Anlässlich der 16 Tage gegen Gewalt an Frauen bloggen wir jeden Tag zum Thema Frauen, Feminismus und Gleichberechtigung. Tag 15: Freihandelszonen und Frauenmorde
Andrea Schmidt
Fast jeden Tag eine brutal ermordete Frau, und das in einer Stadt kleiner als Wien. Mehr als 320 getötete Frauen in einem Jahr, dazu Dutzende verschwunden oder entführt. Das ist die traurige Bilanz aus dem Jahr 2010 für die Stadt Ciudad Juárez im Norden Mexikos[1]. Auch wenn genaue Daten schwer zu finden sind, hat sich die Situation bis heute nicht wesentlich verbessert. Wie es zu den Morden kam, oder was die Gründe dafür sind, bleibt in vielen Fällen ungeklärt, nicht zuletzt aufgrund mangelndem Aufklärungswillens der öffentlichen Behörden, und fehlender Sicherheitsmaßnahmen um die Frauen zu schützen. Im Gegenteil, Politiker geben teils sogar den Opfern schuld an den Vorfällen, indem sie vorgeben, dass die Frauen zu spärlich gekleidet gewesen seien.[2]
In vielen Fällen passieren die Morde auf dem Weg der Frauen in die sogenannten „Maquiladoras“-Fabriken. Diese gehören zumeist multinationalen Konzernen, insbesondere mit Sitz in den USA, die von den steuerlichen Vorteilen im benachbarten Mexiko profitieren. Vorangetrieben wurde die Ansiedlung der Konzerne dabei im Rahmen des (seit 1994 bestehenden) nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA. Der Großteil der Beschäftigten ist weiblich, in den Fabriken selbst herrschen sklavenähnliche Bedingungen. Verletzungen von Arbeitsrechten und Sexismus stehen an der Tagesordnung.
„Wir sind nicht verantwortlich“
Auch wenn die Frauenmorde im Norden Mexikos bereits seit vielen Jahren mediale Aufmerksamkeit erhalten, bleibt vielfach unausgesprochen, dass der Situation in den Fabriken und den Gewaltverbrechen eines gemeinsam ist: eine Haltung des Wegschauens, der Nicht-Verantwortung gegenüber den Rechten von ArbeitnehmerInnen und gegenüber Menschenrechten, wie es Elvia R. Arriola ausdrückt, Forscherin an der Northern Illinois University[3]:
“Die Morde in Ciudad Juárez sind eine ausgeprägte Form der Manifestierung von systemischem Missbrauch, und Gewalt gegen Frauen, die in den Maquiladoras arbeiten – diese Form der Behandlung kann als ein Ergebnis der Privilegien und der mangelnden Regulierung angesehen werden, welche Investoren unter dem NAFTA-Abkommen genießen.“
Dem ist wenig hinzuzufügen: die sozialen, politischen und ökonomischen Zusammenhänge von Gewalt an Frauen könnten kaum besser und tragischer veranschaulicht werden.
[1] Quelle: Amnesty International (2012) Culpables conocidos, víctimas ignoradas: tortura y maltrato en México, London: Amnesty International, PDF.
PS:
Im Übrigen stört es mich, dass im Satz „Im Gegenteil, Politiker geben teils sogar den Opfern schuld an den Vorfällen, indem sie vorgeben, dass die Frauen zu spärlich gekleidet gewesen seien.“ Politiker und nicht „Politiker_innen“ geschrieben wird“. Ob das Absicht ist, weiß ich nicht.
Es sind nicht nur Männer, die Vergewaltigungsopfern beschuldigen, selbst schuld zu sein („spärlich bekleidet“, …), vergewaltigt worden zu sein.
Grundsätzlich stelle ich fest, dass, wenn es um Negatives geht, fast nie gegendert wird. So wird meistens von Verbrechern, Mördern, usw., aber selten von Mörder_innen, Verbrecher_innen, usw. geschrieben. Das mag ich nicht. Mir ist schon klar, dass die meisten Verbrechen, Morde, usw. von Männern begangen werden, aber eben nicht alle.
Innerhalb benachteiligter Gruppen (Arbeitslose, Bildungsbenachteiligte, Frauen, Obdachlose, …) sind immer überdurchschnittlich viele Menschen von Gewalt betroffen.
Mit Gewalt werden Menschen unterdrückt. Wer unterdrückt wird, kann, z.B., keinen gerechten Anteil am Wohlstand einfordern. Viele, die eine ungerechte Verteilung zu ihren Gunsten wollen, befürworten – meistens unbewusst, aber manchmal auch bewusst – Gewalt gegen benachteiligte Gruppen.