Sozialdemokratische Politik statt Koalitionsgesinnung

Mit Kriterienkatalog und Koalitionsbedingungen habe die SPÖ einen „gordischen Knoten“ zerschlagen, ist seit der Vorwoche zu lesen: Sie definiere sich nun durch „Inhalte statt Glaubensbekenntnisse“, sie wechsle vom „Feld der Moral“ ins „Feld der Politik“.  Sie bereite nicht Rot-Blau vor, sondern schaffe durch die Beschlüsse erst die Voraussetzungen für eine Mehrheit jenseits von ÖVP und FPÖ. Das ist ein schöner Gedanke. Es ist ein verwirklichbarer Gedanke. Aber der Schönheitsfehler ist: Dieser Gedanke entspricht nicht der Realität, er bewegt sich zwischen (un)bewusster (Selbst-)Täuschung und Zweckoptimismus.

Ludwig Dvorak*

Inhalt

Eine Moraldebatte?

Was sind die Fakten? Diejenigen, die die Beschlüsse gefasst haben, sagen Unterschiedliches darüber, was deren praktische Konsequenzen sind. Michael Häupl sieht durch den Kriterienkatalog eine Koalition mit der FPÖ ausgeschlossen. Hans Niessl frohlockt gleichzeitig, dass Rot-Blau endlich möglich ist. Die parteioffiziösen Stellungnahmen strotzen vor logischer Inkonsequenz: Der grundsätzliche Ausschluss der FPÖ als Koalitionspartner habe die SPÖ erpressbar gemacht, weil in Koalitionsverhandlungen ihre Positionen mangels machbarer Alternativen nicht durchsetzbar gewesen seien. Eine Koalition mit der FPÖ sei aber gleichwohl nicht zu erwarten, weil die inhaltlichen Differenzen zu groß sind. Doch Isolde Charim hat einfach recht, wenn sie einwendet: „Die strategische Möglichkeit ist nur dann eine solche, wenn die reale Möglichkeit tatsächlich real ist.“ Wenn sich das Drohpotenzial darauf beschränkt, gegenüber der FPÖ auf das zu verzichten, was man auch von der ÖVP nicht bekommt, dann verbessert sich die Ausgangslage in Verhandlungen nicht. Die Öffnung der FPÖ-Option hat nur Sinn, wenn man sie wirklich umsetzen will. Und das wiederum hat nur Sinn, wenn man überzeugt ist, dass man um jeden Preis in der Regierung bleiben muss. Dann verlässt man allerdings auch nur das „Feld der Moral“, ohne jemals im „Feld der Politik“ anzukommen.

Im Übrigen scheint mir die in Mode kommende Verachtung für politische Moral das etwas überzogen. Moral ersetzt nicht konkrete Sozial- und Verteilungspolitik, dieser Einwand ist völlig berechtigt. Aber gleichzeitig sollte man nicht übersehen, dass auch die beste Sachpolitik nur propagierbar ist, wenn sie in den richtigen Rahmen sozialdemokratischer Werte gesetzt wird.   

Eine harte Konfrontationsstrategie mit der neoliberalen Politik der FPÖ sieht jedenfalls anders aus als jene sieben Koalitionsbedingungen, die derzeit vorliegen. Die FPÖ hat sie mit einer Ausnahme als verhandelbar anerkannt – und das hätte die ÖVP wohl auch. Die einzige Ausnahme, die Erbschaftssteuer, wurde in „Hintergrundgesprächen“ von der SPÖ gleich wieder zur Disposition gestellt. Bemerkenswert erscheint demgegenüber, dass die von der FPÖ offen attackierten Arbeiterkammern und flächendeckenden Kollektivverträge, diese Grundlagen sozialer Interessensdurchsetzung in Österreich, (noch) keinen Eingang in die Koalitionsbedingungen gefunden haben. Oder dass die auch von der FPÖ forcierte Senkung der öffentlichen Budgets (vulgo Staatsquote) um 14 Mrd. Euro nur der ÖVP vorgeworfen wird. Gesamt- und Ganztagsschule sind bislang ebenso wenig Koalitionsbedingung, wie eine Mietrechtsreform mit wirksamen Mietzinsobergrenzen, eine Umsetzung und Erweiterung der „Aktion 20.000“, eine Vermögenssteuer oder Verbesserungen im Arbeitsrecht. Ganz zu schweigen von stärkerer Mitbestimmung, von längerem Urlaub, der rechtlichen Absicherung von Crowdworkern bis hin zu kürzeren Arbeitszeiten.

Die Koalitionstaktik als Problem

Ja, natürlich: Jede Koalition erfordert Zugeständnisse und Kompromisse. Das Problem der SPÖ war und ist aber nicht, dass sie eine Koalition mit der FPÖ abgelehnt hat, sondern dass sie seit dreißig Jahren bereit ist, einer Regierungsbeteiligung alle eigenen Forderungen unterzuordnen. Schlimmer noch: dass sie aus Rücksicht auf ihre Koalitionstaktik sogar auf die Entwicklung sozial wirksamer Forderungen verzichtet oder offensive Umsetzungsstrategien oftmals fallen gelassen hat, bevor sie begonnen wurden. Ändert die Perspektive auf Rot-Blau etwas daran? Eindeutig nein. Die SPÖ beschäftigt sich mit Selbsthalluzinationen über strategische und inhaltliche Geländegewinne durch das taktische FPÖ-Manöver und gefährdet die eigene Glaubwürdigkeit. Ja, natürlich: Wir werden die FPÖ nicht besiegen, indem wir sagen, dass sie rechtsextrem ist, sondern indem wir sie politisch mit einem offensiven sozialen Programm bloßstellen. Aber: Es genügt nicht, sich selbst einzureden, dass jetzt alles gut wird. Die Projektion der eigenen Wünsche muss mit der Realität in Übereinstimmung gebracht werden.

