Anfang März jährten sich die Nationalratswahlen 1966 zum fünfzigsten Mal. Es ist verwunderlich und irritierend, dass dies in den österreichischen Medien kaum Widerhall fand, stellten die Wahlen doch in vielerlei Hinsicht einen Einschnitt in der Geschichte der 2. Republik dar. Erstmals nach Gründung der Republik erreichte die ÖVP eine absolute Mehrheit. Die SPÖ musste den Gang in die Opposition antreten, die nach 1945 fest einzementierte große Koalition wurde beendet. Viele in der SPÖ reagierten mit Angst: Die Ausschaltung des Parlaments durch Engelbert Dollfuß 1933, die Februarkämpfe von 1934 und das Verbot der Sozialdemokratie waren noch in lebhafter Erinnerung.
Schuld an dem Debakel waren neben einem ungerechten Wahlrecht auch massive interne Probleme in der SPÖ. Die Partei unter Obmann Bruno Pittermann galt als verkrustet, zukunftsorientierte Lösungen wurden ihr kaum zugetraut. Der ehemalige Innenminister Franz Olah hatte nach einem enormen Skandal und seinem darauf erfolgten Ausschluss aus der SPÖ eine eigene Partei gegründet, die der SPÖ Stimmen wegnahm. Gleichzeitig stellte der Gang in die Opposition aber auch einen Aufbruch dar und gab den Anstoß für eine Erneuerung durch Bruno Kreisky.
Aber eines nach dem anderen.
Andreas Handler*
Inhalt
Die Demokratische Fortschrittliche Partei
Schon 20 Jahre nach Gründung der 2. Republik waren die Beliebtheitswerte der großen Koalition im Keller. Der Wunsch nach Erneuerung war bei weiten Teilen der Bevölkerung spürbar. Gleichzeitig rumorte es in der SPÖ bereits seit längerem. Mit Gewerkschaftsgeldern hatte der Innenminister und ehemalige ÖGB Präsident Franz Olah der FPÖ eine Finanzspritze von 1 Million Schilling zukommen lassen. Er wollte damit wohl die Weichen für eine Rot-Blaue Koalition stellen, um eine Neuauflage von Schwarz-Rot zu verhindern. 1964 wurde Olah deshalb medienwirksam aus der SPÖ ausgeschlossen. Bereits Ende der 50er Jahre hatte Olah mit Gewerkschaftsgeldern die Gründung der Kronen Zeitung geheim mitfinanziert.
Für die SPÖ hatte dieser Ausschluss nachhaltige Folgen. Olah gründete die Demokratische Fortschrittliche Partei (DFP), mit der er als weithin bekannter Spitzenkandidat bei den Nationalratswahlen 1966 antrat. Zwar erreichte die DFP nur rund 3% und verpasste den Einzug in den Nationalrat damit deutlich, die Stimmen kamen allerdings mehrheitlich von ehemaligen SPÖ-Wählern. Das Antreten der DFP verhalf der ÖVP damit zur absoluten Mehrheit.
Die Wahlempfehlung der KPÖ
Die KPÖ, die bereits seit 1959 nicht mehr im Nationalrat vertreten war, entschied sich aus taktischen Gründen, bei den Wahlen 1966 nicht selbst anzutreten. Stattdessen wurde eine Wahlempfehlung für die SPÖ abgegeben. Für das Wahlergebnis der SPÖ sollte das durchwegs negative Auswirkungen haben. Der Antikommunismus war in Österreich tief verankert. Der negative Effekt auf Grund dieser antikommunistischen Stimmungslage war im Vergleich zum positiven Effekt der wenigen KPÖ-Stimmen, die zur SPÖ wanderten, weitaus größer. Die Tatsache, dass die SPÖ diese Wahlempfehlung nicht ablehnte, wurde von der ÖVP beinhart ausgenutzt. Auf Wahlplakaten der ÖVP war „Die rote Volksfront droht“ zu lesen, die ÖVP machte mit Angstmacherei Stimmung.Die Wahlen
Bei den Wahlen am 6. März 1966 erreichte die ÖVP mit ihrem Spitzenkandidaten Josef Klaus 48,35%. Das reichte bereits für die absolute Mandatsmehrheit. Die SPÖ kam auf 42,56%, die FPÖ mit dem ehemaligen SS-Obersturmführer Friedrich Peter als Spitzenkandidaten erreichte 5.35%.
