agiert weiter auf nationaler Ebene. Trotz der Ablehnung der Kommission haben die InitiatorInnen ihr Thema auf die Agenda der EU gesetzt. Alle KandidatInnen für das Amt des Kommissionspräsidenten (bis auf den Liberalen Guy Verhofstadt) haben sich für die Durchsetzung der Ziele von R2W ausgesprochen.  Fortan wird es schwierig sein den diskursiven Standard von „Wasser ist kein Produkt, sondern ein öffentliches Gut“ zu ignorieren.

 

3. Die Neuerungen darf nicht auf halber Strecke stecken bleiben

Das positive Beispiel der Wasserinitiative darf über eines nicht hinwegtäuschen: die EBI als neuer Kanal zu den EU-Institutionen ist noch sehr beschränkt. Der Erfolg von R2W beruht auf dem großen und professionellen Netzwerk der InitiatorInnen, dass seinen Ursprung in Gewerkschaften und NGOs aus ganz Europa findet. Für eine Gruppe „normaler“ BürgerInnen wäre ein vergleichbarer Erfolg viel schwerer zu erreichen. Denn um eine Million Unterschriften zu sammeln braucht man Zeit und Geld. Viel Zeit. Und viel Geld.

Außerdem kann die Kommission keine Vorschläge übernehmen, die ihre(von den Mitgliedsstaaten definierten) Kompetenzen überschreiten oder offen gegen die EU-Verträge verstoßen. Ein weiterer Mangel an der Europäischen Bürgerinitiative ist die Tatsache, dass die Kommission nicht gezwungen ist, basierend auf einer Initiative einen Gesetzesvorschlag zu machen. Sie hat somit eine ‚gatekeeper‘-Funktion, die das Instrument zusätzlich schwächt. Die politische Sprengkraft der EBI würde durch eine verpflichtende Gesetzesinitiative der Kommission erhöht werden. So würden mehr europäische Themen in den nationalen Medien bekannt werden und die allgemeine Kenntnis über Prozesse innerhalb der EU könnte erhöht werden.

Trotz dieser Einschränkung sendet die gesetzliche Neuerung ein wichtiges Signal. Nämlich, dass die EU den BürgerInnen zuhören möchte und für ihre Vorschläge offen ist. Wenn die Zuständigkeiten Brüssels unklar sind, wird sich auch niemand am politischen Prozess beteiligen. Hier wäre es – gerade zur Zeit der Europawahlen – die Aufgabe der nationalen Parteien, Aufklärungsarbeit zu leisten. Stattdessen werden alte Vorurteile aus den verstaubten Kisten geholt, weil damit viel leichter Stimmenfang zu betreiben ist.

 

*Renate Preukschat ist PhD-Studentin der Politikwissenschaft und forscht zur Europäischen Bürgerinitiative. 

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