Der unerwartete Wahlerfolg von Jeremy Corbyn bei den britischen Unterhauswahlen, seine Mobilisierungs- und Begeisterungskraft beruhte auf einer glaubwürdigen programmatischen Alternative. Corbyns Erfolg beruhte auf dem Bruch mit der sozialdemokratischen Fehlvorstellung, „die Mitte“ längerfristig durch den Verzicht auf allzu sozialdemokratische Forderungen gewinnen zu können. Labour erreichte den höchsten Zugewinn seit 1945, weil Corbyn außerdem glaubhaft machen konnte, dass für ihn eine Regierung Mittel zur Durchsetzung eigener Forderungen, nicht Selbstzweck ist. (An eben diesem Glaubwürdigkeitsproblem war bei den vorangehenden Wahlen Ed Miliband gescheitert).

Mit einem starken Wahlprogramm gewinnen

Das Programm, für das Kurz und Strache stehen, wurde in den letzten Jahren in allen Ländern Europas, in denen klare Gegenpositionen formuliert wurden, bei Wahlen besiegt. Das ist auch in Österreich möglich und das Instrument der Koalitionsbedingungen könnte dazu vieles beitragen, wenn es ehrlich und entschlossen genutzt wird, um sozialdemokratische Pflöcke einzuschlagen und nicht, um sich Richtung Rot-Blau zu schlawinern. Das Potenzial dafür wäre auch in den Beschlüssen der letzten Woche enthalten. Denn der Katalog der Koalitionsbedingungen ist ausdrücklich nicht abgeschlossen, weitere Forderungen können hinzukommen.

Dafür sind alle Kräfte gefordert, die eine entschlossen sozialdemokratische Politik als bestes Instrument sehen, um den Aufstieg der Rechten zu stoppen. Es hat keinen Zweck, darüber zu spekulieren, was Christian Kern oder einzelne Landeshauptmänner wirklich wollen. Entscheidend ist, sich dafür einzusetzen, das Wahlprogramm wesentlich zuzuspitzen und zu schärfen. Nur so wird sich die Sozialdemokratie als echte Alternative zum Kurz-Strache-Kurs bei den Wahlen durchsetzen. Nur so wird es nach dem 15.10. den Rot-Blau-Fans erschwert werden, sich um jeden Preis in eine rot-blaue Koalition zu schwindeln und dort weiterzumachen, wo uns die ÖVP vor anderthalb Monaten den Sessel vor die Tür gestellt hat.

Es ist Zeit sich von der Vorstellung zu verabschieden, dass diese Wahlauseinandersetzung eine Person an der Spitze allein gewinnen wird. Für die Perspektive einer Mehrheit jenseits von FPÖ und ÖVP, die Christian Kern vor wenigen Tagen erstmals wieder in den Vordergrund gerückt hat, braucht es ein starkes Programm. Es braucht aber auch eine Stärkung jener Kandidatinnen und Kandidaten, die für ein akzentuiertes sozialdemokratisches Programm – und deshalb auch gegen Rot-Blau –  stehen. Diese KandidatInnen finden sich in fast allen Ländern. Die inhaltliche Abgrenzung zur FPÖ wird nicht durch einen Parteivorstandsbeschluss erfolgen. Sondern in drei Monaten Wahlkampf gegen zwei Parteien, die ein völlig übereinstimmendes Sozialabbau-Programm verfolgen.

Rot-Blau als radikales „Weiter so!“

Das stärkste Argument der Rot-Blau-BefürworterInnen ist, dass es nicht so weitergehen könne, wie zuletzt mit der ÖVP. Dass es die SPÖ umbringe, wenn sie weiter „Gerechtigkeit“ plakatiert, aber dann in der Regierung wenig umsetzt. Rot-Blau ist dazu keine Alternative. Es ist keine Abkehr vom „Weiter so!“, es ist die radikalste Umsetzung des „Weiter so!“: Das Opfern eigener Grundsätze und Inhalte für eine Handvoll Regierungsposten. Wir brauchen etwas anderes: Eine offensive sozialdemokratische Politik, mit der wir auch die Chance haben, eine Mehrheit jenseits von ÖVP und FPÖ zu schaffen. Und diese Auseinandersetzung müssen wir führen. Egal was im Kriterienkatalog steht. Und egal was, der Parteivorstand wirklich meinen mag.

*Ludwig Dvorak engagiert sich in der SPÖ Wieden und ist gf. Chefredakteur der Diskussionszeitschrift ZUKUNFT.

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2 Responses to Sozialdemokratische Politik statt Koalitionsgesinnung

  1. Rudolf T.Z. Scheu 26. Juni 2017 at 00:08 #

    Folgerung aus dem NPD-Urteil: die FPOe ist verfassungsfeindlich und muss verboten werden.

    • Helm AB 21. Dezember 2017 at 10:16 #

      Stimmt schon, aber 25 Jahre Bankdirektoren und Nursultan-Berater, als Arbeiterführerdarsteller, bleibt nicht ohne Wirkung.

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