Das österreichische Wahlrecht, insbesondere die Umlegung von Stimmen auf Mandate, hatte bereits bei mehreren Wahlen für starke Verzerrungen gesorgt. Bereits bei zwei Nationalratswahlen hatte die SPÖ zwar die meisten Stimmen erreicht (1953, 1959), die ÖVP war nach Mandaten in beiden Fällen dennoch stärkste Partei geworden.
Auch bei den Wahlen 1966 waren diese Verzerrungen wieder sichtbar geworden. Nicht nur die SPÖ kam dadurch zu Schaden, auch die FPÖ litt als Kleinpartei darunter. Bruno Kreisky sollte diese gemeinsamen Interessen 1970 voll ausnützen. Bei seiner Minderheitenregierung sicherte er sich die Unterstützung der FPÖ durch das Versprechen einer Wahlrechtsreform. Mit Erfolg: Mit den Stimmen der FPÖ sollte die Kreisky-SPÖ das Wahlrecht in Österreich nachhaltig reformieren und modernisieren.
Neue Zeiten brechen an
Für die SPÖ war die Niederlage 1966 ein großer Schock. Viele in der Partei, die die Zwischenkriegszeit miterlebt hatten, hatten Angst vor zu viel Macht der ÖVP. Einige – darunter auch Bruno Kreisky – wollten daher trotz der absoluten Mehrheit der ÖVP eine Koalition mit ihr bilden. Tatsächlich kam es sogar zu Koalitionsverhandlungen, die aber bald scheiterten.
Angst bereitete die Wahlniederlage auch, weil völlig unklar war, wie die SPÖ darauf reagieren sollte und wie sie sich neu aufstellen könnte. Gleichzeitig herrschte auch große Angst vor dem Machtverlust, der mit der Wahlniederlage einher ging. Erstmals nach 1945 musste die SPÖ wesentliche und tragende Posten in der Republik aufgeben.
Ein knappes Jahr später, Anfang Februar 1967, sollte beim Bundesparteitag schließlich über die Nachfolge von Bruno Pittermann, der als Vorsitzender der SPÖ zurücktrat, abgestimmt werden. Es kam zu einer Kampfabstimmung. Neben dem ehemaligen Außenminister Bruno Kreisky trat auch der ehemalige Innenminister (und Nachfolger von Franz Olah) Hans Czettel an. Gegen die Wahl Kreiskys gab es mächtigen Widerstand, unter anderem vom langjährigen Parteivorsitzenden Bruno Pittermann. Das Ende ist bekannt: Kreisky setzte sich mit knapp 70% der Stimmen durch und wurde zum neuen Parteivorsitzenden der SPÖ.
In der Folge nutzte Bruno Kreisky die Jahre der Opposition, um die Partei ganz neu aufzustellen. Mit dem prominenten Titel „Kampagne der 1400 Experten“ setzte der neue Parteiobmann ein Reformprogramm durch, das Zukunftslösungen für alle drängenden Probleme und Fragen bieten sollte. Gleichzeitig sorgte Kreisky auch für einen Generationenwechsel innerhalb der SPÖ. Er nützte die Zeit in der Opposition, um zahlreiche junge und frische Kräfte in der Partei aufzubauen.
Bei den Wahlen 1970 trat eine veränderte, modernisierte und selbstbewusste SPÖ an, die Alleinherrschaft der ÖVP zu brechen. Es war der Anfang einer 13 Jahre dauernden Periode von SPÖ-Alleinregierungen. Die Kreisky-Ära, deren inhaltliches Fundament in der Opposition gelegt wurde, sollte Österreich moderner, weltoffener und sozialdemokratischer machen.
* Andreas Handler ist Historiker und engagiert sich in der Sektion 8 der SPÖ Alsergrund.
Sehr netter Artikel, der uns wieder daran erinnern lässt, dass es auch eine Chance sein kann, in Opposition zu gehen.
Kleiner Fehler allerdings: Die ÖVP holte schon bei den ersten Wahlen nach dem Krieg, 1945, die absolute Mandatsmehrheit. Ebenso wie 1966 85 von 165 Mandaten.
Vielen Dank für dein Lob und dein Feedback!
Was du sagst, stimmt natürlich. Allerdings hat die ÖVP 1945 auf eine Alleinregierung verzichtet und die Koalition mit der SPÖ und der KPÖ fortgesetzt. Beide Parteien erhielten auch Ministerposten, die SPÖ mit den Ressorts Inneres, Soziales, Justiz und Ernährung 4 ganz wesentliche. Das ist der wesentliche Unterschied zu 1966, als die absolute Mehrheit auch in der Regierung schlagend wurde.
Vielleicht hätte ich das etwas pointierter formulieren müssen.