VIE-BXL (7) Interview mit EU-Kandidatin Kati Piri: „Scharmützel in Brüssel“

VIE-BXL ist eine Serie von Beiträgen am Blog 8 im Vorfeld der Europawahlen 2014.

Im Vorfeld der Europawahl vom 25. Mai interviewt die Sektion 8 europaweit KandidatInnen der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE): Kati Piri (@KatiPiri) ist Kandidatin der holländischen PvdA (S&D) für das Europäische Parlament (Zum englischen Originalinterview).

Kati Piri, Kandidatin für das Europaparlament der niederländischen PvdA

Kati Piri, Kandidatin für das Europaparlament der niederländischen PvdA

Kati, du kennst Brüssel als das politische Herz Europas sehr gut. Wie schätzt du die aktuelle Rolle und die Kompetenzen des Europäischen Parlaments ein – und welche Rolle sollte das Europäische Parlament im Legislativprozess und der politischen Entscheidungsfindung spielen?

Kati Piri In Anbetracht der durch die Verträge vorgegebenen Rahmenbedingungen sollte das Europäische Parlament weiter daran arbeiten eine Schlüsselrolle im Legislativprozess – neben dem Rat – einzunehmen. Das Europäische Parlament (EP) hat in den letzten Jahren bereits mehrfach bewiesen, dass es bei Themen wie der Bankenunion und Maßnahmen zur Krisenbekämpfung in der Eurozone einen Unterschied machen kann. In Zukunft ist es wichtig, dass das Europäische Parlament auch weiterhin auf die Arbeit der Europäischen Kommission Einfluss nimmt und zu diesem Zwecke auch die Nominierung und Wahl des zukünftigen Kommissionspräsidenten /der zukünftigen Kommissionspräsidentin instrumentalisiert.

Gleichzeitig – und das ist vielleicht die wichtigste Aufgabe des Europäischen Parlaments -, darf es nicht in interinstituionellen Scharmützeln in Brüssel aufgerieben werden, sondern muss die Verbindung zu den europäischen BürgerInnen bleiben. Es ist besorgniserregend, dass die Wahlbeteiligung bei EP-Wahlen seit 1979 laufend zurückgeht und dass die Gruppe der EuroskeptikerInnen immer bedeutender wird. Die große Herausforderung für das EP ist es, wieder eine Verbindung zu den Menschen herzustellen – besonders wenn wir berücksichtigen, dass das EP die einzige von den europäischen BürgerInnen direkt gewählte Institution ist.

Im Juni 2013 hat die niederländische Regierung ihre Sicht auf die Kompetenzen der EU mit dem Titel „Europäisch wenn nötig, national wenn möglich“ veröffentlicht. Das Papier, das auch der sozialdemokratische Außenminister Frans Timmermans unterstützt hat, beinhaltet 54 Vorschläge für „Korrekturen“. Was hältst du von dieser Liste, die auch als „Angriff auf die EU“ verstanden wurde?

Die Debatte um die richtige Balance zwischen den EU-Institutionen und den Mitgliedsstaaten wird in den Niederlanden laufend geführt. Die Frage ist, wer was machen sollte und was die beste Aufgabenaufteilung wäre. Ich stimme mit Frans Timmermans völlig überein, dass die EU sich auf die wichtigsten Themen die auf Europäischer Ebene angegangen werden können, konzentrieren sollte. Alles was auf lokalem, regionalem oder nationalem Level behandelt werden kann, sollte auch dort bleiben.

Die „Dutch List“ kann nicht als anti-EU-Aktion gesehen werden, sie artikuliert vielmehr die Idee des „mehr EU wenn nötig – weniger wenn möglich“. Das ist das Subsidiaritätsprinzip: Entscheidungen sollen dort getroffen werden, wo es am sinnvollsten ist. „Weniger EU wenn möglich“ muss deshalb nicht notwendigerweise heißen, dass die Entscheidungsfindung nur in den nationalen Hauptstädten passieren soll, manchmal ist es eben auch besser, auf lokaler oder regionaler Ebene zu entscheiden – und vice versa. Die SozialdemokratInnen in den Niederlanden haben über die letzten Jahre die verstärkte Europäische Kooperation im wirtschaftlichen und monetären Bereich unterstützt und wir glauben insbesondere, dass eine bessere Zusammenarbeit in Richtung Außenpolitik passieren sollte.

Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) wird immer mehr zu einer Notwendigkeit ist aber zugleich nicht unumstritten. Was für eine geopolitische Rolle sollte die EU Deiner Meinung nach übernehmen? Was kann und was soll die EU erreichen?

Erste Priorität einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU sollten unsere unmittelbaren Nachbarn im Osten und Süden sein. Ihnen muss langfristig die Möglichkeit geboten werden sich zu stabilen, demokratischen und wohlhabenden Ländern mit einem einwandfreien Rechtssystem zu entwickeln. Die EU sollte sie bei diesem Unterfangen tatkräftig unterstützen. In diesen Regionen ist die EU bereits jetzt ein einflussreicher politischer und wirtschaftlicher Akteur und die Mehrheit der Menschen in diesen Ländern würde nach wie vor eine engere Kooperation mit der EU begrüßen.

Die EU sollte dabei forciert die Aufnahmegespräche mit den Ländern des Westbalkan weiterführen. Schon jetzt haben alleine die preliminären Beitrittsverhandlungen diese Region in einem Maße stabilisiert, wie es vor zwanzig Jahren noch unvorstellbar gewesen wäre. Auch für die Türkei besteht weiterhin theoretisch die Möglichkeit eines EU-Beitritts, wenn auch die jüngsten Ereignisse eher Indiz für eine Entfremdung zwischen der EU und der Türkei sind, wie zuletzt das Twitter-Verbot.

Wird die EU dadurch nicht auch zu einem Militärbündnis wie die NATO ?

Ein sicherheitspolitisches EU-Militärbündnis nach dem Vorbild der NATO ist auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Im Augenblick ist die EU vor allem eine „zivile“ Weltmacht. Deshalb sollte unser Fokus weiterhin auf der politischen und wirtschaftlichen Unterstützung von Drittländern liegen, während in Krisenzeiten vermehrt der Dialog gesucht werden sollte. Gute Beispiele für solche „Soft power“ Praktiken sind der von der EU initiierte Dialog zwischen Serbien und dem Kosovo und die iranischen Abrüstungs-Gespräche. Nichtsdestotrotz sollte der wirtschaftliche Einfluss der EU vermehrt zu einem genuin politischen Einfluss werden.

Was bedeutet das für den Bereich der Entwicklungszusammenarbeit?

Die EU ist derzeit der weltgrößte Geldgeber im Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit. Hier müsste die EU in Zukunft aber noch mehr auf Sicherheitsaspekte insbesondere bei instabilen Regierungen sowie auf die Frage der und Umweltfragen fokussieren. Ziel muss es sein, dass die Entwicklungsländer sich so schnell als möglich aus dem Hilfeverhältnis emanzipieren können. Zugleich muss Entwicklungszusammenarbeit immer auch eine politische Komponente haben und die Demokratisierung und die Entwicklung eines Rechtstaates fördern – was im Grunde genommen der einzige Weg für eine rasche und nachhaltige Entwicklung ist.

Zu guter Letzt kann die EU nur dann überzeugend auf der Weltbühne außenpolitisch auftreten wenn sie die politischen Werte die sie vertritt auch selber einhält. Rechtstaatlichkeit und demokratische Grundrechte müssen auch innerhalb der EU von allen Mitgliedstaaten eingehalten werden. In dieser Hinsicht kann beispielsweise die von PM Orbán in Ungarn veranlasste Einschränkung der Pressefreiheit nicht hingenommen werden. Gerade deshalb begrüße ich die jüngste Entscheidung der europäischen Kommission interne Mechanismen zu entwickeln die in Zukunft die Einhaltung von Rechtstaatlichkeit und Menschenrechten innerhalb der EU garantieren sollen, denn die EU kann nur dann ein glaubhafter außenpolitischer Akteur sein, wenn sie in der Lage ist ihre eigenen Werte auch selbst einzuhalten.

See also: English version of the interview.

 

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